Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Neunzehntes Kapitel

Jede Stunde der knapp bemessenen Muße, die der vielbedrängte Imperator der Arbeit und den Sorgen abgewinnen konnte, verbrachte er an der Stätte, die er zu einem großen, den Göttern geweihten Kunstwerk zu gestalten beschlossen hatte: in dem Tempel und Hain zu Daphne, nicht ganz zwei Stunden östlich von der Stadt.

Gleich am Tage seiner Ankunft war er hinausgeeilt, hatte den geliebten Bildhauer in die Arme geschlossen und ihm seine begeisterte Bewunderung ausgesprochen, ob all der Werke der Schönheit, die sein Wahlsohn in diesen Monaten hier geschaffen hatte. »O Herr«, rief der Jüngling, strahlend vor Glück über den Beifall seines Gebieters, »welche Wonne ist es, jetzt zu leben, unter dir zu leben, für dich und für die Herstellung der Schönheit, der heiteren Lebensfreude, welche die Gräberverehrer hinweg zu den Göttern vertrieben hatten! In gar vielen Städten deines Reiches hab ich schon in deinem Sinn geschafft. Überall, auf allen Straßen und Strömen wie auf der See, sieht man in Wagen und Schiffen die geraubten oder geflüchteten Götterbilder von Marmor oder Metall in die verwaisten Tempel und Haine zurückkehren. Überall erheben sich wiederaufgebaute Altäre, man sieht allerorten Opferfeuer, Weihen, Reigen bekränzter Jünglinge und Jungfrauen, die bei dem sanften Ton der Flöten in den heiligen Hainen sich zu fliehen suchen, endlich zu finden scheinen, zu gemeinsamer Anbetung der Götter. Aber hier hatte ich nicht ganz leichte Arbeit. Und nicht ganz ungefährliche.«

»Wer hat es gewagt, Hand an dich zu legen?« brauste Julianus auf. »Aber was frage ich! Selbstverständlich die Galiläer. Du wurdest angefallen?« – »Nur zweimal«, lachte der junge Künstler, »und nur einmal ein wenig geritzt.« – »Erzähle! Berichte! Während du mich umherführst in dem Tempel, in den Nebengebäuden, in dem Garten, in dem Haine. Ist mir doch alles neu; nie weilte ich hier.« – »Wenn du gestattest, beginnen wir mit dem Hain, beschauen dann die weiten Gärten und schließen unsere Wanderung ab in dem Tempel.«

Und indem er nun den Ankömmling mit klug gewählter Steigerung der Eindrücke in den großartigen Anlagen vom Einfachen zu immer Schönerem geleitete, erzählte Artemidor: »Du weißt, schon die Nachfolger Alexanders haben dieses Heiligtum gegründet, das über sechs Jahrhunderte dem Dienste Phöbos Apollos geweiht war. Die Wahl des Ortes war nicht Willkür, denn die fromme Sage will, daß in diesem Walde die holde Daphne, von Apollos heißem Werben verfolgt, auf ihr Flehen von Vesta in den Lorbeerbaum verwandelt wurde. Es ist so schön, das zu glauben.«

