Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Neunundzwanzigstes Kapitel

Denn nicht nur die Perser hatten den Imperator in diesen letzten Zeiten beschäftigt. Serapio, dessen Auge wie kaum ein anderes in der Seele des Freundes zu lesen verstand, beobachtete, daß in all der ernsten Gedankenarbeit und der Schwermut des Witwers zuweilen ein mattes Lächeln Julians bleiche Züge belebte, wenn sein Blick auf Jovian, diesem unbemerkt, verweilte; er nickte dann wohl leise vor sich hin mit dem Ausdruck geheimer Befriedigung. Einmal erlaubte sich der Franke, in beider Gegenwart seine Wahrnehmung auszusprechen: »Gib acht, Jovian«, meinte er, »dir steht irgend etwas bevor. Eine Überraschung. Eine Freude. So – mit diesem Glanz der Augen – sieht der Tyrann nur auf Menschen, die er zu beglücken gedenkt.« Julian horchte hoch auf und sah gespannt auf den Magister Militum. »So ist mir wohl der Befehl über die Reiter der Vorhut zugedacht«, sprach Jovian ruhig. »Das wäre mir die größte Freude.« – »O du Heuchler«, lächelte Julian, ihn auf die Schulter schlagend. »Nur Perserhelme also schauest du, wenn du mit geschlossenen Augen, aber wachend, vor dich hin seufzest nachts auf dem Feldbett unseres Zeltes? Glaub ihm nicht, Bataver! Phöbos Apollo, der Allsehende, deckt mir noch ganz andere Geheimnisse auf als des Perserkönigs Kriegspläne.« Und beide Freunde bemerkten, daß der Imperator geheime Boten in den Westen, nach Europa sandte, geheime Nachrichten von dort empfing, die offenbar mit dem Feldzug und mit der Reichsregierung nichts zu tun hatten. Der Aufenthalt in Circesium dauerte geraume Zeit. Auf geheimen Befehl des Imperators war in dem abgeschlossenen Hain um den Palast her schon viele Tage emsig gearbeitet worden. Nur Vertraute hatten Zutritt. In diesen Hain beschied auf den folgenden Morgen Julian Jovianus, Serapion und alle Vornehmen des Hofes und des Heeres, sowie die Priester der auch hier in großer Zahl neu errichteten Altäre. Alsbald trat aus einer geräumigen Grotte des Götterhaines – der Juno Pronuba war er geweiht – der Augustus, nicht im Philosophen- oder im Kriegergewand; im Purpur und im imperatorischen Schmuck führte er an der Hand eine schlanke Jungfrau, deren Züge der weiße Brautschleier völlig verhüllte. Ein reiches Gefolge von vornehmen Frauen und Mädchen der Stadt, vor allem aber von Priesterinnen gebildet, schritt dicht dahinter. Zu ihren süßen Gesängen erscholl aus den bergenden Gebüschen der zärtliche Ton der Flöten.

Serapio hatte einstweilen Jovian vor das auf dem Altar lodernde Feuer geschoben. Julian trat mit der Verschleierten vor den Altar und begann mit seinem liebenswürdigen Lächeln: »Gott Helios, der Alldurchschauer, begnadet zuweilen mich, seinen Priester und treuesten Verehrer, mit einem leichten Strahle seines durchdringenden Auges. So hab ich mit Freuden schon lang ein zartes Geheimnis entdeckt, das sich in zwei jungen Herzen schämig vor dem Lichte, vor sich selbst verbarg. Früher, bis die Götter in unblutigem Entscheiden ihren Schützling (und, wenn es gestattet ist zu sagen, ihren Schützer) Julian auf den Thron erhoben, standen der Erfüllung dieses Sehnens unübersteigliche Schranken entgegen. Die Schranken sind gefallen durch die Götter und Julian. Freund Jovian, hier entschleiere ich vor dir und diesen Zeugen das Geheimnis deines Herzens: Sieh hier, Juliana, meine schöne Schwester, steht vor dir. Hier, nimm sie hin. Längst hab ich eure Neigung entdeckt, das war leichter als ein Alemannensieg. Es ist mir dieser Bund nicht nur eine warme Herzensfreude, er ist mir, wie alles, was für mich Wert haben soll im Leben, ein heiliges Sinnbild. Die geliebte Schwester war – durch aller Einflüsse (höchst verehrungswürdige!) – fast schon für die finsteren, weltfeindlichen Lehren des Galiläers, für die Gräber zurückgewonnen gewesen von den Tempeln hinweg, aber meinen Briefen gelang es, und noch mehr wohl der Liebe zu diesem Jovianus da – (der nie das freie, stolze Römerhaupt dem bekreuzten Wasser in der Taufe gebeugt hatte) –, sie wieder für das Leben und die Freude zu gewinnen. Das junge Paar, der Bräutigam, der den Göttern nie ungetreu geworden, die Braut, Aphroditen zurückgewonnen, sollen den Ehebund im Sinne von Zeus und Hera erneuern. Daher steht hier vor euch der Altar des Zeus des Herdes und der Juno Pronuba, festlich bekränzt. Ergreift beide gemeinsam jene goldene Schale voll indischen Weihrauchs, opfert Hymen und allen großen Göttern und seid glücklich vermählt.«

