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20. Kapitel

Schnupfenfieber – Neues Erbschaftsschwanken und gute Vorsätze – Karla ist böse auf mich – Himmlisches Fensterklopfen

 

Der Doktor war gekommen und gegangen. Er hatte tröstlich gemeint, es sei bloß ein Schnupfenfieberchen, und hatte einen Umschlag verordnet. Aber das hatte Karla nicht beruhigen können.

Wir saßen an dem Bett unseres Kindes, das unruhig schlief, mit hochroten Bäckchen. Fräulein Kiesow hatten wir in unseren ›Salon‹ verbannt, wo sie sich mit der quietschenden Chaiselongue für die Nacht abfinden mochte, so gut sie konnte.

Ich ging leise im Zimmer auf und ab und sah manchmal nach Karla hin, die unbeweglich, das Auge auf das Kind gerichtet, ohne eine Spur von Farbe dasaß.

Karla! bat ich schließlich, als sie sich gar nicht rührte. Mach dir doch das Herz nicht unnötig schwer! Denke doch nicht mehr an den dummen Brief!

Ja, sagte sie nach einer Weile langsam, ich denke an den bösen Brief.

Der Doktor hat gesagt, es ist bloß ein Schnupfenfieber. Es ist morgen schon vorbei. Dieser gemeine Brief hat damit gar nichts zu tun!

O Gott! sagte sie plötzlich kläglich. Was haben wir doch glücklich gelebt, als wir noch nicht wußten, wie schlecht die Menschen sein können! Seit ein paar Wochen, seit wir geerbt haben, seit wir hier sitzen in diesem verdammten Hotel, ist es mir, als könnte ich gar nicht mehr richtig atmen, als sei alles schmutzig, sogar die Luft!

Aber wir haben auch schon vorher Sorgen gehabt, Karla, erinnerte ich sie. Die Menschen sind auch schon vorher schlecht zu uns gewesen. Denke damals die schreckliche Zeit, als Marcetus mich aus der Vira rausstänkern wollte!

Ja, sagte sie immer aufgeregter, aber das waren Sorgen, die gehörten irgendwie zu unserem Leben, die waren notwendig. Daß das Leben kein Zuckerschlecken ist und die Menschen keine Engel, das habe ich immer gewußt. Daran stoße ich mich nicht – ich bin auch kein Engel. Aber die Sorgen, die wir jetzt haben, und das Böse, das nun zu uns kommt, das hat gar nichts mit uns zu tun, sondern nur mit dem Geld! Das müßte nicht sein, Maxe, und ich denke tausendmal ...

Nun sah sie mich an, die Augen in Tränen schwimmend. Sie redete nicht weiter, aber ich erriet wohl, was sie meinte. Du denkst, Kerlchen, sagte ich und nahm ihren Kopf zwischen meine Hände, und sie lehnte sich an mich und schlang die Arme um meinen Hals. Du denkst, Kerlchen, wir sollen jetzt von dem allen weglaufen und wieder zurück in unsere Mansardenstube. Aber, Kerlchen, es geht doch nicht, noch viel weniger als damals beim Mummelteich! Da hätten wir vielleicht noch zurückgekonnt, aber jetzt haben wir Schulden über Schulden, nie können wir die abarbeiten.

Ich habe gedacht, sagte sie zaghaft, daß wir vielleicht ein bißchen nehmen und das andere irgendwie verschenken. Es ist einfach zu viel für uns, Maxe. Wir passen nicht zu so viel Geld.

Karla sah damals alles schon viel klarer und richtiger als ich. Sie war lebensnäher, sie ließ sich nicht blenden. Aber ich klammerte mich an das Geld, ich dachte immer noch, man müßte es nur ein wenig anders einrichten, und alles würde ausgezeichnet gehen. Ich hatte noch nicht begriffen, daß Geld sich nicht ›anders einrichten‹ läßt, Geld hat seine Einrichtung für sich, es ändert sich nicht, es macht, daß die Menschen sich ändern.

Dies muß Karla schon damals, ohne es klar sagen zu können, begriffen haben, und schon damals muß sie einen festen, ganz unwiderruflichen Entschluß gefaßt haben. Wenn sie sich dieses eine Mal noch von mir überreden ließ, so hatte sie sich doch schon gesagt: es ist ein letzter Versuch.

