Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

68. Kapitel

Kein Einzugsschmaus, aber nutzlose Jagd – Niemand zu finden – Ich werde Gaugarten für Karla retten

 

Als aber an jenem Sonnabend sich die Gaugartener im neuen Dorfkrug zum Einzugsschmaus niederließen, habe ich Karla nicht vom Schloß abgeholt, habe nicht neben ihr an der fröhlichen Tafel gesessen – bei ihrem Abschiedsschmaus. Sondern bin in Groll und Ärger allein zur Nacht über die Straßen gelaufen ...

Wie es Kinder gibt, die, ihren Eltern zur Sorge, nicht eine Krankheit auslassen, wie es Pechvögel gibt, die nicht nur die erste, sondern auch die allerletzte Mücke sticht, so wurde ich Blinder gerade einen halben Tag zu früh sehend, überkam mich Ahnungslosen eine Ahnung – als alle anderen, meine liebe Nachkommen- und Leserschaft eingeschlossen, es schon längst wußten.

Dabei erging es mir, wie es meist den Langsamen im Geiste ergeht: Ich kam mir ganz besonders gewitzt und hellhörig vor, als ich an jenem Sonnabendmorgen Hannes gerötete Augen sah und ich mich auf meine Frage, was ihr sei, nicht mit der Antwort: Ach nichts! Wirklich gar nichts! zufrieden geben wollte. Sondern ich drang in sie, wollte wissen, ob es mit Herrn Kalübbe nicht glatt ginge – aber mit dem ging alles bene, sie hatte die besten Aussichten.

Ich ließ mit Bohren nicht nach, und als neue Tränen kamen und sie mit einem Seufzen sagte, ihr sei so angst, und auf neues Bohren, warum denn, ihr sei um die gnädige Frau angst – ei, wie legte ich da los! Schon war mir selber angst, und so ängsteten wir uns alle beide trefflich in immer größere Ängste hinein, ich in aller Ahnungslosigkeit, sie aber mit all ihrem Wissen, das freilich auch recht ahnungslos war.

Unter solchen Ängsten konnte aus einem gedeihlichen Frühstück nichts werden. Ich hatte schon meinen Kaffee versalzen und Honig auf die Schmalzstulle getan, aber noch keinen Bissen gegessen. Hanne, die wirklich etwas wußte, wollte durchaus nicht mit der Sprache, sondern nur mit ihren Ängsten heraus. Ich legte alles aus den Händen, stand auf und sagte stark: Der Henker soll mich holen, wenn ich jetzt nicht aufs Schloß gehe und nachfrage, was hinter all dem eigentlich steckt!

Da ließ die Hanne die Katze aus dem Sack und rief unter Tränen: Jetzt ist es damit zu spät! Die gnädige Frau ist doch schon auf dem Gericht!

Das fuhr mir wie ein Blitz in das Gebein! Meine Ängste fraßen mich mit Haut und Haaren. Ich sah den talgigen Fiete mit dem länglichen Papier in der Hand, und Worte wie Wechselprotest, Wechselreiterei, Wechselfälschung schneiten in mein Hirn! Ich schüttelte einen neuen Strom Tränen aus Hanne, aber mit den Tränen auch die Nachricht, daß heute vor dem Radebuscher Amtsgericht das adlige Gut Gaugarten mit seinen Vorwerken zur Versteigerung anstehe.

Salzkaffee, Schmalzhonig, Hanne ließ ich, wie sie waren. Ich fuhr aus der Stube in einem Trabe zum Schloß!

Im Schloß war alles verlassen und still. Ich stand auf der Diele und drückte die Klingelknöpfe, ich schrie mir die Kehle heiser – niemand kam! Als seien sie alle geflohen und hätten nur das leere Gehäuse stehen lassen: Karlas Sarg ohne Karla!

Auf der Diele hing der große Gong, wie immer hatte der Unübertreffliche den Schlegel versteckt, damit die Mücke nicht musikalisch werde ... Ich hakte ein Gewicht der Großvateruhr aus und bearbeitete damit den Gong, daß er schrie und wimmerte – aber keiner kam!

Ich schob das Gewicht in die Hosentasche und lief treppauf. Von Karlas Zimmer angefangen, lief ich durch alle Räume – und dunkel kam mir die Erinnerung, wie ich in meiner ersten Gaugartener Nacht Karla gesucht hatte. Jetzt suchte ich sie wieder, ein zweites Mal hatten die Menschen sie mir fortgenommen, Gericht und Schande bedrohten sie ... Das leere Gehäuse wurde immer weiter, mir war, als liefe ich durch lauter abgestorbene Zellen, alle ohne eine Spur ihres Lebens ...

Im Dachgeschoß stieß ich eine Tür auf und fand den Untadeligen, der seine Koffer packte – vielleicht nicht allein mit seinen Sachen, es glänzte zu silbern auf dem Tisch. Aber jetzt war mir jedes Silber egal, und Würde und Untadeligkeit waren mir auch egal!

