Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Sechzehntes Kapitel

In nächtiger Stunde stand in dem hohen, turmähnlichen Solarium des Palastes zu Mailand in goldübersäten Purpurgewanden ein kleiner, unansehnlicher Mann.

Unruhig hastete er in dem schmalen Gelaß hin und her, die unsteten Augen bald empor zu den Sternen des wolkenlosen Himmels der Herbstnacht gerichtet, bald versenkt in die seltsam verschnörkelten Zeichen der Himmelskarten und der sterndeuterischen Papyrus, die, von einer duftausströmenden Ampel beleuchtet, auf dem Zitrustisch ausgebreitet lagen. Nun schob er ärgerlich eine dieser Rollen zurück, mit unsicherer Bewegung der zitternden Hand, so daß sie über den Rand des runden Tisches auf den Mosaikestrich glitt. Unwillig stieß er sie mit dem Fuß zur Seite. »Ach, was tun?« seufzte der Einsame. »Woran glauben? Wem glauben? – Außer den heiligen Büchern selbstverständlich«, fügte er rasch mit einem scheuen Blick der matten kleinen Augen nach oben bei. – »Aber die heiligen Bücher, wie wenig doch reden und raten sie von den Dingen dieser Welt! Wie soll ein Mann danach regieren? ›Liebet eure Feinde, vergeltet Böses mit Gutem! Sagt immer die Wahrheit!‹ O Sohn Gottes (und vielleicht wesenseins mit Gott, denn man kann doch nicht wissen!), du hattest leicht so sprechen! Du hattest nicht – außer ungezählten Barbaren an den Grenzen – ungezählte Verschwörer und heimliche Empörer in deinem eignen Haus, unter deinen Verwandten unschädlich zu machen.

O ja, es mag schon etwas geben, was den Mann in allen Zweifeln fortreißt – von selbst – zum richtigen Entschluß: Die wilde Kampfgier des Alemannen, der fromme Glaube des Büßers, die Vaterlandsbegeisterung des Römers: – nicht meines Römers mehr –, des Römers längst vergangner Zeiten! Aber ich? Ich Armer! Nichts auf der Welt reißt mich fort. Das ist mein Unglück! Wär's auch einmal zu einer plumpen Torheit; andre Herrscher haben sie auch begangen und dann gutgemacht durch eine Klugheit oder vielleicht auch nur durch neue, besser glückende Torheit; das wohl öfter als durch höhere Einsicht. Aber ich! Ach, ich glaube an keinen mehr. Und am allerwenigsten – an mich selber.«

»Habe nie einen Freund«, riet der große Vater, »du könntest seinem Einfluß folgen.«

»Nun hab ich keinen Freund; ängstlich erstickte ich jedes Vertrauen, auch das knospende in meine Gemahlin. Keinen Freund, aber siebzig, hundert Günstlinge! Die steigen und fallen; absichtlich wechsle ich rasch, auf daß keiner Einfluß gewinne. Ach, haben sie nicht alle Einfluß? Siebzig Schmeichler statt eines Freundes; was ist schlimmer?

Und wie mit den Menschen, steht's mit den Sternen, den Sternbüchern, den Träumen, den Traumbüchern: alle widerstreiten einander! Ach, wer an sich selbst glauben könnte! Nur an sich, ganz an sich! Er brauchte wohl sonst an niemanden zu glauben. Aber solche Menschen gibt's wohl nicht. Ihnen würde die Welt gehören. – Da schoß ein Stern! Was bedeutet das? In dieser Stunde? In dieser Richtung, hart an dem Jupiter vorbei? – Oh, es ist ja Sünde, sagt der Bischof, der arianische, von Alexandria, auf Sterne und Träume zu achten. Aber verkündete nicht der Stern den Weisen aus dem Morgenland des Heilands Geburt? Und deuteten nicht von jeher Propheten und Heilige Zeichen am Himmel und auf der Erde? Nur richtig deuten, das ist die Sache!

