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8. Kapitel

Bratkartoffeln und Sekt – Auf das Wohl des Verstorbenen! – Schulbrief eines Menschenfeindes – Das zweite ›o‹ in ›porto‹

 

Wir hatten an diesem nebligen Novembernachmittag nicht nur den ganzen Radebuscher Plänterwald mit Mummelteich, Gänsewerder und Schafberg für uns allein, sondern auch das Schützenhaus, in dem sich sonst – nämlich an guten Sonntagen – wohl dreihundert Radebuscher vergnügten, nicht gerechnet die Kinder, die Hunde und die Hühner.

Im Schützenhaus waren sie heute sogar nicht im geringsten auf uns eingerichtet. Sie waren dabei, die sommerlichen Glasveranden mit Brettern gegen die Winterkälte zu verschalen, und im großen Speisesaal, den wir nur durchflutet von Sommerlicht kannten, voll von schmausenden, zechenden, lachenden Gästen, standen jetzt die Stühle auf den Tischen. Grau war alles, staubig und öde.

Aber nachdem uns die dicke Wirtin einen Augenblick bedenklich angesehen und unwirsch zu unseren Essenswünschen den Kopf geschüttelt hatte, bat sie uns doch in den einzigen warmen Raum, nämlich in die Küche. Dort setzte sie uns an einen weißen Tisch, aber bloß an einen weiß gescheuerten hölzernen, nämlich den Küchentisch, und sagte: Ihr müßt's eben nehmen, wie es heute ist. Also für die beiden Großen Gänseweißsauer und Bratkartoffeln, rechne ich die Portion eins zehn, und das kleine Mädchen kann Eier bekommen oder Würstchen.

Mücke steckte den Kopf in ihrer Mutter Schoß und flüsterte ihre Wünsche da so intensiv, daß wir mindestens drei Minuten brauchten, um zu erfahren, daß ihr Sehnen nach Würstchen ging: Aber zwei, Papa! – Aber mit Senf, Mummi!

Wir saßen da äußerst behaglich, sahen der Wirtin zu, wie sie unsere Kartoffeln briet, spürten wohltuend die gelinde Wärme vom Herd her und fühlten uns nach dem aufgeregten Vormittag recht geborgen. Die Wirtin redete so hin und her von dem Sommergeschäft, das wirklich fast erträglich gewesen war, aber das Pfingstfest war verregnet, und sie war mit zwei Kalbskeulen und dreißig Pfund Roastbeef und Rinderfilet sitzen geblieben, was Karla sehr aufregte.

Was haben Sie damit nur angefangen?! rief sie und schlug die Hände zusammen.

Ja, die Wirtin hatte kein besonderes Interesse an uns, sie ahnte nicht, daß wir Erben und Millionäre waren. Für sie waren wir nur kleine Leute, die sich einen freien Nachmittag gemacht haben – und zwar sehr zur unrechten Zeit! Bis sie das Essen vor uns hinstellte und nach unseren Getränkewünschen fragte: Ein Glas Bier? Oder was Heißes? Kaffee oder ein Grog?

Da gab mir Karla einen Schubs mit dem Knie unter dem Tisch, ich sah auf ihren Mund und las dort ein Wort ab. Ich selbst wäre ja nie auf diesen Gedanken gekommen, aber sofort, als ich erst begriff, was sie meinte, war ich einverstanden, und stolz sagte ich: Eine Flasche Sekt!

Einen Augenblick sah mich die Wirtin verblüfft an, dann ihre Bratkartoffeln, dann Karla, nun die Mücke, jetzt wieder mich – doch da hatte sie sich schon gefaßt und fragte: Obstsekt oder echten? Aber der echte kostet acht Mark die Flasche, und halbe Flaschen haben wir nicht.

Eine Flasche echten Sekt zu acht Mark, bitte, sagte ich, und Karla nickte beistimmend mit dem Kopf.

Können Sie haben! sagte die Wirtin, ging aber nicht gleich, sondern hatte plötzlich Interesse an uns und hätte gerne gewußt, ob wir was feierten, und was wir feierten, und wir wären ja wohl aus Radebusch, wir kämen ihr so bekannt vor ...

Aber meine sonst so mitteilungslustige Karla ließ sich diesmal nicht aushorchen, und so ging die Wirtin fast gekränkt. Sie wurde erst wieder freundlicher, als wir auf ihre Frage den Pfropfen knallen haben wollten. Alles andere wäre bloß alberne Vornehmtuerei. Sekt müsse knallen, und wenn die Leute so viel Geld ausgäben, so müßten sie auch etwas davon haben, und das Knallen gäbe es umsonst ...

