Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

37. Kapitel

Stillere Zeiten – Über die Achtung vor Karla und über die Achtung vor mir – Gruß an Liesbeth (Isi) Biedermann

 

Diese Aussprache mit Karla hatte ein besseres Ergebnis, als es Aussprachen zwischen Eheleuten im allgemeinen zu haben pflegen. Für eine lange Zeit – ganze zwei oder drei Monate! – wurde es besser mit mir. War ich zuerst nach dieser Auseinandersetzung ein wenig bedrückt durch die klare Überlegenheit, die Karla bewiesen hatte, so überwog schon nach wenigen Tagen das Gefühl, daß sie sich um mich sorgte, weiter an mir Anteil nahm, mich unverändert liebte.

Denn das war es, was ich brauchte. Dies fehlte mir so völlig in meinem neuen Leben: die Sympathie meiner Umgebung. Ich bin kein Einzelgänger, ich möchte mit allen, die um mich sind, gut auskommen. Um glücklich zu sein, brauche ich Freundlichkeit; am liebsten ist es mir, wenn mich alle gerne mögen. Dann entfalte ich meine besten Eigenschaften, dann bin ich imstande, meine eigenen Rekorde an Liebenswürdigkeit, Arbeitslust und Opfermut mühelos zu schlagen!

So höflich und dienstbeflissen die Strabow, Kluge, Pipping, Fitz und wie sie alle hießen, nach dem niedergeschlagenen Aufstand in der Silvesternacht auch waren, ich spürte recht gut, daß sie nicht die geringste Sympathie für mich besaßen. Ich suchte mir immer wieder einzureden, daß mir dies völlig egal sei, aber dieser Mangel an Zuneigung machte mich stets von neuem unduldsam, reizbar, ungerecht.

Und ich konnte nicht einmal den Leuten allein schuld geben! Ich hatte mein Gegenstück vor Augen. Obwohl Karla gar kein Aufhebens von sich machte, begegnete ihr jeder im Schloß mit unverstellter Achtung. Sie kommandierte nie, sie nörgelte nicht, oft sagte ich: Du läßt dir viel zu viel gefallen, Karla. Du brauchst wirklich nicht die Serviette aufzuheben, wenn der Bengel, der Fitz, an der Anrichte steht und träumt!

Aber ich mußte zugeben, daß der Fitz die Serviette meiner Frau wie ein Blitz aufhob, wenn er gerade nicht träumte, sondern sie fallen sah. Ohne sichtbare Anstrengungen hatte Karla Fräulein Kluges Säuregehalt um mindestens neunzig Prozent herabgesetzt, und selbst der untadelige Strabow redete mit Karla nicht ganz so unpersönlich geschwollen wie mit mir.

Aber in jenen besseren Monaten tat mir das nicht so weh. Ich spürte Karlas Liebe neu, ich bildete mir ein, daß sie von nun an nicht nur ein solides Leben, sondern auch Leistungen von mir erwartete, und diese Einbildung machte mich liebenswürdiger, tüchtiger, gab mir ein wenig inneren Frieden nach all der Rastlosigkeit der letzten Zeit.

Ich war jetzt viel mehr mit Karla zusammen. Wirklich saß ich in mancher Nachtstunde bei ihr, wenn sie wegen heftiger Rückenschmerzen schlaflos lag. Unsere Unterhaltungen waren dann nie sehr lebhaft, denn weder über die Schloßinsassen, noch über den Gutsbetrieb oder die Geldlage oder die Erbschaft mochten wir reden. All diese Themen boten zu viel Konfliktstoff. Aber wir spielten stundenlang Brettspiele miteinander oder Karten, und dann saßen wir zwischendurch auch still und lauschten in den nächtlichen Park hinaus, bis ein Käuzchen zu schreien anfing, Karla zusammenschauerte und ich eilig die Fenster schloß.

Am Tage, namentlich am Vormittag, waren wir, so oft es das Wetter erlaubte, im Park. Die Zeiten Fräulein Gwendolyn Kiesows waren vorüber, dafür aber hatte das Mückchen in der vierzehnjährigen Liesbeth Biedermann, Isi gerufen, eine richtige Spielgefährtin bekommen!

