Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Kapitel

Mit zornig gefurchten Brauen ließ der Leser das Blatt sinken und setzte sich auf die Ruhebank.

»Weh, weh um meine Hoffnungen! Weh um meine Macht, mein Priestertum und um meine Götter! Nun entreißt mir mein Werkzeug jener mystische Schwärmer, mir, dem Reiche, den Göttern selbst. Aber nein!« Hier erhob er sich ungestüm wieder von dem Sitze. »Ich will, ich darf nicht verzagen und verzichten. Laß sehen, ob ich diese Seele wie Christus und Johannes so nicht auch jenem Träumer entreiße. Aber nun muß gehandelt werden. Jetzt, Helena, hilf – hilf den Göttern, dem Vater und vor allem dir selbst.«

Und er rief einen Freigelassenen herbei und befahl: »Ich bitte meine Tochter – sie weilt in der Marmorgrotte –, hierher in die Bibliothek zu kommen.«

Alsbald erschien ein anmutiges junges Mädchen in ganz weißer Gewandung; sie trug eine goldene Lyra im linken Arm, das dunkelbraune Haar, die sanften dunklen Augen hoben sich in schöner Wirkung ab von der blendend weißen Farbe des Nackens und der Stirne; ihr einziger Schmuck war eine um das Haar gewundene Efeuranke und eine goldene Spange, die auf der linken Schulter das langfaltige Gewand zusammenhielt. Lieblich tönte ihre Stimme und ein wenig traurig, als sie sprach: »Du hast befohlen, mein hoher Vater.«

»Mein Kind, ernste, lebensentscheidende Dinge haben wir zu verhandeln in dieser Stunde. Lies diesen Brief. Er ist . . .« – »Ich kenne die Schriftzüge. Er ist von ihm – von Julian.« – »Lies in Ruhe, ungestört, allein. Ich gehe einstweilen in das Heiligtum. Ich bete zu den Göttern um Erleuchtung, um Offenbarung.«

 

Als der Priester nach geraumer Zeit wieder eintrat, war seine Haltung fest: Die Ruhe, die der gefaßte Entschluß mit sich bringt, war über ihn gekommen. Aber die Jungfrau fand er in Tränen. Vergeblich versuchte sie, die Augen vor seinem Blicke zu bergen; er setzte sich zu ihr auf das Ruhebett und hob mit sanfter Gewalt das blasse schmale Gesichtchen in die Höhe. »Weine nicht, verzage nicht, du von Kind an den Göttern Geweihte, du, des obersten Gottes Priesterin. Jetzt gilt es, den Mut, die Kraft bewähren, welche die Himmlischen ihren treuesten Dienern verleihen. Hoffe, Helena!« – »O mein Vater«, erwiderte die sanfte Stimme, »was ist da noch zu hoffen? Er hat dich verlassen, er hat deine Götter verlassen. Und daß er mich, die er nie gesehen, nie lieben wird, das stand mir schon fest, als er damals zu Macellum, wie du mir erzählst, für jene Unbekannte erglühte. Ich beschwor dich schon damals, jede Hoffnung, jeden Gedanken aufzugeben, der mich ins Spiel brächte. Du meintest damals, zwar für den Augenblick soll er mich nun gar nicht, wie du geplant hattest, kennenlernen, solange noch jenes Bild ihm teuer sei, ihn so ganz beherrsche. Allein, du sagtest, wenn er jene nicht wieder sieht, wenn Jahr und Tag darüber hingegangen, dann wird sein wundes, liebesbedürftiges Herz einer neuen, einer hoffnungsfrohen Neigung offenstehen. Ich schwieg, ich gehorchte dir – wie immer –, aber ich hoffte nicht mehr. Dieser Brief bezeugt es; er hat die Erstgeliebte nicht vergessen; und ob es deine Wünsche kreuzt, mich beglückt es, daß er so edel, so zart und so treu ist, wie ich ihn mir – nach deinem so oft wiederholten Lobe – gedacht. Du hast schon dem Kinde diesen Jüngling so gerühmt, hast mich so unabänderlich seine Braut genannt, daß ich Törin leise anfing, ihn zu lieben, noch bevor ich ihn je gesehen. Und als ich ihn nun in Macellum, wohin du mich entboten, damit er mich kennen und lieben lerne, täglich sah von unserem Haus aus, ihm unbemerkt, da hast du freilich erreicht, daß ich ihn wirklich liebte; aber er mich? Nie! Vater, hoher, weiser Vater – gesteh es endlich dir selbst: Du hast dich oder vielmehr die Sterne haben dich getäuscht.«

