Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

34. Kapitel

Silvester auf Gaugarten – Ich suche meine Frau – Strabow läßt sich nicht wegschicken – Böses Gelächter zum Jahresbeginn

 

Ich übergehe unser erstes Abendessen im eigenen Heim mit wenigen Worten: es war schrecklich!

Ich sehe uns da noch sitzen in dem riesigen halbdunklen, ›altdeutsch‹ getäfelten Raum, Karla sehr blaß und ich sehr heiß im Gesicht von meiner Unterhaltung mit Strabow – Karl. An den hohen, sich im Dunkel verlierenden Wänden hingen Geweihe, Ölbilder und präparierte Keilerköpfe, die uns genau so schlitzäugig-böse anzustarren schienen wie die Ahnen irgendeines mir unbekannten Gaugartener Vorbesitzers.

Zwischen mir und Karla sitzt unsere Hausdame, Fräulein Kluge, und an der Anrichte steht neben Herrn Strabow ein zweiter junger Diener, der ›Fitz‹ genannt wird und der unser Tun so unverhohlen beobachtet, daß ich fest überzeugt bin, er steht da nur, um nachher Bericht in der Küche zu erstatten. Manchmal verschwindet er auch aus dem Saal, dann höre ich es in einem Nebenraum, von dem ich noch zu lernen habe, daß er ›Pantry‹ heißt, kichern und tuscheln. Herr Strabow runzelt dann die Stirn – und als sei dieses Runzeln telepathisch übertragen, bricht das Tuscheln plötzlich ab, und man hört nur unsere Gabeln auf den Tellern klappern ...

Ich übergehe die viererlei Bestecke und dreierlei Weingläser, ich hülle mein vom Teller gerutschtes Hühnerkeulchen in Schweigen, ich melde nichts von Karlas hilflosem Blick, als die mit Wasser und einer Zitronenscheibe gefüllte Fingerschale vor sie hingestellt wurde. Ich sage auch nichts von der herablassend geführten Unterhaltung mit ›unserer‹ Hausdame, die süßlich lächelnd, aber immer wie etwas pikiert bei uns am Tisch saß.

Ich denke zurück an unsere Erlösung, als wir endlich aufstehen durften, als wir hoffen konnten, allein miteinander zu sein, und ich gedenke kurz unserer namenlosen Enttäuschung, als Fräulein Kluge sagte: Den Kaffee in die Bibliothek, Karl! Mit: Wenn ich bitten darf! ging sie uns voran.

Will sie denn den ganzen Abend bei uns sitzen? flüsterte Karla mir verzweifelt zu.

Sie ist einfach schrecklich! flüsterte ich zurück – und schon waren wir in der Bibliothek, und die Sekunden unseres Alleinseins waren vorübergerauscht.

Ich sehe uns da sitzen, in dem großen Raum, dreitausend, fünftausend Bücher sehen uns an. Es gibt auch Ecken und Winkel, in denen wir uns verkrümeln könnten. Aber Fräulein Kluge hält uns am Kaffeetisch, Herr Strabow ist immer irgendwo in der Hinterhand, und Fitz und irgendein Kollege von ihm gespenstern auch noch. Die Hoffnung, über die Schlafensstunde all dieser Geister hinaus sitzenzubleiben, sie müde zu machen, entschwindet langsam, als um halb zehn Herr Strabow sich erkundigt, welches Silvestergetränk ich zu befehlen geruhe?

Ach ja, es ist Silvester, das alte Jahr geht zur Neige! Dieses alte Jahr hat uns gewaltige Veränderungen beschert, ein unerhörtes Glück suchte uns heim, und nun sitzen wir Glücklichen hier in einem Schloß, und Herr Strabow erkundigt sich, mit was wir unser Glück zu begießen wünschen.

