Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Siebentes Kapitel

Sie standen in einem halbkreisförmigen Raum; er entsprach der Apsis oben in der Basilika. Die Mosaiken an den Wänden waren bereits verdunkelt durch den Qualm einer Öllampe, welche hier nie erlöschen durfte. Die christlichen Symbole: der Fisch, das Lamm, der Gute Hirte, kehrten in eintöniger Reihenfolge immer wieder.

Da rauschte der dunkelbraune Vorhang, der den Abschluß des Halbkreises verhüllte, und vor ihnen stand in reichem bischöflichen Ornat eine stattliche Gestalt. Die beiden sanken sofort in die Knie; sie küßten den Saum des goldgestickten Gewandes. »Erhebt euch, meine Söhne, und empfangt den Segen des Herrn«, sprach der Papst mit wohllautender, gebietender und doch herzgewinnender, vertrauenerweckender Stimme. Ehrfurchtsvoll ruhten Julians Augen auf den bedeutenden, schönen und vom tiefsten Frieden geweihten Zügen des etwa sechzigjährigen Mannes. Wunschlos gegenüber allem Irdischen, nur auf das Himmlische gerichtet mußte diese Seele sein, das bezeugte das sanfte, wie verklärte Antlitz; die Farbe war zartrosa wie eines Mädchens Wangen.

»In Demut danke ich«, begann die silbertönige Stimme aufs neue, »meinem ehrwürdigen Bruder, dem Abt Konon, daß er, meinem Wunsche gemäß, gerade dich, o Presbyter Lysias, zur Ausrichtung eines Geschäftes mir zugesandt hat, das der armen Magd Christi, seiner heiligen Kirche, unter dem Segen des Höchsten, zum Heil ausschlagen soll, wie ich hoffe. Vernimm sogleich, um was es sich handelt. Dieser Knabe ist also verlässig?« – »Ich bürge für ihn.« – »Das genügt. Die Geheimnisse der heiligen Kirche werden nicht ungestraft ausgeplaudert. Dafür ist gesorgt«, fügte er langsam bei.

Da erschrak Julian heftig. Das war ein ganz anderer, ein scharfer Ton gewesen. Diese finstere Drohung schien nicht aus jener verklärten Seele aufgestiegen. Aber nun, gleich wieder ganz sanft und friedlich geworden, ließ sich Liberius auf eine Art Thronsitz nieder, vor dessen Stufen die beiden Besucher ehrerbietig zu ihm emporblickten. Er begann jetzt in jenem weichen, demutvoll klagenden Tonfall, der so bezeichnend ist für die Sprache der Kirche. »Unleidlich ist es, in dem Herrn geliebte Brüder, daß nicht einmal in dieser Stadt, die der Herr gewürdigt hat, die Gebeine der Apostelfürsten zu umschließen, dessen Nachfolger das mindeste zu sagen hat. Der Papst, der das von Gott verliehene Recht hat, den ganzen Weltkreis zu beherrschen, muß wenigstens in dieser seiner Stadt gebieten, die sein Haus, in deren Weichbild, die nur sein Hausgarten ist. Von hier aus mögen meine Nachfolger dann den ›orbis‹ erobern; ich beginne mit der ›urbs‹: mir nur die Stadt, ihnen dann einst – die Welt.«

»All das ist streng logisch«, sprach Lysias, »ist von jener großartigen Unbeugsamkeit, Unerbittlichkeit des Gedankens, welche die Kirche allunüberwindlich macht, sobald man ihr den ersten Heischesatz eingeräumt hat. Siehst du das ein, mein junger Freund?« Flammende Hitze war bei des Papstes Worten aufgestiegen in Julians bleiche Wangen; staunend hatte er die großen dunklen Augen auf den Redner geheftet. Jetzt, auf die Frage des Lysias hin, wollte er seinem Widerspruch stürmisch Ausdruck geben; allein, er bemerkte die scharf warnende Miene des Freundes. So bezwang er die heftige Wallung und brachte nur die verhaltenen Worte hervor: »Gewiß! Wenn man den Vordersatz zugibt. Allein . . .«

