Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Einundvierzigstes Kapitel

Endlich erblickte die Vorhut des verzweifelten Heeres im fernen Nordwesten – denn nun bog die Straße aus der Steppe nach links ab –, die hohen Türme einer größeren Stadt, und Sigiboto brachte die heißersehnte Kunde zurück, man stehe vor Sambara, der äußersten Grenzstadt von Corduene. Die meist »hellenistischen«, nur zum Teil christlichen Bewohner hatten die halbverschmachteten Reiter der Vorhut freundlich aufgenommen und bewirtet.

Wie ein vom Alpdruck Erlöster atmete Julian hoch auf! So hatten ihm die Götter doch den richtigen Weg gewiesen! Es war die Stadt, in welche er schon vor Ktesiphon, durch Eilboten, die er zurück nach Circesium entsandt hatte, auf den Rat des Lysias, der früher lange Zeit hier in dem Tempel des Apollo-Mithras die Mysterien dieses Gottes erforscht hatte, alle Nachrichten aus seinem Reiche zu schicken befohlen hatte. Hier hoffte er, danach weitere Beschlüsse fassen zu können.

Auch Lysias zeigte sich hocherfreut: »Ich muß dir den Mithrasdienst in des Gottes Tempel selbst erklären. Dazu brauch ich einige Zeit, alles vorzubereiten. Du wirst hier wohl dem Heer ein paar Rasttage gönnen?« Julian nickte, er erkannte die Notwendigkeit einer Erholung seiner völlig erschöpften Scharen. »Lang aber«, schloß er, »darf die Rast nicht währen. Die Perserheere haben geschwenkt wie wir. Das, welches bisher vor uns zog, das des Merenas, ist wie von der Erde verschwunden. Ich bin gewiß, den Surenas bald wieder, gerade vor mir, zu finden, jetzt auf dem Wege nach Westen.«

Der Imperator war schmerzlich enttäuscht, die hier erwarteten Nachrichten nicht vorzufinden. Wohl aber waren für Lysias aus Circesium, wie er voll Freude meldete, in dem Mithrastempel, in dem Hain einer abgelegenen Vorstadt, wohin er sie bestellt hatte, Boten mit Briefen und allerlei Sendungen eingetroffen. Er selbst hatte als apollinischer Oberpriester bei den Priestern dort, seinen alten Freunden, gute Aufnahme gefunden. Er lud den Augustus in ihrem Namen ein, ebendort zu wohnen, aber dieser zog es vor, in der Mitte der Stadt bei seinen Truppen zu bleiben.

 

Früh am andern Morgen trafen die erwarteten Nachrichten von Sebastianus ein. Aber, ach, die bestürzende Meldung, daß er den auf Befehl des Imperators begonnenen Marsch von Nisibis Julian entgegen nach Süden nicht weiter fortsetzen könne, sondern nach Westen in die Heimat zurückziehen müsse, da die Armenier, verstärkt durch persische Satrapen, mit großer Übermacht nun gegen ihn selbst zum Angriff vorgingen.

So war auch diese Hoffnung Julians gescheitert! Er hatte jene dreißigtausend Mann heranziehen und, so verstärkt, die treulosen Galiläer in Armenien sofort züchtigen wollen. Nun mußte der schleunige Rückzug in die Heimat fortgesetzt werden!

Kaum war diese Kunde den herbeigerufenen Freunden Jovian und Serapio mitgeteilt, als ein neuer Bote gemeldet wurde. Schon eilte er in das Gemach – er trug Trauergewand – und warf sich, laut klagend, dem Imperator zu Füßen. »Steh auf! Wer bist du?« – »O Herr«, sprach der, »ich bin ein Tempelsklave von Circesium. Zürne nicht dem Bringer trauervoller Botschaft. Ich komme aus Kale.« – »Nun, so sprich! Was ist mit Kale?« – »Es ist nicht mehr! Der Blitz schlug ein. Es liegt in Asche.« – »Oh, das wird die Schwester erschreckt haben. Man baut es nächstes Jahr schöner wieder auf – aus Perserbeute. Wohin hat die Priesterin, wohin meine Schwester sich einstweilen begeben? Doch wohl nach Circesium? Nun, du blickst so unheilkündend. Gab es Tote?« – »Nur eine.« – »Wer . . . wer ist es?« – »O Herr, deine Schwester. Es war zur Nacht. Der Blitz schlug in ihr Schlafgemach. Von dort brach der Brand aus.« Da taumelte Julian mit schrillem Aufschrei in Serapios Arme. Jovianus sank wortlos, totenbleich auf das Ruhebett. Eine furchtbare Stille entstand.

Endlich raffte sich Julianus auf, er wollte sich an Jovians Brust werfen. Mit strenger Armbewegung wies der ihn zurück.

»Wie . . .? wie starb sie?« forschte Oribasius, der Arzt. »Sofort. Der Blitz traf sie, als sie ihr Nachtgebet sprach.« – »Woher weiß man das?« fragte Serapio. »Herr, man fand die schöne Leiche – nur die Stirne war vom Strahl durchbohrt –, ein Kruzifix in der Hand.« – »O Juliana! Sie starb im Gebet zu dem Galiläer!« – »Ja«, sprach Jovian, in bitterstem Weh erzitterte seine Stimme. »Und gewiß im Gebet für dich – für ihren Mörder!« – »Jovian!« schrie der Gequälte. »Du . . . du hast sie dorthin verbannt, dort gefangengehalten. Du allein trägst die Schuld an ihrem Tod.« Und er stürmte hinweg aus dem Gemach.