In meiner augenblicklichen Stimmung möchte ich antworten: Mit Tränen! Aber statt dessen wende ich mich an die ergeben dasitzende Karla und erkundige mich nach ihren Wünschen. Ich empfinde es fast als einen treulosen Verrat, daß Karla erklärt, nichts mehr trinken zu wollen. Sie sei müde, habe Kopfschmerzen, sie wolle bald ins Bett.

Karla hat mich noch nie wegen Kopfschmerzen im Stich gelassen – und nun an einem Silvesterabend! Solange wir verheiratet sind, haben wir noch stets jeden neuen Jahresanfang gemeinsam begangen! Und nun heute, wo ich, getrennt von Karla, gewissermaßen in Onkel Eduards kaltem Geldschrank schlafen muß und keine Ahnung habe, wo Karla schläft ... Diese Frauen denken auch an rein gar nichts!

Fräulein Kluge hat unterdes als Silvestergetränk Schwedenpunsch gewählt, ich schließe mich ihr an. Kurze Zeit später haben wir das Getränk auf dem Tisch, in kleinen Glasbechern, Eisstückchen schwimmen in der bernsteinfarbenen Flüssigkeit. Ich will mit Karla anstoßen. Aber Karla weigert sich, von dem Getränk auch zur zu probieren, ihre Kopfschmerzen sind zu stark!

Von Strabow und der Kluge übertrage ich meinen stummen Zorn auf Karla, im Grunde ist sie an diesem verkorksten Abend allein schuld! Sie hat mich veranlaßt, auf den dörflichen Tanz zu verzichten, bestimmt ging es im Kruge jetzt etwas lustiger zu als in dieser Büchergruft! Sie könnte gut die Kluge ins Bett schicken, sie ist die Herrin der Frauen, wie ich der Herr der Männer bin. Nur um ihr zu zeigen, wie es gemacht wird, spreche ich ernst zu Strabow: Sie können jetzt ins Bett gehen, Karl. Wir brauchen nichts mehr.

Herr Strabow neigt das Haupt und verläßt das Zimmer.

Ich gebe ja zu, das süßlich lächelnde Fräulein Kluge ist schwieriger fortzuschicken als der würdige Strabow – aber daß Karla nun aufsteht und einfach gute Nacht sagt, finde ich unerhört! Soll ich Silvester mit der Kluge feiern?!

Ich merke, Karla will mir etwas zuflüstern, aber Fräulein Kluge ist stets in ihrer Nähe. Warum sagt Karla nicht klar und deutlich, was sie will? Wir sind verheiratete Leute, und zudem sind wir die Schloßherrschaft: Karla kann mir sagen, was sie will! Aber mit ihrer verdammten Schüchternheit verstummt sie natürlich sofort, als Fräulein Kluge flötet: Ich bringe die gnädige Frau noch. Ich bin der gnädigen Frau gerne behilflich. Nein, gnädige Frau, es ist mir bestimmt nicht zu spät, ich tue es sogar gerne! Außerdem ist es meine Pflicht. Wir könnten eine Kompresse machen und vielleicht ein Pyramidon geben –

Gute Nacht, Karla! sage ich wütend und drücke ihr die Hand, daß sie das Gesicht verzieht. Rutsch gut rüber ins neue Jahr!

Danke! flüstert sie und bewegt wieder die Lippen.

Wie –?! frage ich unnötig laut.

Rutsch auch gut rüber, antwortet sie leise und verschwindet, gefolgt von der Kluge.

Eine Weile tigere ich wild in der Bücherei auf und ab. Ich habe einen Zorn auf die Welt – unsäglich! Dann schalte ich alle Flammen ein und bewundere meine Bücherei. Ich will mir eines von den Büchern aus den Schränken holen, aber ich muß feststellen, daß alle Schränke abgeschlossen sind: ich, der Besitzer, muß die Titel durch die Glasscheiben studieren.

