Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Fünftes Kapitel

Endlich war der Abend auch des zweiten Pfingstfeiertages vorüber.

Mit Bewunderung hatte Julian zu dem Abte Konon emporgeblickt, der, ohne einen Bissen, ohne einen Tropfen Wein zu genießen, in allen diesen Tagen unermüdet der schweren Pflichten seines Amtes gewaltet hatte in Messe lesen, Predigten halten, Beichte hören, Psallieren, Umzüge führen, Pilger empfangen, ihre Wünsche und Fragen anhören, erledigen und beantworten. Und wann nun die andern Geistlichen, ermüdet, das Lager suchten, dann brannte noch die einsame Ampel hoch in dem turmähnlichen Söller des obersten Stockwerks, wo der Abt dem Gebet, der Buße, der Forschung oblag. Und wann, lange nach Mitternacht, Julian wieder erwachte, noch immer glühte da oben die Ampel, eine stille Bezeugerin des Fleißes, der Frömmigkeit, der Kasteiung.

Bald nach Mitternacht des Pfingstmontages ward Julian geweckt durch einen Luftzug, der über sein Strohlager auf dem Mosaikestrich hinstrich. Die schmale Tür seiner schmalen Zelle war halb geöffnet. In dem bleichen Licht des Mondes, das durch die ein Fenster ersetzende Luke – hoch oben in der Mauer – hereinfiel, sah er eine dunkle Gestalt regungslos auf der Schwelle stehen. Der junge Mönch erschrak bis ins tiefste Herz hinein. Unter nagenden Zweifeln, unter bohrenden Gewissensqualen war er endlich gegen Mitternacht eingeschlafen.

»Hebe dich von hinnen«, flüsterte er jetzt, und kalter Schweiß trat ihm auf die Stirn, »im Namen des dreieinigen Gottes – weiche, Versucher, wie immer du heißest: Satanas oder Lucifer oder . . .«

»Lysias«, tönte es da ebenso leise von der Tür her. »Steh auf und folge mir. Aber still!« Schon stand Julian hinter ihm auf der Schwelle. Nun schritt er barfuß über die kalten Marmorplatten des langen Klosterganges. Den Jüngling fror.

Geräuschlos schloß Lysias die schwere Eisentüre des Ganges auf. Sie waren im Garten. Der Führer eilte auf dessen Gittertor zu. »Das Kloster verlassen? Zur Nacht?« stammelte Julian. »Wohin?« – »Zum Abt!« und Lysias schob den Riegel zurück.

»Der Abt? Da – hinter uns – hoch oben leuchtet seine Lampe, einem schönen Sterne gleich. Seine Zelle ist . . .« – »Leer. Folge!« Nun ging es rasch hinein in das Olivenwäldchen, das sich vom Kloster gegen die Vorhügel des Gebirges hinzog. Alles still und einsam. Der Mond ward hin und wieder von ziehenden Wolken verdeckt.

Plötzlich schreckte der Jüngling zusammen, ein verhaltener Schrei entfuhr ihm. Er griff mit beiden Händen nach dem Kopf. »Was war das? Was huschte über mein Haar? Ein Dämon!« – »Nein. Eine Eule. Der Vogel Athenas . . . will sagen«, verbesserte er rasch, »der Weisheit. Ein gutes Wahrzeichen! Du bist auf dem Wege zur Erkenntnis. Vorwärts!«

