Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Neuntes Kapitel

Sobald es völlig dunkel geworden, holte Lysias, der sich in die Stadt begeben hatte, den noch Wankenden ab aus seinem Versteck; beide warfen über die Mönchskutten lange Soldatenmäntel, die der Presbyter mitgebracht hatte. Durch menschenleere Gassen und Gäßlein führte der Ortskundige an das Pränestinische Tor im Osten der Stadt.

Der ägyptische Söldner, der hier Wache stand, senkte ehrerbietigst den Speer, als ihm Lysias ein Wort zuflüsterte, und ließ sie vorübergleiten.

Wenige Schritte vor der Umwallung lag seitwärts, rechts von der breiten Via Gabiana, ein ansehnliches Grabmal in einem kleinen Haine von Pinien: Die Obelisken zu beiden Seiten, die Sphinx als Wächterin davor, der Ibis als häufigstes Symbol wiesen auf das Land des Nils.

Lysias schlug in die Hand; da tönten leise Schritte aus dem Wäldchen. Ein Neger in der Tracht des Morgenlandes führte ein Roß und ein Maultier auf die Straße, half schweigend den beiden aufsteigen und verschwand, nachdem er ehrfürchtig vor Lysias die Arme über der Brust gekreuzt hatte. Der trieb beide Tiere zu raschem Ritt, bis sie die Stadt eine gute Strecke hinter sich hatten. Kein Wort sprachen sie. Mit stillem Staunen sah der Jüngling auf den von solchen Geheimnissen umgebenen Meister. Nun zog der die Zügel und hielt: »Hier wollen wir kurze Rast halten, mein Sohn«, mahnte er. »Steig ab und setze dich neben mich hier auf den Rasen und lehne den Rücken an diesen Meilenstein. Du bist noch recht schwach! Da, trinke von diesem Wein, du bedarfst der Stärkung. Ich binde die Tiere an jenen Ölbaum.«

Julian sah wie träumend um sich her, dann empor gen Himmel, wo ungezählte Sterne prachtvoll leuchteten. Alles deuchte ihm so rätselvoll.

Es war eine milde, warme Septembernacht; der Mond stieg eben im Osten aus dem niederen Buschwald empor und übergoß die weite Ebene mit seinem feierlichen Licht. Alles still, nur zuweilen hoch in den Lüften eines ziehenden Wandervogels Ruf. Der Jüngling saß regungslos, wie ein Verzauberter.

»Schläfst du, mein armer Knabe?« fragte Lysias, sich nun neben ihm niederlassend. »Nein, Meister. Ich wache und staune; und kann kein Ende finden des Staunens. Was hab ich erlebt, wie bin ich verwandelt seit wenigen Monden! Wie Schuppen gleitet es von meinen Augen. Aber am meisten staune ich über dich, du Mann der Wunder, der Geheimnisse. Sprich, bist du ein Zauberer, einer jener Magier deiner Heimat, dort am heiligen unerforschten Nil? Du hast bisher alle meine Fragen über dich, über die unfaßlichen Widersprüche in dir abgewiesen, hast mich stets auf die Zukunft verwiesen. Diese Zukunft, wann endlich wird sie Gegenwart?«

Der Gefragte antwortete nicht gleich; er zog aus der Brusttasche eine längliche Rolle, die mit Sternen, mit den Himmelszeichen, mit krausen, wirren Schnörkeln, mit Linien in verschiedenen Farben dicht überdeckt war. Sinnend blickte er hinein, sah dann, leise rechnend, auf gen Himmel, folgte mit dem Finger auf dem Papyrus mehreren Strichen und hob nun erst an: »Ja, mein Sohn, jetzt kam die geweihte Stunde der Enthüllungen. Günstig stehen alle Sterne, alle Zeichen winken Heil; sieh, diese goldenen Striche enthalten dein Horoskop.« – »Wie kommst du dazu, o Meister. Wer hat . . .?« – »Ein Freund, ein Lehrer, wenn du willst, wenigstens in Sternkunde, der zugleich ein treuer Freund deiner Eltern war, hat mir die Stellung der Gestirne im Augenblick deiner Geburt anvertraut, sobald ich ihm schrieb, daß ich dich in jenem Kloster gefunden. Denn du warst ja dort aller Welt verborgen. Nur jener blödgläubige Johannes – auch ein Bekannter deiner Eltern – hatte dich vor mir entdeckt.« – »Und wer ist jener Freund meiner armen Eltern, der sich um den eingesperrten Waisenknaben kümmerte?«