Ich trinke ein Glas Punsch und lösche alles Licht. Nun brennt nur noch das Feuer im großen Kamin – ich werfe mich in einen Ledersessel und starre trostlos in die Flammen. Ich weiß es jetzt genau: auch unser Anfang in Gaugarten ist wieder falsch gewesen. So ziemlich alles haben wir verkehrt gemacht!

Aber wie im Himmel hätten wir es anders machen sollen?! Wen auf Erden konnten wir um Rat fragen?! Wieder waren wir in eine Maschine geraten, hilflos, unerfahren – und sie hatte es gut mit uns vor, diese Maschine! Nach der Vormundschaft Steppes die Vormundschaft der Strabow, Kluge, Kalübbe! Arme Frau Kalübbe, Pips, auf ihrem Gesicht konnte man ablesen, wie solche Vormundschaft sich auswirkte! Auf dein Wohl, arme Pips, wir wollen sehen, daß wir uns deiner ein wenig annehmen –

Aber wir müßten uns unserer selbst erst ein wenig annehmen können! Der Henker! Wenn ich wüßte, wenn ich es bestimmt wüßte, daß dieser Strabow mich nur auf den Arm genommen hat! Es ist Sitte hier auf dem Lande ... Jawohl, getrennte Schlafzimmer unter Eheleuten meilenweit getrennt! Du aber stattest unsere Mädchen mit meinem Tischsilber und meiner Bettwäsche aus! Morgen sollst du was erleben! Ich werde es schon herausbekommen, wie du es meinst, ob du uns mit dem Respekt entgegenkommst, der einer so anständigen Dienstherrschaft gebührt! Schurke! Glattrasierter!

Darf ich noch frisches Holz auflegen, Herr Schreyvogel? fragt die würdevolle Stimme hinter mir. Ohne daß ich es gemerkt habe, ist er hereingekommen. Haben diese Diener nicht die verfluchte Pflicht und Schuldigkeit anzuklopfen, ehe sie in mein Zimmer kommen, oder ist das wieder einmal nicht Sitte –?! Wenn ich darüber doch Bescheid wüßte –?!

Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen ins Bett gehen, Herr Strabow!

Verzeihen, Herr Schreyvogel, Fräulein Kluge läßt sich entschuldigen, daß sie ohne gute Nacht gegangen ist.

Ist in Ordnung. Und nun legen Sie sich auch endlich hin, Karl. Es ist schon nach elf. Ich brauche nichts mehr, ich helfe mir selbst.

Sehr wohl, Herr Schreyvogel. Wenn Herr Schreyvogel auf sein Zimmer gehen, die Lichtschalter befinden sich alle auf der linken Seite, stets hinter einer Säule. Es sind Wechselschalter, Herr Schreyvogel –

Es ist gut, Strabow, ich werde schon ins Bett finden.

Wenn ich mir noch eine Bemerkung erlauben dürfte, Herr Schreyvogel. Die Kette zum Spülungskasten des W. C. hakt manchmal aus, besonders wenn heftig gezogen wird. Ich würde raten, langsam zu ziehen, Herr Schreyvogel ...

Werde ich machen, Karl. Gute Nacht.

Herr Schreyvogel verzeihen, wenn ich es jetzt erst melde: wir haben – mit Herrn Administrators Erlaubnis – noch unsere eigene kleine Silvesterfeier in der Küche, nur wir Leute vom Schloß. Herr Schreyvogel werden bestimmt nicht gestört werden, es geht alles ruhig und gesittet zu ...

Schön, schön, Karl. Also feiern Sie vergnügt, gute Nacht.

Ich danke verbindlichst, Herr Schreyvogel. Ich wünsche eine angenehme Nachtruhe.

Er kam wirklich bis zur Tür.

Und wenn Herr Schreyvogel noch einen Wunsch haben sollten, es macht mir wirklich nichts aus. Bis zwei Uhr bin ich bestimmt wach, die Klingeln sind links auf jedem Türrahmen ...

Ich habe nur den einen Wunsch, Karl, daß Sie mich jetzt allein lassen –!

