Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Einundvierzigstes Kapitel

Nach Entlassung seiner Gäste war Julian, hoch erregt, in sein Schreibzimmer geeilt und hatte einen langen, ausführlichen Bericht an den Augustus zu verfassen begonnen, der ihm, ungeachtet seiner gepriesenen Raschheit im Denken und Gewandtheit im Ausdruck, schwere Mühe bereitete und viel Zeit kostete. Gar manchen Papyrusstreifen warf er halb beschrieben zur Seite.

Was sollte er schreiben? Die Wahrheit? Daß die Truppen dicht vor der Meuterei standen? Dafür würde er verantwortlich gemacht werden! Oder sollte er ihre Stimmung verschweigen? Dann übernahm er die Schuld eines plötzlichen Losbruches auf dem Marsch.

»Die Wahrheit«, schloß er. »Immer die Wahrheit, gebeut der Gott des Lichts. Mag er mich dann absetzen, weil ich die Leute nicht besser erzogen. Ich bin es müde, Unmögliches leisten zu sollen. Mein Gallien ist verloren. Aber ich will's nicht mit ansehen.«

 

Die Mitternacht war vorüber. Oribasius, der Arzt, wagte in das Schreibgemach zu dringen und seinen Herrn zu bitten, sich endlich zur Ruhe zu begeben: »Du fieberst, o Julian, deine Schläfen glühen, unheimlich glänzen die Augen. Deine Hände sind eiskalt. Ich flehe dich an, suche das Lager auf.« – »Glaubst du, ich kann jetzt schlafen?« lächelte Julian traurig. »Ach, und wenn ich in diesen letzten Nächten auf eine kleine Weile einschlief, dann quälten, dann beängstigten mich, zweifellos von den Göttern gesendet, furchtbare Träume.« – »Eben Fieberphantasien!«

»O nein, Oribasius! Inhaltvolle, schicksalsreiche, aber schwer zu deutende Mahnungen, Warnungen, ja Drohungen der Götter. Vernimm, du Vielgetreuer, die Qual, die mir die letzte Nacht ein Traumgesicht gebracht; ich zermartere mein Gehirn unablässig, und ich kann nicht ergrübeln, was es bedeutet. Höre.«

Er sprang auf von dem Schreibdiwan, warf die Rohrfeder weg und schritt hastig im Gemach hin und her.

»Höre nur. Mir erschien – längst ist er mir vertraut – der Genius Roms! So lebhaft sah ich ihn vor mir im goldenen Helm! Die Linke trug den Fahnenschaft des Adlers, der wie lebend die Schwingen hob und senkte und ungeduldig, wie es schien, zusammenschlug! Aber das schöne Antlitz des Genius war nicht freudig und freundlich mir zulächelnd, so wie er mir zuerst erschien vor meiner Erhebung zum Cäsar, nicht heiter und wohlwollend, so wie er mich in Zabern vorwärts trieb zur Alemannenschlacht.

Nein, hoher Ernst, Trauer, ja vorwurfsvoll schmerzlicher Zorn gegen mich lag auf den edlen Zügen, als er drohend die Rechte gegen mich erhob und feierlich mahnend sprach: ›Julianus, du mein auserkorener Liebling! Schon lange weile ich im Vorhof dieses Hauses, gewillt, dich zu erheben über alle Sterblichen empor. Immer hast du mich abgewiesen. Das aber wisse gewiß in des Geistes und Herzens Empfindung: Verschmähst du mich auch diesmal, überhörst du noch einmal meinen Ruf, werd ich dich verlassen auf immerdar. Gedenke der Götter! Gedenke des Reiches! Hörst du nicht meinen Ruf?‹ – Horch, was ist das?« schrie Julian und blieb erschrocken stehen.

Denn in diesem Augenblick schmetterte ein Ruf, ein eherner, ein laut tönender Ruf, von draußen her betäubend in beider Ohren. Es war der Ruf der römischen Tuba, die das Alarmzeichen gab. Aber so ungestüm, so alldurchdringend, so rasch näher und näher eilend scholl das Mahnzeichen, wie er's noch nie vernommen. Es scholl ihm wie der Ruf der Weltgeschichte. – Und er war's.

 

Denn schon wogte und wälzte sich das ganze empörte Heer gegen das Tor des Palastes, und gleichsam als dumpfer Untergrund, aus dem der Ton der hell schmetternden Trompete schwebte, drang jetzt auch schon das wirre Gebrause heran, das Durcheinanderrufen von vielen tausend Stimmen.

Als die dunkle Masse, in der nur wenige Fackelträger auftauchten, sich auf der Legionenstraße der Brücke näherte, die von der schmalen Insel auf die Nordseite des Flusses führte, sprengte der Führer der berittenen Leibwächter, denen die Obhut über die Brücke anvertraut war, mit einem Tubabläser der lärmend heranwogenden Menge entgegen: »Halt!« rief er. »Steht! Wer seid ihr? Und was wollt ihr?« – »Den Cäsar! Zum Cäsar wollen wir! Er muß uns hören!«

»Was wollt ihr von ihm? Ihn morden?« Er zog das Schwert. »Im Gegenteil!« rief Sigiboto lustig.