»Das bleibt geheim. Er will, daß sein Name nie genannt wird. Auf dem unverbrüchlichen Geheimnis beruht seine Macht.« – »Seine Macht? Welche Macht?« – »Die Macht, dir zu nützen, dich zu schützen. Ihm offenbar verdankst du den plötzlichen Umschlag . . .« – »Also lebt er am Hofe?« – »Frage nicht weiter. Aus deinem Horoskop nun, o geliebter Sohn, ergab sich mir, was mich im tiefsten Kern erschütterte: daß dein Geschick und das meine, das meiner . . . meiner Familie unauflöslich miteinander verflochten sind.« – »Das hat sich schon bewährt, mein Lehrer und Erretter«, sprach Julian, dankbar seine Hand ergreifend und an die Lippen ziehend.

»Aber mehr noch: Aus deinem Horoskop geht zweifellos hervor, daß du, ein Liebling der großen Götter, wie nur etwa noch Alexander oder Cäsar . . .« – »Alexander oder Cäsar«, wiederholte Julian in Bestürzung, weit die Augen aufreißend und in die Sterne schauend. »Berufen bist zu allergrößten Taten; ja zu der größten, die getan werden kann, sagen die Sterne.

Welche aber ist die größte aller möglichen Taten?

Das konnte, mußte ich leicht mir selber sagen! Nachdem die Lehre jenes jüdischen Schwärmers die alten Götter aus ihrer Herrschaft vertrieben hat: Was ist die größte Tat? Du wirst die Christenkirche stürzen und die Olympier rächen und erneuern.«

Da sprang Julian auf: »Aber ich glaube ja nicht an die Olympier.« – »Glaubst du noch an Christus?« – »Nein! Oder ja, ja doch! Nein! Ich . . . ich weiß es nicht. Mir schwindelt.« Er sank wieder gegen den Meilenstein. »Ich kann nicht mehr denken.«

»Du sollst jetzt nicht denken. Das heißt: nicht über diese schwersten Dinge. Du sollst, du mußt erst bei mir denken lernen.« – »O, mit welcher Heißgier werde ich jedes deiner Worte einschlürfen! Du bringst mir . . .« – »Die Freiheit. Die Schönheit. Die Wahrheit.« – »Aber verehrter, großer Meister – du selbst –, wer bist du? Welches Rätsel, welche Widersprüche schließest du ein? Ich lerne dich kennen in jenem Kloster als Priester, als Johannes übergeordnet, als Vertrauten des Abtes, der als ein kirchlicher Eiferer gilt, als Vertrauten sogar des Papstes, und zugleich bist du es, der mir die Augen öffnet, der mir den bisher so felsenfesten Glauben unterwühlt, der du die alten Götter verehrst. Und du hast Freunde am Hof! Du hast in Rom verborgene Freunde. Des Apollo-, des Osiristempels geheime Gewölbe sind dir zugänglich, der Ägypter am Tor beugt sich vor dir, stumme Neger dienen dir. Wer bist du, Lysias?«

