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61. Kapitel

Wöchnerinnenbesuch – Das verschenkte Torhaus – Ich werde Hannes Untermieter – Karla weiß, was sie will, ich nicht

 

Als ich am nächsten Morgen hinunterging, der jungen Wöchnerin meine Glückwünsche zu sagen, fand ich sie strahlend in ihrem Bett. Auf der Bettdecke lag ein amtliches Schreiben mit Stempel und Stempelmarke, und neben dem Bett saß Herr Administrator Kalübbe, nicht weniger strahlend. Wirklich, ich habe diesen meist groben und übellaunigen Mann nie aufgeräumter gesehen, und daß an dieser guten Stimmung nur die glückliche Geburt eines Sohnes schuld sein sollte, wollte mir nicht recht in den Kopf. Dafür liefen ihm eigentlich zu viele Kinder in Gaugarten und Umgebung herum.

Er bedankte sich ganz manierlich bei mir für die Mühe, die ich mir durch meinen nächtlichen Weg gemacht, die junge Mutter dankte auch. Ich meinte, es sei keine Mühe, sondern ein Vergnügen gewesen, wieder einmal draußen zu gehen.

Herr Kalübbe rief: Das ist recht, Herr Schreyvogel! Über keinen haben die Leute mehr geredet als über mich, ich habe alle Zungen müde gemacht! Herr Schreyvogel, wünschen Sie mir auch Glück – heute ist ein guter Tag, nicht nur wegen des Jungen. (Er soll übrigens Karl heißen, nach Ihrer Frau.) Meine Frau hat endlich in die Scheidung gewilligt. Sie wohnt schon nicht mehr bei mir, sondern im Schloß bei der Gnädigen, die überhaupt das Ganze zuwege gebracht hat! Sie haben eine Frau, Herr Schreyvogel!

Ich sagte, daß es mich freue, für Herrn Kalübbe, am meisten aber für die Hanne, deren Strahlen ich jetzt erst recht verstehe.

Sie sah mich mit einem raschen, listigen Blick an und spielte dann wieder mit dem amtlichen Papier auf ihrer Decke.

Der Kalübbe aber fing an, herzlich zu lachen, und rief: Sie denken es also auch, Herr Schreyvogel, genau wie meine Verflossene und Ihre Gnädige und die Hanne hier, daß ich gleich wieder heiraten werde?! Daraus wird aber noch nichts, Herr Schreyvogel! Noch bin ich gar nicht richtig frei und soll mir schon wieder einen Strick um die Hörner tüdern lassen?! Nein – erst will ich einmal sehen, wie man sich als freier Mann fühlt.

Ja, wenn ich gleich fünfe heiraten könnte, das wäre noch was! rief er und schlug die Beine über, daß die Sporen klirrten. Er sah mich mit seinen dunklen, jetzt vor Vergnügen funkelnden Augen an. Beileibe nicht aus Liederlichkeit, ein richtiger Landwirt kann gar nicht liederlich sein, sonst ist er nämlich kein richtiger. Aber was ist das alles bei den Menschen für ein kleinlicher Kram! Ein Mann kann hundert, er kann zweihundert Kinder haben – und er behilft sich mit zweien oder dreien! Ja, wenn mir da so alle Jahre fünf neue Gören aufwüchsen und ich könnte eine Art Koppelwirtschaft einrichten, alle Jahre fünf neue Jährlinge auf die Weide, und hätte meine eigene kleine Dorfschule für mich! Wenn ich dann mittags vom Felde heimkäme und sie stünden alle schon wie die Orgelpfeifen am Tisch, helle und dunkle Köpfe, und dreißig Stimmen riefen auf einmal: Mahlzeit, Vater –

Halten Sie auf, Herr Kalübbe! rief ich lachend. Für einen Mann, der eine Zeitlang frei sein möchte, spinnen Sie einen zu dicken Strick!

