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10. Kapitel

Zuckertorte und Totenkranz – Oma Böök und ihr Enkel August, der Wandergeselle – Ein Seifensieder geht mir auf!

 

Nach Radebusch hinein, mit der schlafenden Mücke im Huckepack auf meinem Rücken, kamen wir schnell genug, trotz Nacht und Nebel. Aber dann standen wir doch wieder auf der Straße und starrten zu unseren Fenstern empor, von denen das an der Stube völlig erhellt war, während in der Schlafkammer ein Halbdämmer herrschte, als falle Licht von der Stube herein.

O Gott! seufzte Karla. Da sitzt doch wahrhaftig jemand und lauert auf uns. Oma Böök ist auch zu gutmütig, daß sie jeden in unsere Wohnung läßt! Und ich hatte noch nicht einmal richtig aufgeräumt heute früh, als wir zum Amtsgericht losrannten.

Es hilft nichts, Karla, sagte diesmal ich tröstend, vielleicht ist es nur der Bürovorsteher Fiete von Herrn Justizrat Steppe, oder deine Freundin Meta, oder der Paulus. Hinauf müssen wir, wer es auch sei, denn die Mücke muß ihr Abendbrot haben und ins Bett. Also komm schon!

O Onkel Eduard! seufzte Karla, als wir die Treppen zu unserer Mansarde hinaufzuklettern anfingen, und das klang so komisch, daß wir beide lachen mußten. Nur die müde Mücke sagte, weinerlich protestierend: Ich heiß nich Eh-darda, ich bin die Mücke Schreyvogel!

Als wir aber oben anlangten, schnupperte Karla und rief: Es riecht hier so nach Bohnerwachs – wer hat denn hier die Dielen gewachst?

Ich legte mutig die Hand auf die Türklinke, aber unsere Tür war verschlossen, und drinnen brannte doch Licht –!

Wir berieten flüsternd, was diese Überraschung wohl für neues Unheil bedeuten könnte. Aber alle unsere Beratungen halfen nichts: wir mußten hinein. (Wie wir überhaupt in den nächsten Tagen und Wochen in viele Situationen hinein mußten, angenehme und unangenehme, aber meistens unangenehme.)

So zog ich den Schlüssel aus der Tasche, schloß auf, und langsam öffnete ich die Tür.

Nein, das Zimmer war leer, da schien niemand in dem Zimmer zu sein, aber ...

Da hat doch einer meine Stube gebohnert! rief Karla halb verblüfft und halb empört. Und die Scheiben sind auch geputzt!

Sieh doch den Tisch, Karla, sagte ich mahnend.

Ja, der Tisch war wirklich sehenswert, denn auf ihm war eine weiße Serviette ausgebreitet, und auf der Serviette stand eine Torte mit buntem Zuckerguß und weißer Zuckerschrift ›Wir gratulieren!‹ Und neben der Torte lag ein ganz kleiner Kranz aus frischem Tannengrün mit Papierröschen und einer Karte ›Herzliches Beileid!‹ Hinter dem allen aber brannte in einem kleinen zinnernen Leuchterchen eine Stearinkerze, flackerte vergnügt im Zuge von der halb offen stehenden Tür her mit ihrer lebendigen blauen Flamme, und nach dem abgetropften Stearin zu urteilen, mußte sie schon eine ganze Weile so brennen.

Wir gratulieren! Herzliches Beileid! las Karla, ganz dumm vor Staunen, zum zehnten Male. Verstehst du das, Maxe?

Nein, ich verstand es auch nicht, aber diesmal war uns die Mücke an Findigkeit über. Sie tippte mit ihrem Finger gegen den zinnernen Leuchter und rief: Oma Böök! Oma Böök!

Sofort erkannten auch wir den Leuchter wieder, den wir hundertmal auf dem Nachtschränkchen unserer lieben, langjährigen Mansarden-Nachbarin gesehen hatten. Über den Hausboden ging es zu ihrer Zimmertür, aber wir rüttelten vergeblich, denn die war abgeschlossen, und hier schien Licht nicht durch die Ritzen. Als wir aber, nun völlig ratlos, in unsere Stube zurückgingen, kam aus unserer Schlafkammer die Gute, von der Mücke an der Hand geführt. Die achtzig Jahre alte Frau hatte ihr bestes schwarzes Wollkleid an mit der Korallenbrosche von ihrem Enkel August Böök, und auf dem dünnen weißen Scheitel trug sie ihre Sonntagsspitzenhaube mit den schwarzen, glitzernden Jettperlchen. Und genau wie ihr Aufbau auf unserem Tisch lachte sie halb und weinte ein bißchen.

