Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Einstweilen war der Tag nahe herangekommen – die Iden des Oktober –, an dem, uraltem Brauche gemäß, von jeher das große Apollofest zu Daphne abgehalten worden war. Nachdem das Verbot des Constantius es über zwei Jahrzehnte verhindert hatte, sollte es jetzt in früher nie erreichter Pracht gefeiert werden, war es doch ein Fest des Sieges der aus der Vertreibung wiedergekehrten Götter, und das sollte sichtbar werden vor Freund und Feind, die es beide als einen Triumph der Olympier und Julians empfanden. Der Priester Apollos hatte den »Dienst der Gräber« verscheucht, die selig lachenden Götter hatte Julianus zurückgeführt in ihre Tempel und Haine. Die Vorbereitung und die ganze Leitung des Festes ward dem jungen, begeisterten Bildhauer überwiesen, den Priester und Priesterinnen eifrig unterstützten. Von nah und fern waren fromme – oder doch vergnügungslustige, prachtfreudige – Heiden, Männer und Weiber, herzugeströmt in die grollende Stadt, die jedoch ihren Zorn gegenüber dem täglich sich verstärkenden Heere zurückhalten mußte.

Artemidor hatte, nach Schluß der Olympischen Spiele, die den Anfang des Festes bilden sollten, und nach Verteilung der reichen Siegespreise durch den Augustus, ein großartiges Opferfest angeordnet, an welchem dieser und dann jeder seiner Gäste – denn ohne Einschränkung der Zahl waren alle Verehrer des Sonnengottes geladen – sich nach Belieben beteiligen sollte. Als Krönung des Ganzen war ein Festspiel bestimmt, von Julian selbst gedichtet, die Werbung Apolls um Daphne darstellend, deren Flucht in diesen Hain, die Einholung durch den glühenden Verfolger und ihre Verwandlung in den Lorbeerstamm.

Julian hatte dem errötenden Jüngling befohlen: »Du, du mußt den schönsten der Götter darstellen; er selbst hat dich mir zu diesem Zweck zugesandt; wo fände ich einen ihm Ähnlicheren? Und die schönste Jungfrau in Kleinasien, die schon seit Wochen zu dem Feste hierhergereist ist, die vielgefeierte Erigone von Ankyra . . . nun, nun, verbrenne nur nicht vor noch heißerem Erröten! Du kennst sie gut. Wiederholt sah ich dich mit ihrem Vater, mit ihr selbst im Tempel opfern; sie wird deine Daphne sein. Aber besorge nichts! Dein Vater Julian wird verhüten, daß die Liebeswerbung dieses Apoll scheitert! Hinter dem Lorbeerbaum werde ich die unverwandelte Daphne-Erigone hervorholen und vor allem Volke die schönste Jungfrau dem schönsten Jüngling meines Reiches in die Arme führen. Ein Sinnbild soll mir euer Liebesbund sein. Diese Ehe wird den Sieg des Schönen, der Freude des Lebens und des Liebesglücks für alle Göttergläubigen beweisen. Nein! Bange nicht! Ich hab es bei ihrem Vater schon erkundet. Kein Befehl, den ein Imperator erlassen hat, ist je so freudig erfüllt worden, als die goldlockige Erigone diesem meinem Gebot Gehorsam leisten wird.« – »O mein Vater Julian! Wie gut, wie groß bist du! Wahrlich, wenn es göttlich ist, Menschen zu beglücken, beglücken zu wollen, zu beglücken verstehen, dann bist du ein . . .« – »O schweig! Keine Lästerung. Daß uns die Erinnyen nicht strafen! Ich bin ein armer, vielgequälter Mensch mit einem wohlwollenden – (das ist wahr) –, aber auch mit einem allzu hitzigen Herzen!«

 

