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30. Kapitel

Redeschlacht zwischen Steppe und Kalübbe – Ich bin Beute – Großer Abgang eines kleinen Mannes

 

Ich glaube, ich habe Herrn Administrator Kalübbe noch nicht recht geschildert. Er war ja bisher nur eine Nebenfigur, ein Schatten neben der wichtigen Gestalt des Justizrats. Wohl sein Widerpart, aber ein Mann ohne Gewicht, ein Landwirt, zu Gast bloß bei städtischen Geschäften.

Aber wie er jetzt in die Friedemannsche Stube trat, ein großer, breitschultriger Mann in den Dreißigern, das Gesicht mit dem schwarzen Schnurrbärtchen gerötet vom Ritt durch den Winterwind, über das knochige, feste Handgelenk an einer Schlaufe die Reitpeitsche gehängt, mit tadellos sitzenden, tadellos blanken Reitstiefeln – da brachte er etwas so Männliches, so Frisches, so Unbekümmertes mit sich, etwas allem Juristischen so Gegensätzliches, daß man als Jurist wohl einmal mit den Zähnen knirschen konnte ...

Ein recht fröhliches, gedeihliches Weihnachtsfest wünsche ich den Herrschaften allen zusammen! rief er mit seiner lauten Stimme, der man anmerkte, daß sie bei Wind und Wetter über die Felder fort Befehle zu schreien gewohnt war. Gnädige Frau, Ihnen ganz besonders!

Er schlug die Absätze zusammen, daß die Sporen klirrten, und beugte sich über Karlas Hand.

Und Sie, Herr Schreyvogel, hätten mir wahrhaftig keine größere Weihnachtsfreude als mit ihrem unangemeldeten Besuch in Gaugarten machen können! Habe ich gelacht! Auf einen Schlag dem alten Stänker, dem Kanten, was aufs Dach gegeben, den Pipping erwischt, den Kleibacke reingelegt! Habe ich gelacht!

Und er lachte noch einmal dröhnend.

Pipping und Kleibacke habe ich natürlich gleich rausgefeuert, sie ziehen zu Silvester. Und bei Kanten habe ich angerufen – so eine Gelegenheit, den guten Nachbarn ein bißchen zu ärgern, kann man sich natürlich nicht entgehen lassen. Ich habe aber nur das gnädige Fräulein erwischt. Der Herr Papa war schon in die Heia gegangen, hat sich vor Ärger und Wut einen angeträllert. Aber das Fräulein Leonore läßt Ihnen besonders danken, sie hofft, es wird dem Alten endlich eine Lehre sein ...

Ich sah, wie Karla die Zähne auf die Unterlippe setzte. Die Erwähnung von Fräulein von Kanten schien ihr nicht angenehm zu sein. Sie hat so plötzliche, oft unbegründete Antipathien.

Aber da sehen Sie es selbst, lieber Herr Schreyvogel, wie nötig das Auge des Herrn auf Gaugarten ist! Ich kann nicht überall sein, die Felder, die Ställe, die Kornböden, die ganze Schreiberei ... Lassen Sie Radebusch fahren, ziehen Sie nach Gaugarten!

Ich dachte, die Zentralheizung wäre nicht in Gang?

Wer hat Ihnen den Unsinn erzählt?! Alles in bester Ordnung! Sie können in dieser Stunde einziehen! Kommen Sie sobald wie möglich, heute, morgen! Bloß daß Sie in Gaugarten wohnen, bringt Ihnen mehr ein als diese ganze uferlose Streiterei um die Erbschaftssteuer!

Er lachte und sah nicht hin zum Justizrat, er hatte ihn überhaupt nicht begrüßt. Ich begriff, daß Herr Administrator Kalübbe wirklich ein so kluger Mann war, wie mir mein Onkel Eduard geschrieben hatte. Bisher hatte er weise Zurückhaltung geübt; unser heimlicher Besuch aber in Gaugarten hatte ihm verraten, daß wir Radebuschs (und des Justizrats) überdrüssig waren, nun trat er auf – und ohne alle Scheu!

Wie schwach, wie bellend klang dagegen Steppes Stimme!

Er sagte: Ich habe eben erst den Herrschaften geraten, ihren Wohnsitz nach Gaugarten zu verlegen.

Nachdem sie Ihnen ausgerissen waren, jawohl! lachte Herr Kalübbe.

Erlauben Sie einmal! rief der Justizrat ärgerlich. Ausgerissen – mir! Herr Schreyvogel war immer Herr seiner Entschlüsse!

Und wie hat er in der Erbschaftssache entschieden?

Ich habe die Vorschläge des Steueramts angenommen. Aber Herr Justizrat meint ja –

Der klügste Entschluß, den Sie im Leben gefaßt haben! sprach Herr Kalübbe, ohne alles Interesse für das, was der Justizrat meinte. Sie sparen bloß Geld dabei. Herr Obersteuerrat Neumann hat mir gesagt –

Neumann hat das Bein gebrochen. Jetzt wird Herr Steuerrat Kulicke den Fall bearbeiten.

Gebrochen? I wo, bloß den Knöchel verstaucht! Ich habe ihn doch heute mittag am Stammtisch gesprochen! Einen Filzpantoffel hatte er an, aber sonst war er ganz munter und meinte ...

