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In dem Dorfe Daphne angelangt, fanden die Helfer unsägliche Verwirrung. Viele Tausende von Menschen, Einwohner, Festgäste, Priester, Tempeldiener, Wagenlenker und Ringkämpfer der Olympischen Spiele. Männer, Weiber, Kinder, alles wogte ratlos, hilflos durcheinander. Denn alle erkannten die Ohnmacht der Menschenhand gegenüber dem entfesselten Element.
»Was brennt?« wiederholte Julian, aus dem Sattel springend. »Alles, o Herr!« antwortete ein greiser Priester und raufte sein weißes Haar. »Alles! Der Tempel! Die Tempelhäuser! Das Dorf! Der Garten! Der Hain! Der Wald! Das Stadion! Alles! Der Westwind hat vom Tempel aus die Flammen überall hingetragen.« – »Wo ist Artemidor?« – »Man sah ihn zuletzt da oben vor dem Tempel.« – »Den Tempel allein rettet! Rasch! Bildet eine Kette! Mann an Mann! Zurück, Weiber! Holt Gefäße, Amphoren, Eimer aus den Häusern! Ordnet euch, ihr Männer, von hier bis an den Bach zur Rechten! Und ihr bis an den Teich zur Linken! Meine Leibwächter zunächst am Feuer! So! Reicht euch von Hand zu Hand das Wasser!« – »Halt, Herr, spring zur Seite!« rief Hippokrenikos, ihn an der Schulter fortziehend. »Was war das?« – »Die Pferde! Die Rennpferde aus dem Stadion! Sie haben sich losgerissen! Da! Da jagen sie geradewegs in das Feuer, in das brennende Haus!« – »Oh, die herrlichen Tiere! Helft ihnen doch!« rief Ekkard.
»Laßt sie! Laßt alles brennen! Nur den Tempel rettet! Folgt mir! In den Tempel!« – »Herr, das ist unmöglich. Die Hitze ist zu groß!« – »Und der Rauch!« – »Und die stürzenden Dachbalken!« – »Unmöglich!« – »Es muß möglich sein! Folgt mir, ihr meine Germanen! Mir nach! Wir retten den Gott!«
Während sich die mutige Schar nur mühsam Bahn brach durch die tatenlose, zwecklos hin und her wogende Menge, die zwischen dem Dorf und dem Tempelhügel sich gestaut hatte, erfuhr sie im Vordringen aus dem Gerede des Volkes, wie der Brand entstanden war, oder doch, was die Leute davon meinten. Von dem Innersten des Tempels selbst, von der Cella, schien das Feuer ausgegangen. Reichste Nahrung hatte es hier gefunden in den Vorhängen, den Wandteppichen des Innenraums, und besonders draußen in den zahlreichen, für die Zuschauer aufgeschlagenen Gerüsten aus trockenem Tannenholz, die mit Decken und Tüchern behangen, geschmückt und verhüllt, von dem Innern des Tempels, den Hügel herab zu allen Nebengebäuden bis in das Dorf und durch den Garten bis in das Stadion führten. Der heftige Westwind hatte die Flammen, sowie sie aus den offenen Fenstern des Tempels schlugen, unaufhaltsam die ununterbrochene Reihe von dünnen Latten, von Wolle und Brettern entlang gejagt, nach Osten zu, in die Häuser des Tempels, des Dorfes und darüber hinaus in den entlaubten, von der Sommerhitze getrockneten Wald.
Hier flutete das Wasser in Fülle, aber es hatte gefehlt an Eimern, an Händen, an Ordnung in dem führerlosen Haufen der Einheimischen und der Fremden. Denn Artemidor war bei dem ersten Feuerschein im Innern des Tempels verschwunden und nach den Aussagen aller nicht mehr zum Vorschein gekommen.
Endlich hatten Julian und seine Schar den Hügel erstiegen und die weit offenstehende Flügeltüre des Tempels erreicht. Furchtbare Glut und erstickender Qualm schlugen ihnen daraus entgegen. Die Mutigsten bebten zurück; der alte Voconius rief zurücktaumelnd: »Das ist die Hölle der Christen!« – »Auch aus der Hölle hol ich den Gott! Mir nach!« Und durch Rauch und Brand sprang Julian voran über die Schwelle. Da blieb keiner zurück, alle folgten. Mit größter Anstrengung gelangten sie bis in die Cella. Hier begrüßte sie, anscheinend unversehrt und hoch über Qualm und Glut hinausragend, das Bild des schönen Gottes.
