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4. Kapitel

Streit um einen Nußknacker – Erbschafts-Phantasien – Karla fordert Verfügung über ›unser‹ Geld

 

Der gegen Abend dichter gewordene Nebel hatte die Freundinnen Karlas unserm Heim ferngehalten, zum Segen unserer inneren Ruhe. Es wäre nicht abzusehen gewesen, wohin drei oder vier junge Mädchen und Frauen unser Erbschifflein mit dem Wellenschlag ihrer Zungen getrieben hätten!

In der Kammer murmelte sich die kleine Mücke stets leiser und undeutlicher in den Schlaf – sie hatte die drei Seidenhüte schon wieder vergessen über der Oma Böök, unserer Mansardennachbarin, die bei ihr mit Märchen eingehütet hatte.

Unser einziger Gast an diesem friedevollen Abend war Paulus Hagenkötter, und er sorgte dafür, daß wir uns nicht in Erbschaftsphantasien verloren; seine Phantasie ging andere Wege.

Wenn ihr von eurem Erbteil über das Notwendigste fünfhundert Mark erübrigen könntet, sagte er und rieb sich langsam zwischen den Knien seine knochigen Hände, so wüßte ich eine Idee für euch, die so vieles einbrächte, daß ihr die ganze Erbschaft entbehren könnt. Ja, sie machte uns alle drei bestimmt zu reichen Leuten!

Erzähle, Paulus! bat ich.

Karla schoß über ihre Häkelei fort einen schnellen, scharfen Blick auf Paulus, aber sie schwieg, wie meistens, wenn sie ohne weiblichen Beistand zwischen uns Männern saß.

Die Idee ist mir gekommen, sagte Paulus nachdenklich, als Bouterweck von der Todesursache deines Onkels erzählte. Alle Menschen knacken Nüsse gerne mit den Zähnen, wenn sie auch hundertmal wissen, es tut nicht gut. Ich habe mir einen kleinen Apparat überlegt, billig in der Herstellung, zwei Stahlblechplatten, mit Scharnier und Feder schräg zueinander gestellt und auf die Zähne aufzusetzen – damit knackt jeder Mensch sich seine Nüsse im Munde und schadet seinen Zähnen doch nicht. Warte, ich zeichne es dir auf ...

Er skizzierte eifrig. Ein wenig besorgt sah ich nach Karla hin, die unruhig auf ihrem Stuhl hin und her rückte.

Siehst du, Max, zeigte mir Paulus das Bildchen. Es ist gewissermaßen ein aufgesetztes Gebiß mit zwei stählernen Gaumenplatten. Hinten zwischen den Platten ist die Feder eingebaut, von der die Platten wieder auseinandergedrückt werden, wenn die Nuß geknackt ist.

Er sah die Zeichnung noch einmal nachdenklich an. Ich glaube, es ist eine patentfähige Lösung, sagte er. Dein Onkel Eduard lebte noch, wenn er diesen Apparat für fünfzig Pfennige gekauft hätte. – Leuchtet es dir ein, Max? Gefällt es dir?

Ganz großartig, Paulus! rief ich. Du hast einen Kopf für Erfindungen –! Wie gesagt, Kerlchen und ich, wir haben uns schon überschlagen, daß wir gerne für vielleicht tausend Mark Anschaffungen machten. Aber wenn wir mehr erben, dann nehmen wir fünfhundert Mark ...

Nichts werden wir nehmen, gar nichts! rief Karla empört und sprang mit zornroten Backen von ihrem Stuhl auf. Wie kannst du dir bloß solchen Quatsch ausdenken, Paul, und du, Maxe, bist auch so ein Schaf und sagst zu allem ja, was von deinem Freund kommt!

Aber, bitte, Kerlchen, fang doch nicht wieder Streit an!

Willst du mir vielleicht erklären, Karla, wieso meine Erfindung Quatsch ist –?

Das will ich dir liebend gern erklären, Paulchen, wenn es euch großen Männern mit euren großen männlichen Gehirnen – hundert Gramm schwerer als die leichten weiblichen, ich hab's behalten, Paulecken! nicht von selber einfällt! Das Blechdings knackt vielleicht, ja, aber dann ist die Nuß zermatscht im Mund, mit allen Schalen! Die sucht man sich dann aus dem Mund heraus, wie –?!

