Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Dreizehntes Kapitel

An dem Abend des Tages dieses aufgeregten Religionsgespräches hatte Julian wieder die beiden Freunde zu Gaste bei seinem Nachtmahl. Der Imperator verweilte mit Behagen bei den Erinnerungen an den Vormittag; auch Serapio lachte, als er erzählte, wie er nur mit Mühe auf den Straßen die kampflustigen Seelenhirten habe auseinanderhalten können durch die quergehaltenen Speerschäfte seiner Germanen. »Aber du scheinst wieder einmal nicht ganz zufrieden, gestrenger Magister Militum, mit deinem Imperator«, hob dieser an. »Woran hab ich's heute wieder fehlen lassen?« – »Nicht an Bosheit, o Augustus«, erwiderte Jovian, »an Spitzen und Witzen, die nicht bessern, die reizen und keine Wirkung haben als die . . .« – »Ihn selbst zu erfreuen«, schloß Serapio, »den Verstorbenen.« – »O weh«, klagte Julian, »wird heute die üble Nach-Rede (hübsch diese Doppelbedeutung, nicht?) fortgesetzt?« – »Nein! Denn, o gerechter Aristides-Jovian, du hast zwar darin recht, daß seine boshaften Witze nur ihn erfreuen. Jedoch das ist auch schon etwas. Schaden können sie ihm bei den Frommen doch nicht weiter; die können ihn nicht mehr tiefer in den Höllenpfuhl hineinverfluchen als sie ihn schon hineingebetet haben. Und zur Empörung sind die Guten unter ihnen zu gewissenhaft, die Bösen zu ohnmächtig. Dabei ist aber jede solche Bosheit eine sehr wohltätige Ableitung für unsren Julian: Besser, er verspottet sie als griechischer Rhetor, denn er verfolgt sie als Imperator. Ich bring es dir, Julian. Mögest du den Christen nie was Schlimmeres antun als deine heutigen schlechten und hie und da (aber selten) guten Witze. Ich besorge jedoch . . .« – »Was? Du wirst mir doch nicht Verfolgungsabsichten zutrauen?« – »Dir nicht! Aber deinen Werkzeugen, die nicht immer vorsichtig gewählt sind. Dieser Lysias . . .« – »Ich weiß«, sprach Julian bekümmert, »du und Jovian, ihr seid ihm tief abgeneigt. Ich kann nicht leugnen – leider –, daß ich ihn im Laufe dieser Jahre verändert finde; nicht zu seinem Vorteil. Wilde Leidenschaften, ungezügelte, reißen ihn dahin. Er ist keine apollinisch geklärte Seele. Aber ihr könnt ja beide nicht ermessen, wie tief ich ihm zu Dank verpflichtet bin! Ich konnte ihm die Bitte um jenes Amt nicht abschlagen – ich hatte es ihm längst vorher bestimmt« – »Es laufen aber schon Klagen ein«, sprach Jovian, »aus mehreren der ihm anvertrauten Provinzen. Die Christen . . .« – »Ja, das glaube ich! Sie waren so lange Hammer, daß es ihnen schwerfällt, dies nicht mehr zu sein.« – »Sondern Amboß zu werden«, meinte Jovian. »Das sollen sie nicht. Werden die Klagen zu Anklagen, so laß ich auch meines Lehrers Fehler nicht hingehen.« – »Auf deinen heutigen Sieg über die Christenbischöfe und -priester«, begann Jovian aufs neue, »darfst du dir aber nicht viel zugute tun. Sie kamen ja gar nicht zu Wort.« – »Was? Ich höre sie noch schreien.« – »Arglistig hast du jenes Bekenntnis als Apfel der Zwietracht in ihre Mitte geworfen.« – »Und jedes andere hätte ebenso gewirkt. Das Arianische würde die Katholiken gereizt haben wie das rote Tuch den Stier.« – »Daß sie dir auf deine boshafte Eröffnungsrede nicht erwiderten, ist begreiflich.« – »Ja«, lächelte Serapio, »in Gegenwart des Katers wagen die Mäuse nicht, recht laut zu piepsen. Sie schwiegen – unter der Furcht des Herrn.« – »Das soll ja der Weisheit Anfang sein«, spottete dieser. »Nur des Herrn Julian«, verbesserte Jovian, »nicht des himmlischen Herrn. War auch manch ehrlicher, wackerer Mann unter den heute Versammelten – es fehlte einer, der dir geistig gewachsen war.« – »Oder gar überlegen«, schloß Serapio. »Sollte es das geben?« fragte Julian in gutmütiger Selbstverspottung. Aber sehr ernst blickte Serapio, als er bedächtig erwiderte: »Ich fürchte, ja.« – »Und wer?« forschte der Imperator, nun auch ernst geworden. »Wer ist das?« – »Nun eben: Athanasius.« – »Immer dieser Name! Kennst du ihn denn? Sahst du ihn?« – »Ja, ich kenne seine Schriften – ich las sie, als ich im Perserkrieg pfeilwund lag, viele Wochen lang, zu Amida. Ich kenne auch das meiste von seinen Kämpfen; sie erfüllten gerade damals, als ich im Orient weilte, die ganze römische Welt, zumal das Morgenland. Bisher waren alle seine Kämpfe mit den Ketzern, aber auch mit der Staatsgewalt, Siege!«