O wenn ich doch nur mich selber fragen könnte, statt die Priester, die Höflinge, die Sterne zu befragen. Aber poche ich an meine Brust, so klingt es hohl. Da ist nichts drin. Kein Zwang! Zum Guten nicht und nicht zum Bösen. Nur die Furcht, die immer wache Furcht, ein andrer, nicht klüger, nur wilder, heißer als ich – ein Mann, der handeln muß –, könnte aus Torheit und aus Glück mir Diadem und Leben rauben. Was soll ich tun? Diese Frage ist die Qual meines Daseins.«

Er stieß in seinem unsichern Umhereilen an einen niedrigen Armstuhl, auf dem ein Purpurmantel lag. Stuhl und Mantel fielen. Hastig riß er den Mantel in die Höhe. »Böses Zeichen! Böses Zeichen! – Gerade jetzt, da ich die Entscheidung treffen soll! – Wen fragen? Wem vertrauen? – Dem Bischof dieser Stadt? Ah, er lernt durch meine Beichte schon allzuviel von meinen geheimsten Gedanken, und da ich ihm manches verschweige, ist seine Freisprechung ohnehin gar nicht gültig. Er will, ich soll öffentlich den Arianismus verwerfen! Wie kann ich denn das, da ich heimlich an ihn glaube? Mein amtlicher Sterndeuter Abras, mein Chaldäer? Ei, er weissagt immer Glück, weil das gefällt. Trifft dann Unglück ein – wie gewöhnlich –, hat er immer eine pfiffige Ausrede. Pfiffig! Das kann ich nicht leiden – an andern! Selbst bin ich's gern, wär's gern noch mehr«, und die kleinen Augen blinzelten. »Aber die Pfiffigkeit hilft nicht. Die Pfiffigkeit der Weltgeschichte ist überlegen: sie führt den Pfiffigen zum Gegenteil seiner Pläne. Ich wollte pfiffig die Katholiken demütigen in Athanasius, und Athanasius demütigt mich! – Wer ist nicht pfiffig? Wer ist klug und dabei gut . . .? Ich – wahrlich nicht! Gut bin ich schon gar nicht, möchte es gar nicht sein: denn Güte ist Dummheit. Klug? – Ich möchte es so gerne sein! Aber, ich bin viel zu pfiffig, einfach klug zu sein. Klug und gut? – wer ist das? Ohne Zweifel Eusebia, meine Gemahlin. Auch schön ist sie. Und jung. Und warm. Und höchst liebenswürdig. Leider kann ich von all diesen vier Tugenden keinen Gebrauch machen! – Wie sehnt sie sich nach einem Kinde! Ich . . . weniger. Töchter sind fast unnütz: ihre Männer sind ehrgeizig. Und Söhne! Hinrichten ließ der große Vater den Sohn, welcher der tüchtigste war von uns Söhnen allen. Vielleicht gerade deshalb!

Aber ich grüble und grüble, und die Zeit verrinnt! Und der Sterndeuter hat doch gesagt, daß unter der heutigen Stellung der Gestirne der Entschluß am günstigsten ausfallen werde. Also – noch heute nacht!

Wen fragen? Vor allen würde ich befragen: den schlimmsten, schärfsten, giftigsten – Eusebius. Er muß es mit mir gut meinen, so bösartig er ist gegen alle Menschen; denn er hat so viele Feinde, er weiß: Nicht eine Stunde länger lassen sie ihn leben, sobald ich Leben oder Macht verliere. Aber ich kann ihn nicht fragen, er ist mir jetzt unerreichbar. Dann die gütevollste: das heißt Eusebia, und den Klügsten oder doch Sternkundigsten: Philippus, zugleich der einzige Arzt, dem ich vertraue. Aber Vorsicht! Widerstreiten sich Eusebia und Philippus, dann . . . nichts! Stimmen sie zusammen – so verschieden geartet; sie so weltunklug, er so weltklug –, so soll mir – ohne daß sie's ahnen! – dies das Zeichen des Richtigen sein.