Nun – was denn? rief er. Ist das nicht schön? Ist das nicht Reichtum? Ich habe immer gedacht, wenn ich Ihren vertrockneten Onkel sah und sein Schloß, und immer nur hinter jedem neuen Groschen her wie der Teufel hinter der lieben Seele – ich habe immer gedacht: Du Riesenroß, das nennst du Reichtum?! Du kannst dich auch nur einmal satt essen und nur in einem Bett liegen, und in deinen Sarg geben sie dir dein Geld auch nicht mit! Aber hundert Kinder kannst du haben, und durch hundert Kinder kannst du noch tausend Jahre leben, und ich denke mir das einfach großartig, wenn am Jüngsten Tage die Toten aufgerufen werden, und da steht so ein Häufchen Schrimm und da ein Häufchen Schroda, und dann kuckt der liebe Gott und fragt seinen Erzengel: Was steht denn da für ein großmächtiger Haufe, Gabriel, ganz wie ein Heerbann? – Dann sagt Gabriel: Das sind doch die Kalübbes, lieber Gott, du weißt doch, noch von dem Hermann Kalübbe her, der Administrator auf Gaugarten war. – So was würde mich freuen, so was wäre wirklicher Reichtum!

Hier lachte Hanne und rief: Ach, Männe, Männe, jetzt sehe ich, daß deine Frau wirklich aus dem Hause ist! Heute früh hast du aber statt Kaffee Schnaps getrunken! Davon ist dein Appetit so groß geworden! Wie manchmal hast du schon geseufzt und geklagt: Wo krieg ich nur all das Geld für die Weiber und Kinder her?! Dir würden die Augen schon übergehen bei deiner Koppelwirtschaft! Die Hosen und die Schuhe für deine Dreißig wachsen nicht auf der Weide!

Und wieder klopfte sie mit ihrem Papier auf die Decke und schoß mir ihren raschen, listigen Blick zu, der da sagte: Ich kriege ihn schon, so frei er sich auch vorkommt!

Der Administrator aber lachte wieder und sagte: Ja, du denkst, du bist jetzt groß und reich, mit deinem Wisch von der gnädigen Frau. Aber, Hanne, wir haben dem Herrn Schreyvogel noch gar nicht erzählt, daß du Hausbesitzerin und Grundeigentümerin geworden bist. Jawohl, mein lieber Herr Schreyvogel, über Nacht sind Sie gewissermaßen Untermieter von der Hanne geworden. Das Haus, in dem wir sitzen, gehört ihr, und sie kann uns alle beide vor die Tür setzen, wenn wir ihr nicht passen!

Was?! rief ich und schielte nach dem Papier. Was bedeutet das?! Das bedeutet, sagte Herr Kalübbe, und Hanne reichte mir das Papier, daß Ihre Frau als Patengeschenk der Hanne dies Torhaus mit dem Garten übermacht hat. Ja, lesen Sie nur – es ist alles richtig, ohne Lasten und Pflichten. Grundbuchamtlich eingetragen, und die Schenkungssteuer ist auch schon bezahlt!

Aber wie denn? fragte ich ganz verwirrt. Wie soll denn das werden mit dem Toröffnen und -schließen? Und dann – es ist doch eigentlich ein Teil vom Park und liegt in der Umzäunung des Parks – wie hat Karla sich denn das gedacht?

Ich hatte wirklich nichts gegen dies Geschenk, obwohl es natürlich sehr üppig war. Wenn Karla schenken wollte, so hätte sie doch eines von den neuen Häusern im Dorf weggeben können, schien mir. Aber nun gerade dies Torwärterhaus ...

Was die gnädige Frau sich dabei gedacht hat, das weiß ich auch nicht, sagte Herr Kalübbe plötzlich fast verdrossen. Und wenn ich's wüßte, würde ich es Ihnen nicht erzählen. – Aber wie ist es, Herr Schreyvogel, ich höre die Weiber anrücken, und der Sohn Karl quäkt auch schon nach seinem zweiten Frühstück. Wie wäre es, wenn wir uns drückten? Ich will gerade ins Dorf zu der Bauerei, mögen Sie mich nicht ein Stück begleiten? –

Ich war so in Gedanken über diesen neuen, unbegreiflichen Schritt von Karla, daß ich ohne weiteres mit ihm ging und erst merkte, daß ich, der abgesetzte Schloß- und Gutsherr, am hellerlichten Tag im Dorf stand, als mich alle Leute anstarrten und teils verlegen, teils spöttisch ihr Guten Tag brummten. Es war mir aber ziemlich egal, Herr Kalübbe nahm mich durch all die neuen Häuser mit, die da entstanden waren, und das interessierte mich sehr. In manchen hausten schon die Maler, bei anderen richteten die Zimmerleute noch, aber die meisten waren nicht mehr weit von der Vollendung.