So sahen wir zuerst einen feinen weißen Rauch aus der Flasche kommen, dann sprudelte der weiße Schaum über, tropfend, fast zu verschwenderisch. Und jetzt goß die Wirtin ein in unsere Gläser, und gleich waren sie voll. Aber während wir noch auf die Gläser sahen, verging der Schaum, sie waren nur noch drittels voll, und es mußte nachgeschenkt werden.

Die Mücke rief aufgeregt, angesteckt von der gehobenen Stimmung dieser Feststunde: Ich auch! Mücke auch!

Die Wirtin brachte ihr ein kleines Glas, schenkte es voll und holte noch eine Rosine, die jetzt lustig auf den Perlen im Glase hochtanzte, sich drehend zu Boden sank und wieder hochtanzte ...

Wenn die Wirtin aber geglaubt hatte, wir würden in ihrer Gegenwart den ersten Schluck von unserem Erbsekt trinken, so stand sie ganz umsonst wartend neben unserem Tisch. Karla sagte mahnend: Deine Bratkartoffeln werden kalt, Maxe, und wir fingen an zu essen und sahen den Sekt im Glase nicht an.

Kaum aber war die Wirtin wieder gegangen zu ihrer Aufräumerei in der Veranda, da hob Karla das Glas mir entgegen und sagte: Auf unser Wohl, Maxe, und auf das Wohl der kleinen Mücke!

Unsere Gläser klingelten hell aneinander, und Mückchens Glas läutete dazwischen, aber sie verschüttete viel. Dann tranken wir, und ich sah dabei in Kerlchens Augen, die leuchteten und doch so feierlich ernst waren ...

Herrlich! rief ich nach meinem ersten Schluck. Das ist doch mal was Edles –!

Daß es uns wohl bekomme! sagte sie, und ich wußte, sie meinte nicht den Sekt. Und wieder hatte ich das Gefühl, daß wir einem Abenteuer entgegengingen, ja, schon mitten darin saßen, hier mit unseren Sektgläsern und Bratkartoffeln, an einem Wochentag-Nachmittag.

O Gott! rief ich. Ich hätte mich doch bei Subdirektor Kracht entschuldigen müssen.

Wir wollen uns bestimmt nicht bange machen lassen, und wieder wußte ich, sie meinte nicht Kracht und die Vira.

So gaben wir uns auf das Nicht-bange-machen-Lassen die Hand, dann küßte ich sie auf die Lippen, die noch feucht waren vom Sekt, und sah dabei in ihre Augen. Ich empfand, wie sehr lieb ich sie hatte und daß sie so ein verläßlicher Kamerad war durch dick und dünn und daß ich ihr immer vertrauen konnte und nie Heimlichkeiten vor ihr haben mußte.

Doch, das war damals eine sehr schöne Stunde!

Dann aßen wir ganz still weiter, und nur einmal sagte Karla verloren: Wenn ich denke, daß du ein Rittergutsbesitzer bist und vielleicht ein Auto mit Chauffeur hast, und ich werde einen Pelzmantel kriegen ...

Und schwieg wieder.

Dann hob ich das Glas und brachte den zweiten Trinkspruch aus: Auf das Wohl von Onkel Eduard!

Aber gleich fing ein kleiner Streit zwischen uns an, ob man auf das Wohl eines Toten trinken könne, und sie meinte: Nein; aber ich: Ja. Denn wie es nach allem, was wir gehört, mit Onkel Eduard aussehe, hätte er es ziemlich nötig, daß ihm jemand etwas Gutes wünschte, nämlich die ewige Ruhe und den Himmel! Karla aber meinte: Pfui, und ich sollte nicht so undankbar sein. Ganz gleich, wie er es sich gedacht habe, den Sekt und das Sparbuch für Mücke verdankten wir ihm jedenfalls.

Da fiel mir plötzlich der Brief ein, und ich rief: O Gott, ich habe ja noch den Brief ungelesen in der Tasche, den mir der Nachlaßrichter Schneidewind vom Onkel übergeben hat! Vielleicht erklärt er alles –!

Ich fand ihn in der Innentasche von meinem Mantel, und wir legten ihn mitten auf den Tisch. Das abgegessene Geschirr setzten wir zum Abwasch fort, ich schenkte noch einmal die Gläser voll. Die Mücke bekam ihrer Mutter Tasche zum Kramen, damit sie ruhig sei, und nun brachen wir das Siegel von dem Brief auf, auf dessen Vorderseite stand:

Meinem(r) Erben(in) bei der Testamentseröffnung zu stiller Lektüre auszuhändigen.

Das große rote Siegel auf der Rückseite des Briefes aber trug einen fetten Vogel, der den Schnabel aufriß, als hätte er schrecklichen Hunger. Er sollte also wohl das Sinnbild der Schreyvögel bedeuten.

