Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Siebzehntes Kapitel

Einstweilen war der Augustus in seinem Gemach vor eine große schwarze Tafel von Ebenholz getreten, die auf einer Staffelei lehnte; sie war mit Sternzeichen und mit Zahlen übersät, in Farben verschiedenartiger Kreide. Grübelnd verfolgte er mit dem Auge, dann mit dem Zeigefinger der Rechten eine vielfach verschlungene Linie, die in hellem Gelb gehalten war; seltsam, unheimliches Lächeln zuckte um die schmalen Lippen, als er vor sich hin sprach: »Nun, Vetterlein, wollen wir sehen. Du ahnest in deinen philosophischen Grübeleien nicht, daß an dem Ausgang dieser Stunde dein Leben hängt. Denn erweist du dich nicht als mein Werkzeug, so wirst du gebrochen; eine Waffe gegen mich sollst du nicht werden. Ich zerschmettere alles, was gegen mich ist. Du bist morgen Cäsar oder – nichts! Ah, da sind sie!«

Er wandte sich; in das Gemach schritt seine jugendschöne Gemahlin, eine schlanke, anmutvolle Gestalt in einfachem, rosenfarbenem Gewand. Das edle, nur allzubleiche Gesicht, der gütevolle Blick der lichtblauen Augen trug einen Zug von verhaltenem stummem Leid.

Ihr folgte ein kleiner Mann mit grauem Haar. Sein langer weißer Bart wallte auf ein dunkelbraunes Gewand; der Ausdruck des auffallend schönen Antlitzes war in hohem Maße vergeistigt; und durchdringend, in die Seele bohrend wie ein Blitz, traf der Blick dieser hellgrauen Augen, wann er die langen Wimpern, die er meist gesenkt trug, plötzlich aufschlug. Um den feingeschnittenen Mund spielte oft ein Lächeln, das, halb wehmütig, halb gutmütig spottend, auf hohe geistige Überlegenheit und reichste Welterfahrung schließen ließ. Wer den Mann zuerst sah, mußte beklagen, daß ein so hochbedeutender Kopf auf einem verkrüppelten Rumpfe ruhte, denn ein häßlicher Höcker entstellte den zwerghaften Leib.

Ehrfürchtig begrüßten beide den Herrscher.

»Es ist gleich Mitternacht«, begann der, »ich stellte die Sanduhr, als der Sklave die elfte Stunde ausrief. Verzeih, Eusebia, daß ich dich so spät in der Nacht noch . . ., aber die Sterne und ihr Gang sind nun einmal bei Tage nicht verfolgbar. Setze dich dort, nein, da hin, unter die Ampel. (›Ich will jede Bewegung in ihrem Antlitz sehen‹, sprach er zu sich selbst.) »Und du, Philippus, sieh nach, rechne, ob es an der Zeit ist.«

Der Kleine trat an die schwarze Tafel, rechnete ein wenig und sprach, sich verbeugend: »Es ist an der Zeit, hohe Zeit sogar.«

»Hei, du weißt gar nicht«, lachte Constantius heiser, »wie sehr du da die Wahrheit sagst! Vernehmt also – dort liegen die Berichte aus Vienne, aus Autun, aus Reims: Fast ganz Gallien ist verloren, ist in der Gewalt der Barbaren.«

»Das wolle Gott nicht«, rief die Imperatrix, lebhaft aufspringend. Der Bucklige aber nickte stumm vor sich hin. »Gott hat es leider schon gewollt«, grinste der Augustus. »Gott wohl weniger«, entgegnete der Sternkundige, »als du selbst.« – »Ich? Was wagst du zu sagen?« fuhr in Constantius an. »Die Wahrheit, wie immer, wenn ich sie weiß. Wer hat die Alemannen selbst ins Land gerufen, jenen ungestümen König Chnodomar, den germanischen Herkules, wie unsere verzagenden Kohorten ihn nennen? Wer hat ihm . . .? – »Ich«, erwiderte der Imperator unwillig. »Du vergißt: Es galt, dem Tyrannen Magnentius und dessen Bruder Decentius Gallien zu entreißen. Da riet Eusebius . . .« – »Die Barbaren ins Land zu rufen! Vergebens warnte hier diese vieledle Frau, umsonst sagte ich voraus – dazu bedurfte es nicht erst der Sterne –, sie würden wohl kommen, aber nicht mehr gehen. Du folgtest dem Eunuchen, weil . . .« – »Weil dem Eunuchen Constantius am höchsten gilt; dir, ja selbst meiner Gemahlin hier – der Staat!« – »Ich dachte«, schloß Philippus mit einem blitzenden Blick seiner durchdringenden Augen, »auch dem Imperator gilt der Staat mehr als der Imperator. Vergib den Irrtum, o Herr! Ich werd ihn nie wieder begehen.« Ärgerlich biß der die schmale Unterlippe, wie er es pflegte, wenn er keine Erwiderung fand. »Da – hört nur«, begann er wieder – »oder lest, lest selbst.« Er schritt auf den mit Briefen bedeckten Rundtisch zu und reichte den beiden eine Anzahl von längeren Schreiben und viele kurze »Noticiä«.