Wo ist meine Frau, Karl? rief ich.

Herr Strabow, wenn ich bitten darf, sprach der Einzige kühl. Seit heute früh bin ich nicht mehr in Ihren Diensten, Herr Schreyvogel.

Wo ist meine Frau, Karl?! rief ich mit stärkerer Stimme und fixierte einerseits das Blitzende auf dem Tisch genauer, nahm andererseits das bleierne Uhrgewicht aus der Hosentasche.

Auf dem Amtsgericht in Radebusch, sprach der Diener Strabow glatt. Die gnädige Frau ist kurz nach acht mit dem Auto gefahren, zum Zwangsversteigerungstermin.

Und wann ist der?

Um zehn Uhr, Herr Schreyvogel!

Ich sah auf die Uhr, es war kurz vor neun. Ich hatte die gänzlich sinnlose Hoffnung, es noch bis zehn Uhr zu schaffen (was eigentlich zu schaffen, hatte ich keine Ahnung). Ich steckte das Gewicht wieder in die Tasche zurück, ließ den Wohledlen ungestört im Genuß seiner kleinen schäbigen Diebereien (da ihm die größeren doch stets fehlgingen) und lief zu den Ställen.

Bei den Ställen war natürlich auch kein Mensch – außerdem: was hätten mir Pferde geholfen? Dunkel erinnerte ich mich, daß kurz nach neun Uhr ein Kleinbahnzug Langleide in der Richtung Radebusch passierte: ich nahm mir das erste Rad, das bei den Ställen stand, und trat ab in Richtung Langleide.

Ich erreichte wirklich noch den Zug – aber was soll ich all den Unsinn, den ich an diesem Tag in meiner Erregtheit vollbrachte, ausführlich berichten? Genug – ich kam, da mein Kleinbahnzug in Flötau keinen Anschluß hatte, glücklich am Nachmittag um vier Uhr in Radebusch an. Das Amtsgericht war um diese Sonnabendstunde längst verriegelt und verschlossen. Ich brachte viel Zeit zu, bis ich, weit außerhalb der Stadt, den Kastellan auf seinem Äckerchen fand, wo er mit Weib und Kindern Kartoffeln buddelte. Der Kastellan wußte gar nichts.

Durch sinkende Dunkelheit und nieselnden Novemberregen kehrte ich zurück in die Stadt. Ich rannte auf die Kanzlei von Justizrat Mehltau: sie war geschlossen. Ich stürzte in seine Privatwohnung: er war nach Gaugarten gefahren. Ich dachte an Steppe, Fiete, Hutap – aber ein guter Geist hielt mich ihnen fern.

Während ich naß, hungrig, übermüdet und doch immer noch aufgeregt, gänzlich unverrichteter Sache wieder mit der Bahn heimwärts fuhr, dachte ich, daß ich diese Erniedrigung mir und Karla erspart hätte, wenn sie mich nur zu Rate gezogen hätte. Natürlich hatte sie sich mit ihrer Bauerei übernommen – all ihre klugen Berater, Mehltau, Kalübbe, Schwöger, hatten es nicht hindern können!

Ich hätte es gehindert! Ich hätte richtiger disponiert! Es war ein Unding, daß ein Gut wie Gaugarten wegen einer Läpperschuld unter den Hammer kam! Geld mußte aufzutreiben, dies Schlimmste abzuwenden sein! Ich würde es auftreiben, morgen oder übermorgen ...

Arme Karla, dachte ich, es ist dir über den Hals gekommen. Vor ein paar Tagen, als du mich zu dem Einzugsschmaus einludest, wußtest du noch nichts. Ich kann mir denken, wie du dich über die Vollendung deines Werkes gefreut hast! Du hattest es geschafft – nun endlich war Gaugarten das Gut, auf dem zu leben Freude machte, da es auch die Leute freute! Und das wollen sie dir fortnehmen? Nie! Ich hindere das! Ich, dem du es nie zugetraut hättest!

Es war späte Nacht, als ich wieder in Gaugarten anlangte, aber im Kruge brannte noch Licht, im Kruge lärmten sie noch, lachten und sangen. Also hatten sie doch ihren Einzugsschmaus gehalten! Ohne Karla ...

Ich stand einen Augenblick davor, im Zweifel, ob ich nicht doch hineinsehen sollte! Schließlich war auch ich unter den Geladenen!

Aber dann ging ich weiter. Ich war schmutzig und hungrig. Ich wollte nach Haus, ein wenig essen und mich umziehen. Dann aber, wie spät es auch sein mochte, würde ich ins Schloß gehen, zu Karla. Ich würde ihr meine Hilfe bringen, Seite an Seite kämpfend würden wir ihr Werk Gaugarten retten, die Fiete und Steppe in die Flucht schlagen –!

*

 


 << zurück weiter >>