»Ja, mit Constantius«, höhnte Julian.

»Und ich hab ihn – damals auf dem Rückweg, in Ephesus – gesehen, eine Predigt von ihm gehört; der Mann ist unvergleichlich und unerreicht. Seine Erscheinung schon, dies von Geist und Tugend verklärte Antlitz, sein ganzes Wesen! Und mehr noch als in seinem Denken – in seinem Willen wurzelt seine Kraft, in seinem Charakter seine Größe: Er ist sittlich noch mehr ein Held als geistig. Ich nannte dich, Julian, den glänzendsten Geist der Zeit, du bist es; aber der größte Geist und der größte Mann der Zeit heißt Athanasius.« – »Hm, dann wundert mich«, spöttelte jener, »daß er dich nicht bekehrt hat zu seinem Glauben.« – »Das ist unmöglich. Die Weltanschauung eines Mannes, der kein Schallrohr ist, muß erlebt, sie kann nicht gelehrt werden.«

Julian hatte einstweilen eine kleine Anwandlung von gekränkter Eitelkeit wacker überwunden. Nicht mehr gereizt, mit überlegener Selbstbelächelung fuhr er nun fort: »Du siehst also wirklich diesen Unbezwungenen, diesen dreizehnten Apostel, wie sie ihn nennen, als auch mir überlegen an? Strafe muß sein! Für diese Majestätsbeleidigung meiner vielgescholtnen Eitelkeit verurteile ich dich dazu, mir genauen Bericht zu erstatten nicht nur über die früheren, dir, wie du sagst, bekannten Kämpfe dieses ›Unsterblichen‹, nein, zumal auch über die neuen Wirren, die vor kurzem in Alexandria ausgebrochen sind, wenn nicht durch ihn verschuldet, doch durch ihn veranlaßt. Artemius, der Dux jener Provinz, erhebt die schwersten Anschuldigungen gegen ihn. Du sollst sie prüfen.« – »Ich? Warum ich, der Barbar, der Gottlose?« – »Ebendeswegen! Du bist der Unbefangenste von uns allen, kannst es sein. Soll ich einen Rechtgläubigen prüfen lassen? Er spricht ihn frei! Einen Arianer? Er verurteilt ihn! Soll ich selbst prüfen? Ich traue meiner eignen Unparteilichkeit nicht! Denn ich will es nur gestehen: Als ich die schweren Anklagen des Dux las, da freute sich etwas tief in meinem Innersten und flüsterte mir zu: ›Wäre doch nur der zehnte Teil begründet! Es würde ausreichen, diesen, wie es scheint, wirklich gefährlichen Feind der Götter mit vollem Recht für immer unschädlich zu machen; nicht hinrichten, wie Artemius dringend verlangt, aber irgendwo, recht weit von seinem Bischofsitz, lebenslänglich einsperren – es wäre sehr erwünscht.‹ Sobald ich mich bei diesem geheimen Wunsch ertappt hatte, beschloß ich, nicht selbst hier zu untersuchen. Ich überweise den Mann seinem (wie wir eben hörten) warmen Bewunderer. Kann ich mehr tun? Und dann schelten die Galiläer auf meine Parteilichkeit wider sie! Und dieser heitre Gregor, Bischof von Nazianz (das ist doch ein ausgesuchtes Scheusal!), beklagt sich in seiner jüngsten Schmähschrift gegen mich, in den gröbsten Schimpfreden, deren die Sprache Pindars fähig ist, daß ich den rechten Glauben nicht mit Gewalt, nur durch List und Künste bekämpfe. Als sie aber Diokletian (ohne alle Künste) köpfen ließ, da wars ihnen auch nicht recht. Was ist ihnen denn recht?«

