Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Vierunddreißigstes Kapitel

Nach wenigen Tagen hatte sich der Erschütterte so weit erholt, daß er das Heer weiterzuführen vermochte, nun in Feindesland. Denn die Grenze zwischen dem Römerreich und dem Persischen bildete der Fluß Chaboras oder Araxes, der hier, bei Circesium, von Norden her in den Euphrat mündet. Alter römischer Kriegsbrauch verlangte bei dem Überschreiten der Grenze ein Geldgeschenk und eine Ansprache des Feldherrn an das Heer. Julian spendete freigiebig jedem Krieger einhundertdreißig Silberstücke, war aber auch nicht der Mann, solche Gelegenheit zu einer Rede zu versäumen. Er ritt mit seinem Gefolge die Reihen der auf dem römischen Ufer aufgestellten Krieger entlang, hielt dann an der Brücke, brachte hier den Grenzgöttern Roms ein Opfer dar und redete den zu ihm berufenen Führern eine Rede, von welcher die Wahrheit der Empfindung, die Glut der Begeisterung die sonst von ihm so übertriebene Künstelei fernhielt. Er sprach von dem alten Ruhm der römischen Adler, die er gleich von Anfang an Stelle des constantinischen Labarum den Legionen wiedergegeben habe, von der uralten Feindschaft der Parther, von dem neuerlichen Übermut der Perser. Er schloß mit den Worten: »Sieg und Beute kann ich euch nicht versprechen, beide gewähren nur die unsterblichen Götter, die den Himmel, den weiten, bewohnen. Aber als ihr Vorkämpfer zieh ich in diesen Krieg. Und eines sollt ihr wissen: Heute, bei dem ersten Strahl des Morgenlichts, hab ich ein Gelübde getan wie die großen Ahnen, Curius, Mucius, Decius. Ich habe mich selbst den Göttern als Opfer dargebracht für den Sieg Roms; sie sollen Rom den Sieg geben und dafür mein Leben nehmen. Denn das sollt ihr erkennen in des Geistes und Herzens Empfindung: Nur als Sieger oder als Leiche führt ihr Julian aus Persien zurück. Nun folgt mir, ihr Männer und Helden, in den Sieg oder in den Tod!«

Damit sprengte er, allen voran, bei schmetterndem Trompetenschall über die Brücke.

Da ward der Jubel groß unter seinen Treuen, zumal den Germanen und den Kelten. Hoch hoben sie die Schilde grüßend über die Helmkämme und riefen: »Nichts fürchten wir unter einem Feldherrn, der auch im Kampf und im Ertragen mehr leistet als wir selbst.« Mit begeistertem Zuruf folgte ihm das Heer. Sowie der letzte Mann auf persischem Boden stand, befahl der Feldherr: »Halt! Kehrt!« Vor den Augen des ganzen Heeres stand die Brücke in Flammen. »Ihr seht, meine Freunde, die Flucht ist euch abgeschnitten. Ihr müßt vorwärts, müßt siegen. Nach hinten weichen führt euch in das Grab dieser Wellen.«

Jedoch hatte der Vorsichtige, schon um den Nachschub von Kriegern und Vorräten zu sichern, die Besatzung von Circesium auf zehntausend Mann erhöht und die Befestigungen verstärkt.

 

Eine Stunde nach diesen Vorgängen erreichte ihn, durch Eilboten aus Circesium nachgesandt, auf dem Marsch ein siebenfach versiegeltes Schreiben aus Rom. Er hatte die sibyllinischen Bücher im dortigen Tempel der Vesta über das gegen die Perser geplante Unternehmen befragen lassen. Jetzt erst kam die Antwort, sie lautete: »Er möge ja dieses Jahr die Grenze seines Reiches nicht überschreiten!« Er erbleichte, dann zerriß er den Papyrus in ganz kleine Stücke und streute ihm in den Wind, auf daß niemand im Heere von der Warnung vernehmen sollte.

 

Von dem Überschreiten der Grenze an hielt das Heer genau die von dem Feldherrn vorgeschriebene Zugordnung ein. Bisher zwar hatte man keinen Feind gesehen, aber jetzt war jeden Augenblick der Überfall der gefürchteten parthischen Reiter zu erwarten, die den Legionen in den besten Zeiten Roms so manche blutige Niederlage beigebracht hatten.