»Du zweifelst, Knabe?« herrschte ihn der Bischof an. »Lerne glauben, ohne zu zweifeln; hören und gehorchen werde dir eins. Noch wenig gereift hat ihn deine Zucht, Lysias.« – »Vergib ihm! Er ist noch gar jung, noch ungebrochen der natürliche sündhafte Mensch in ihm. Die Vernunft . . .« – »Diese Buhle des Satans!« – »Zumal aber der weltliche Sinn hält ihn noch gefangen, die stolze Freude an Staat und Staatsgewalt. Ist er doch, wie ich dir schrieb, einem Geschlecht entstammt, das wiederholt hervorglänzte in der Geschichte dieses Römerreiches . . .« – »Des heidnischen! Von allen Sünden und allen Dämonen beherrschten!« – »Aber doch des Großartigsten«, wagte Julian einzuwerfen, »was bisher Manneskraft und Heldentum geschaffen haben auf Erden.«

»Mag sein, kühner Weltling! Denn die Kirche, die unvergleichbar großartigere, hat nicht sündige Menschenkraft, sie hat der Heilige Geist geschaffen. Und – sehen wir davon ab! – welchen Wert haben im Vergleich mit der Kirche Recht und Staat und des Staates ganze sogenannte Herrlichkeit?« – »Heiliger Vater«, wagte der Jüngling schüchtern zu fragen, »haben nicht doch auch Staat und Vaterland ihre Berechtigung? Von jeher haben die Menschen in dem Helden, der für sein Volk kämpft, ein Herrliches bewundert . . .« – »Heidnische Menschen.« – »Die Dichter und die Geschichtsschreiber von Homer und Herodot bis auf unsere Tage . . .« – »Fleischlich, weltlich Gesinnte. Sie preisen die rohe blutige Gewalt.« – »Aber die Pflege des Rechts durch seine Juristen ist doch der Stolz des römischen Volkes! Und sagt nicht selbst der Apostel Paulus: ›Alle Obrigkeit ist von Gott geordnet‹?« – »Du wähnst in deiner Eitelkeit, mich in die Enge zu treiben, junger Mönch; aber du zwingst mich nur, noch tiefer einzudringen, dein Irrsal an der Wurzel zu fassen und es dir ganz aus den Gedanken zu reißen. Recht und Staat! Wohl; der Apostel nennt auch sie von Gott geordnet, und jedermann soll Untertan sein der Obrigkeit, die nun einmal Gewalt über ihn hat. Allein, sagt er etwa, daß dies erfreulich sei? Mitnichten!

Freilich: Recht und Staat und Obrigkeit sind notwendig. Unentbehrlich sind sie, jawohl! Aber nicht ein notwendiges Gut wie Kirche und Glaube, nein, wie die Krücke dem Lahmen, wie die bittere – oft an sich giftige – Arznei dem Kranken oder – gut für die andern! So wie der Maulkorb dem beißenden Hund, wie die Fessel dem Tobsüchtigen, wie der Käfig dem reißenden Tier nicht zu seinem, sondern zu der andern Vorteil aufgezwungen wird. Ein notwendig Übel sind Recht und Staat. Bevor der Lahme lahmte, bedurfte er der Krücke nicht, und gesundet er, fort wirft er den verhaßten Notbehelf, der ihn an seine Entwürdigung gemahnt. Der Gesunde nimmt die ekle Arznei nicht, und der Genesende speit sie aus seinem Munde.«

