Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Einundzwanzigstes Kapitel

Ungleich ernster als solcher Ärger beschäftigte den Herrscher, neben der unablässig betriebenen Kriegsrüstung, die Flut von Klagen, von Anklagen der Christen in allen Provinzen seines Reiches gegen Unterdrückung und Verfolgung durch seine »hellenistischen« Beamten und Priester; ein Schrei, der vielhundertstimmig hier an sein Ohr schlug. Und mit bitterem Schmerz mußte er wahrnehmen, daß die zahlreichsten und heftigsten Anklagen sich in jenen Provinzen erhoben, für die er zur Durchführung seiner Maßregeln den Nächstbefreundeten bestellt hatte: Lysias! Mit kühner Überschreitung seiner Vollmacht war der Oberpriester des Apollo aus Byzanz vor allem nach Gallien geeilt. Zu Paris erhoben die Christenpriester die heftigsten und wie es schien, vollbegründeten Klagen über seine Gewalttätigkeit. Von da und von Italien aus war er nach kurzem, aber ebenfalls bitter beklagtem Eingreifen in den Provinzen Dalmatien, Thrakien, Pontus, Galatien, Kappadokien, Syrien, in sein geliebtes Heimatland am Nil gereist, wo er die Erweisung königlicher Ehren verlangte. »Als Vertreter des Augustus«, wie er das später entschuldigte. Bald nach seinem Eintreffen brach ein wütender Aufstand der Heiden zunächst gegen den arianischen Bischof Gregor aus, der grausam gemordet ward. Aber auch mit dem katholischen Erzbischof Athanasius suchte er alsbald herausfordernd Händel.

Die erdrückende Menge solcher Anklagen zwang den Imperator, mit schwerem Herzen Untersuchung gegen seinen geliebten Lehrer einzuleiten. Er übertrug die Prüfung der übrigen Beschwerden Jovian; gerade weil dieser in dem letzten Jahr mehr und mehr als Verteidiger der Galiläer gegen Julians Abneigung aufgetreten war, wie dieser nicht ohne leisen Schmerz bemerkte. Die Händel mit Athanasius aber überwies er Serapio, der ohnehin schon mit einem Bericht über diesen Vorkämpfer der Katholiken betraut war. Aber wiederholt hatte der Franke um Aufschub gebeten. »Weshalb? Alle Urkunden, alle Aufzeichnungen über den Alexandriner stehen dir ja aus den Archiven des Staates zur Verfügung.« – »Gewiß! Aber die Gestalt des Mannes stieg und steigt mir aus alledem so hoch empor, je mehr ich über ihn erforsche, daß ich fast den Maßstab verliere für solche Größe. Er darf doch nicht seinem Richter unerreichbar über den Kopf wachsen. Gedulde dich noch! Dieser Athanasius ist entweder einer der ärgsten Heuchler und Ränkeschurken, oder er ist einer der allergrößten Menschen – an Willenskraft und Geist –, die je gelebt haben. Ich möchte dir wünschen, o Freund, ich käme zu dem ersten Ergebnis. Aber ich glaub es täglich weniger. Geduld noch, kurze Zeit.« – »Wohl denn! Jedoch bevor Lysias, den ich hierher vorgeladen, eintrifft, muß ich ausreichend unterrichtet sein.« Ungeduldig drang Julian in beide Freunde, ihre Arbeit abzuschließen.

 

Ehe wenige Tage darauf die Berichterstattung der Beauftragten begann, wandte sich der Herrscher lebhaft an Jovian: »Sage doch, Freund, was ist mit meiner Mutter, meiner Schwester? Wiederholt hab ich sie dringend eingeladen nach Byzanz, seit wie lange hab ich sie nicht mehr gesehen! Immer hieß es, die Mutter sei zu schwach, zu reisen. Wann hast du – denn dir hab ich all meine Briefe an beide diktiert – zuletzt Nachricht von ihnen erhalten?«

»Soeben. Ich wollte dir gerade den Brief deiner Schwester vorlegen. Sie ist – gemäß deinem Wunsche, der zuletzt Befehl geworden war – aufgebrochen von Marseille und auf dem Wege nach Byzanz.