Vor allem trug der Feldherr dafür Sorge, daß nicht, wie in früheren Fällen, die Schwerbeweglichkeit des Zuges, zumal die Hemmung durch die Gepäckwagen, den Legionen verderblich werden konnte. Er ließ die einzelnen Abteilungen solche Zwischenräume halten, daß die Länge des ganzen Zuges, der doch nur fünfunddreißigtausend Helme zählte, zehn römische Meilen – vier Stunden – betrug.

Die Mitte bildete der Kern des Fußvolks unter dem alten Severus, auf dem rechten Flügel befehligte der Franke Nevitta eine Heersäule von mehreren Legionen, die, entlang dem Euphrat, meist in Augenweite von der zu Tal segelnden Flotte, zog. Den linken, meistbedrohten Flügel bildete Reiterei, größtenteils Germanen, unter Serapio. Die Nachhut befehligte der Alemanne Dagalaif.

Das Gepäck ward unter sehr starker Bedeckung nachgeführt; denn für dieses war, abgesehen von dem Heere der Perser, ganz besonders die Raubsucht der arabischen Reiterhorden aus den benachbarten Wüsten und der Sapor unterworfenen oder verbündeten Sarazenen zu fürchten. Hier, bei dem Gepäck, ward auch die große und mannigfaltige Menge verschiedenartiger Belagerungswerkzeuge mitgeführt, auf die der Feldherr für diesen Krieg ganz besonderen Wert legte.

Der Unermüdliche hatte in mancher Nachtstunde, wenn er sich in Maximus müde geforscht, durch Abwechslung Erholung suchend, über allerlei Verbesserungen der althergebrachten Geschütze und Geschosse nachgesonnen. Und einzelne der von ihm eingeführten Neuerungen an Ballist, Skorpion oder »Wildesel« (Onager) und an Widder, Katapult und »Hämmerlein« (malleolus) – eine Art von hohlen Brandpfeilen – wurden von den römischen Heeren dauernd beibehalten, noch lange nach dem Tode des sinnreichen Erfinders.

Jovian erhielt seinem Wunsche gemäß die ehrenvolle, aber höchst gefährliche Aufgabe, mit einer Schar von fünfzehnhundert Reitern – zum Teil Germanen, denen Fußkämpfer beigemischt waren – den Aufklärungs- und Sicherungsdienst für das ganze Heer zu übernehmen, das heißt also, unausgesetzt die Vorhut zu bilden, jedoch auch die linke Flanke – (die rechte deckte der Euphrat und die Flotte) – und die Nachhut in weiten Ringen zu umkreisen und jedes verdächtige Zeichen pfeilschnell zu melden. Das war in einem Feldzug in Asien – gegen parteiische und arabische Reiter – wichtiger und schwieriger als bei Kriegführung gegen irgendwelche andere Feinde.

Julians von der alten Imperatorensitte hergebrachte Stelle im Zuge wäre die sicherste von allen gewesen, die an der Spitze des Fußvolks in der Mitte. Allein sein Feuereifer duldete ihn hier nie lang. Vielmehr begab er sich an der Spitze seiner berittenen Leibwächter bald an die Spitze, bald an den Schluß, auch wohl an die Flanken des Zuges, wo immer sein Eingreifen erwünscht schien.

Von Circesium an führte der Weg nach Südosten auf dem linken Euphratufer stromabwärts durch eine weite, unfruchtbare, dürre Ebene, einen Teil der arabischen Wüste, worin nur Horden zeltender Araber – »Arabes scenitae« – schweiften. Das Land war durchaus flach, so flach wie der Spiegel eines Meeres. Fast nur Wermutbüsche bedeckten den sandigen Boden, aber auch anderes Strauchwerk, das etwas kärglich gedieh, nahm von dem starken Salzgehalt des Grundes einen bitteren, scharfen Geschmack an.