»Ptolemäos heiße ich mit meinem wahren Namen. Das heilige Land des Nils ist meine Heimat. Väterlicherseits stamme ich ab von jenem großen Ptolemäos, der Alexanders Feldherr und Nachfolger in Ägypten war; aber die Mutter unseres Stammes ist eine Tochter der Pharaonen gewesen, und alle meine Ahnen sind Söhne und Priester des Sonnengottes und des Zeus Ammon, als dessen Sproß auch Alexander selbst sich fühlte. So haben meine Vorfahren seit unvordenklichen Tagen in Ägypten in königlichen, in priesterlichen, in halbgöttlichen Ehren gewaltet. Rom hat nach der Eroberung des Landes nur die weltliche Macht erworben und sie zum Heile, zur Wohlfahrt unseres Landes verwendet. Gar viel römisch Blut, Töchter der edelsten Geschlechter, haben sich dem Mannesstamm unseres Hauses zugemischt; so bin ich nicht minder Römer als Grieche und Ägypter. Die Größe Roms war auch unsere Größe; unsere priesterliche Herrschaft ward von Rom nie angetastet, vielmehr wurden Osiris und Isis und der unbesiegte Sonnengott am Tiber bald gefeiert wie am Nil. Als Oberpriester des ägyptischen Sonnengottes waren meine Ahnen, ja noch mein Vater, neben dem Statthalter Roms, oft auch vor ihm in der Verehrung des Volkes, die Ersten Männer des Landes! Da – da kam das Gräßliche. Das unertragbar Grausame! Kaum hatte Constantin die Kirchenlehre der Schranken entledigt und ihr sich parteiisch zugeneigt, da mißbrauchten die Bischöfe, die Priester, die Mönche die ihnen gewährte Freiheit zur furchtbarsten Unterdrückung des alten Gottesdienstes. Das Blut der Heiden floß in Strömen, unsere Tempel, unsere heiligen Haine, die Bilder der Götter wurden zerstört, verbrannt, zerschlagen, die Tempelschätze geraubt, den Kirchen zugewendet.

In einem solchen rasenden Ausbruch der christlichen Wut zu Memphis ward mein Vater, der götterweise Bokcharis, als Oberpriester des gesamten Götterdienstes am Nil am meisten von ihnen gehaßt – da er um keinen Preis die Taufe nehmen und nicht die verborgnen Tempelschätze ausliefern wollte – auf das grausamste gefoltert; dann, da er beharrlich blieb, ermordet; ebenso meine älteren Brüder. Unseres Geschlechtes uralte Paläste wurden niedergerissen, ausgeplündert, all unser Vermögen geraubt. Mich, den Zehnjährigen, rettete Tefnach – ein entfernter Verwandter – nur dadurch, daß er versprach, wie er selbst, unter Todesdrohung, die Taufe genommen, nun so mich zum eifrigsten Christen zu erziehen, zum Priester weihen zu lassen. Und die strenge Überwachung des Bischofs zu Alexandria sorgte dafür, daß dies alles geschah – äußerlich. Aber mein Erzieher – ich danke es dir, o Verklärter! – erzog mich im geheimen in dem glühendsten Hasse gegen die Christen, die Mörder meines Vaters, die Räuber unseres Vermögens, die Verderber unserer Götter, die Schänder unserer Heiligtümer. Er weihte mich in alle Geheimlehren, in alle Weisheit und Wissenschaft Ägyptens ein. Wisse: Alle heimlichen Verehrer der alten Götter standen und stehen in verborgenem innigen Zusammenhang. Er war das Haupt dieses geheimen Bundes, dessen Glieder über alle drei Erdteile verstreut sind; und als er starb, schwor ich, als sein Nachfolger, in seine erkaltende Hand: Ich werde nicht ruhen und rasten, bis ich an den tief gehaßten Christen tausendfältige Rache, wilde, heiße, unersättliche Rache genommen und die alten Götter Ägyptens, Griechenlands und Roms wieder eingesetzt habe auf die goldenen Stühle ihrer Weltherrschaft!

Ich habe geschworen, und ich werde es halten: Rache, Rache, fürchterliche Rache!

Und an Stelle der Bischöfe soll in Ägypten vom Kanopos bis Meroë wieder herrschen sein ehrwürdigstes, den Göttern entstammendes Priestergeschlecht: ich selbst und . . . mein Haus – und du, geliebter Sohn, den, einen Sproß des verhaßten Hauses der Constantier, die Sterne, nein, die Götter selbst, mir zugeführt haben, neben mir zu kämpfen, zu siegen, zu rächen und zu herrschen im Morgenland und Abendland. Sieh, da schoß am Himmel hin ein Stern, die Götter winken Gewährung. Auf! In den Sattel! Deinem Ziel entgegen!«

 


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