»Helft! Faßt alle an! Wir tragen den Gott hinaus. Es muß sein!« Damit trat Julian an das Gestell heran. Sein Fuß stieß an einen Menschenleib. Er bückte sich. »Artemidor!« rief er und riß den vom Rauch Halberstickten auf, der mit beiden Armen die Füße des Gottes umklammert hatte, sein Haar war versengt, sein Gesicht schwarz vom Rauch.
»Tragt ihn an die Luft! Lehnt ihn an das Fenster dort! – Und ihr andern faßt alle mit an! Ah, was seh ich! Das hat das Feuer nicht getan! Ein Beilhieb hat des Gottes rechten Arm, hat die Hand mit der Schale glatt vom Leibe geschlagen! Da liegt sie! Hebt dies Beweisstück auf! Die Galiläer! – Faßt mit an, alle!«
Einstweilen hatte sich der Betäubte unter dem kühlen Windhauch erholt. Er blickte, noch halb bewußtlos, um sich; er sah, wie es den vereinten Kräften der dreißig Männer gelungen war, die Bildsäule von dem Fußgestell zu heben und sie langsam, Schritt um Schritt, dem Ausgang entgegenzutragen. »Der Gott ist gerettet!« sprach er vor sich hin. »Dort steht Julian selbst . . . Jetzt darf ich . . . ins Freie.« Da schlug aus dem an die Cella stoßenden Wohngemach ein leises Wimmern an sein Ohr. »Was ist das?« rief er. »O Entsetzen! Hier . . . hier schlief Erigone. – Wehe!« Und er riß den Riegel von der Seitentür, öffnete und sprang in den bei diesem Luftzug hoch aufflammenden Raum.
Einstweilen hatten Julian und die übrigen Träger der viele Zentner schweren Bildsäule die unteren Stufen vor dem Tempel erreicht, wo die Hitze nicht mehr das Verweilen unmöglich machte. »Halt!« keuchte Julian, der das Haupt der Statue gefaßt hatte. »Ich kann nicht mehr. Legt nieder! Hier ist der Gott vorläufig in Sicherheit.« Die Erschöpften ließen nun langsam ihre Last sinken.
Da drängte schon, fern der Gefahr, die dichte Menge der Gaffenden wieder heran. Der Schreck, die Furcht wichen hier bereits wieder anderen Stimmungen. Es erschollen feindliche, drohende Rufe: »Laßt ihn nicht durch! Seht! Da kniet er neben seinem Götzen. Der ist ja verstümmelt, so ist's recht! Laßt ihn nicht fort.« – »Er verbrenne samt seinem Dämon.« Und drohend wogten die Haufen heran. Serapio zog das Schwert; da wichen sie ein wenig zurück.
In diesem Augenblick ertönte von der Türe des Tempels ein lauter Schrei: »Zu Hilfe! Hilf, mein Vater Julian! Ich kann nicht mehr!« In dem Eingang zwischen den beiden Flügeltüren ward, in Rauch und Flammen, die Gestalt Artemidors sichtbar, der ein weißgekleidetes Weib auf dem rechten Arm trug und mit der Linken sich nach vorne tastete, vom Flammenschein geblendet, den Weg durch den dichten Qualm nicht mehr erkennend.
Julian wandte sich. Sigiboto, Ekkard, Sigibrand wollten, dem Wankenden entgegen, die Stufen hinanspringen. Da! Ein Schlag, furchtbar, donnergleich: Der riesige Querbalken über der Eingangstür, längst von den Flammen durchfressen, stürzte laut krachend herunter; er zerschmetterte den Jüngling und seine schöne Last. Funken und Flammen und prasselnde Lohe schlugen hoch empor und erfüllten undurchdringbar, selbst für den Blick, die ganze Öffnung des Tempels. »O Artemidor, mein Sohn!« wehklagte Julian verzweiflungsvoll. »Und die Braut! Und mein Schönheitstraum! Alles, alles dahin!« Und er hob, unverwandt nach der flammenden Pforte blickend, verzweiflungsvoll beide Arme gegen den Himmel.
In diesem Augenblick sprang aus dem dichten Haufen des wieder herandrängenden Volkes eine vermummte dunkle Gestalt, ein Mensch mit Zügen, die, von allen Leidenschaften verzerrt, in dem rotflackernden Schein der Flammen wahnsinnig, vielmehr teuflisch aussahen; und mit dem gellenden Schrei: »Das schickt dir Kloster Hagion«, führte er mit aller Macht einen Dolchstoß gegen das Herz Julians. Die scharfe Klinge durchschnitt das Tuch von Mantel und Tunika, aber sie brach an dem guten Panzer.