»Das will ich dir sagen«, erwiderte Serapio, »wenn du's – auch noch heute – noch immer nicht begriffen hast. Recht ist ihnen nur, daß sie die Andersdenkenden, nach Auswahl, bald mit List und Kunst, bald mit dem Henkerbeil bekehren dürfen. Denn – merk es dir – die Kirche ist nicht frei, wenn sie nicht herrscht.« – »Ei«, meinte Julian, »das ist allerdings merkenswert. Eine anziehende Fassung des Begriffs Freiheit!« – »Gerade deshalb«, mahnte Jovian, »um diese dumpf Wütenden zu beschämen, mußt du, o Träger der römischen Gerechtigkeit, auch den Schein der Unterdrückung Andersgesinnter vermeiden.« – »Aber das tu ich ja aus allen Kräften! Ach, wie tief beklag ich es, daß mich von so vielen meiner Untertanen eine solche Kluft im Glauben trennt. Deshalb, um die Kluft mit dem Friedensbogen der Iris zu überbrücken (ein hübsches Bild, nicht?), hab ich in diesen Monaten eine Verteidigungsschrift gegen die Galiläer verfaßt, und zweitens – in den dem Schlaf abgesparten Stunden um Mitternacht – eine Zusammenstellung meiner eignen Lehre, meines Wissens und Glaubens von den Göttern, jener Sätze, die mir Wahrheit sind und die, so hoffe ich zuversichtlich, bald allen meinen Untertanen Wahrheit werden. Ich habe beide hier: Dieser Papyrus enthält meine Lehre, jener dort die Widerlegung der Galiläer.« Ernst begann Serapio: »Laß die Streitschrift liegen, sie ist für mich überflüssig.« – »Und«, sprach Jovian, »für die Christen wird sie wirkungslos bleiben.« – »Aber deine eigne Lehre – nun also abgeschlossen –, die teile uns mit«, bat Serapio. »Nur Bruchstücke kennen wir davon. Laß uns endlich vernehmen, was den Christen das Kreuz, den Juden den Sinai, Lysias seine Volksgötter ersetzen soll. Und nicht bloß Lysias, allen, die noch nicht Christen sind, also dem ganzen Heere, das du aufzubieten hast gegen die Kirche. Bitte, beginne! Es wird – nach dem Tag bei Straßburg – die wichtigste Erfahrung meines Lebens. Damals hast du gesiegt . . .« – »Und siegen werd ich heute! Hilf dazu, unbesiegter Helios!« rief Julian leuchtenden Auges, ergriff den einen Papyrus und begann, teils zu lesen, teils frei vorzutragen. Aufmerksam lauschten die beiden Freunde.

 


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