Die bleichen Wangen der schönen Frau erblaßten noch mehr, als sie las.

»Wie?« seufzte Philippus? »Was seh ich? Fünfundvierzig Städte Galliens in den Händen der Alemannen und Franken! Straßburg, Speier, Worms, Trier, Tongern! Entsetzlich! Nun, zum Glück ist doch noch unser das alte, das stärkste Bollwerk unserer Macht am Rhein: Köln.« – »O nein, auch Köln . . .« Wider Willen war dem Imperator dies Wort entfahren. »Was? Wie!« riefen Eusebia und der Arzt wie aus einem Munde, beide sprangen auf. »Auch Köln verloren?« – »Dann ist alles, ist Gallien ganz dahin!« klagte Philippus. »Nein, nein, nicht doch!« entgegnete Constantius ärgerlich. »Ich . . . ich habe mich nur versprochen . . .« Und hastig zerriß er in ganz kleine Stücklein eine kurze Papyrusrolle, die er vorher aufgerollt und der Augusta hatte reichen wollen. »Dank den Sternen!« sprach Philippus. »Es ist auch so schon schlimm genug. Aber war auch Köln gefallen, dann fand sich kein Feldherr im ganzen Reich, der es unternommen hätte, den Rhein wieder zu erobern. Köln bedeutet ein Heer von vielen Legionen und . . .« Gereizt, verdrießlich fiel Constantius ein. »Genug, genug von Köln . . .! Nun also! Was tun? Was tun? Entweder ich breche selbst auf nach Gallien noch diese Nacht . . .« – »Wohl, welch männlicher Entschluß!« rief Eusebia mit einem erfreuten Blick auf den Gemahl. »Ganz unmöglich!« fiel der Arzt ein. »Deine Gesundheit, o Herr! Dein kostbares Leben!« – »Es ist wahr«, meinte Constantius, plötzlich leise hüstelnd. »Es ist unersetzbar.« – »Wenigstens für ihn«, dachte der andere. »Oder«, fuhr der Imperator fort, »ich entsende einen Vertreter. Aber wen?« – »Einen bewährten Feldherrn, den besten, den du hast!« rief die Imperatrix. »So?« höhnte Constantius giftig. »Daß er sich nach Besiegung der Barbaren alsbald auch gegen mich als den besten bewährt? Nein, nein! Ich danke! Ich habe genug an der Empörung des Magnentius. Das war ja ein recht bewährter Feldherr! Welche Mühe hatten wir, den Schurken zu vernichten!« – »Hm«, nickte der Alte. »Aber einen Nichtfeldherrn kannst du auch nicht senden. Sonst . . .« – »Sonst steigen die Germanen nächstens zu uns über die Alpen!« – »Es müßte auch ein Staatsmann sein; denn es gilt nicht nur zu schlagen in Gallien, auch zu regieren.« – »Ein Staatsmann! Ja, der den Staat retten kann, aber nicht den Staat retten will für sich . . .« – »Vielmehr für dich.« – »Für den Staat selbst, denk ich«, sprach Eusebia ruhig. »Das ist ja wohl dasselbe, hoff ich«, meinte Constantius mit einem unzufriedenen Blick auf seine Gemahlin. »Da ist der tapfere Malarien«, fuhr diese eifrig fort.

»Ein Germane! Daß er am Ende gemeinsame Sache macht mit seinen Stammgenossen?« – »So wähle«, riet Philippus, »den erfahrenen Ursicinus.« – »Ein Fremder!« meinte der Imperator. »Es wäre gut, müßte es kein Fremder sein! Das grausame Geschick hat gewollt, daß des Constantinus großes Haus – fast – ausgestorben ist.« – »Das Geschick!« dachte Philippus. »Er hat es ausgemordet. Welche Umwege er einschlägt, uns auf den Namen zu führen, der ihm vorschwebt! Wir sollen ihn zuerst nennen; aber wir werden uns hüten.«

»Fast«, wiederholte der Imperator lauernd. Er hielt inne. Aber umsonst, seine beiden Hörer beharrten im Schweigen. Sie vermieden es auch, sich anzusehen, denn jene kleinen listigen Augen blitzten unablässig zwischen ihnen hin und her. »Nun läg es ja nahe«, fuhr er ausholend fort, unwillig über solche Zurückhaltung, »nun läg es ja nahe, zu denken eben . . . an den einzigen, der nunmehr noch . . . Was gibt es?« Er schrak zusammen und tastete nach dem Dolch, den er unter der seidenen Tunika verborgen trug. »Wer wagt es, mich zu stören?«

 


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