Ich bitte sehr um Verzeihung, Herr Schreyvogel. Ich wünsche nochmals eine angenehme Nachtruhe.

Ich sitze noch eine halbe Stunde völlig gebrochen an meinem langsam herunterbrennenden Kaminfeuer. Oh, sie bekommen einen weich! Sie bohren und bohren, und man darf keinesfalls merken lassen, daß sie einem weh tun. Das wäre bestimmt gegen die gute Sitte auf dem Lande!

Ich bin fest entschlossen, bis Mitternacht sitzenzubleiben. Es beseelt mich die irre Hoffnung, daß Karla mich hier noch suchen könnte. Hier muß ich bleiben, ich darf nicht weggehen, so sehr meine Unruhe mich auch treibt. Diesen Ort, diese Bibliothek kennt sie, aber wo ich schlafen werde, das weiß sie nicht! Schlafen werde? Ich werde heute nacht überhaupt nicht schlafen!

Es ist nun dreiviertel zwölf, eine Viertelstunde vor Mitternacht, fünfzehn Minuten vor Jahresschluß – diese neunhundert Sekunden hat Karla noch die Chance, mich im alten Jahre zu treffen. Dein Wohl, Karla! Du bist doch die beste aller Frauen – nur komm jetzt endlich! Es ist unmöglich, daß wir dieses alte Jahr verrauschen lassen und halten uns dabei nicht an den Händen! Mach doch schnell! Ich warte hier mit solcher Ungeduld auf dich! Zum neuen Jahr haben wir uns immer so viele Küsse gegeben, wie wir alt waren – willst du jetzt mit unserer Tradition brechen?

Kaum hat mich diese Erinnerung heimgesucht, so ist mir auch schon klar, daß ich unmöglich hier länger tatenlos hocken kann, nur auf Karlas Unternehmungslust bauend. Ich bin der Mann, ich habe die Taten zu tun ...

In einem Augenblick habe ich die Schuhe von den Füßen, drücke leise auf die Klinke, mit einem sachten Ächzen öffnet sich die schwere, eicherne Tür, und ich stehe auf dem Gang. Nur eine Birne brennt noch, gerade über mir. Sonst ist alles dunkel, und es ist auch still. So angestrengt ich ins Haus lausche, ich höre kein Geräusch – von der ruhigen und gesitteten Silvesterfeier etwa.

Einen Augenblick besinne ich mich. Dann beginne ich meine Wanderung. Ich gehe leise, auf Socken. Wenn der Gang eine Biegung macht, stehe ich erst eine Weile hinter der Ecke, spähe ins Dunkel und horche wieder. Ich hüte mich, Licht zu machen. Dieses Licht könnte jemand von außen sehen, und Herr Strabow würde herbeieilen und nach meinen Wünschen fragen!

Zur Hölle mit Herrn Strabow, ich habe jetzt keine Zeit, an ihn zu denken! Ich muß auf meinen Weg achten! Bis zu der Stelle, wo ich in den dunklen Hallenschlund hinabsehen kann, ist alles glatt gegangen. Aber nun betrete ich unbekanntes Land.

Es ist der andere Schloßflügel, vermutlich haust hier auch Fräulein Kluge. Schrecklicher Gedanke, ihr zu begegnen, auf Socken, im völligen Dunkel. Ich gehe noch vorsichtiger, mit den Fingerspitzen betaste ich lautlos die Wände. Sobald ich eine Tür spüre, neige ich mein Ohr gegen sie und lausche. Einmal höre ich hinter solcher Tür das Ticken einer Uhr, aber sonst vernehme ich keinen Laut. Ich kenne den Schlafatem Karlas, ich weiß, wie oft Mückchen sich im Bett laut von einer Seite auf die andere wirft – aber dieses verwunschene Schloß ist totenstill! Als wohne kein Mensch darin, als irre ich allein wie ein Gespenst durch das tote Gehäuse, dem das fröhliche Leben längst entfloh!