»Und das soll – ähnlich – gelten von Recht und Staat?« – »Gewiß, du allzu weltlicher Mönch! Oh, ich will sie dir zerschlagen, Recht und Staat und Heldentum, diese deine hohlen Götzen von Ton, daß du ihre Scherben mit Verachtung auf dem Boden von dir stoßest.« – »Darauf bin ich doch neugierig«, dachte Julian, mit kochendem Unwillen im Herzen. – »Waren im Paradiese Recht und Gericht und Staatsgewalt? Waren Krieger und Richter erforderlich, ja nur denkbar, solang der Mensch vollkommen war, wie Gott ihn geschaffen und gewollt? Sicher nicht! Erst durch den Sündenfall – also durch den Teufel – ist der Streit um Mein und Dein, ist der schwere Fluch der Arbeit – diese härteste Strafe, die, nach ausdrücklicher Erklärung der Bibel, Gott in seinem Zorn auf den Menschen gelegt – ist Gewalttat und Krieg unter die Menschen gekommen. Erst jetzt schlug Kain den Abel, erst jetzt stritten Abraham und Lot um die Weidegründe. Erst jetzt – also durch den Teufel – wurden Richter unentbehrlich und Krieger. Gott hat sie zugelassen, nun ja, wie der Arzt mit Seufzen den Gelähmten nach der Krücke greifen sieht. Durch den Teufel ist die Sünde, und durch die Sünde sind Recht und Staat gekommen in die Welt, und mit dem Teufel zugleich werden Recht und Staat und Richter und Imperator und deine lieben ›Helden‹ untergehen am Jüngsten Tage in strafenden Flammen. Im Himmel – im vollkommenen Zustand – werden die Seligen wieder so wenig des Rechtes, des sündhaften Staates bedürfen als weiland im Paradies. Fluch daher, wie über die Sünde selbst, so über Recht und Staat, ihre Nachkrankheiten! Ja, die Heiden, deren höchstes Gut das Vaterland, deren Licht die versündigte, verteufelte Vernunft, deren Heimat diese Erde; die mögen auf Recht und Staat und Heldentum das Schwergewicht all ihres Strebens legen. Aber gerade dies ist sündhaft, ist durch und durch sündhaft! Denn das Diesseits zieht vom Jenseits, das Fechten zieht vom Beten, das Richten vom Büßen ab. Des Christen Heimat ist nicht auf dieser Welt. Die Erde ist sein Kerker; er flieht, er haßt, er verachtet diese Weltlichkeit, die vom Fluch der Sünde, vom Teufel durchdrungen ist. Er wünscht sehnlich ihren baldigen Untergang herbei mit allem Pomp und Stolz von Staat und Recht, mit Richterstab und Heldenschwert! ›Eigentum?‹ Des Menschen Sohn hatte nichts, wohin er konnte sein Haupt legen! ›Strafrecht?‹ Christus lehrt, wer dir den Mantel raubt, dem gib das Wams dazu, wer dir die linke Wange schlug, dem biete die rechte zum Schlage dar. ›Richtertum?‹ ›Richtet nicht, auf daß ihr nicht gerichtet werdet.‹ Kein Christ darf einen Christen vor Gericht verklagen! Auf den Verbrecher soll den ersten Stein nur der Schuldlose werfen: also weder Richter noch Henker will Christus! All das sind Ausgeburten der durch den Sündenfall verdunkelten Vernunft. Ich wiederhole: Der Christ, der im Jenseits seine Heimat hat, darf, soll, kann kein Herz haben für die vergängliche, dem Untergang geweihte, versündete Welt und ihren Staat. Möge der bald mit dem Teufel zugleich in Flammen untergehen: es ist seine gerechte langverwirkte Strafe.« Hier machte der Erzürnte eine lange Rederast. Er suchte offenbar nach einem Übergang und fand ihn nicht.

In Julian tobte der leidenschaftliche Widerspruch, aber das warnende Auge des Lysias hielt ihn in unwilligem Schweigen gebannt.

»Einstweilen aber«, fuhr endlich der Bischof fort, »solang das Reich Gottes, das himmlische, nicht gekommen ist, solang die Kirche auf Erden den als ein Übel von Gott einstweilen noch geduldeten Staat neben sich ertragen muß, einstweilen muß doch schon – in aller Demut! – dafür gesorgt sein, daß das Oberhaupt der Kirche nicht jenen sündhaften Weltlingen in Ohnmacht zu Füßen liegt. Es muß wenigstens der Anfang geschaffen werden auch einer weltlichen Herrschaft der Kirche, die erste Stufe muß gelegt werden zu einem stolzen Bau, auf dessen Spitze der römische Bischof dereinst die oberste Gewalt, auch die weltliche Herrschaft, üben wird auf der ganzen Erde.«

Hoch auf horchte Julianus. Der Papst bemerkte seinen fragenden Blick. »Ja, auch auf Erden! Was ich binde oder löse, soll auch auf Erden schon gebunden sein oder gelöst. Wie kann ich binden und lösen – auch auf Erden! – ohne irdische Macht? Jeder heidnische Centurio des Imperators hat mehr Befehlsgewalt in den Straßen Roms denn der Nachfolger Petri. Das muß anders werden.«

Einen raschen, warnenden Blick warf Lysias auf den jungen Mönch. »Ich staune doch!« sprach dieser. »Mit welcher Demut hast du, erhabener Vater, noch bei dem letzten Eintritt des Imperators – man schrieb es uns in das Kloster – dich den Knecht . . .«