Mit ihrer hellen hohen Altersstimme rief sie, wiederum halb weinend, halb lachend: Da bin ich also wirklich eingeschlafen, und ich hatte doch lauschen wollen, was ihr zu meiner kleinen Bescherung sagen würdet! Extra habe ich mir den harten Holzstuhl hingesetzt, aber sieben Uhr ist meine Schlafensstunde, und ich war auch so müde vom Schrubben und Putzen und Bohnern ...

Das bist du also auch gewesen, Oma Böök! Das hättest du gar nicht tun sollen!

Wo ihr jetzt so reiche Leute geworden seid, und da soll es bei euch nicht blitzblank aussehen?! Zieh kein Gesicht, Karla, ich weiß, bei dir ist es immer blitzblank. Aber wenn man so viel Geld hat, muß man sich besonders viel Mühe geben. Und acht Leute sind da gewesen nach euch, und ich habe ihnen allen gesagt, sie sollen nur morgen früh wiederkommen, jetzt seid ihr weg. Sie haben sich aber sicher gefreut, daß so gut bei euch reingemacht wurde. Freust du dich auch, Karla?

Na, gewiß doch, Oma Böök! Ich habe die ganze Zeit daran gedacht, wie es hier aussieht, aber Aufräumen hätte auch genügt, mit achtzig Jahren soll man nicht mehr auf den Knien rutschen und schrubben!

Wie du auch redest, Karla! Achtzig, das bin ich nur nach meinen Papieren, sonst bin ich immer lustig und vergnügt, genau wie ein junges Mädchen! Aber was sagt ihr denn nun zu meinem Aufbau? Ist es auch richtig so? Einerseits ist es ja ein Trauerfall, und darum besonders schlimm, weil dein Onkel ganz unbußfertig gestorben sein soll, Maxe. Aber vielleicht sagen die das nur, weil sie neidisch sind, bei Gott ist so viel Gnade. Und zu euch ist er gut gewesen, weil er euch doch all das Geld anvertraut hat, womit ihr so viel Gutes tun könnt. Ich habe auch eine Bitte an euch, aber darum habe ich nicht geschrubbt und geputzt und den Aufbau gemacht ...

Das glauben wir dir, Oma Böök, sagte ich und glaubte es ihr wirklich, denn einen gütigeren Menschen als unsere alte Wahl-Oma Böök gab es in ganz Radebusch nicht.

Was willst du denn von uns, Oma? fragte Karla neugierig, denn die alte Frau hatte noch nie einen Wunsch geäußert in den fünf Jahren, da wir sie kannten.

Nein, nein, jetzt nicht. Erst muß die Mücke ins Bett. Dann setzt ihr euch zu mir rüber, da ist es schön warm. Ihr bringt euer Abendbrot mit, und ich esse auch noch ein Stück von der Torte. Sie ist schon gut zwei Wochen alt, darum habe ich sie billiger bekommen. Eigentlich war sie für einen Geburtstag, aber wer sie bestellt hat, hat sie nicht abgeholt, und ich habe zu dem Fräulein gesagt: trocken, das macht uns nichts, wir tunken sie doch in Kaffee. Aber süß muß sie sein, und Zuckerguß wird vom Liegen nur immer süßer.

Das fand die Mücke auch, mit einer wahren Wonne aß sie von dem ungewohnten Gebäck und wollte immer noch mehr und entschloß sich erst zum Einschlafen, als wir ihr einen Stuhl mit einem Tortenstück neben ihr Bettchen gestellt hatten. Daß wir ihr über Nacht auch nicht alles aufäßen ...

Danach aber saßen wir gemütlich bei der Oma Böök am Ofen, der wirklich warm war, und aßen unser erstes Millionärsabendbrot vom gescheuerten Holztisch und schnitten das Brot mit Omas altem Hirschhornmesser. Das stammte noch von ihrem vor vierzig Jahren verstorbenen Mann, der Forstaufseher im Plänterwald gewesen war. Wir waren aber völlig zufrieden, Ruhe herrschte hier, und nur gar zu gerne hätten wir gewußt, was sich Oma Böök nun eigentlich von uns wünschte.

Aber damit wollte sie nicht herausrücken, ehe wir nicht aufgegessen hatten. So stellte ich über dem Essen heimlich Berechnungen an, wieviel Geld ich eigentlich von den Steppischen Fünftausend noch besaß, unser eigenes Vermögen nicht gerechnet. Ich kam aber zu dem Ergebnis, daß es noch gut neunhundertsiebzig Mark sein mußten, von denen Paulus Hagenkötter fünfhundert haben sollte. Da wir aber Herrn Justizrat nicht morgen schon wieder um Geld angehen konnten, mußte ich etwas für uns zurückbehalten. So daß für die Oma im besten Falle vierhundert Mark blieben.