Der Vorabend des Festes war gekommen. Nicht ein Oktobertag unseres Himmelsstrichs war es gewesen; warm, trocken, von goldnen Sonnenstrahlen durchleuchtet. Helios schien in der Tat an diesem seinem Ehrentag, der Nacht, der Kälte gegenüber, als der unbesiegte Gott erscheinen zu wollen. Zu vielen Tausenden waren bereits die Gäste in das große Dorf Daphne geströmt, das im Laufe der Jahrhunderte stadtähnlich um die heiligen Gebäude – über zwanzig an der Zahl – herangewachsen war. Die Leute hatten sich dort Nachtlager verschafft, um am folgenden Morgen rechtzeitig die besten Plätze zu gewinnen.

Alle, Priester, Priesterinnen und die bei den Spielen, Aufzügen und dem Fest sonst Mitwirkenden, mit ihren Gewändern, Geräten, Opfergaben, die Wagen und Rosse für die Rennen, all das war schon draußen eingetroffen und untergebracht, die schöne Erigone mit anderen Jungfrauen in den unmittelbar an die Cella stoßenden Tempelgemächern. Denn schon bei dem ersten Sonnenstrahl des folgenden Morgens sollte der Imperator das wiedererstandene Fest eröffnen.

Spät war's in der Nacht. Niemand wachte mehr in dem Palatium als Julian, der in einem jüngst erschienenen Buche des Philosophen Priscus, des Lieblingsschülers des Maximus, über die Unsterblichkeit der Seele las, nachdem er soeben des Curtius Bericht über die Perserkriege Alexanders zur Seite gelegt hatte. Still war's geworden in dem weitläufigen Gebäude. Gegen Mitternacht hatte sich ein sehr heftiger Westwind erhoben, der an den Holzläden der Fensteröffnungen rüttelte. Bloß den eintönigen Schritt der Wachen, den Säulengang auf und nieder, vernahm der nächtliche Grübler. Er ergriff jetzt einen neuen Papyrus, lächelte glücklich vor sich hin und schrieb: »Erst gestern gelang es mir, dich wahrhaft musischen Jüngling durch ein deiner würdiges Geschenk – (ein sinniges, wie ich hoffe!) – zu belohnen. Gold, Schätze dem Künstler zu schenken, es ist überflüssig, unfein; nachdem ich jede Sorge, die ja auch unschön ist und unschön den freien Flug der Phantasie hemmt, von deinen Schultern gestreift habe. Aber wie dich erfreuen, ohne dir mit plumpem Gelde die Schwingen zu beschweren? Lang dachte ich darüber nach. Da fand ich's!

In Bithynien liegt mir ein beträchtliches Gütlein – ich erstand es gestern wieder von dem Käufer (um den doppelten Preis!) –, dem Vater meiner Mutter hatte es gehört. Constantius zog es ein. Der Fiskus verkaufte es. Ich sah es früher auf der Reise von Macellum nach Athen. Es ist wunderschön, ein Kleinod, ganz für einen Dichter in Lied oder in Stein geschaffen! Es liegt eine Stunde entfernt vom Meer, daher stört dort die Stille des Orts kein zudringlicher Kaufmann, kein geschwätziger Seefahrer. Und doch entbehrt der Wohnsitz nicht der Gaben des Meergottes; nicht des frischgefangenen Fisches, den du wie aus den Wellen geschöpft erhältst, nicht des köstlichen Salzhauchs der See.

