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49. Kapitel

Ich spiele den Beleidigten, aber mir ist wirklich gar nichts – Karla macht sich Sorgen – Angedrohter Besuch – Nie wieder die alte Karla

 

In der nächsten Zeit nahm ich nur wie ein steinerner Gast an den Mahlzeiten meines Hauses teil. Ich sprach wenig und dieses Wenige meistens noch mit fremdem, kühlem oder aber gereiztem Ton.

Karla glaubte natürlich, ich sei noch beleidigt wegen der fortgenommenen Besorgungen, und ich tat nichts, ihr diesen Glauben zu nehmen. So war es mir am bequemsten, da ich nicht Auskunft über mein Kommen und Gehen zu geben brauchte, sondern alle Heimlichkeiten gut hinter meiner Mürrischkeit verstecken konnte.

Zu Anfang hat sie wohl gedacht, dieses Schmollen werde wie bei einem Kinde vorbeigehen, wenn es nur nicht beachtet werde, und gab sich die redlichste Mühe, vor Kindern und Angestellten trotz meiner abweisenden Haltung den Schein besten Einverständnisses aufrechtzuerhalten. Ich schlechter Kerl habe ihr diese Aufgabe wahrhaftig nicht erleichtert, und sie hatte doch schon genug an ihren eigenen trüben Stimmungen wegen der recht beschwerlichen Schwangerschaft zu tragen.

Als Karla dann sah, die Tage gingen dahin und ich wurde nicht milder, nein, mein Ton gerade ihr gegenüber wurde stets gereizter und so scharf, wie er in unserer ganzen Ehe noch nicht gewesen war, da ging sie in sich und suchte den Fehler, den sie wohl begangen hätte. Denn sie redete sich ein, bei meiner sonst so verträglichen, leicht umzustimmenden Gemütsart könne ich unmöglich so lange an einem bloßen kindischen Beleidigtsein festhalten. Sie müsse irgend etwas Großes versehen haben, das sie so rasch wie möglich wieder gutzumachen habe.

Da sie aber bei bestem Suchen nichts fand – denn wo konnte sie etwas finden, wo nichts war? – wurde sie ganz still und beobachtete mich nur von der Seite voller Sorgen. Ich sah das alles wohl und verstand auch gut, wie es in ihr zuging. Ich sah, wie sie erleichtert aufatmete, wenn ich einmal wie früher meine Witzchen mit der Mücke machte, und wie sie zurückschreckte, wenn sie versuchte, sich in den Scherz einzureihen und ich wurde sofort kalt und schneidend.

Ich aber gefiel mir immer besser in meiner verlogenen Rolle, und wenn sie mir gegenüber ein Schuldgefühl hatte und konnte bloß ihre Schuld nicht finden, so hatte ich auch ein Schuldgefühl, wollte aber von meiner Schuld nichts wissen. Ich redete mir ein, daß sie alles verfehlt habe, und wenn sie nicht so gewesen wäre, so hätte alles nicht kommen müssen, wenn man aber den Mann wie einen reinen Garnichts behandele, so dürfe man sich auch nicht wundern usw. – und noch mehr von solchem häßlichen, verlogenen Gerede.

Es muß der Karla ihrem ganzen Temperament nach nicht leicht geworden sein, so geduldig auf mein Besinnen zu warten, und schließlich hielt sie es auch nicht mehr aus, sondern versuchte es mit offener Aussprache. Sie hat mir später erzählt, daß sie wohl ein dutzendmal des Nachts die Klinke zur Verbindungstür zwischen unseren Schlafzimmern in der Hand gehabt hat, aber sie wagte es nicht. Unter manchen anderen Einbildungen, mit denen sie damals ihr Herz plagte, war nämlich auch die, ich habe wegen der Entstellung durch ihren Zustand eine Abneigung vor ihr bekommen.

So kam es denn im Schloßpark zur ›offenen Aussprache‹. Durch einen Zufall waren wir ganz allein beisammen, ein Alleinsein, dem ich in dieser Zeit sonst ebenso ängstlich aus dem Wege ging, wie ich es früher gesucht hatte. Kaum merkte sie, daß wir wirklich ungestört waren, so richtete sie den Blick ihrer Augen voll auf mich und fragte: Max, was ich dich schon lange fragen wollte: hast du in letzter Zeit etwas gegen mich?

Ich dachte angstvoll bei mir: Jetzt kommt es! Wenn es doch erst vorbei wäre! Ich muß sehen, daß ich möglichst schnell fortkomme! Laut aber sagte ich: Wieso denn? Was soll ich denn gegen dich haben?

Max, sagte sie. Rede doch nicht so mit mir! Natürlich hast du etwas gegen mich, ich habe es schon die ganze letzte Zeit gemerkt.

Worauf ich recht patzig sagte: Wenn du es weißt, brauchst du mich ja nicht zu fragen!

Einen Augenblick war es still. Sie seufzte, und ich überlegte bei mir, ob ich jetzt wohl gehen könnte? Aber es war noch zu früh, es hätte zu sehr nach Flucht ausgesehen ...