Julian lächelte wehmütig: »Und wieviel schöner noch, die Bedeutung zu begreifen! Vernimm! Ewig schmückt sich der Gott mit dem Laub der verwandelten Geliebten, denn, ist auch das Glück der Liebe verloren, ewig, immergrünend, ist der Liebe Gedächtnis und die Liebe selbst. Aber das begreift nur, wer eine Helena verloren hat. – Sprich weiter. Doch nein! Verweile noch! Sieh! Wie wunderschön ist dieser Reichtum an Quellen, kristallhellen Wassers voll! Und daher, trotz der argen Dürre dieses Sommers, dieser köstliche grüne Rasen! Und dort die herrliche Gruppe von Zypressen, von Platanen! Was glänzt dort so weiß aus dem dunklen Lorbeer des Hintergrunds?« – »Tritt näher! Es ist eine Daphne, die ich hier gearbeitet; dir zur Überraschung. Sieh, dieser uralte, mächtige Lorbeerstamm soll der Baum ihrer Verwandlung sein; er ist längst hohl . . .« – »Ah, ich verstehe! Wie sinnig! Von den Sohlen aufwärts bis zu den Hüften läßt du sie schon verwandelt sein, aber aus dem Hohlstamm ragen der schlanke Leib der Jungfrau, die zarten Brüste und das holde keusche Antlitz. Wie fein erdacht! Ich danke dir, mein Liebling. – Horch, welch entzückender Gesang der Vögel in jenem Myrtengebüsch!« – »Ja, die Nachtigallen! Unzählige haben von jeher diesen buschreichen und quellenreichen Hain zum Lieblingssitz erkoren.« – »Und hier . . . was flutet so berauschend von dorther durch die weiche Abendluft? Welch süßer Duft?« – »Es ist der Rosenwald der Aphrodite! Geduld! Wir schreiten darauf zu. Ich fand eine schöne Bronzestatue der Göttin, versteckt unter altem Gerümpel, wohl geflüchtet vor den Christen, denn sie ist nackt. Siehst du, hier steht sie, hier, unter den Rosen.« – »O wie herrlich! Nein, nicht nackt ist die keusche Göttin, denn ihre Schönheit deckt sie zu. – Und da drüben! Der mächtige Wasserfall, der dort von dunkelgrünen moosigen Felsen niederschäumt! Und unten faßt eine schöne Nymphe die ganze Flut zusammen in silberner Amphora. Aus der fließt die gebändigte Kraft sanft dahin als starke Quelle.« – »Es ist der Kastalische Quell.« – »O laß mich niederknien, die heißen Schläfen kühlen mit dem heiligen Naß.« – »Ja, heilig! Weissagung spendet der Quell. Aus einem Lorbeerblatt, das er unter frommem Gebet hineingetaucht, las Hadrian seine künftige Größe. Aber ach, auch dies Orakel ist verstummt. Constantius hatte bei Todesstrafe verboten, es zu befragen.« – »Ich werd es wieder reden machen! Siege über die Perser soll es mir verkünden.« – »Nun, bitte, komme diese Marmorstufen neben dem Wasserfall empor. Sieh, hier weithin schaust du nichts als Wald. Vier Stunden hat er im Umfang! Er ist die Zuflucht in der Glut des heißen Sommers. Er gewährt auch süßes, sicheres Versteck den Liebenden, die noch das Geheimnis suchen müssen«, schloß der schöne Jüngling errötend. »Und Daphnes Geschick«, lächelte Julian, »mag die Mädchen warnen, allzu spröde die heiße Werbung abzuweisen! – O wie herrlich! Rings, so weit ich sehe, nur wogende dunkelgrüne Wipfel!« – »Bloß dort, rechts – bitte wende das Haupt –, habe ich durch den allzu verwilderten Wald – denn seit bald dreißig Jahren nahm sich keine Hand mehr dieser Stätte an – einen Ausblick schneiden lassen. Schau hin!« – »Ah, was ist das? Welch glänzende Gebäude! Welch schimmervolle Bahn! Hohe Götterbilder stehen zu beiden Seiten.« – »Es ist ein Stadion, eine Rennbahn, ein Ringplatz für Roß und Wagen und jeden Raum, dessen Olympische Spiele bedürfen. Schon seit Augustus war das Recht, solche hier zu halten, von Antiochia dem heiligen Elis für die Dauer von neunzig Olympiaden abgekauft worden. Ein Wohltäter, ein reicher Bürger der damals noch fromm göttergläubigen Stadt, Sosibius, hat fünfzehn Talente Gold gestiftet für die jährliche Feier. Aus dem so reich mir von dir gewährtem Gold habe ich Wagen und wunderherrliche Rosse aus Spanien und Parthien angekauft. Lange haben diese schönen Spiele ruhen müssen. Der Bischof hat sie verboten und das Geld für die Kirchen verwendet. Aber dieses Jahr wollen wir sie erneuern. Wenn im Herbst der Tag des großen Apollofestes wiederkehrt, dann sollen mit dem alten Glanz, den Göttern zu Ehren, die Olympischen Spiele, ganz wie zu Elis, vor deinen Augen sich vollziehen.«

Julian umarmte den Jüngling mit Freudentränen der Rührung in den Augen. »Herrlich! O wie ich dich liebe! Wie so ganz du mich verstehst!« – »Aber nun, o Herr, laß uns allmählich aus Wald, Hain und Garten die Schritte zu dem Tempel lenken. Der Abend dunkelt schon herauf. Wir haben uns über eine Stunde weit von dem Heiligtum entfernt.« – »Wie verflog mir die Zeit! Aber sieh! Was ist das dort? Mitten in dem schönen Rasen . . . die vielen Flecken schwarzer Erde?« – »O mein Vater, schreite rasch vorbei! Richte nicht die leuchtenden Augen darauf! Komm, laß uns einbiegen in diesen Gang von Oliven. Ach, es reichte die Zeit nicht mehr, jede Spur des Häßlichen vor deinem Eintreffen hinwegzuwischen, konnte doch erst vor kurzem der letzte Widerstand des Bischofs gebrochen werden! Der Götterfeind Constantius schritt gleich bei Antritt seiner Herrschaft auch gegen dieses Heiligtum ein. Die Spiele, die Opfer, die Aufzüge, die Weihen, die Orakel wurden verboten, seine Schergen bewachten den geschlossenen Tempel, nachdem sie ihn geplündert, und die Zugänge zu dem Quell Kastalia. Kein Götterdiener durfte die Stätte mehr betreten. Sie verödete, der Hain verwilderte, die Gelder, die der Staat oder die Stadt für Daphne jährlich gezahlt hatten, wurden der Kirche zugewendet. Auch muß leider gesagt werden, daß die Antiochener, ganz dem Galiläer zugewandt, den Ort nicht mehr besuchten, bis etwas geschah . . . ein Greuel vor den seligen Göttern!«