Ja, das hätten wir nun beinahe geschafft, sagte auch Kalübbe. Es ist eine schöne Sache. Wer hierher kommt, kann nun nicht nur auf Gut und Schloß Gaugarten stolz sein, sondern auch auf das Dorf. Vor allem aber sind die Leute jetzt stolz. Es hat ihnen einen richtigen Auftrieb gegeben. Sie arbeiten mit noch mal so viel Lust, seit sie wissen, sie arbeiten für ein ordentliches Heim!

... Wer hierher kommt, Herr Kalübbe? fragte ich. Wollen Sie denn fortgehen?

Ich –? sagte er erstaunt. Ach so, das weiß ich nicht. Wenn ich's hindern kann, dann nicht.

Hören Sie, Herr Kalübbe, sprach ich. Ich habe so etwas gehört, es herrscht Geldverlegenheit. Es kann ja auch nicht anders sein –

So, haben Sie so etwas gehört? Ich kann Ihnen sagen, Herr Schreyvogel, diese Häuser sind heute schon bis zur letzten Türklinke bezahlt – und das Land ist den Leuten auch schon grundbuchamtlich überschrieben.

Aber wie haben Sie das gemacht? fragte ich immer ratloser. Es war doch immer nur gerade das Geld für die Steuern da!

Und was Sie gebraucht haben, war auch immer da, Herr Schreyvogel, antwortete Kalübbe trocken und ein wenig spöttisch.

Nun ja, das war auch da! rief ich ungeduldig. Aber von dem, was ich gebraucht habe – und ich habe viel gebraucht, das gebe ich zu –, konnten Sie dies nie aufbauen. Und Sie sollen ja auch auf den Vorwerken ebenso gebaut haben!

Ebenso! sagte er. Er überlegte einen Augenblick, dann meinte er: Wenn man kein Geld hat, borgt man sich was, und die gnädige Frau hat sich eine ganz hübsche Hypothek eingehandelt.

Aber von wem denn? Wer hat ihr denn das Geld gegeben? Es waren doch schon vorher zu viel Hypothekenzinsen!

Mein lieber Herr Schreyvogel, darüber reden Sie besser mit Ihrer Frau! Nein, reden Sie lieber nicht mit ihr darüber! Noch nicht. Sie wird's Ihnen eines Tages schon von selbst erzählen. Sie hat einen ganz bestimmten Plan, wir haben ihn ihr auszureden versucht, Mehltau, Schwöger, ich. Aber Sie kennen ja Ihre Frau –?

Ich nickte.

Sie ist sonst ganz sanft, aber wenn sie etwas will, tut sie es. Meine Frau, die Pips, hat sie ja auch rumgekriegt, genau wie uns drei Männer, und alles ohne viel Worte. – Herr Schreyvogel, ich würde mir über all dies keine großen Gedanken machen, sagte er und faßte mich beinahe tröstend am Arm. Ich habe gesehen, wie Ihnen vorhin schon die Sache mit dem Torhaus einen Puff versetzt hat. Das gehört auch mit zu dem Plan, das ist sogar ein Spezialpossen, den die Gnädige sich ausgedacht hat, über den werden Sie noch einmal Ihre helle Freude haben ...

Ich machte eine ungeduldige Bewegung.

Ja, natürlich, jetzt werden Sie schon wieder neugierig, das wollte ich nicht. Ich weiß, es ist jetzt nicht leicht, Herr Schreyvogel, aber halten Sie nur aus, die längste Zeit hat es jetzt gedauert! Sie haben nun einmal alles in die Hände Ihrer Frau gelegt, und das war noch lange nicht das Dümmste, was Sie in Ihrem Leben getan haben. Ihre Frau, die weiß, was sie will ...

Er sah mich aufmunternd an. Ich fand es als Trost ungenügend, wenigstens hätte ich gerne gewußt, was meine Frau wollte. Aber ich mochte ihm hier nicht öffentlich im Dorf zusetzen.

Herr Kalübbe rief den Jungen an, der schon eine ganze Weile das Reitpferd auf und ab geführt hatte, schüttelte mir die Hand, empfahl lachend Hanne und Karl meiner Pflege und ritt ab, während ich langsam und nachdenklich nach Haus ging.

*

 


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