Brausender Beifallsjubel der Priester, der Priesterinnen, des ganzen Volkes fiel hier ein. Ein Priester des Zeus, eine Priesterin der Hera zusammen reichten dem Brautpaar die duftende Schale. Aber, unabhängig voneinander, gleichzeitig, stießen Jovian und Juliana das Gefäß von sich, daß der kostbare Staub auf den Rasen flog, und Juliana sprach: »Vergib, hoher Bruder, ich kann nicht opfern! – Reuig bin ich zu Christus zurückgekehrt.«

Und Jovianus rief: »Verzeih, o Imperator, ich darf nicht opfern, denn ich bin Christ. Gestern ward ich getauft.« Dumpfes, staunendes, grollendes Gemurmel scholl durch die Menge. Julian ward bleich bis in die Lippen, vor Schmerz und Zorn: »Heimlich! Hinter meinem Rücken! Beide! Und solcher Schmach setzt ihr mich – (nein, die Götter!) – aus vor allem Volk?« – »Ich bin erst heute nacht gelandet, wie du weißt, o Bruder. Ich habe dich noch nicht sprechen können. Deine Güte führte mich überraschend vor diesen Altar . . .« – »Und wer hat dich bekehrt?« – »Die Mutter, Johannes, und des Geliebten Briefe.« – »Johannes – der Schleicher! Ich seh ihn geschäftig hin und her laufen! Und du, mein Freund, mein Pollux, weshalb hast du deinen Kastor verlassen? Wer hat dich mir entrissen?« – »Der Geliebten Briefe und das viele, viele Ernste, was ich in diesen Jahren ertragen mußte. Der Verzicht auf sie, auf alles Glück der Erde, und zumal die Erfahrungen dieser letzten Monate, die Verfolgung der Christen, die ich durchforschen mußte, all das hat mich zum Christen gemacht.« – »Wahnsinnige!« rief Julian in tiefem Schmerz, aber auch in heftigem Zorn. »Und ihr konntet nicht einmal«, flüsterte er knirschend, »mir solche öffentliche Beschämung zu ersparen, ein paar Körner Weihrauch opfern?« – »Die Wahrheit verleugnen, die Überzeugung?« rief Jovian. »Lügen?« fragte die Jungfrau. »Scheintaten um der Menschen willen?« zürnte jener. »Nein, o Bruder! Nicht also lehrt die Schrift.« Julian biß sich auf die Lippen. Nach einer Weile sprach er laut: »Ihr Senatoren von Circesium, ihr Feldherren, edle Matronen und Jungfrauen, Priester und Priesterinnen ihr der tief gekränkten Götter! Ihr glaubt nun wohl, mein tief verwundetes Herz werde jetzt diese beiden Verblendeten zur Strafe trennen, obwohl«, lachte er bitter, »der Glaube sie ja jetzt sowenig trennt wie nach meiner Absicht. Aber nein! Ich bin kein Galiläerpriester, der die Herzen verschmachten läßt, wenn er nur seinen Glauben siegen sieht. Schwester, geliebte, schöne, für immer verlorene Schwester, teurer Freund Jovian, ihr habt mich so tief ins Herz getroffen wie kein Mensch vor euch! Aber ich liebe euch noch immer treu, ihr Betörten. Wohlan denn«, er atmete tief, »es wird mir nicht leicht. Aber . . . schreitet von dem verschmähten Altare Hymens fort in die nächste Basilika, schließt dort euren Ehebund nach dem Gebrauch der Kirche und laßt euch trauen von dem Bischof. Mich – meine Anwesenheit – braucht ihr ja nicht dazu.« – »Vergib, o Bruder! Du bist sehr – sehr gut. Aber . . . ich kann nicht.« – »Liebst du mich nicht mehr, Juliana?« fragte traurig Jovian. »Von ganzer Seele. Aber . . . ich kann nicht.« – »Und weshalb nicht?« grollte der Imperator. »Die Mutter – Johannes . . . sie drangen in mich. Deine Grausamkeit gegen die Christen . . . deine Verfolgung des Glaubens . . .« – »O hört es, ihr Götter!«