Verdammt! Dies war eine höchst unvermutete Stufe treppauf! Ich bin mit Getöse die Treppe hinauf gefallen. Ich sitze im Dunkeln auf der Erde und betaste meine schmerzenden Knie. Wenn nur ein lebender Mensch in der Nähe schläft, er muß von diesem Lärm aufgewacht sein!

Ich sitze und lausche, aber nichts rührt sich! Ich stehe auf und horche wieder: nichts! Nun ist schon alles egal, ich werde Licht machen. In dieser ägyptischen Finsternis finde ich Karla nie.

Ich taste die Wände entlang, aber ich bin in einem anderen Schloßteil, für den Strabows – Karls Weisungen nicht zu gelten scheinen: es gibt hier keine Säulen, nur glatte Wände, mit Stoff bespannt, und keine Schalter.

Schließlich fühlen meine tastenden Hände eine Tür, eine Türklinke. Nach kurzem Bedenken öffne ich die Tür. Es muß gleich Mitternacht sein, ich werde Karla finden, und wenn das ganze Schloß zusammenläuft!

Ich fasse den Lichtschalter und drehe ihn ...

Dies ist Karlas Zimmer!

Jawohl, hier bin ich – das Schicksal selbst hat mich geführt: ich stehe in Karlas Zimmer. Auf dunklen Wegen, treppauf fallend, habe ich zu Karla gefunden! Dort steht Mückchens Bett – sie liegt auf der Seite und schläft fest. Und das ist Karlas Bett – ich mache einen Schritt und sehe zu meiner grenzenlosen Enttäuschung, es ist leer! Ich sehe mich suchend im Zimmer um, ich entdecke eine Tür, ich komme ins Badezimmer.

Auch das Badezimmer ist leer. Aber es ist ein Duft von Wärme und Seife darin, der mir verrät, daß Karla hier eben noch gebadet hat. Dieser weiche Duft wirkt auf meine Sinne, meine Sehnsucht nach Karla wird riesengroß – und jede Sekunde kann es Mitternacht sein!

Ich eile durch eine zweite Tür, in ein anderes Zimmer. Es ist wiederum ein Schlafzimmer, eingerichtet fast wie das Karlas, nur daß statt eines Frisiertisches ein kleiner Schreibtisch darin steht.

Wie vom Donner gerührt halte ich an. Also habe ich es richtig im Gefühl gehabt: sie haben ihr Spiel mit mir getrieben! Dies sind die Zimmer eines Ehepaars, in der Mitte das Badezimmer, flankiert von den beiden Schlafzimmern! Und uns zum Possen haben sie mich in den äußersten Winkel des Schlosses gesteckt, sie haben sich eingebildet, wir seien jung und blöde! Sie haben sich einen Jux mit uns machen wollen!

Eine kalte Wut erfüllt mich. Achtlos eile ich durch das Schloß, renne in jedes Zimmer, schalte alle Lichter ein, immer eiliger. Erst leise, dann immer lauter fange ich an zu rufen: Karla! Karlchen! Karla! Höre doch ...

In der Bibliothek finde ich sie. In der Bibliothek hat sie auf mich gewartet, suchend nach mir, wie ich nach ihr. Sie hat den lichtroten leichten Morgenrock über ihrem Hemd an, sie stürzt in meine Arme. Ich spüre wieder die Wärme ihres Leibes, wir finden uns in einem unendlichen Kuß! Während wir uns küssen, fängt es an, Mitternacht zu schlagen. Die Glocken läuten, ferner im Dorf knallt es.

Kerlchen!

Maxe! Wie ich mich nach dir gesehnt habe!

Alles Gute, Kerlchen! Alles Gute fürs neue Jahr!

Und dir erst, Max!

Los, setz dich hier in den Sessel – ich komme gleich zu dir. Ich will nur noch Holz auflegen, du mußt ja frieren ...

Ach, jetzt ist mir herrlich warm ...