Nebeneinander saßen Karla und ich auf dem Sofa, ihre Hand hielt eine Briefecke, meine die andere, und gemeinsam lasen wir nun, was da geschrieben stand:

Mein(e) liebe(r) lachende(r) Erbe(in)!

Jawohl, jetzt weißt Du es also, daß Du mein Universalerbe(in) bist und ein reicher Mann oder eine reiche Frau dazu. Und hast den Kopf voll von Wünschen und Plänen. Da du aber nicht nur mein Erbe, sondern auch mein Anverwandter bist, also ein echter Schreyvogel, so hast Du bis zur Stunde noch nicht viel mehr besessen als die Kleider auf Deinem Leibe. Denn ich bin meines Wissens der einzige Schreyvogel unter allen Schreyvögeln, der es bis dato zu irdischem Besitz gebracht hat.

Ich habe diesen Besitz so schwer erworben, wie er Dir leicht zugefallen ist, Du hast bloß Deinem Kind aus Berechnung von allen häßlichen Namen den grundhäßlichsten aufhängen müssen, aber das will ich in dieser Stunde Dich nicht mehr entgelten lassen. Du hast Deinen Lohn dahin. Du bist wie ich ein reicher Mann geworden.

Sondern ich will Dir raten und helfen, und darum will ich Dir sagen, daß es genau eine Million mal leichter ist, eine Million Mark zu erwerben, als sie festzuhalten gegen Deine Mitmenschen, die von der Stunde Deines Erbantritts nur darauf ausgehen, sie Dir abzujagen, abzugaunern, abzuschwindeln, von denen kein einziger sie Dir gönnt, Dich ihrer für würdig hält, und sei es Dein leiblicher Vater!

Lieber Erbmillionär, sie werden Dir alles erdenkliche Gute antun und werden Dich für einen großen Mann und für die schönste Frau erklären –

Hier schnaufte Karla zum erstenmal verächtlich.

... sie werden Dir nachlaufen, Sirenenblicke zuwerfen, Dich verführen –

Ein zweiter, noch verächtlicherer Schnaufer ...

... aber Du wirst ihnen jeden Bückling, jede Schmeichelei, jede Verführung teuer bezahlen müssen, und das bißchen Erbe wird in drei Jahren alle sein, wenn Du auf sie und nicht auf mich hörst.

Folgst Du aber mir, so werden sie Dich einen Filz, einen Hamster, einen Narren nennen. Sie werden Dich mit Prozessen tribulieren, von Detektiven ausspähen, von Irrenärzten beobachten lassen. Sie werden Deine Frau gegen Dich aufhetzen –

So ein gemeiner Kerl! sagte Karla atemlos und hatte völlig vergessen, daß sie den Onkel Eduard eben noch verteidigt hatte. Sie trank ihr Glas Sekt auf einen Zug aus.

Weiter, Maxe, ich will doch sehen, was dieser eklige olle Kerl uns noch alles anhängen möchte.

... Sie werden Deine Kinder beeinflussen, stehlen, krank machen wollen –

Ich sah nach der Mücke hin, Karla sah nach der Mücke hin, wäre Onkel Eduard hier gewesen, er hätte wirklich etwas erlebt! Aber leider war er schon allem irdischen Erleben entronnen.

... Und wenn ihnen all dies nichts hilft, werden sie Dich voll Verachtung sitzen lassen, sie werden Dich einen verschrumpelten alten Hering nennen –

Der Nachbar Kanten von der Landschaftlichen Bank! rief ich. Das hat Onkel Eduard also gewußt!

(Und ich glaube, daß in dieser Sekunde das Gift Onkel Eduards in mir zu wirken begann: ich fühlte nämlich plötzlich einen Zorn auf den Herrn von Kanten ... Rätselhaft –!)

... Du wirst bei lebendigem Leibe tot für sie sein, lieber lachender Erbe(in)!

Dies ist der allgemeine Teil meiner erblasserischen Ermahnungen. Vergiß den Satz nicht: Wenn Du drei Millionen besitzt, hast Du keinen Freund mehr auf der Welt, keinen Verwandten, auch keine Gattin(en)!

Ich werde Paulus heute abend noch seine fünfhundert Mark geben! rief ich aufgeregt. Das wollen wir doch einmal sehen!

Karla nickte beistimmend.

... Nun kommt der besondere Teil, und da kann ich es kurz machen, denn Du weißt es ja schon, daß Du nur von Gaunern und Schwindlern umgeben sein wirst. Ich gebe Dir nur ein paar Winke:

Dein Justitiar Steppe ist noch der Beste von der ganzen Gesellschaft, aber er hat eine innige Liebe für die aussichtslosesten Prozesse, für die Du ihm wacker zahlen mußt! Folge nie seinem Rat und drohe ihm mindestens einmal in der Woche mit dem Justizrat und Notar Mehltau, der tüchtiger, aber gierig wie ein Wolf ist!