»Unmöglich! Dann lügen die Sterne, die Götter selbst, dann wäre nicht nur das tiefste Geheimnis meiner Lehre, dann wäre der ganze Glaube an die Götter und die Sterne eitel Selbsttäuschung. Vernimm: Einer meiner Freunde – ich darf ihn nicht nennen, seine Macht, sein Einfluß beruht darauf, daß niemand ihn nennt, weder tadelnd noch lobend –, der größte Sternkundige der Zeit, hat gleich nach deiner Geburt festgestellt, daß dein Geschick geheimnisvoll verknüpft sei mit dem Julians, dessen Geburtsstern er am gleichen Tage sechs Jahre vorher befragt. Julian und Helena werden ein Doppelgestirn des Glückes und der Herrschaft sein: Julian wird die höchsten Taten, ja die höchste Tat im Römerreich verrichten. Das aber kann nur eins bedeuten: Er wird die Herrschaft der Götter erneuern, sie rächen an den mir tief, heiß, grimmig verhaßten Christen. Und alles, was ich selbst, was die Magier, die Sterndeuter Ägyptens, Chaldäas, Persiens, die ich befragte nach Julians Horoskop, erforscht haben, alles bestätigt diese Weissagung. Dies gab meinem fast entmutigten Hoffen, Streben, Trachten neue Kraft. Man hatte mich gezwungen, Christenpriester zu werden . . .«

»Ach, mein Vater, zur Lüge gezwungen! Ich hab es nie begriffen, daß du dich dazu zwingen ließest. Es muß eine furchtbare Qual sein.«

»Es ist Mittel zum Zwecke der Rache, der Herrschaft. Es war das beste, das einzige Mittel. Nur so konnte ich die Pläne, die Anschläge der Kirchenparteien kennenlernen; oft und oft habe ich sie vereitelt, bald die eine, bald die andere, bald Athanisier, bald Arianer unterstützend. So wirkte ich über zwei Jahrzehnte, bald im Morgen-, bald im Abendlande, vor den Augen der Imperatoren und der Bischöfe ein eifriger Christ. Die Aufsicht über mehrere Klöster und Kirchenschulen und Einsiedler und Büßer – wie über jenen dumpfsinnigen Musterchristen Johannes! – wurden mir übertragen; ich lernte ihre Stärke und ihre Schwächen, ihre fanatischen Tugenden wie ihre Laster, ihre Heuchelei, ihre Herrschgier kennen. Während ich im Abendlande ketzerische Christenpriester zur Anzeige brachte, versenkte ich mich im Morgenland in den alten Schulen und Priesterschaften des Zeus Ammon, des Apollo Helios, des Mithras, des Osiris, immer tiefer, immer begeisterter in den Glauben der Väter. Es gelang mir – durch Hilfe meines unnennbaren Freundes am Hofe –, das Kloster zu entdecken, in dem der Knabe gefangengehalten und geistig gemordet ward, dem die ›höchste Tat‹, das heißt also die Herstellung der Götter, und – deine Hand von den Sternen bestimmt ist. Nachdem ich ihn aus dem Kloster und aus dem Kirchenglauben befreit hatte, wollte ich dort zu Macellum das Band knüpfen, das euch vereinen sollte. Heimlich ließ ich dich kommen; durch Zufall – nicht durch meine Veranstaltung, durch meine Zuführung –, solltet ihr euch kennenlernen. Ich trug dir auf, während meiner notgedrungenen Abreise zum Abte Konon, der Verdacht geschöpft hatte und mit Anklage bei Constantius, beim Papste drohte, jene Bäder der Amphitrite zu besuchen, gerade zu der Stunde, in der ich den Jüngling gegenüber in dem Männerbade wußte. Du sähest ihn auch ein paarmal: das genügte . . .«