Und schreitest du von der Villa aus durch schattige Olivengänge auf die Krone des nahen Hügels hinan, so erschaust du die blaue Propontis und, darin schwimmend, die reizvoll lächelnden Inseln. Da magst du liegen auf dem Rasen des Hügels, in dichtem Thymian, bienenumsummt, während die duftige Winde – ›Convolvulus‹ nennt sie der Römer – um jeden Baum die zarten Kelche schlingt. Hebst du das Auge, vom Lesen ermüdet, so labt es der Weitblick auf die lichtblaue See mit den weißen, den schimmernden Segeln. Um das säulentragende Haus zieht sich ein Gärtlein, von rieselnden Quellen gefeuchtet. Eines vor allem aber schmücket den Ort, der deshalb ›Rosarium›heißt. Nur dort gedeiht eine Art von Reben, die ›Rosenrebe‹! Sie wuchert wie Unkraut um jeglichen Pfahl! Es duften die Blätter, es duftet schon am Geranke die Traube allherrlich nach Rosen; nach Rosen der Saft, in die Kelter gepreßt, nach Rosen noch viel stärker der Most und der Wein in der Amphora. Nie kostete ich an Duft und an Geschmack so viel der Rosen-Lieblichkeit! Und nur dort – auf den wenigen Morgen – will er gedeihen, dieser Rosenwein. Ein Tempelchen steht in der Mitte des Gartens, Aphrodite geweiht, ein wahres Heiligtum des Rosendufts. Sieh, mein Liebling, dies Gut, mein ›Rosarium‹, schenk ich dir zur Hochzeit! Dort, in dem Rosentempel Aphroditens, sollst du mit Erigone den Thalamos beschreiten und . . .«

Erschrocken hielt der Schreibende inne, denn plötzlich stockten jene regelmäßigen Schritte der Wachen, und gleich darauf schlug an des Aufhorchenden Ohr der schrille, gellende Schrei: »Feuer! Feuer! Zu Hilfe!« Julian sprang empor, stieß den Holzladen des Schlafgemachs auf und fuhr entsetzt zurück, denn der ganze Himmel schien in Flammen zu stehen, solche Lohe lag gerade ihm gegenüber vor der Stadt. Mitten in der allgemeinen Helle stiegen zuweilen einzelne Feuersäulen von schärfer erglühendem Rot empor, gefolgt von den dunklen Schatten mächtiger Qualmwolken.

»Das ist im Osten, nahe bei . . . Dort liegt Daphne!« sprach Julian mit leisem Grauen. Und schon ward es auf dem weiten Platz vor dem Palaste lebendig. Der wiederholte Ruf der Wachen hatte die Schläfer in den nächsten Häusern geweckt, sie taumelten, noch schlaftrunken, aus den Türen, mit wirren Fragen, mit Schreckensrufen.

Jetzt jagte, von der Richtung des Brandes her, ein einzelner Reiter auf den Palast zu. »Hilfe!« schrie er, »Hilfe! Weckt den Augustus! Wo ist er?« – »Hier«, sprach Julian, der schon unten und vor ihm stand. »Was brennt?« – »Daphne! – Ganz Daphne steht in Flammen! Im Tempel brach es aus. Schon lodern alle Gebäude. Helft! Rettet!« – »Das ist die Strafe Christi«, scholl es aus der Menge. »Weh den Götzendienern!« Julian war erbleicht, der Herzschlag drohte ihm zu stocken, aber dieser Ruf gab ihm die Kraft des Zorns wieder. »Weh den Brandstiftern, wehe den Galiläern!« gab er zurück. »Mein Pferd! Mein Pferd! – Du bist's, Serapio? Was hast du da unter dem Mantel?« – »Deinen Panzer! Komm sofort in den Palast, bis das Pferd gebracht ist. Du mußt ihn anlegen, in dieser Nacht!« – »Dank! – Tausend Reiter sollen aufsitzen und zu Hilfe eilen! Und tausend Mann Fußvolk sollen folgen. – Jovian, du bleibst und hältst Stadt und Palast in Hut.« Gleich darauf sprengte der Imperator an der Spitze einiger Leibwächter zum Osttore hinaus, auf der breiten Heerstraße nach Daphne zu, dessen lodernde Flammen, hoch über den Wipfeln der Bäume emporschlagend, alsbald den Weg taghell beleuchteten.

In kurzer Frist jagten die Reitergeschwader ihm nach.

 


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