Höre zu, Karla, sagte ich eifrig. Ich gebe zu, ich hab's falsch gemacht. Ich habe mich von alledem überrumpeln lassen. Ich werde dir sagen, was ich tue. Ich schreibe morgen gleich einen Brief an das Steueramt und erkläre, daß ich deren Vorschläge annehme. Es ist mir ganz egal, ob Steppe tobt. Und dann ziehen wir sofort nach Gaugarten, und Herrn Matz und Fräulein Kiesow und die Stenotypistinnen entlasse ich, und für die Mücke nehmen wir ein einfaches Kindermädchen –

Die Mücke, die ihren Namen wohl in den Fieberschlaf hinein gehört hatte, drehte sich um im Bett. Sie streckte ihre Ärmchen, sie sang es fast, halb gedehnt: Liebe Mummi!

Sie drückte ihre Mutter fest an sich und sagte: Aber zu Weihnachten bin ich wieder gesund, Mummi! Weihnachten will ich haben!

Und schlief schon wieder.

Ja, sagte Karla. Unser Weihnachtsfest wollen wir bestimmt feiern. Was du da vor hast, Maxe, mit Steueramt und Gaugarten und der Kiesow, das ist alles ganz schön, und ich bin damit einverstanden, wenn ich auch nicht weiß, ob es wirklich hilft. Aber es dauert viel zu lange. Übermorgen ist Weihnachten, und unser Weihnachtsfest feiern wir, das weiß ich bestimmt!

Sie funkelte mich so entschlossen an, daß ich wußte, dies mußte sein. Ich wollte es ja eigentlich auch, wenn mir schon vor all den Schwierigkeiten und der Heimlichtuerei graute.

Ja, natürlich, Karla, sagte ich darum. Und wir werden es auch hinkriegen, trotzdem ich noch gar nicht weiß, wie ich es machen soll mit den Einkäufen und den Fahrkarten und dem Wegkommen. Nur eines macht mich bedenklich: Wird die Mücke denn fahren können, so mit ihrem Fieber?

Natürlich kann sie das! rief Karla fast empört. Es ist doch nur ein Schnupfenfieber – oder ist es jetzt etwas anderes?

Ich hatte sie bis dahin selten so böse gesehen – nämlich auf mich. Auf andere ist Karla immer leicht böse geworden, hat es aber ebenso schnell vergessen. Auf mich war sie sehr, sehr selten böse – und vergaß es nie. Ich glaube, sie weiß heute noch jedes einzelne Mal, wo sie auf mich böse gewesen ist. Es geschah immer, wenn ich sie enttäuschte das konnte sie gar nicht vertragen.

Darum sagte ich auch gleich: Nein, natürlich ist es bloß ein Schnupfenfieber. Ich weiß ja bloß nicht, wie lange ein Schnupfenfieber dauern kann. Aber wenn du meinst –

Natürlich meine ich –

Na schön. Dann wollen wir erst mal das mit dem Koffer überlegen. Wie wäre es, wenn wir bloß ein paar Paketchen machten? Die fallen nicht so auf.

Karla war ganz und gar gegen Paketchen. Sie zählte mir her, was wir alles einschließlich der Geschenke mitnehmen mußten, es war ein schrecklicher Haufen Zeug.

Nun gerieten Karla und ich in eine hitzige Debatte über das Notwendige. Als Mann war ich der Ansicht, mit einem oder zwei Hemden gut auszukommen für eine Woche. Als Frau verfocht sie den Satz, das einzig Schöne am Reichsein sei bisher gewesen, daß man so oft die Wäsche wechseln könne.

Wir faßten und verwarfen nacheinander immer neue Pläne. Schließlich waren wir schon so sehr durch lauter Grübeln verblödet, daß wir einen Kinderwagen für die Mücke kaufen wollten, unter dem Vorwand, der Arzt habe Ausfahrten gegen ihr Fieber verordnet. In dem Kinderwagen, mit der von unserer Leibwäsche unterbauten Mücke, wollten wir unseren Wächtern entrinnen.

Ob es geht? fragte ich zweifelhaft.

Die Kiesow wird nie darauf reinfallen, meinte Karla auch. Die hat gehört, was der Doktor gesagt hat.

Aber was um alles in der Welt sollen wir dann tun? rief ich verzweifelt aus.

Ich weiß doch auch nicht, sagte Karla. Nur weiß ich, daß ich unser Weihnachten für uns allein haben will!

Aber wie –?! schrie ich fast.

Ja, wie –? echote Karla.

Als Antwort klopfte es kräftig bei uns – aber nicht an der Tür, sondern am Fenster!

Karla und ich, wir sahen uns sprachlos an – wir wohnten nämlich, wie sich das für Millionäre gehört, im ersten Stock des Hotels!!

*

 


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