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55. Kapitel

Die Krankheit heißt verletzte Eitelkeit – Gute Nacht – Wandlungen an einem frischen Morgen beim Rasieren

 

Als die drei endlich gegangen waren, blieb ich in einem Zustand tiefster Niedergeschlagenheit zurück. Ich warf mich auf die Chaiselongue, und dort blieb ich bäuchlings liegen, das Gesicht in den Kissen verborgen, unfähig zu einem Entschluß, unfähig sogar zu einem klaren Gedanken. Was mich bewegte, war am ehesten vielleicht noch mit diesen Worten auszudrücken: So macht sie es also mit dir! Darauf hat sie schon lange hinaus gewollt! Mir alles abnehmen! Und ich habe eingewilligt! Nun bin ich gar nichts mehr!

In diesem Zustand äußerster Lähmung blieb ich viele Stunden. Ich erinnere mich, daß Hanne sich viel Mühe gab, mich zum Aufstehen, zum Essen zu bewegen. Ich wies alles zurück, antwortete ihr meist gar nicht. Oder ich sagte, ich sei krank. Sie faßte vorsichtig nach meiner Hand, und ich weiß noch, wie sehr ich mich ärgerte, als sie sachlich feststellte: Fieber haben Sie aber nicht, Herr Schreyvogel!

Schließlich brachte sie es dahin, daß ich mich ins Bett legte. Als ich so weit war, gefiel ich mir in meiner Rolle als Schwerkranker schon recht gut. Ich sprach mit leidender Stimme – und hoffte immer, Hanne werde mir vorschlagen, Karla von meinem üblen Zustand zu benachrichtigen. Meine ›Ehre‹ gebot mir dann natürlich, das abzulehnen, aber wiederum hoffte ich, Hanne werde sich um diese meine Ablehnung nicht kümmern. Was ich mir eigentlich von einem Krankenbesuch Karlas erwartete, kann ich heute nicht mehr sagen; ob ich wünschte, Karla werde die Generalvollmacht wieder aufheben lassen und mich im Triumph in meine alten Ehren (Unehren) einsetzen – ich weiß es nicht.

Aber es ist auch müßig, über jenen Zustand und seine törichten Ideen lange zu berichten. Ich war seit geraumer Zeit vergiftet, vergiftet durch Faulheit, zu gutes Essen, Alkohol, Maßlosigkeit der Wünsche: ich war durch Geld vergiftet. Die Krankheit war jetzt auf ihrem Höhepunkt, es war die kritische Stunde, in der sich entscheiden mußte, ob der plötzliche Entzug des Giftes mich heilen oder völlig zerstören würde. Es kam auf Kleinigkeiten an – und es war nur gut, daß ich in dieser Zeit mir ganz überlassen blieb, daß keine mitleidige, tröstende Hand mich pflegte und mir das Schwerste abnahm.

Hanne dachte gar nicht daran, Karla zu benachrichtigen. Als sie mich glücklich im Bett hatte und sah, daß ich Essen, Trinken und Ermunterung hartnäckig ablehnte, sagte sie gute Nacht und schloß meine Stubentür, mich meiner ›Krankheit‹ und meinen üblen Gedanken überlassend.

Glücklicherweise plagten mich beide nicht lange, meine Jugend verlangte ihr Recht, und ich schlief bald ein, schlief lange, traumlos und fest. Ich holte die durchliederte Nacht nach, ich schlief den letzten Rest von Alkohol aus, ich schlief auch in einem recht erheblichen Maße meine üble Laune aus. Zwar war ich noch ein wenig überrascht, als ich mich beim Erwachen in so ungewohnter Umgebung sah, zwar gab es mir einen recht schmerzhaften Stich, als ich an meine veränderte Lage und die gestern getroffenen Abmachungen dachte – aber nach einem kurzen Grübeln entschied ich: Ach was, das wird sich schon alles finden.

Heute wird sicher irgend etwas Neues mit mir geschehen!

Der Morgen war frisch mit tausend Sonnenstrahlen und hunderttausend blitzenden Tautropfen unter meinen Fenstern, ich fuhr mit beiden Beinen zugleich aus dem Bett und lief mit wahrer Freude an den Waschtisch, um mich – passend zur Morgenfrische – gründlich zu waschen und zu rasieren. Nur mit flüchtigem Bedauern dachte ich dabei an meine herrliche Marmorwanne im Schloß und den unsträflichen Strabow, der mir sonst wohl vorgewärmte Badetücher bereitgelegt hatte. Ich entbehrte sie und ihn – fast – gar nicht.

Es ist bezeichnend, daß mir erst jetzt, daß mir erst jetzt beim Rasieren meine Verabredung mit Fräulein Leonore von Kanten einfiel, eine Verabredung, die auf gestern nachmittag sechs Uhr gelautet hatte: Und es ist noch bezeichnender, daß ich das Versäumen dieser immerhin nicht unwichtigen Verabredung, in der ich den Gegenwert für einen recht teuer bezahlten Brillantring in Empfang nehmen sollte, fast als Erleichterung empfand!

Nicht zum Vorteil meiner Rasur kniff ich bei der Erinnerung an all die peinigenden und widerlichen Szenen jener Nacht die Augen zu, schüttelte wütend den Kopf, zog das Gesicht in Falten. Ähnlich wie damals, als ich betrunken neben dem Ledersofa in der Bibliothek erwacht war, erschien mir alles Erlebte und Getane wie ein böser Traum. Das bin doch nicht ich gewesen, sagte ich immer wieder zu mir. Das kann ich nicht getan haben! Es ist alles nicht wahr!

Ich schüttelte wütend den Kopf und starrte mich dabei, halb eingeschäumt und halb rasiert, im Spiegel an. Das Gesicht sah mich wirklich und bekannt genug an, aber ein Mensch mit diesem wohlbekannten und eigentlich äußerst sympathischen Gesicht konnte sich unmöglich so lächerlich-feige um einen Kuß angestellt haben.

Es ist einfach unmöglich und nur durch Alkohol erklärbar ...

Eigentlich war es ja höchst auffallend, wie rasch sich mein Herz von Fräulein Leonore trennte. Vorgestern noch hatte ich keinen anderen Gedanken als den an sie und unsere Zusammenkünfte gehabt, wie ein raunzender Kater war ich im Hause herumgestrichen und hatte nur auf die Minute gewartet, wo mir die geöffnete Tür den Weg zu meiner Kätzin frei gab. Jetzt dachte ich völlig ohne Hangen und Bangen: Laß sie doch! Ich hatte nicht im geringsten mehr den Wunsch, sie auch nur wiederzusehen.

Vorgestern noch hatte Karla nur meine Lügen gehört, meine Mißstimmungen ertragen dürfen, während ich bei der anderen den vollendeten, gut gelaunten Kavalier gespielt hatte – nach meinen sehr geringen Kräften. Jetzt hatte sich das Blättchen völlig gewendet. Das adlige, feine, snobistische Fräulein war mir ganz gleichgültig geworden, sie war eben nie mehr als eine Laune der Faulheit und Liederlichkeit gewesen. Karla aber, die vertraute, gewohnte, so bekannte Karla hatte einen Reiz mehr bekommen! Karla hatte gehandelt, sie hatte mir ein Rätsel aufgegeben – wie hatte sie nur so etwas tun können?! Liebte sie mich denn nicht mehr?! War alles aus? Das wollten wir doch erst einmal sehen! Da hatte ich auch noch ein Wörtchen mitzusprechen!

*

 


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