Ich bin wirklich gleich wieder bei ihr.

Gott sei Dank, daß ich dich gefunden habe! Ich dachte, ich fände dich nie –!

Und ich war erst verzweifelt, als du nicht hier warst! Dann sah ich deine Schuhe stehen, und da dachte ich mir schon, daß du mich suchtest. Ich wußte doch nicht, wo du schläfst ...

Du, Karla, ich habe das andere Schlafzimmer neben deinem Bad gefunden. Die nehmen uns nicht für voll, die denken, sie können es mit uns machen ...

Ich kann die Kluge nicht ausstehen ...

Und ich den Strabow nicht ...

Tiefes Räuspern ...

Die Herrschaften werden entschuldigen, wenn ich störe. Ich sah das Licht. Wenn ich der gnädigen Frau eine Decke überlegen dürfte, es ist kühl ...

Da stand er, der Untadelige, der Würdevolle, und wahrhaftig, er hatte eine Decke über dem Arm!

Strabow! sagte ich, und wenn es nicht gelogen wäre, daß Menschen vor Wut schäumen, so hätte ich so viel Schaum vor dem Munde haben müssen, als sei ich eingeseift – Herr Strabow! sprach ich, habe ich Ihnen nicht schon dreimal gesagt, ich brauche Sie nicht mehr?! Himmelherrgott, tun Sie, was ich Ihnen sage, und scheren Sie sich –!

Ich bitte sehr um Verzeihung, sagte er würdevoll, aber die Temperatur ist hier jetzt tatsächlich unter Zimmerwärme, und die gnädige Frau wird sich erkälten ...

Ich habe Ihnen gesagt, daß Sie sich scheren sollen! Wollen Sie jetzt auf der Stelle machen, daß Sie fortkommen –!

Herr Schreyvogel, sprach er. Ich bin nicht gewöhnt, daß meine Herrschaft so mit mir redet. Ich bin gewohnt, Tag und Nacht für meine Herrschaft zu sorgen ...

Herr Strabow, antwortete ich schneidend, mein Onkel Eduard hochselig hat mir mitgeteilt, daß Sie nicht nur für Ihre Herrschaft, sondern auch für junge Mädchen mit Silber und Wäsche sorgen ...

Herr Schreyvogel, ich muß doch sehr bitten! Es gibt Gerichte, die derartige Verleumdungen ...

Mein Vetter Friedrich Karl Schreyvogel hat Ihnen doch hoffentlich Ihren Vorschuß auf die Erbschaft zurückgezahlt, Herr Strabow? Im anderen Falle können Sie ihn morgen früh auf dem Gutsbüro mit Ihrem Restgehalt erheben. Meinen Vetter hätten Sie so behandeln können, wie Sie mich behandeln wollten, mich nicht!

Herr Strabow seufzte. Ich sehe, ich bin verleumdet worden, Herr Schreyvogel. Herr Schreyvogel werden die Güte haben, mir eine Rechtfertigung zu erlauben. Vielleicht nicht jetzt, sondern morgen vormittag, wenn es Herrn Schreyvogel recht sein sollte. Ich wünsche den Herrschaften ein recht gutes neues Jahr. Gnädige Frau, ich habe die Decke hier auf den Stuhl neben der Tür gelegt. Gute Nacht, die Herrschaften!

Karla und ich, wir starrten sprachlos die sich sanft schließende Tür an. Dann sahen wir einander an, brachen beide in ein schallendes Gelächter aus.

Das sind Menschen! schrie ich und schlug mit den Händen auf meine Oberschenkel vor Vergnügen. Ich hätte so was nie für möglich gehalten! Die Stelle hier muß noch viel einträglicher sein, als ich gedacht habe!

O Maxe, rief Karla und hörte sofort mit Lachen auf. Sei doch nicht so böse, Maxe! Wir wollten doch gut bleiben, Max!

*

 


 << zurück weiter >>