»Ich ahne! Nicht ohne Grund nenne ich jenen Glauben den Gräberdienst. Anstatt das Vergängliche am Menschen durch die reine Flamme verzehren zu lassen, schaufeln sie überall tiefe Löcher in die heilige Erde, entweihend ihren mütterlichen Schoß, und überallhin, auch in unsere Tempel und Haine, tragen sie ihre ekeln Gräber, Moder, Fäulnis, Verwesung dorthin bringend, wo einst schöne Menschen freudig schöne Götter ehrten. Es ist ein mir ganz besonders verhaßter Greuel und Frevel.«

»Er geschah auch hier. Die Knochen eines Bischofs von Antiochia, Babylas, der unter Decius im Kerker gestorben sein soll für seinen Glauben, diese schafften die Galiläer zuerst in feierlichem Aufzug hierher, begruben sie, gerade gegenüber dem Eingang in den Haupttempel . . .« – »Wehe, die Götter zu verscheuchen, ihren Dienst zu verunreinigen!« – »Ja, ihn unmöglich zu machen, solange der Greuel währte. Entsetzt flohen die letzten Priester, die letzten Frommen, die sich noch in der Nähe aufgehalten hatten, den entweihten Ort. Alsbald erbaute der Bischof eine Basilika über den alten Gebeinen, und nun drängten sich alle Christen in der Stadt, in der Umgebung dazu, hier in der Nähe ihres Märtyrers bestattet zu werden. Der Hain der Freuden ward ein Gräberfeld.« Julian verhüllte, von Schmerz ergriffen, das Haupt mit dem Mantel. »Viele Mühe kostete es mich, trotz der unbeschränkten Vollmacht, die du mir gegeben hast, den Widerstand der Priester zu brechen. Endlich setzte ich es durch, daß sie – auf deine Kosten! – die Grabkirche abbrachen und die heiligen und die andern Knochen wieder ausgruben und – abermals in feierlichem Aufzug – in die Stadt und die dortigen Basiliken zurückbrachten. Noch konnte ich aber nicht alle Spuren der Ausgrabungen tilgen. Nun sieh, wir stehen vor dem Tempel. Schau hin, wie der Gott im Scheiden sein Haus und dich, seinen liebsten Priester, zugleich mit seinem goldigsten Strahl begrüßt. Sei willkommen, Herr, in des Gottes und in deinem Hause.« Damit führte er ihn die Marmorstufen des herrlichen Tempels hinan.

Die sechzehn korinthischen Säulen des Peristyls, aus prachtvoll gelbem numidischem Marmor, waren mit handbreiten Bändern von Gold und Silber umfaßt, frommen Weihgeschenken alter und jüngster Zeit. Auch ihre Kapitelle zeigten Vergoldung. Die ehernen Doppeltüren trugen kunstvoll getriebene Reliefs, und als der Jüngling sie aufstieß, drang aus dem innersten Raum der ebenfalls geöffneten Cella eine solche Flut strahlenden Lichtes dem eintretenden Herrscher entgegen, daß der, mit einem Ausruf frommen Staunens, geblendet die Augen schloß und erst nach einer Weile weiterschritt.

Das Licht strömte aus von einer weit überlebensgroßen Statue Apolls aus glänzendstem weißem Marmor, der, das schöne Haupt leicht vorgebeugt, aus goldener Schale einen Segensguß auf die Erde auszugießen schien; und gerade aus dieser Schale strahlte die blendende Fülle des Lichts. Das gewaltige Bild füllte die ganze Mitte der halbrunden Cella, deren Wände, aus den erlesensten bunten Steinarten zusammengefügt, in allen Farben schimmerten. Blitzende Edelsteine und schillernde Perlen, rings über das Gestein der Wände verstreut, mehrten das unwiderstehliche Licht.

Von dem Schauer tiefster Andacht ergriffen, sank Julian auf die Knie mit dem Ausruf: »O nimm meine ganze Seele hin, Phöbos Apollo!« Und er betete lange zu dem Gott empor, beide Arme hoch zu ihm erhebend.

 


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