Liesbeth Biedermann, älteste Tochter unseres Leutevogtes Biedermann, viel erfahren durch die Erziehungsarbeit an fünf jüngeren Geschwistern, war die genialste Gefährtin und Führerin unserer Mücke, die ich je gesehen habe. Während ich dies niederschreibe, steht sie wieder wie leibhaftig vor mir mit ihrem ältlichen, ernsthaften Gesicht, in dem nur die hellen Augen jung sind, mit der kleinen, eckigen, durch zu viel frühe und schwere Arbeit unentwickelten Gestalt, mit dem glatt nach hinten gekämmten, fast farblosen Flachshaar, das in einem jämmerlichen Rattenschwänzchen auslief!

Mit welch heiligem Ernst brachtest du der Mücke all die Spiele bei, die du in deinen wirklichen Kinderjahren nur verstohlen hinter dem Rücken der Mutter hattest spielen dürfen, denn immer hatte auf dich irgendeine Pflicht gewartet! Mit welcher Geschicklichkeit hieltest du die Mücke ruhig, wenn es ihrer Mutter nicht gut ging! Du warst doch auch noch fast ein Kind – und doch standest du in der Nacht, wenn Mücke einmal schlecht träumte, schneller an ihrem Bett als die Mutter. Kamen Besucher, ehe man noch ein Wort hatte sagen können, warst du mit der Mücke verschwunden.

Nie störtet ihr, nie lernte Mücke etwas Schlechtes von dir! Du warst innerlich und äußerlich so sauber, daß du nie ein schlechtes oder auch nur grobes Wort gebrauchtest – und du hattest in deinem Leben doch mehr Schlechtigkeit und Grobheit erfahren als mancher große, aber behütete Mensch. Die Entdeckung der Badewanne, des Badens überhaupt, war nach einem ersten ländlichen Zögern etwas Wundervolles für dich. Was schrupptest du dann an dir herum, mit welcher Intensität reinigtest du deine kleinen, festen, verarbeiteten, grauen Hände! Karla mußte dir nur einmal sagen, daß abgebissene oder schwarze Fingernägel nicht schön seien, und bei dir (und bei der Mücke) bekamen wir sie nicht wieder zu sehen!

Und was wußtest du alles! Wie konntest du das Kind in eine Welt einführen, in der wir selbst noch fremd waren! Hatte eine Sau geferkelt, du warst gleich am frühen Morgen mit der Mücke bei ihr. Du lehrtest sie alle Kälber im Dorf unterscheiden, und mit dir konnte Mücke auch über die Fohlenkoppel gehen – es geschah euch nie etwas! Du konntest Wassermühlen aus Strohhalmen bauen, Windrädchen sich drehen lassen, Kuhblumen zu Ketten flechten, Kränze winden. Du wußtest immer etwas Neues. Nie wurde Mückchen deiner müde. Daß wenigstens für unser Kind die Gaugartener Zeit gut war, verdanken wir nur dir, deiner selbstverständlichen Pflichttreue, Anhänglichkeit, deiner wortlosen, etwas trockenen Zuneigung.

Längst bist du – mit so vielen gleichgültigen und widrigen Gaugartener Gestalten – aus unserem Leben entschwunden. Wir wissen nichts von dir, was aus deinem Leben geworden ist. Aber einen Gruß wenigstens möchte ich an dich senden, du hellste Gestalt in einer dunklen Zeit, und findet er nicht dich, so findet er vielleicht eine von den vielen, die dir gleichen in unserem Volk, eine von den Namenlosen, die nicht sonderlich Großes vollbringen, das in den Geschichtsbüchern aufzuzeichnen ist, über deren Leben aber doch mit nie verlöschendem Glanz jenes Wort strahlt von denen, die, weil sie im Geringsten, auch im Großen treu sind. Die durch ihre Treue groß sind.

Wird ihnen nicht auch eine Krone zuerkannt? Ich weiß es nicht mehr, ich mag es auch nicht nachschlagen, ich mißtraue längst allen Kronen, die nur verheißen werden. Aber das mag ich wohl glauben, daß solche Treue ihre Krönung in sich selbst trägt: eine Isi, wenn sie stirbt, weiß, warum sie gelebt hat!

*

 


 << zurück weiter >>