Ich hätte mir aber all diese Rechnerei ersparen können, denn ich hätte wissen müssen, daß dies alt gewordene, aber jung gebliebene Kind Oma Böök sich für Geld überhaupt nicht interessierte. Nun schon seit vierzig Jahren hatte sie von ihrer kleinen städtischen Witwenrente von fünfunddreißig Mark monatlich so sorglos und vergnügt gelebt wie keine reiche Frau.

Sie hatte es sogar fertiggebracht, von ihrem kärglichen Bißchen zuerst ihren Kindern und später ihren Enkeln immer noch ein wenig zuzustecken. Und da sie sieben Kinder gehabt hatte, die alle verheiratet waren und wiederum viele Kinder zur Welt gebracht hatten, so war die Zahl ihrer Enkel Legion, und aus vielen verschenkten Wenig konnte leicht ein großes Minus werden.

Aber das kümmerte sie gar nicht. Sondern sie sagte: Eine alte Frau kann wie ein Vogel leben: von zwei Tropfen Wasser und zwei Krumen Brot. Gegen das Monatsende, ehe mein neues Geld kommt, werde ich so leicht in den Gliedern, daß ich im Traum fliegen kann, und lachen muß ich dann immerzu ...

Also ihr Wunsch – als sie endlich mit ihm herausrückte – betraf natürlich nicht Geld, sondern ebenso natürlich ihren Enkel August Böök. Ich hätte es wissen sollen, und Karla hatte es sich auch gleich gedacht, wie sie mir hinterher sagte.

Mit dem Enkel August war es aber so, daß er der einzige von all ihrer Nachkommenschaft war, um den sich die alte Oma wirklich Sorge machte. Aus all ihren Kindern und andern Enkeln war etwas Seßhaftes, Ordentliches geworden, aber dieser eine Enkel trieb sich ewig in allen Ländern umher. Mal war er nur Stallbursche in einem Zirkus, und mal hatte er auf den Jahrmärkten eine Nürnberger Lebkuchen- oder Thüringische Rostbratwurst-Bude. Manchmal zog er auch nur mit Hosenträgern, Schnürsenkeln und Hemdenknöpfen in einem Köfferchen durch die Welt. Es war, als sei alles, was seinen Geschwistern, Vettern, Basen, Onkeln, Tanten, Eltern an Beweglichkeit fehlte, in ihn allein gefahren und bewegte ihn so, daß er gar nicht mehr zum Stillstand kommen konnte.

Dabei war der August Böök schon längst kein junger Mensch mehr, er war Mitte der Dreißig, aber nach Ruhe sehnte er sich nicht. Wir hatten ihn dann und wann bei seinen flüchtigen Besuchen in Oma Bööks Stube gesehen, einen großen, wettergegerbten Menschen mit dunklen Augen und dunklem Haar. Nie saß er auch nur eine Minute auf einem Stuhl stille, sondern lief immer auf und ab und erzählte dabei, erzählte immerzu, von Landstraßen, Schlangenbändigern, Gendarmen, jungen Mädchen, Wegen über die verschneiten Alpen nach Italien hinein, erzählte, erzählte ...

Wenn Oma Böök sich allein um diesen Enkel sorgte, so war es seltsam, daß allein dieser Enkel nie etwas von ihr verlangte oder annahm, sondern ihr immer etwas mitbrachte: Stoff zu einem Kleid, oder die hübsche Korallenbrosche, oder auch nur eine Tüte Pfefferkuchenreste aus seiner Bude. Die anderen Kinder und Enkel dachten an die Oma Böök, wenn sie etwas von ihr wollten, es mußte ja nicht immer Geld sein, sie konnte auch bei den Kindern einhüten, wenn die Großen verreisen wollten. Sie konnte auch abwaschen, plätten, beim Schlachten und Einwecken helfen. August aber wollte nie etwas, zu jedem Geburtstag bekam sie pünktlich ihre Karte und zu Weihnachten (mit den Neujahrswünschen gleich mit darauf) auch – aber wegen seiner Ruhelosigkeit sorgte sie sich um ihn!

Und nun sollten wir ihn seßhaft machen!

Seht mal, Kinderchen, wo ihr nun so reich seid, und ich habe überall rumgefragt, ein Automobil habt ihr bestimmt! Wo August doch immer so gerne Chauffeur werden wollte, nur hatte er nie Zeit zur Ausbildung! Aber wenn er dann bei euch Chauffeur wäre, könnte er euch immer spazierenfahren und hätte dabei seine Bewegung und Abwechslung und dabei doch regelmäßiges warmes Essen und festen Lohn pünktlich an jedem Letzten. Und wenn er dann bei euch ist, holt ihr mich mal im Auto ab, der August vorne, und ich mit Karla und der Mücke hinten, und dann besuchen wir dich, Max, draußen in Gaugarten. O Gott, ich bin noch nie in einem Auto gefahren, aber der August wird bestimmt ein guter Fahrer, der hat die Gaben dazu, nicht wahr?