»Wohl, wohl. Dort soll sie in das von mir gegründete Heiligtum eintreten, das ich der Juno Pronuba geweiht habe, und von den Priesterinnen daselbst tiefer in den Hellenismus eingeweiht werden; denn diese Seele ist mein. Ich lasse sie dem Galiläer nicht! Aber die Mutter? Sie begleitet sie doch?«

»Nein, Julian; sie . . .« Jovian stockte. »Hält sie noch immer ihre Gesundheit zurück? Ihre Augen wohl . . .?« – »Nicht doch. Aber . . .« – »Nun, was aber?« – »Sie ist schon abgereist. Nicht nach Byzanz. Nein. Von Johannes begleitet nach Rom. Und von da nach Jerusalem.« – »Nach Rom? Nach Jerusalem? Was tut sie dort?« – »Nun, was man dort tut: beten. Sie . . . sie ist . . . ich wollte dich bei deinen vielen bitteren Erfahrungen nicht auch noch in diese tauchen, vor der Zeit. Aber sie ist – mit deinen Maßregeln – mit allem, was du seit Straßburg getan, nicht einverstanden.« – »Ja freilich wohl!« seufzte Julian schwer. »Und so ist sie – um für dein Seelenheil zu beten, um ein Gelübde zu erfüllen – aufgebrochen, an die Gräber der Apostelfürsten und an das Grab des . . . ihres . . . Erlösers zu pilgern.« – »O Mutter, Mutter! Auch du! Aber ich konnte es ja wissen! Und das erfahre ich jetzt erst?« – »Soeben erst, wie ich dir sagte, erfuhr ich's ja selbst.« – »Und dieser vielgeschäftige Johannes! Wie ein Eichhörnchen huscht er hin und her! Was hat er immer durch die Provinzen zu eilen?« – »Sei nicht undankbar, Julian. Du weißt, er pilgert stets zwischen Rom und Jerusalem. Und ich meine, du verdankst ihm gar viel, diesem hin- und hereilenden Mönch.«

»Ah, Mutter, Schwester – auch nicht auf meiner Seite! Sowenig wie die Freunde! Aber Juliana soll, muß mir gewonnen werden! Ich meine«, er sah dem Freund innig in die Augen, »auch du hast keine Freude daran, verfällt dies schöne Geschöpf dem Galiläer?« Jovian schlug die Wimpern nieder. Er errötete stark. »Man muß seiner Überzeugung folgen, Julian. Auch ohne Grübeln, der Herzensüberzeugung.«

Erstaunt sah der Imperator auf den Freund. Aber er unterdrückte einen unwilligen Ausruf und mahnte, sich auf dem Ruhebette lagernd: »Wohlan! Beginnt mit euren Berichten. Erst du, Jovian, mit den allgemeinen Klagen der Galiläer wegen meiner ›Verfolgungen‹. (Hört es, all ihr Götter!) Dann du, Serapio, über diesen Athanasius, der wirklich ›unsterblich‹ zu sein scheint, so lange verfolgt er nun schon Constantin, Constantius und Julian.«

»Die Klagen der Christen sind Legion«, begann Jovian, auf eine hohe und weite Urne deutend, die Schreibsklaven auf seinen Wink hereintrugen und vor ihm niederstellten. »Ich habe heute nur die gegen Lysias erhobenen mitgebracht: Sieh diesen hohen Haufen! Er hat es – so will es scheinen – am ärgsten getrieben oder treiben lassen. Aber auch andere deiner Beamten und Priester haben deine Aufträge und ihre Amtsgewalt auf das schlimmste mißbraucht; so arg, daß eine allgemeine Gärung unter den Christen aller Provinzen brütet. Es würde mich nicht wundern, bräche hier und da offene Empörung aus . . .« – »Sie sollen's wagen!« rief Julian. »Ich gestehe«, fuhr Jovian innerlich tiefbewegt fort, »nichts hat mich den Christen und ihrer Lehre näherbringen können als der Auftrag, den du mir vor Monaten gabst, die Beobachtung ihres Verhaltens unter hartem, grausamem Druck. Ihre Überzeugungstreue, ihre Langmut, ihre Feindesliebe sind erstaunlich. Das sind nicht mehr die zanksüchtigen, herrschgierigen Bischöfe und Priester der Zeiten des Constantius.«

»Ja, ja«, warf Serapio ein. »Die verfolgte Kirche war immer großartiger als die verfolgende.« Unwillig mahnte Julian: »Ich ein Verfolger! Beende deinen Lobgesang und beginne deinen Bericht.« – »Am meisten wird Mißbrauch getrieben mit deinem Gebot der Rückgabe des Landes, das unter Constantius den Tempeln oft entrissen worden ist, um Kirchen darauf zu bauen, und überhaupt diesen Tempeln und ihren Priestern den zugefügten Schaden zu ersetzen.«

»So?« brauste der Imperator auf. »Soll das vielleicht nicht geschehen? Mit Axt und Beil, an der Spitze ihrer Gläubigen, sind Bischöfe in wütendem Anlauf in die säulentragenden Tempel gedrungen und haben die Bilder der Götter zerschlagen, die Tempelschätze wurden meist dabei geraubt. Sollen die Brandstifter, die Tempelschänder, die Räuber ihren Raub behalten, sich ihrer Gewalttaten erfreuen? Nein, bei Phöbos Apollo!«