Und schon lag der Mörder am Boden, schwer von Serapios blitzendem Schwert getroffen, der auf seiner Brust kniete. Nun trat auch Julian heran und beugte sich über den Sterbenden: »Ich kenne ihn nicht.«
»Aber ich . . . ich kenne dich: Dämon des Abgrunds! Lucifer . . . Höllengeist! Der du, wie du alles Heilige auf Erden zerstören willst, das heilige Kloster zerstört hast! – Ich entsprang deinen Schergen! Die Heiligen erschienen mir, Verzeihung verhießen sie all meinen Sünden, ach, der vielen im Kloster! Wenn ich diesen Götzenhain verbrenne und dich zurücksende zur Hölle, aus der du aufgestiegen! Fluch dir, Fluch – Lucifer! Nehmt ihn statt meiner, ihr Teufel.« Mit letzter, ohnmächtiger Anstrengung warf er den Dolchstumpf gegen Julian. Dann röchelte er schwer und war tot.
»Wer war das?« forschten viele Stimmen zugleich aus der Menge. Julian schlug den Mantel des Toten zurück, dessen Kapuze das Haupt bedeckte. Ein weißgraues Mönchsgewand ward darunter sichtbar, im Gürtelstrick stak links ein Kruzifix, rechts ein kurzes Handbeil. »Wer war das?« wiederholte Serapion. Julian wies auf die Tonsur des Toten. »Ein Priester des Herrn«, sprach er scharf und laut zu den Antiochenern hin, »des Gottes der Liebe, ein Mönch, Theodoretos. Und ein Lustknabe war er gewesen früher, von andern Priestern des Herrn an Leib und Seele geschändet und verdorben.« – »Werft den Greuel vor den keuschen Göttern auf den Schindanger«, rief Sigiboto herantretend und ihn mit dem Fuße zur Seite stoßend.
»Nein!« gebot Julian. »Begrabt den Armen ehrbar. Nicht er hat seine Scheußlichkeit verschuldet. Unnatur muß Unnatur, muß Laster und Verbrechen gebären. Er hat sich offenbar in dem Tempel einschließen lassen und ihn angezündet. Seine Hand – sein Beil – hat den schönen Gott verstümmelt!«
Da bahnte sich durch die Leibwächter mit wilden Rufen ein Mann in der Tracht der Apollopriester den Weg. Er faßte ungestüm Julians Arm; er fand keine Worte vor Erregung. »Du bist's, Lysias! Wie du aussiehst! Was willst du?« – »Was ich will? – Ich und die geschändeten Götter? Rache! Rache an den Christen! Willst du sie nun noch schonen? Strafe sie alle! Denn alle sind sie schuldig.« – »Nicht doch, Lysias! Der Haß verblendet dich, du rast! Nur die Kirche ist schuldig! Und die Kirche, in welcher dieser Irre wochenlang die Tat vorverkündet, angepriesen hat, die Hauptkirche von Antiochia, sie wird geschlossen.«
Drohendes Murren scholl aus den Volkshaufen.
»Und sie bleibt geschlossen, bis auf Kosten der Galiläergemeinde der Stadt, dieser Tempel, dieser Hain, alle zerstörten Götterbilder wiederhergestellt sind. – Ach, den Toten, der so viel des Herrlichen hier geschaffen hat, ihn kann nichts mir wiedergeben. Holt, sobald es sicher geschehen kann, das Paar – (o mein symbolisch Brautpaar!) – aus dem Schutt. Die Verbrennung der Reste werd ich selbst leiten. Leb wohl, mein schöner Sohn, mein Liebling! Wir sehen uns wieder auf einem Sterne, der das Häßliche nicht kennt. – Ihr aber, meine Germanen, ihr haltet abwechselnd hier Wache, um wenigstens die Trümmer des Heiligtums vor Schändung und Durchplünderung durch die Galiläer zu bewahren. – Du behältst recht, Serapio: Wieder einmal hat auf Erden das Scheußliche gesiegt. Oh, wer schon entschweben dürfte in die reinen Sterne!«
Der Befehl Julians, das Zerstörte wiederherzustellen, blieb unausgeführt. Nie wieder ist Daphne, das schöne Heiligtum der Schönheit, aus den Flammen jener Nacht erstanden. Den »Erneuerer der Götter« riß alsbald sein Schicksal weiter, fort aus der knirschenden Stadt, tief nach Asien und in den Perserkrieg hinein.