Es ist vollkommen gleichgültig, Herr Schreyvogel, was Neumann am Biertisch schwätzt. Schließlich haben wir ein Landessteueramt ...

Und Streitigkeiten, die zehn Jahre dauern! Ich bezweifle, daß die Herrschaften Schreyvogel Lust haben, so lange in Hutaps Mottenkiste zu hocken und alle Tage mit ihrem ganzen Troß hundertachtzig Mark netto zu verzehren ...

Hundertachtzig Mark täglich! rief Karla.

Herr Administrator Kalübbe! rief der Justizrat scharf. Ich bestreite Ihnen das Recht, in diesem Tone zu reden. Sie sind ein praktischer Landwirt, Sie sind kein Steuersachverständiger. Sie sind auch kein Geschäftsmann, Sie sind kein Jurist ...

Nein! Gottlob habe ich noch nie einen zehnjährigen Prozeß geführt!

Der Prozeß, den ich nun seit neun Jahren und fünf Monaten um die Bullsche Mühle führe und der jetzt zum zweitenmal beim Reichsgericht schwebt, ist ein Ruhmesblatt in meiner siebenunddreißigjährigen Anwaltstätigkeit! Ich bestreite Ihnen das Recht ...

Sie haben kein Recht, Herrn Schreyvogel in einen zehnjährigen Prozeß hineinzulocken, der für Sie ein Ruhmesblatt sein mag, die Witwe Bull immerhin aber um ihr ganzes Vermögen gebracht hat.

Ich locke nicht! rief der Justizrat mit hoher Stimme. Ich weise diesen Anwurf mit Verachtung zurück! Herr Schreyvogel, hören Sie nicht auf diesen Mann. Er mag ein tüchtiger Landwirt sein, aber Ihr Onkel Eduard hat ihm nie irgendwelchen Einfluß auf seine Geschäftsführung zugestanden. Was ich Ihnen über das Geld und seine unverbrüchlichen Gesetze gesagt habe, bleibt ewig wahr ...

Aber mein Onkel Eduard hat mir auch geschrieben ... begann ich.

Ich wurde nicht angehört. Sie schoben mich wohl zwischen sich hin und her, aber sie schrien nur einander an.

Ihr Onkel Eduard hat immer gesagt: Nie ein Prozeß mit Steppe! Will ich einen Prozeß verlieren, gehe ich zu Mehltau. Bei Justizrat Mehltau habe ich meine Entscheidung wenigstens schnell. Das hat Ihr Onkel hundertmal gesagt, Herr Schreyvogel!

Das hat Ihr Onkel nie gesagt, Herr Schreyvogel! Das kann er nicht gesagt haben, ich hatte sein vollstes Vertrauen ...

Und haben nie einen Prozeß für ihn führen dürfen ...

Es ist keinesfalls wahr ...

Wirklich, Herr Justizrat, sagte ich und benutzte nun doch den bösen Brief Onkel Eduards, der längst vergessen sein sollte. Mein Onkel hat mir wirklich etwas Ähnliches geschrieben. Er meinte es natürlich nicht böse ... Das heißt, er riet mir, lieber überhaupt nicht zu prozessieren ...

Ich verwirrte mich.

Der Justizrat trocknete sich die Stirn. Er holte tief Atem. Dann sagte er: Nach dem, was hier leider gesprochen ist, möchte ich raten, erst einmal die Debatte zu schließen. Man sagt, guter Rat kommt über Nacht Ich will es hoffen. Sie werden mir morgen oder spätestens übermorgen Ihre Entschlüsse übermitteln, Herr Schreyvogel. Ich rede Ihnen nicht mehr zu. Aber überlegen Sie gut ...

Er sah mich noch einmal an.

Ich darf annehmen, sagte er dann, und jetzt leuchtete sein Auge wirklich grünlich wie das eines Fuches, daß Ihr Herr Onkel in jenem Brief (den ich bedaure) nicht nur über mich Warnungen erteilt hat. Überlegen Sie reiflich – was er Ihnen wegen anderer geraten hat.

Er knöpfte sein braunes Röckchen zu. Gnädige Frau, ich bitte vielmals um Entschuldigung, daß ich heftig wurde. Mein sehr verehrter Herr Kantor, liebe Frau Kantor, verzeihen Sie bitte diesen Aufruhr, ich bin nicht allein an ihm schuld. Lieber Herr Schreyvogel, wie Ihre Entscheidung auch fallen möge, ich werde immer mit wahrer Achtung und Freundschaft an Sie denken.

Er ging zur Tür.

Guten Abend, Herr Justizrat, rief ihm Administrator Kalübbe nach.

Der Justizrat drehte sich um.

Dies nun doch nicht! sprach er, und jetzt waren seine Augen vor Wut völlig grasgrün. Denn ich bin, wenn auch Jurist, doch Mensch, und als Mensch erlaube ich mir den Luxus, Sie tief zu verachten!

Worauf das kleine Männchen unter völligem Schweigen das Haus verließ. Ich muß gestehen, ich bewunderte seinen Abgang.

*

 


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