In der baumlosen Ode trieben sich bloß Antilopen und Wildesel herum; oft sah man in der Ferne am Saume des Horizonts seltsame Gestalten sturmgeschwind dahinjagen wie fliehendes Gewölk; es waren eilige Trappen und pfeilschnell laufende Strauße. Durch Androhung schwerster Strafen nur vermochte der Feldherr die Jagdlust seiner Germanen zu zügeln, die gar oft Reih und Glied verließen, um solch nie gesehenes abenteuerliches Wild zu verfolgen. Ja, als nach zwei Tagesmärschen bei der von den Einwohnern fast völlig verlassenen Stadt Dura Rudel aufgescheuchter Hirsche sich auf der Flucht vor den Verfolgern in den Euphrat warfen, ließen sich Bataver und Friesen nicht abhalten, nachschwimmend die raschen und starken Tiere einzuholen und sie dem Feldherrn lebend als Geschenk zu bringen. Die wenigen in Dura Zurückgebliebenen zogen den Feinden mit Palmzweigen in den Händen entgegen, und für den Imperator brachten sie ein befremdliches Ehrengeschenk: einen furchtbaren Löwen, die Pranken mit dicken Tauen gefesselt.

Nachdem Julian mit seinen Feldherren das Ungeheuer angestaunt hatte, befahl er, auf die Bitten des »Kleeblatts« und Sigibrands, des Theologen, vor einer Reihe seiner Germanen die Seile zu durchschneiden. Es geschah. Der Löwe erhob das entfesselte Haupt von der Erde, begann ein furchtbares Gebrüll, sträubte die Mähne, peitschte die Flanken mit dem Schweif, kauerte sich nieder und sprang dann in gewaltigem Satz gegen die Krieger. Augenblicklich brach er, von ihren fünf Wurfspeeren durchbohrt, tot zur Erde. Die etruskischen Zeichendeuter Julians liefen erschrocken herbei – zu spät wollten sie warnen. Denn das Zeichen bedeute: »Ein großer Herrscher, der angreife, werde fallen.« – »Bah«, meinte Julian, »Sapor griff zuerst an, ich verteidige mich nur durch den Angriff.« Serapio aber lachte. »Schade, daß ich nicht aber- oder göttergläubisch bin.« – »Weshalb?« – »Ich könnte das Zeichen so deuten: Germanen, die treu zusammenstehen, bezwingen den stärksten Feind.«

 

Auch der folgende Tag, der siebente April, brachte dem vorrückenden Heere ein »Göttervorzeichen«.

Gegen Sonnenuntergang nahte auf raschen Schwingen des Westwinds ein heftiges, kurzes Gewitter. Der einzige Blitz streifte, ohne ihn zu schädigen, einen Troßknecht, der zwei Pferde aus der Tränke führte. Der Mann hieß Jovianus. Daß das Omen nicht dem Troßbuben gelte, sondern dem Magister Militum und daß es für ihn eine Erhöhung durch die Gunst der Götter bedeute, darüber waren alle Haruspices im Lager einig. Im übrigen stritten sie, ob es für Julians Kriegszug ein »Warnblitz« oder ein »Zustimmungsblitz« sei. Sein Freund Jovianus sprach mißbilligend: »Es beweist nur, wie Christi Gnade waltet.« – »Und ich meine«, schloß Serapio, »es beweist, daß nicht alle Blitzschläge töten.«

 

So abergläubisch der Mystiker auf alle Zeichen und Omina achtete, zuweilen überwog doch seine Freude am Witz, zumal, wenn es galt, die Seinen vor Entmutigung zu schützen. Bei dem Aufbruch von Dura mußte ihm ein anderes Pferd vorgeführt werden. Der treue »Argos«, Eusebias Geschenk, bedurfte nach der Überanstrengung dieser Tage für einige Zeit der Schonung. Als nun der stattliche Brandscheckhengst vorgeführt ward, ein Beutestück von Dura, reich aufgezäumt, mit goldenen Zierscheiben und mit Edelsteinen und Perlen an Zügel, Sattel und Bügeln geschmückt, fragte Julian, wie man das schöne Tier genannt habe? »Persia«, antwortete Hippokrenikos, der es am Zaume hielt. Sowie aber der Imperator heranschritt, aufzusteigen, scheute das Pferd vor einer blitzenden Waffe, riß sich los, rannte ein paar Schritte dahin, stürzte und schlug, zitternd vor Schreck, um sich, Gold und Edelsteine weithin verstreuend. »Ein böses Zeichen«, murmelten die Römer. »Nein, gar nicht!« lachte Julian. »Ihr seht ja, zitternd liegt mir die gestürzte Persia zu Füßen, all ihre Schätze verlierend.«

In der folgenden Nacht ward das ruhende Heer von einem Stoßsturm aus Nordosten überfallen, der den losen Sand der Wüste haushoch aufwirbelte und gar viele der schweren Lederzelte auf die Schläfer niederwarf.

 


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