»Wen nun zuerst trösten?« sprach Serapion ernst. »Und welchen Gott darum verklagen? Zeus, der mit seinem Blitz die Christin erschlagen, oder Christus, der sie nicht gerettet hat? Und welchen unter den Menschen? Athanasius, der sie bekehrt hat? Julian, der sie dorthin geschickt hat? Oder wohl richtiger keinen Gott und keinen Menschen, sondern nur den Blitz, der aus der Wolke fuhr, nicht, wie er wollte, wie er mußte. Arme Freunde, alle beide, mit euren Göttern!«

 

Nach einigen Stunden suchte Jovianus, von dem Germanen geführt, den Imperator auf. »Vergib«, sagte er ruhig, mit rotgeweinten Augen. »Ich war ein schlechter Freund, Serapio hat recht, und ein schlechter Christ. Aber sieh, Julian, ich habe sie sehr geliebt. So sehr! Der Schmerz macht ungerecht. Du trägst nicht schuld, daß es dort geblitzt hat.«

»Aber daß sie dort war!« sprach Julian in Tränen. »Vergib, mein Bruder! Ich bin schwer gestraft für schuldige und unschuldige Schuld. Ach, ich wollte euch ja vermählen nach einem kurzen Jahr. Jovian, vergib mir! Vergib mir um des Reiches willen: Wir wollen, Hellenist und Galiläer, zusammenstehen als Römer. Hilf mir! Verlaß mich nicht!« – »Gewiß nicht«, sprach Jovian, ihn umarmend. »Ich habe ihr beim Abschied versprochen, nie, niemals von dir zu lassen.«

 

Bald nachdem die Freunde ihn verlassen, erschien bei dem Trauernden Lysias. Er hatte ihre Entfernung abgewartet. Er küßte den Weinenden voll Teilnahme. »Ach«, sprach der, mit einer Hand langsam über die Stirne streichend, »es wird allmählich zuviel: Eusebia, Helena, Maximus, Artemidor, Daphne, Mutter, Schwester, Freund! – Ich habe«, lächelte er traurig, »bald nichts mehr zu verlieren als den Glauben an die Götter und an dich. Und dann noch – das Leben. Jenes wäre unertragbar. Dies, ach, wie erwünscht. Denn ich bin einsam! O Helena! Wann, wann endlich?« – »Mein geliebter Sohn«, sprach Lysias feierlich, »sieh, in deinem tiefsten Schmerze senden dir die Götter mich – und Trost!« – »Trost!« seufzte der Traurige. »Den gibt es nicht!« – »Doch! Heute – gerade heute – Julian, erfüll ich mein Versprechen. Noch heute sollst du Helena sehen.« Julian fuhr auf, er erbleichte: »O Lysias, Lysias! Was sagst du da? O bei allen Göttern, wecke mir nicht eitle Hoffnung. Es wäre zu grausam. Ich könnt es nicht ertragen. Heute noch?« – »Heute erreichen Jupiter und Venus den Stand, auf den ich wartete all diese Zeit. Diese Nacht, sobald die Sterne am Himmel stehn!« – »O Lysias! Ich faß es kaum. Ich soll sie sehen? Sprechen? Hören?« – »Du sollst sie sehen, sprechen, hören.« – »Und wo?« – »Im Mithrastempel. Drei Stunden vor Mitternacht. Du . . . aber ganz allein!« – »Freilich! Freilich! – Oh, wie soll ich's erwarten.«

 

Nach einem Rundgang durch das Lager in der Dämmerstunde des langen Junitages sprach Julian, die beiden Freunde verabschiedend: »Das Nachtmahl müßt ihr heute ohne mich teilen. Lysias . . . er hat mich für den Abend eingeladen.« – »Lysias?« fragte Serapio. »Wohin?« – »In sein eigenstes Heim, in den alten Tempel des Mithras, dessen Oberpriester er ja ist. Ein wundersam geheimnisvolles Gebäude! Er will mir dort – allein – einige Dinge zeigen, die nur er zu zeigen vermag.« – »Der Tempel liegt aber vor der Stadt. In dichtem Hain. Die parthischen Reiter haben sich schon wieder gezeigt. Sie streifen keck bis an die Wälle!« warnte Jovian. »Willst du wirklich allein . . .?« forschte der Franke. »Es war des Priesters Bedingung. Soll ich mein Wort brechen aus Furcht vor den Parthern?« – »Nein«, sprach Serapio, sich verabschiedend, »das sollst du nicht.« – »Nein«, wiederholte Jovianus ernst, »geh nur! Leb wohl!« Vor Julians Haustüre blieben beide – wie auf Verabredung – stehen. »Er darf nicht allein da hinaus in der Nacht«, sprach Serapio. »Um so weniger, als ich heute im Morgendämmer, an dem unheimlichen Gemäuer vorbeireitend, innerhalb der Mauern – oder vielmehr unterirdisch – ein seltsames Pochen und leise verhaltenes Hämmern hörte. Ich glaube zwar nicht, daß die Parther . . .« – »Nein, aber ich traue diesem Priester nicht.« – »Er will ihn nicht morden. Aber er braut etwas . . .« – »Er zeigt, seit wir hier sind, ein so seltsames Gebahren . . .« – »Bald triumphierend . . .« – »Bald hastig erregt . . .« – »Und immer wieder verschwindet er in jenem Tempel.« – »Wir müssen wachen über den Vielgequälten.« – »Den arglos Vertrauenden!« – »Ich hole dich ab, sobald es dunkel geworden ist.«

 


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