»Haben dein Seelenheil auf das furchtbarste gefährdet. Du bist verloren für ewig, rettet dich nicht die Fürbitte der Heiligen, fromme Tat und Gebet und Gelübde der Menschen! Und so . . . so habe ich – wie die Mutter, deine Seele zu erlösen, nach Rom und nach Jerusalem gepilgert ist – so habe ich, um deiner Seele willen, das Gelübde der Ehelosigkeit geleistet.« – »Irrsinniger Glaube!« schrie Julianus außer sich. Und auch Jovianus seufzte: »O Juliana, das ist . . . sehr hart!« Der Imperator suchte sich zu fassen. Er kämpfte schwer mit sich. »Das«, brachte er hervor, »das ist zuviel. Zu heiß brennt diese Wunde. Seit Helenas Tod hat nichts – hat auch nicht der Brand von Daphne – so geschmerzt. Du, geliebte Mutter! – Jovian! – Die Schwester eine Nonne! Treulos abgefallen all meine Liebsten! – Aber nein! Das werde ich nicht dulden! Juliana, dein Gelübde. Ich zerreiß es. Du selbst wirst es zurücknehmen!« – »Das hoffe nicht!« sprach Juliana, sich hoch aufrichtend. »Niemals. Denn wisse: Ich wäre doch vielleicht deinen Lockungen verfallen geblieben, sie sind sehr herzbetörend, und ich hab dich lieb, großer Bruder, und auch . . . ihn. Aber da sandte mir Gott, der Herr, den Gewaltigsten seiner Boten! Wer einmal dessen Wort von Christus gelauscht hat, der läßt von Christus nimmermehr.« Die Zornfalte furchte tief des Imperators bleiche Stirn, als er, böser Ahnungen voll, mit heiserer Stimme forschte: »Und wer . . . wer ist dieser neue Apostel? Doch nicht . . . nur nicht er?« Er sah grimmig auf die Schwester. Aber diese sprach, die schönen dunklen Augen voll aufschlagend, ohne Furcht: »Du ahnst richtig: Athanasius!« – »Ah!« rief Julian, »bei allen Schrecken des Tartarus! Dieser Mann ist ein großer Frevler. Er raubt mir Mutter, Schwester, Freund. Die Mutter verschwindet plötzlich aus Jerusalem auf lange Zeit! Endlich melden meine Boten, die sie in meinem ganzen Reiche suchen: In Gewissensangst entfloh sie aus Jerusalem nach Ägypten zu Athanasius und hält sich dort verborgen.« – »Und von da reiste der Große, der Unermüdliche, um der Angst der Mutter für mich abzuhelfen, um meine geringe Seele zu retten, bis zu mir in die Nähe von Byzanz, an jenen mir tief verhaßten Ort . . .« – »Er hat dich dort gesehen, gesprochen? Er hat es gewagt – (jedem Galiläerpriester, der sich in eine meiner Priesterinnenschulen begibt, droht schwerste Strafe!) –, einzudringen in die den Göttern geweihten Räume? Und eben dort, unter den Augen der Göttinnen Aphrodite und Hera und ihrer Priesterinnen, dort hat er . . .« – »Meine junge Seele zurückerobert für Christus den Herrn. Er sagte, er tauche in die trübe, grundschmutzige See, eine Perle zu retten vor Befleckung. Mir graut vor diesen Festen der Aphrodite!« – »So? Graut dir? Warte, du sollst . . .« – »Ahntest du, o reiner Bruder, was, unter dem Anschein heiliger Weihen, die Priester dort mit den Priesterinnen treiben! In einer unterirdischen Höhle – nachts – kommen sie zusammen . . .« Julian erblaßte. »Schweig vor dem Volk! Wehe, wehe«, sprach er leise zu Serapion. »Auch hier Dinge wie bei Abt Konon und Theodoret? Und – o ihr heiligen Götter! Unter meiner Herrschaft konnte solches geschehen! Ich, ich habe«, sprach er laut, »Mißbräuche abzustellen, nicht der kecke Priester. – Er soll der gesetzlichen Strafe nicht entgehen, der mir an heiliger Stätte die Schwester geraubt. Ich lud ihn längst – wegen anderer Frevel – zur Verantwortung, aber er ist nicht vor mir erschienen und doch längst verschwunden aus Alexandria, niemand weiß, wohin. Sein böses Gewissen scheut seinen Richter.« – »Du irrst. Schon morgen hoff ich ihn wiederzusehen.«