Die schönen Wangen erröteten: »Es genügte . . . für mich! Ja, ich gewann ihn lieb, den schlanken, blassen, verträumt blickenden Schwärmer mit den sehnenden Augen unter den langen dunklen Wimpern. Und ich wußte ja – du hattest es jahrelang gelehrt –, daß er mein von den Sternen vorbestimmter Bräutigam sei. Aber«, lächelte sie wehmütig, »die Sterne haben, scheint es, nur voraus gewußt, daß ich ihn liebgewinnen würde, ohne ihn je gesprochen zu haben. Er dagegen blieb frei; er hat mich nie gesehen. Denn wenige Tage nachdem ich ihn aus verschlossener Sänfte erschaut, entdeckte er jene Unbekannte; nur für sie hatte er seither Augen. Und als du zurückkamst, da . . .«

»Da führte ich dich sogleich weit fort aus der Stadt. Nachdem ich – aus seinem Mund – erfahren, daß eine andre Helena, wie hatte mich dieser Name doch in dem Glauben bestärkt, mein Plan sei gelungen, daß eine andre Helena, welche die Götter verderben mögen . . .«

»O mein Vater! Er liebt sie!«

»Eben deswegen! Daß ein anderes Mädchenbild nun seine Seele mit der ganzen Macht erster Liebe erfülle, da erkannte ich, jede Aussicht für dich war verloren, lernte er in diesem Augenblick dich kennen. Deshalb mußtest du ihm – damals – sofort und für lange entrückt werden. Aber seitdem ist lange Zeit verstrichen, und keine erste Liebe bleibt die letzte.«

»Er liebt sie noch immer.«

»So glaubt er! Allein, laß doch sehen, ob jenes Traumbild standhält, sieht er nun dich. Du bist sehr schön, bist viel schöner geworden, als du damals warst! Und jedenfalls, es ist hohe Zeit, daß meine Gewalt über ihn wieder erstarke. Allzulange haben mich dringende Sorgen in Armenien, in Corduene, zu Samara, ferngehalten, wo ich die entmutigten Götterfreunde, die von den Bischöfen und den Beamten des Constantius hart verfolgten, wieder emporraffen, versammeln, im Ausharren bekräftigen mußte. Jetzt aber; er selbst lädt mich ja zum zweitenmal nach Athen. Wohlan: Ich folge seinem Rufe, aber nicht allein. Jetzt soll er dich sehen, dich kennenlernen, du holdes Geschöpf. Ich meine, es braucht nicht erst den Zwang der Sterne, nur den sanften Reiz deiner Augen, ihn dir unlösbar zu verbinden . . . Horch! Was ist das? Laute Stimmen im Atrium. Ein eilender Schritt naht . . .«

Da ward der Vorhang des Gemaches zurückgeschlagen, ein staubbedeckter Bote stürmte herein. »Vergib, o Herr, diesen Ungestüm. Allein mein Gebieter Julian befahl . . ., die . . ., dir allein . . .« – »Sprich nur, dies ist meine Tochter.« – »Ich soll dich warnen! Dir melden: Verwische, verleugne jede Spur des Zusammenhangs mit Julian! Vor allem: Komm nicht nach Athen, du findest ihn nicht mehr dort.« – »Wo ist Julian?« – »Ach, Herr, ich weiß nicht! In Gefangenschaft! Vielleicht schon tot!« – »Ruhig, Helena, mein Kind! Warum? Weshalb?« – »So weiß man hier noch von nichts? Der Cäsar Gallus, des Herren Bruder, hat sich zu Antiochia wider den Imperator empört, er ist überwältigt oder überlistet; gefangen ward er zu Constantius geschleppt. Dieser hält Julian für mitschuldig der Empörung, und ach, vor meinen Augen ward der teure Herr unter der Anklage des Hochverrats verhaftet, um vor den Imperator – nach Mailand – geführt zu werden. Kaum konnte er mir noch den Auftrag an dich zuraunen. Ach, er ist verloren, wie Gallus, der bereits auf Befehl des Imperators erdrosselt ist.«

Mit einem erstickten Wehgeschrei sank Helena auf das Ruhebett.

 


 << zurück weiter >>