»Nicht in die Erde hinab, empor wollen wir ihn bringen. Hoch empor!« lachte Ekkard. »Zum Imperator haben wir ihn ausgerufen«, schloß Hippokrenikos. »Hast du vielleicht etwas dagegen?« – »Zum Imperator?« rief der Reiterführer und zog seine Zügel an. »Ei, das ist ja ganz vortrefflich! Jawohl! Heil Julian, dem Imperator! Kommt! Folgt mir nur nach! Ich führe euch zu ihm.« Und er wandte das Roß, befahl dem Tubabläser, Alarm zu blasen, und sprengte rasselnd mit seinem Geschwader über die erste Brücke zurück, dann über die zweite auf das Südufer, auf den Palast zu. Laut jubelnd folgte ihm die tobende Schar.

Aber in ihrer Ungeduld konnten die Nachrückenden es nicht erwarten, bis die Vorderen die enge zweite Brücke überschritten hatten, auf der es zu schrecklicher Stauung, zum Ringen mit Faust und Dolch kam. Viele Hintermänner ließen sich die Böschung der Legionenstraße hinuntergleiten an den Spiegel des fest gefrorenen Flusses und eilten über das Eis hin auf beiden Längsseiten der Brücke an das südliche Ufer. An manchen Stellen trug die Eisdecke nicht das Gewicht der Laufenden, Stampfenden, Drängenden, sie brach krachend. Aus dem dunklen Wasser ein Schrei, eine krampfhaft an die Eiszacken gekrallte Hand, ein stilles Versinken und Gurgeln unter dem Eise! Darüber hin, über den entdeckten Spalt, an dem Speerschaft in hohem Satz hinweg, sprangen die Folgenden. So hatten bald die Tausenden das Südufer erreicht und ergossen sich nun von allen Zugängen her, immer schreiend und jauchzend, gegen das ringsummauerte Palatium.

Alle Wachen, alle Posten, welche die unaufhaltsame Lawine auf ihrem Wege fand, wurden, willig oder widerwillig, mit fortgetragen. Die andern Tubabläser, da sie den neben dem Tribunen unablässig schmettern hörten, taten es ihm nach an Eifer und Geräusch. So schrien bald zwölf Trompeten den Kriegsruf durch die Nacht, als sollten die Toten auferstehen. Das drang durch den Garten, durch die Mauern, durch die Vorsäle, bis in die innersten Gemächer des Palatiums, bis zu Julian.

Auf diese Zeichen hin hatten die Wachen an dem einzigen Tor, ein halbes Dutzend Leibwächter zu Fuß, dieses schleunig von innen zugeworfen und verriegelt. Sie kletterten die Schmaltreppen hinauf, die auf die mit Zinnen bewehrte Mauerkrone führten, und sahen nun mit Staunen und Entsetzen auf die heranwogende, schreiende, brüllende Masse.

»Sie wollen ihn morden!« rief Berung, der zuerst hinaufgelangt war. »Ich warne ihn! Er muß fliehen! Sich verstecken!« Rasch hastete er die Stufen wieder hinab. »Das tut er nicht«, meinte Voconius, ihm folgend. »Ich muß anderes sinnen.«

 

Nun standen die Vordersten vor dem Tor.

»Auf, Auf! Aufgemacht! Oder wir erschlagen euch und ihn und alles! Auf mit dem Tor!« Die Wachen, erlesene Männer, taten ihre Schuldigkeit; sie verteidigten ihren Posten und ihren Herrn. Bei dem Schein der Fackeln der Angreifer konnten sie zielen auf die Vordersten, die sich vergeblich mühten, das festgefügte Tor zu sprengen. Die Verteidiger schleuderten die Wurfspeere; ein paar der Aufrührer fielen. Gellendes Wutgeschrei war die Antwort.

Die Stimmung der großen Menge schlug um. »Er läßt uns morden! Er will nicht! Er bricht uns den Eid! Nieder mit ihm! Nieder mit Julianus!« So scholl es vorn, da, wo die Toten lagen. Und rasch verbreitete sich das nach hinten: »Er läßt uns morden!«

»Blut ist geflossen!« – »Er mordet unsere Brüder!« – »Zwei Tote!« – »Zwanzig!« – »Zweihundert!« – »Er will nicht!« – »Nieder mit Constantius!« – »Nieder mit Julianus!«

Dem wütenden Ansturm von vielen Tausenden waren weder die hohen Mauern noch das feste Tor, noch die wenigen Wachen gewachsen.

Der Haufe entdeckte in einer Seitenstraße einen schweren Lastwagen mit langer eisenbeschlagener Deichsel. Im Augenblick spannten sich zwölf vor, an die Deichsel sich klammernd, acht schoben an den vier Rädern; mit eiligster Gewalt rammte die Deichsel gegen das Tor; krachend fiel es nach innen. Hinein fluteten die Sieger, brüllend vor Wut, vor Siegeslust!

Gleichzeitig – waren sie doch im Erklettern von Wällen geübt – sprangen je drei, vier, fünf Mann, entlang der ganzen Stirnseite der Gartenmauer, einander auf Rücken und Schultern, die obersten erstiegen die Krone, stießen die wenigen Wächter herunter; der Palast war erstürmt! Die Sieger eilten aus dem Garten und dem Vorhof die breiten Marmortreppen hinan in das Atrium. Nichts trennte sie mehr von Julian: ihrem Götzen – oder ihrem Opfer?

 


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