»Wo?« – »Hier. Er reist dir schon lange nach aus Ägypten. Er schrieb zuletzt aus Thapsakus, die Stunde sei gekommen, die Wolken ballen sich zusammen um dein Haupt; bald werde er hier eintreffen. O teurer, teurer Bruder, von dem mein sündig Herz noch immer nicht lassen kann – höre auf mein Flehen.« Sie trat ganze nahe und flüsterte: »Laß dich nicht öffentlich – nicht vor dem Volk! – ein auf einen Streit, auf einen Kampf der Geister mit diesem Mann. Ich weiß – ich hab es oft gedacht, als ich deine Briefe, deine Reden las –, du bist der stärkste Geist unserer Tage, stärker als alle, aber – bei Gott – nicht so stark wie dieser Mann; denn ihn erfüllt der heilige Geist Gottes.« – »So? So meinst du?« Furchtbar, drohend stieg ein Gewitter des Zorns auf in Julian. »Laß ab«, mahnte Jovian leise die Geliebte. »Schweig, hohe Jungfrau«, warnte ebenso Serapio. »Du reizest ihn immer heftiger.« Aber begeistert für den Erretter ihrer Seele, besorgt um den Bruder, sprach das schöne Mädchen immer eifriger und mit leuchtenden Augen: »Sprich im geheimen mit ihm! – Verantworte dich! Laß dich belehren! – Aber wag es nicht – ich bitte! –, dich öffentlich mit ihm zu messen. Du bist rettungslos vor allem Volk verloren! Er schlägt dich, wie du die Alemannen schlugst.« – »Ah, ah, ah! Das ist zuviel«, rief er, in wilde Wut ausbrechend, »von der einst so zärtlich geliebten Schwester! Abscheulich! – Nein, bei dem Gott des siegenden Lichtes – nun erst recht! – Aber«, so schloß er finster, »du, Entartete, du sollst ihn nie mehr schauen, den heißverehrten Betörer, nie mehr seine Stimme hören. – Ihr Matronen, ihr Priesterinnen der Hera, herbei! Werft die Kränze, die bräutlichen Fackeln weg! Ergreift diese Verführte und geleitet sie augenblicklich in die Weiheschule der Vestalinnen, die ich hier erneuert habe. Ich kenne sie genau, ich habe sie erst gestern geprüft . . . sie ist streng, aber sittenrein. Dort bleibt sie, unter schärfster Zucht und Aufsicht der Vestalinnen, bis die Götter ihr betörtes Herz erweicht haben.« – »Mein Imperator«, rief Jovianus, heftig vortretend, »Julian – das wirst du nicht . . .« Blitzschnell fuhr der herum und herrschte ihn an: »Schweig, Galiläer! Wie lauten sie doch, eure scheinheiligen Heuchlerworte? ›Jedermann sei Untertan der Obrigkeit.‹ Ich bin ihre Obrigkeit und die deine, Magister Militum. – Führt die Törin fort! Rasch aus meinen Augen! – Ihr aber, Domestici des Palastes, ladet auf morgen das ganze Heer und Volk, Männer und Frauen, zumal die Großen des Palastes und des Lagers, die galiläischen Bischöfe und Priester – hört ihr? Vergeßt mir keinen unter diesen! Dann alle Priester und Priesterinnen der Götter, um die Stunde des Sonnenuntergangs, in meinen Palast im Platanenhain vor der Stadt. Alle, soweit Platz ist, sollen meine willkommenen Zeugen sein, Zeugen bei dem großen Geisteskampf; nicht zwischen dem Menschen Julian und dem Menschen Athanasius, o nein, zwischen dem Gott der Galiläer und den wahren Göttern. Das ist ein Kampf, wichtiger als mit Germanen und Persern, denn nicht um die Beherrschung der Erde geht es hier, nein, um die Krone der Welt des Geistes! Phöbos Helios, der du da eben leuchtend durch die Wolken brichst – (ich nehme das Omen an!) –, du wirst, die Finsternis durchbrechend, siegen. – Fehle nicht, Galiläer Jovian! Auch dich ersieg ich mir zurück. – Komm, Serapio, stütze mich. Bis zum Zusammenbrechen haben mich Entrüstung und bittere Herzenskränkung erregt. Du, Germane, bliebst mir treu. Morgen: . . . der größte Sieg der Götter und . . . Julians.«

 


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