Noch eine gute Strecke führte Lysias in den nun dichteren Wald hinein; er hatte alsbald den breiten Weg der alten Legionenstraße nach Tarsus verlassen und einen kaum wahrnehmbaren Steig seitab durch dichtes Gestrüpp eingeschlagen. Nur mit Mühe konnte Julian folgen. Die scharfen Zweige der manneshohen Dornbüsche schlugen ihm ins Gesicht, daß seine Wangen bluteten, und rissen Löcher in seine Kutte. Nun standen sie vor einem hoch in die Nachtluft ragenden Bau stolzer Halbbogen. Es war die Wasserleitung, die in besseren Tagen Roms ein Imperator – Hadrian – erbaut hatte; aber lange schon war sie verfallen. Große Steinplatten lagen auf der Erde, von Moos, von Steinbrech überwachsen. Lysias bückte sich und tastete suchend unter den Trümmern umher. Endlich griff er in die eiserne Handhabe einer gewaltigen Marmorplatte, die einem Brunnendeckel glich. Er wandte sich. Julian bog atemlos das Antlitz vor: »Jetzt schweige, was du auch sehen magst, keinen Laut! Oder wir sind beide des Todes!« Er schob nun mit Anstrengung die Platte zur Seite. Eine Schlange huschte, aufgeschreckt, mit Zischen davon. Ein paar Stufen wurden sichtbar. Lysias schritt einige dieser Staffeln hinab. Er winkte dem Jüngling, zu folgen. Sie standen jetzt auf der aus Ziegelsteinen gemauerten Wölbung eines unterirdischen, kellerähnlichen Raumes, aus welchem verworrenes Geräusch bis zu ihnen empordrang. Lysias kniete nieder, beugte das Antlitz und lugte durch einen schmalen Spalt in der Steinwölbung in die Tiefe, die offenbar früher das Wasserbecken für die Leitung gebildet hatte; aber jetzt mußte die ehemalige Brunnenstube trocken sein, denn durch den Spalt glänzte aus der Tiefe ein matter Lichtschimmer herauf.

Lysias nickte befriedigt, erhob sich, Platz zu schaffen, und wies Julian mit dem Zeigefinger die Ritze in dem Gestein. Der drückte nun das Gesicht darauf. Sofort wollte er zurückschnellen. Aber mit eiserner Faust zwang ihm der Priester den Nacken nieder.

Und Julian sah, mußte sehen! Er schloß das Auge. Allein nun vernahm er auch Worte! Und jetzt – unwillkürlich – spähte er auch wieder hinab. Da saßen und lagen in dem kreisrunden Becken bei dem Scheine von Ampeln und Fackeln auf weichen Polstern und Teppichen Konon der Abt mit etwa sechs seiner Mönche und ebensovielen der Pilger und Einsiedler, die Julian der Pförtner als Pfingstgäste eingelassen hatte. Zwischen ihnen aber, die Häupter an ihre Knie geschmiegt, ruhten etwa ebenso viele Mädchen und Weiber aus der nahen Stadt in schamloser Tracht. Der Abt wiegte auf seinem Schoß die üppige Fischerdirne. Vor ihm, auf dem Teppich, wälzte sich, sinnlos betrunken, nackt bis auf den Lendengürtel, Theodoret der junge Mönch. Lallend hielt er die leere Schale zu der Vollbusigen empor, die ihm laut lachend aus goldnem Krug einschenkte.

»Siehst du, Leaena«, begann der Abt mit schwerer Zunge, »was der Junge, der Theodoret, für weiße Glieder hat? Er ist schöner als du. Er wird dich ablösen in meiner Gunst, wie Ganymed bei Vater Zeus Frau Hera verdrängt hat. Ich merkte es schon, als ich ihn geißelte. Ich dachte nicht damals, als ich ihn so hart züchtigte . . .« – »Aus eitel Eifersucht!« höhnte Leaena. – »Daß er so bald unseres Vertrauens sich würde wert erweisen. Ja, ja, Knabenschöne geht über Mädchenschöne.« – »Nicht immer«, lachte die Schwarzlockige. »Nicht vielen weich ich. Nicht viele Jünglinge sind so schön. Zum Beispiel, sieht nicht der hagere Imperatorsvetter aus wie ein kranker Ziegenbock?« Schallendes Gelächter antwortete ihr, untermischt mit den Rufen: »Der Grübler!« – »Der Dummkopf!« – »Der fromme Narr!« – »Ich trug ihm auf«, fuhr der Abt fort, »heute bis Mitternacht für mein Seelenheil zu beten. Er ist grenzenlos einfältig. Reiche den schweren Wein hervor, dort aus dem Erdloche! Schenkt ein! Wir können nicht mehr warten.« »Auf wen?« fragte einer der Klostergäste. »Nun, auf den einzigen, der heute fehlt, auf Lysias! – Horch! Was war das? Da oben? Was fiel da?« »Nichts! Ein Stein bröckelte aus der Decke!« antwortete Leaena. Aber es war Julian gewesen, der, mit halbersticktem Schrei, ohnmächtig mit dem Antlitz auf das Gewölbe niedergestürzt war.

 


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