Erlaube, Karla, die Schalen hat man auch im Mund, wenn man mit den Zähnen knackt! Und –

Erlaube, Paulchen, dann schiebt man sie mit der Zunge heraus – und wo läßt du die Zunge bei deinem Apparat? Und was macht man hinterher mit dem feinen Dings? Trocknet es mit dem Taschentuch ab und steckt es bis zum nächsten Gebrauch in eine eurer Männertaschen voller Peek und Tabak?!

Ein Etui ...

Alles für fünfzig Pfennig!

Der Streit war im allerschönsten Gange und ich wieder einmal hin- und hergerissen zwischen Frau und Freund. Kerlchen sah, von Wut und Verachtung sprühend, prachtvoll aus, sie ist das temperamentvollste Frauenzimmer, das ich kenne! Ich wundere mich immer, daß sie es an meiner Seite aushält, ich bin eher ein bißchen langsam. Aber Paulus war ihr völlig gewachsen, er wurde immer schärfer und essigsaurer. Sie brachte sein Blut in Wallung, ich wette, jetzt hatte er keine kalten Hände mehr!

Du hast eben nichts gelernt, Karla! Du weißt nicht, daß alle großen Erfindungen zuerst verlacht worden sind. Das Automobil ...

Ja, bau noch einen Motor in deinen Nußknacker ein, mit verschiedenen Gängen für Hasel- und Walnüsse! Aber von uns wird kein Pfennig für solchen Quatsch –

Wieder ein Irrtum. Der Ehemann hat die Bestimmung über die Gelder –

So siehst du aus! Deine Frau möchte ich mal kennenlernen! In deiner Ehe kaufst du wohl die Mohrrüben und die Schmierseife ein, Paulchen –?

Die Verteilung der einlaufenden Gelder, meine ich!

Meinst du –!

Meine ich –!

Aber wir haben ja gar keine einlaufenden Gelder! schrie nun ich. Hört doch endlich auf, ihr Kindsköpfe, mit eurer Streiterei! Oma Böök wird gleich an die Wand klopfen, weil sie nicht schlafen kann ...

Allmählich beruhigten sie sich. Wie gesagt, es war ein ganz friedvoll-freundschaftlicher Abend, unser letzter für lange Zeit. Eine Streiterei zwischen Karla und Paulus kann man nicht zum Unfrieden rechnen, die gibt es immer, die gehört dazu. Manchmal denke ich, sie sind meinetwegen einfach eifersüchtig aufeinander, aber das heißt die eigene Person wohl zu wichtig genommen.

Nun in ruhigerem Gespräch, erfuhr Karla auch von dem Zwischenfall heute nachmittag mit Direktor Kracht. Wie meist war sie recht unzufrieden mit meinem Verhalten. Sie sprach noch in der Nacht davon, als wir schon im Bett lagen.

Kannst du denn nicht ein ganz klein bißchen schlagfertiger sein, Maxe? Mir wären hundert Entschuldigungen eingefallen, wenn der eklige Kracht mich wegen Zuspätkommen gefragt hätte!

Ja dir, Kerlchen! Aber ich weiß nicht, wie es kommt, mir fällt immer erst drei Stunden später ein, was ich hätte antworten sollen.

Und mir fällt drei Stunden später ein, daß ich lieber nicht hätte sagen sollen, was ich gesagt habe. Daß ich wieder mal jemanden schrecklich beleidigt habe.

Sie lachte leise und sehr glücklich in sich hinein. Ich höre es immer so gerne, wenn sie ganz still zufrieden über sich, mich und die ganze Welt lacht. Wir sind ja doch bloß alles kleine Männerken und nehmen uns schrecklich wichtig.

Ich war schon beim Hinübergleiten in den Schlaf, so schön entspannt in der Wärme, als Karla plötzlich ganz wach rief: Du, Maxe! Schläfst du schon –?

Beinahe ...

Hör mal, Maxe! Also für tausend Mark schaffen wir uns alles an, was ausgemacht ist. Aber wenn wir nun mehr erben, sagen wir mal dreitausend Mark, und du kriegtest tausend Mark, mit denen du machen könntest, was du wolltest, und ich auch – was würdest du dann mit deinen tausend Mark anfangen –?

Ach, Kerlchen, wir erben doch nie dreitausend Mark!

Ich sage ja bloß, wenn ...

Aber es wird doch nichts!

Du solltest es dir doch auch nur wünschen!

Ja, so in der Eile weiß ich wirklich nicht ... Was würdest du denn mit deinem Geld tun –?