Vergebt, o Vater Christi und du o Christus (vielleicht selbst mit Gott eins!), auch du, heiliger Geist –, daß ich nach Zeichen suche, aber ihr oder eure Priesterschaft erlaubt es ja doch selbst, daß man in zufällig aufgeschlagenen Bibelsprüchen die Zukunft erforscht. Ist es aber doch eine Sünde, nun, so beicht ich sie ja und mach sie gut; die arianische Basilika zu Ravenna bedarf eines neuen Altars. Ich gelob ihn, falls ihr darauf besteht! – obwohl die Einnahmen knapp geworden! – oder ich will ihn – später – geloben.

Ach!« seufzte er, haltmachend vor einem runden Metallspiegel, der in das Getäfel von veilchenfarben geflecktem synnadischen Marmor eingelassen war, »nun hab ich mich heiß und müde gedacht. ›Empfange nie einen Menschen, auch deine Nächsten nicht‹, mahnte der Vater, ›in abgespannter Haltung. Sie müssen stets auch äußerlich verspüren, daß du der Gewaltigere bist.‹ Ha, ihm ward das leicht – mit seinen sechs Fuß Höhe und seiner breiten Heldenbrust.«

Unzufrieden betrachtete er sein Bild in dem Spiegel. »Ich sehe nicht aus, daß sich andere vor mir fürchten. Ich sehe immer aus, als fürchte ich die andern. Und leider ist das wahr. Ich habe mich in Schweiß gegangen, gegrübelt. Aber jetzt, jetzt nimm dich zusammen, Constantius, Sohn des großen Constantin. Ach, wehe den Söhnen großer Väter.«

Und er strich sich mit einem duftenden dunkelroten Seidentuch, das er aus der Brusttasche des weißen, purpurgesäumten goldgestickten Hausgewands zog, die feuchten Tropfen von der flachen Stirn, fuhr sich mit der Hand durch die spärlichen sandfarbenen Haare, zog den Silbergürtel fester an und richtete sich aus der gebückten, vorgebeugten Haltung mit Anstrengung auf; dann erst schlug er den Vorhang des Eingangs zurück.

Auf der Schwelle lag, den Rücken an den Marmorpfosten gelehnt, die Beine lang ausgestreckt, ein riesiger, vollgerüsteter Krieger, den Speer senkrecht in der Faust. Das rote Blondhaar, das ihm dicht aus der Sturmhaube mit dem Bärenhaupte hervorquoll, das blitzende blaue Auge bekundeten die Abstammung des Leibwächters, der sich nun, klirrend in seinen Waffen, erhob.

»Geh, Berung, bedeute dem Ostiarius im zweiten Vorsaal, er möge die Befohlenen hereinführen. Sind sie erschienen, so lege dich außer Hörweite. Oder . . . du verstehst nicht griechisch?« Der Riese schüttelte das gewaltige Haupt. »So bleibe, wo du lagst!« Er ließ den Vorhang wieder fallen; so sah er nicht die mißmutige, verächtliche Miene, mit welcher der Germane ihm nachgeblickt hatte. »Bei Donar und Tius, ist mein Vertragsjahr abgelaufen, nicht einen Tag länger bleib ich«, brummte er, wie er, seinen Auftrag zu erfüllen, dem Vorsaal zuschritt. »Leid tut mir's, daß ich – gegen Vater Beros Warnung – je in diese Dienste trat. Der erzählte, Weiber und Kinder hätte er einmal morden sollen, tat's aber nicht. Und dieser Imperator . . . der fürchtet sich ja! Tag und Nacht fürchtet er sich. Ich diene keinem Feigling. Und niemals mehr Arbeit mit dem Speer, nur Gefangene geleiten oder auf dieser Schwelle wachen, wie ein Hofhund. Wundert mich, er legt mich nicht an eine Kette. Mich ekelt's an.«

 


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