Wir aber machten betretene Gesichter, und zehnmal lieber wäre es mir gewesen, die gute Oma hätte mich um hundert oder auch um vierhundert Mark gebeten: Sieh mal, Oma, wir wissen ja noch gar nicht, wie wir es draußen finden, und wenn es stimmt, daß wir wirklich ein Automobil haben, wird auch schon ein Chauffeur da sein, und den können wir doch nicht einfach fortschicken ...?

Oma Böök sah unsere beiden bedenklichen Gesichter verblüfft an. Was denn, Kinderchen, ihr habt doch geerbt und euch gehört nun alles?

Ja, natürlich, Oma. Aber wir müssen uns doch danach richten, wie wir es vorfinden!

Was denn?! rief sie mit ihrer hellen Altersstimme. Ihr fangt ja schön an! Wenn es euch gehört, da müssen die sich doch nach euch richten! Schon im Sprichwort heißt es: für Geld kann man sogar den Teufel tanzen lassen; und wenn ich nur hundert Mark hätte, ich ließe sie tanzen, alle, alle!

Sie schlug auf den Tisch, sie sah wahrhaftig ganz herrschsüchtig und streitlustig aus, die gute Oma Böök!

Aber ... sagte ich.

Und wenn ihr statt einem zwei Chauffeure haben wollt, dann haben eben zwei Chauffeure da zu sein – dafür habt ihr doch das viele Geld, nicht wahr? Kinder, Kinder, fangt es bloß nicht falsch an! Ihr wollt jetzt wohl alles tun, was die euch sagen?! Und wenn da so einer kommt und sagt: So hat's der Onkel Eduard gemacht – so wollt ihr's wohl auch so machen?!

Ja, gewiß, nein, gewiß nicht, sagte ich. Aber ...

Wozu habt ihr denn all die Last mit dem vielen Geld, wenn ihr nun nicht tut, was ihr lustig seid?! Ich ließe sie tanzen, ich schickte sie, ich ließe sie laufen! Und wenn ich heute auf dem Dach essen wollte und morgen im Keller, sie sollten mir das Essen schon bringen müssen, rauf und runter! Was, Karla –?

Ich sah, wie Karlas Gesicht sich aufhellte, und ich fand eigentlich auch, daß, was Oma Böök sagte, eigentlich ganz vernünftig war. Nicht gerade mit dem Essen im Keller – aber zu ängstigen brauchte ich mich vor all denen eigentlich wirklich nicht, und tun konnte ich wahrhaftig, wozu ich Lust hatte.

Nicht, daß ihr sie schikanieren sollt! sagte die Oma noch. Einen armen Dienstboten schikanieren ist gemein. Ich, als ich noch Magd war, hatte eine Madam, die weckte mich nachts um zwölfe und ließ mich in der Speisekammer die Eier zählen. Und wenn ich dann an ihr Bett kam und sagte: Madam, es sind hundertdreiundsechzig Eier, dann sollten es hundertvierundsechzig sein, und ich mußte manchmal bis zum Morgen zählen. So was ist gemein, weil es nur Schikane ist. Aber was einem Spaß macht ... Ich würde alle Augenblicke, wenn eines eine Arbeit extra gut gemacht hat, ihm was schenken: schwarze Strümpfe oder eine hübsche Schürze. Ich würde wollen, daß alle um mich immer nur lachten und keine Sorge hätten! Und die Mädchen würden ihre Schätze am Sonntag in die Küche einladen dürfen – ich wollte es mir und allen mit meinem Gelde schon vergnügt einrichten!

Sie sah uns mit funkelnden Augen an.

Aber ich habe es auch ohne dies schon vergnügt. Und wenn das nun mit dem August was wird ...

Also versprachen wir es ihr mit dem August, und wir hatten es sogar eingesehen und versprachen es gerne. Wenn ich auch meine heimlichen Bedenken hatte wegen Oma Bööks Art, vergnügten Haushalt zu führen mit ewigen Geschenken und Schätzen in der Küche – darüber war mir doch ein ganzer Seifensieder aufgegangen, daß man für Geld sogar den Teufel tanzen lassen, also alle eigenen Wünsche befriedigen kann. Nun freute ich mich direkt darauf, Schloßherr auf dem adligen Gut Gaugarten mit den Vorwerken Trassenheide, Schafstall und Kleinschönchen zu werden! –

*

 


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