Ich würde mir ein Motorrad kaufen, Maxe! Unbedingt –!!!

Karla ...!

Und eine schicke Hose und eine Lederkappe und eine Lederjacke – und dann würde ich alle freie Zeit im Lande herumrasen, dich oder die Mücke auf dem Sozius!

Aber, Karla –!

Was denn? Das ist mein allerschönster Traum, schon seit ich ein kleines Mädchen bin!

Aber, Kerlchen, wo du doch weißt, wie sehr ich die Biester hasse! Sie stinken immer und machen solchen Krach, und dann die Raserei ... Nie würde ich mich auf so ein Dings setzen!

Erst einmal stinken sie überhaupt nicht, erlaube mal! Das ist genau so, wie wenn du deinen Hund nicht putzt, dann stinkt er auch. Wenn du aber dein Motorrad putzt, stinkt es überhaupt nicht. Und Krach macht es auch nur bei Fahrern, die nicht fahren können. Wenn die natürlich gleich Vollgas abhauen, ehe der Motor warm geworden ist –! Nein, ein Motorrad kaufe ich mir unbedingt, du kannst schimpfen, soviel du willst!

Dann ist es ja gut, daß wir nie und nie dreitausend erben. Im Büro haben wir über hundert Schreyvögel zusammengerechnet, alle Kinder natürlich mitgezählt.

Und was würdest du mit deinen tausend Mark machen, Maxe?

Aber, Karla, ich habe dir doch eben erklärt, wir können gar nicht soviel erben!

Nun sag schon, Maxe! Wünschen kostet doch nichts, und du hast es dir bestimmt auch schon überlegt!

Ich wollte, dieser Steppe wäre nie in unser Zimmer gekommen! Nun kann man nicht einmal mehr in Ruhe schlafen!

Sag schon, Maxe! Ich lasse dich dann auch bestimmt schlafen – großes Ehrenwort!

Natürlich hatte sie recht, natürlich hatte ich mir schon überlegt, was ich mit ›meinen‹ tausend Mark anfangen wollte.

Fünfhundertzehn Mark würde ich für die Mücke auf ein Sparbuch einzahlen ...

Warum denn grade fünfhundertzehn –?

Weil sie viereinviertel Jahr alt ist. Das macht genau einundfünfzig Monate zu zehn Mark! Und wenn dann so ein Anfang da ist, könnte man immer weiter alle Monate zehn Mark für sie zurücklegen, dann hätte sie später genug, um etwas Richtiges zu lernen, oder für eine schöne Aussteuer ...

Na schön, sagte Karla, aber ich hörte ihr an, daß sie nicht recht einverstanden war. Und was würdest du mit dem andern Geld machen?

Ja, weißt du, Karla – aber du wirst nicht zufrieden sein. Wir haben doch ausgemacht, daß jeder mit seinem Geld machen kann, was er will? Du kaufst dir ja auch ein Motorrad ...

Nun mach schon! Und was kaufst du dir also?

Ich würde die andern fünfhundert doch dem Paulus geben. Ich gebe ja zu, seine Erfindung ist noch nicht ganz durchkonstruiert, und vielleicht ist sie auch nicht notwendig. Aber er hat doch nie eine Ermutigung gehabt, und das Erfinden macht ihn doch so glücklich, und überhaupt ist er mein Freund ...

Ich wußte nicht mehr weiter, sie lag so still in meinem Arm.

Du, Kerlchen, du bist doch nicht böse, ich meine, weil ich Paulus ...?

Da hatte sie mich schon umgefaßt, riß mich an den Haaren und sagte: O du Schaf, du! Du grundgutmütiges Schaf du! Nun soll ich dir auch noch böse sein?! Nicht die Spur! Aber das schwöre ich dir: wenn wir etwas erben, und wenn es nur hundert Mark sind, du kriegst nicht einen Pfennig in die Hände, dein Freund Paul mag über das Gattenrecht sagen, was er will! Nicht über zehn Mark darfst du bestimmen, alles würden sie dir ja abschwatzen! Aber darin gebe ich dir jetzt ganz recht: wenn morgen Herr Steppe auf seinem Büro sagt: Entschuldigen Sie, meine Damen und Herren, es war ein falscher Irrtum – so weine ich nicht eine Träne, sondern sage: wer weiß, wozu's gut ist. – Und nun schlaf schön, Maxe, und träum auch was Schönes!

*

 


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