»Ei, es ward mir schwer genug, das Haupt der Kirche, die da heilig ist, zu beugen vor dem unheiligen Haupte des unheiligen Staates. Aber noch – noch kann ich meine Ansprüche nicht den Laien zu erkennen geben; denn noch kann ich sie nicht beweisen. Und um den Beweis zu beschaffen, deshalb hab ich dich, o Presbyter, die Schärfe deines im Urkundenwesen und im weltlichen Recht vielbewanderten Geistes berufen. Der gottselige Abt Konon hat dich mir auf das wärmste empfohlen. Und deshalb auch hab ich diesen noch Unreifen zugelassen zu unserer Unterredung, auf deinen brieflichen Wunsch; du rühmtest, er sei geschickt im Schreibwerk und mit der Sprache der Rechtskundigen im Kloster wohlvertraut gemacht worden. Wohlan, hier mag der Anfänger seine Erstlingsleistung schaffen: in dem Dienst der Kirche.«

Mit äußerster Spannung hefteten sich die dunklen Augen Julians an die schmalen, scharf geschnittenen Lippen des Bischofs; er brachte kein Wort hervor.

An des Sprachlosen Statt sprach Lysias: »Er wird es sich zu höchster Ehre rechnen, auch im Unscheinbarsten dir, Heiliger Vater, zu dienen. Vergib sein seltsam Schweigen; die Ehrfurcht, die tiefe Scheu vor deiner hohen Würde bindet ihm die Zunge. Wohlan, sprich es aus: Was soll ich, was soll der Jüngling für dich tun?« – »Eine Urkunde schreiben.« – »Gern. Welcher Art?« – »Eine Schenkungsurkunde. In aller Form Rechtens, hört ihr? Scharf, genau, mit Einfügung aller Klauseln, die ein solches Rechtsgeschäft unanfechtbar machen für jedermann.« – »Das soll geschehen. Allein, weshalb wählst du hierfür nicht . . .?« – »Einen weltlichen Rechtskundigen?« lächelte der Bischof, »aus guten Gründen! Es handelt sich um eine Schenkung des frommen Imperators Constantin, dem Gott nun im Himmel seine Verdienste um die Kirche in ewiger Seligkeit vergilt.«

Julian schoß eine Blutwelle in das Antlitz.

»Ihr werdet eine Urkunde aufsetzen, in welcher der Imperator zum Dank für die wunderbare Heilung von dem Aussatz meinem Vorgänger, dem wundertätigen Sankt Silvester, und dem römischen Stuhl für ewige Zeiten zu eigen schenkte die Stadt Rom und das Weichbild von Rom im Umfang von soundso viel Miliarien (. . . das werd ich noch nachtragen . . .!), mit allen Herrschaftsrechten der imperatorischen Gewalt; also mit dem Recht, eigne Truppen zu halten, Krieg zu führen, Verträge zu schließen, Frieden zu machen, Gerichtsbarkeit in Straf- und in bürgerlichen Sachen, Verwaltungshoheit, Münz-, Zoll- und Steuerrechte, Weg- und Brückenrecht; kurz, alle Hoheitsrechte, wie sie jetzt der Augustus übt.«

Ohne die Willensabsicht des Bischofs irgend zu verstehen, starrte Julian ihn an. Sogar Lysias faßte nicht gleich den Inhalt dieses Auftrags. »Ich staune! Solch unberechenbar weites Zugeständnis hat der Imperator der Kirche . . .?«

»Ja, der Aussatz ist ein schweres Leiden und nur durch ein Wunder heilbar!« – »Und aufsetzen? Abschreiben meinst du wohl, Heiliger Vater?« Unwillig erwiderte dieser: »Schwerfälliger! Wozu abschreiben? Das könnte ich doch selbst.« – »Ich verstehe nicht ganz . . .« – »Verfassen sollst du die Schenkung. Der Imperator trug sich, ich weiß es – oder ich will lieber sagen: ich vermute es – mit ähnlichen Gedanken. Mein Vorgänger Silvester drang in ihn mit solchen Bitten. Der Tod Constantins kam der Erfüllung zuvor. Wohlan! Verbessern wir sehend den blinden Zufall zu frühen Sterbens! Ergänzen wir, was der Imperator wollte, wollen sollte, wollen mußte, zum Heil seiner Seele und der Kirche. Ihr verfaßt den Rechtsinhalt der Schenkung. Seine Unterschrift . . ., die werde ich besorgen; ich kann sie machen, nachmachen . . . so gut . . . wie er selbst . . . Aber was ist dem Knaben . . .?«

»Nichts! Nur eine Ohnmacht!« sprach Lysias, den Sinkenden in seinen Armen auffangend. Der stöhnte noch einmal leise. Dann vergingen ihm vollends die Sinne.

 


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