Max! bat sie. Sieh mich doch an. Ich kenne dich, ich weiß, wenn du was auf dem Herzen hast! Du hast was auf dem Herzen! Ist es – noch immer – wegen der Besorgungen?

Wegen welcher Besorgungen –? tat ich.

Sie sah mich prüfend an. Ich fand selbst, ich war ein schlechter Schauspieler, und nun gar vor Karla, die mich so gut kannte! Aber es half nichts, meine einzige Rettung war, auf nichts einzugehen –: der steinerne Gast! Und dabei zitterte der steinerne Gast davor, irgend etwas von dem Geschwätz könne schon bis zu Karla gedrungen sein und sie wolle mich nur auf die Probe stellen!

Oder ist es, weil ich nicht in deinem Wagen fahren will? Max, ich vertrage es wirklich nicht! Ich möchte es so gerne, aber mir wird davon schlecht.

Rede doch bloß keinen Unsinn, Karla! sagte ich grob. Ich habe wirklich nichts. Ich fahre in meinem Wagen ganz gerne allein.

Dies hätte ich besser nicht gesagt, denn nun trieben mir meine eigenen Worte die Röte ins Gesicht, und Karla sah sie, und ich sah, daß Karla sie sah, und wurde noch röter. Aber wenn ich mich nun aus meinem schlechten Gewissen heraus schon ertappt glaubte, so war Karla die argloseste und vertrauendste Seele von der Welt, und im übrigen war es hier wie überall: die Betroffene erfährt von dem Geschwätz am letzten.

Ich möchte wohl wissen, was es ist, sagte Karla wie zu sich. Es ist da etwas, ich fühle es doch. Es ist alles ganz anders geworden ...

Es ist nichts, wiederholte ich hartnäckig.

Nicht wahr, Max? fragte sie ganz vertrauensvoll, wenn du darüber reden kannst, kommst du gleich zu mir? Ich will gerne warten, aber du weißt doch – und nun nahm sie meine Hand –, wenn wir beide nicht zusammenhalten, dann sind wir doch ganz verlassen!

Es ist wirklich nichts, sagte ich noch einmal, fast mechanisch. Und in dem Bedürfnis, meine ›Erklärungen‹ ein wenig ausgiebiger zu gestalten: Das Leben ist ein wenig trist und öde, wenn man so gar nichts zu tun hat, nicht wahr?

Ja, trist und öde, sagte sie nachdenklich. Dann, nach einem Augenblick Überlegens: Ich habe schon gedacht, ob wir uns nicht ein bißchen Besuch einladen, jemand von deiner Verwandtschaft, oder noch besser deinen Freund Paulus Hagenkötter ...

Ich bekam einen richtigen Schreck. Das hätte mir so gepaßt, jetzt jemanden im Hause zu haben, dem ich mich widmen mußte, der womöglich überallhin mitgenommen werden wollte!

Aber ich sagte nur gleichgültig: Nein, von der Verwandtschaft möchte ich niemanden sehen, ich finde, wir und der Onkel Eduard sind hier Schreyvogels genug.

Ich versuchte zu lächeln, aber Karla lächelte nicht.

Und Paulus, fuhr ich fort, ist ja unbekannt verzogen, der will bestimmt nichts mehr von uns wissen ...

Ich seufzte unwillkürlich; es war eben doch eine gute Zeit gewesen, als Paulus und ich in unserer Schlafkammer auf den Betten gesessen und von großen Erfindungen geträumt hatten, während Karla mit ihren Freundinnen nebenan schwatzte. Heute dachte ich skeptischer als jemals Karla über das Genie meines Freundes Hagenkötter, und doch, er war ein Freund gewesen, wie mir keiner wieder begegnet war ...

Nein, sagte ich noch einmal, so jemand wie der Paulus wird uns auch nicht mehr gereicht. Selbst wenn ich seine Adresse wüßte, würde ich ihm nicht schreiben, er gäbe uns doch einen Korb.

Da kennst du deinen Freund Hagenkötter schlecht!

Du kennst ihn natürlich besser. Er war ja dein Freund!

Karla sah mich traurig an. Willst du jetzt immer so böse und gereizt mit mir reden, Max? fragte sie.

Aber ich bin nicht böse und gereizt! rief ich ärgerlich, überdrüssig dieses endlosen Geschwätzes. Und jetzt muß ich fort. Ich habe versprochen, den Wagen heute noch aus der Werkstatt zu holen, und wenn ich den Zug kriegen will, wird's Zeit. Tjüs so lange, Karla, zum Abendessen bin ich zurück.

Sie legte ihren Arm um meinen Hals, sie küßte mich, sie flüsterte: Max, manchmal ist mir schrecklich angst! Ich habe ein Gefühl, als stünde uns ein großes Unglück bevor.

Unsinn, Karla, sagte ich und machte mich behutsam frei. Das ist einfach dein Zustand! Paß auf, nur noch die paar Wochen, und du bist wieder ganz die alte Karla.

Meinst du? Nein, die alte Karla werde ich bestimmt nicht wieder – nie wieder! – Aber nun lauf, daß du deinen Zug kriegst! Mach's gut, Maxe!

*

 


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