Dein Administrator Kalübbe auf Gaugarten stiehlt auch; da er aber ein vorsichtiger Mann ist, stiehlt er mit Maßen. Ich rate Dir, verlange ab und zu überraschend Einsicht in seine Bücher. Reibt er sich dann die Nase, so hat er gestohlen, und Du magst solange suchen, bis Du ihn erwischt hast. Wird er aber grob zu Dir, so hat er zufällig gerade einmal ein gutes Gewissen.

Dein Torhüter Kleibacke nimmt Bestechungen von drei Mark aufwärts an und läßt dafür Bittsteller, Pläneschmiede, Weinreisende zu Überfällen auf Dich in Deinen Park.

Dein erster Diener Andreas Strabow hat es trotz seiner dreiundsechzig Jahre mit den jungen Mädchen und macht ihnen besonders gern Aussteuergeschenke mit Deinem Silber und Deiner Wäsche.

Deine Hausdame, Fräulein Kluge –

Ich lese dies nicht weiter, und ich lese dies nicht weiter! rief Karla mit zornroten Wangen. So eine Gemeinheit! Stecke den Brief sofort ins Feuer, Maxe!

Sie sah mich mit funkelnden Augen an.

Aber vielleicht müßte man ihn doch zu Ende lesen, Kerlchen, wandte ich ein. Es sind doch Hinweise. Man müßte wirklich wissen, mit wem man es zu tun hat, damit das Geld für die Mücke erhalten bleibt.

Wenn es wahr ist, was er vom Geld schreibt, so will ich gar nicht so viel Geld haben! Aber es kann nicht wahr sein! Er ist verrückt gewesen. Dein Onkel Eduard! Steck den Brief ins Feuer, Max!

Nur den letzten Absatz noch, Kerlchen! bat ich. Er schreibt da nichts mehr von den Leuten, sondern etwas anderes.

Widerwillig las sie mit:

Wenn Du den Brief bis hierher gelesen hast, lieber Erbe(in), lasen wir, so wirst Du es wohl schaffen und den Besitz nicht nur erhalten, sondern vermehren. Aber ich fürchte, da Du ein Schreyvogel bist, hast Du einiges überschlagen und bist jetzt voll Zorn auf mich, der Dir doch so vieles geschenkt hat. Dann aber wirst Du den Besitz verlieren, den ich so mühsam zusammengebracht, ich sehe es voraus.

Und nun will ich zum erstenmal gut zu Dir sein, trotzdem Du Deiner Tochter den Namen Eduarda gegeben hast, und sage Dir dies: Wenn Du Dich wirklich beschäftigst mit Deinem Erbonkel Eduard und findest das › omnia mea mecum porto‹, so wird Dir das zweite › o‹ in › porto‹ das Glück geben, das Du in all meinem Besitz nicht gefunden hast.

Dein Dich nicht sehr schätzender Onkel Eduard Schreyvogel.

Was soll denn das heißen? fragte Karla verdutzt. Verstehst Du das? Keine Ahnung. Es ist eine fremde Sprache. Man müßte sich erkundigen ...

Ach was! sagte Karla entschieden. Dein Onkel ist wirklich nicht mehr ganz bei Sinnen gewesen. Komm, ruf die Wirtin und bezahle. Schade um den schönen Sekt. Die Flasche ist noch halb voll. Aber ich mag nicht mehr trinken. Gehen wir lieber ein bißchen in den Plänterwald, solange es noch hell ist.

Ich rechnete mit der Wirtin ab, und als ich zurückkam, lag der Brief nicht mehr auf dem Tisch. Karla hatte ihn ins Feuer gesteckt. Ich fand es nicht ganz richtig von ihm; ich war überzeugt, mit dem ›o‹ in ›porto‹ hatte es eine besondere Bewandtnis. Ich nahm mir vor, mich nach dem fremdsprachigen Satz zu erkundigen.

(Das habe ich denn auch getan, gleich am nächsten Tage, beim Bürovorsteher Fiete, ohne Karla etwas davon zu sagen. Aber über dem Trubel der nächsten Wochen vergaß ich die Verheißung wieder ganz, und wenn ich mich wirklich noch einmal ihrer erinnerte, war ich viel zu beschäftigt, um länger über ihre Bedeutung nachzudenken. So ging die Weissagung Onkel Eduards uns vorläufig verloren, und nur das Üble, das er allen Menschen angehängt, wucherte sachte – wenigstens in mir.)

*

 


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