»Wohl. Aber nun reißen die ›Hellenisten‹ ganz genauso die Basiliken nieder, die an der Stelle der zerstörten Tempel oder doch auf Tempelland errichtet wurden. Und wie wüten dabei deine Priester!« – »Sind es nicht mehr die deinigen?« Aber Jovian überhörte – so schien es – die Frage und fuhr fort: »In allen Städten, die Lysias besuchte, forderte er die Christen auf, die Leichen zu entfernen, die sie seit zwei Jahrzehnten in den Hainen der Tempel bestattet hatten.« – »Mit Recht! Denn das war frevle Tempelschändung, Entweihung der Heiligtümer, ein Greuel den schönen Göttern!« – »Aber Imperator! Tausende von Gräbern sind's, in gutem Glauben, mit Ermächtigung von Constantius, errichtet. Erklärten nun die Christen, sie könnten das nicht oder doch nicht sogleich, was tat dein Stellvertreter? Er selbst stürmte, mit Schaufel und Karren, rasende Haufen anführend, in diese Friedhöfe, riß die Gräber auf, warf die Knochen auf die Karren und ließ sie abladen ins Wasser oder auf die Abfallstätten. So geschah's in Gaza und in Askalon, in Cäsarea wie in Hierapolis und an vielen anderen Orten. Widersetzten sich die Christen, so entbrannte sofort der Straßenkampf. Weiber mit ihren Spindeln, Köche mit ihren Bratspießen durchbohrten die halbtoten Christen, die Heidenpriester schleiften deren Leichen durch die Straßen, schlürften in wahnsinnigem Aberglauben das frische Blut gemordeter Jungfrauen, ja in Gaza mischten sie die zerhackten Fleischfetzen erschlagener Christen mit Gerste und warfen sie den Schweinen zum Fraße vor; in Masuma haben die Priester der Bellona einen Diakon an dem Altar ihrer Göttin geschlachtet und mit seinem Blut ihre Speerspitzen bestrichen.« – »Und Lysias?« fragte Julian entrüstet. »Lysias hat überall diese Wut entzündet, hat nirgends etwas getan, sie zu löschen. Er stand dabei, er ließ es geschehen, obwohl er nach deiner Vollmacht überall die Krieger aufbieten darf. Diese selbst, oft barbarische Söldner, weder Christen noch ›Hellenisten‹, schritten von sich aus ein und schafften Ruhe. Aber weiter. Die Bischöfe können oft beim besten Willen nicht die ungeheuren Summen aufbringen, die Lysias als Schadenersatz verlangt. Dann geht die Vollstreckung in die Person, in den Leib des Schuldners, hat Lysias erklärt.« – »So besagt das Gesetz der Römer«, sprach Julian achselzuckend. »Ja, aber was hat Lysias getan zu Arethusa in Syrien?« – »Ah ja«, rief der Imperator zornig, »ich denke daran! Da war es, daß Bischof Marcus mit eigener Hand mit dem Spaten ein wunderschönes Marmorbild der Demeter zerschlug und in ihren Tempel und Hain die Brandfackel warf. Lebt er noch, der Frevler?« – »Durch ein Wunder. Denn da er die von ihm verlangte Million nicht zahlen konnte, warf sich Lysias mit einer wütenden Rotte auf den alten Mann, ließ ihn furchtbar geißeln, den Bart ausreißen und setzte ihn zwischen Himmel und Erde, in einem Netz auf hohen Stangen, nackt, mit Honig überstrichen, den Glutstrahlen der syrischen Sonne und den Stichen der Insekten aus.« – »Das hat mein Lehrer nicht getan.« – »Nein, aber tun lassen. Er stand dabei, nachdem er die Geißelung selbst befohlen hatte. Jetzt streiten sich Katholiken und Halbarianer um die Ehre, diesen Märtyrer für sich in Anspruch zu nehmen.« – »Fürchte die Märtyrer!« warnte Serapio, »mehr als Perser und Parther!« – »Durch solch Scheußliches gereizt, rühmt sich nun freilich Marcus und alles Christenvolk im Lande laut jener Tempelzerstörung.« – »Da siehst du's.« – »Sollen solche Leidenschaften, solch wahnsinniges Wüten dein Volk zerspalten? Halt ein, Julianus! Du bist nicht der Imperator der ›Hellenisten‹ nur, sondern der aller Römer. Auch den Christen schuldest du Schutz und Recht.« – »Denk nach, Julian! Kann dieser Lysias sein Amt behalten?« fragte Serapio. »Nein«, sprach Julian ernst, »gewiß nicht! Und solche Dinge geschehen unter meinem Zepter! Große Götter, warum ließet ihr das zu?« – »Ich wäre noch lange nicht zu Ende«, sprach Jovian, die Papyrusrollen in die Urne zusammenwerfend. »Aber ich meine, es langt. Begreifst du nun, o Julian, daß sich in diesen Wochen mein Herz von deinem ›Hellenismus‹ ab- und den Christen zugewendet hat?« Julian schwieg. Finster sah er vor sich nieder. »Es ist hart«, seufzte er endlich, »schlägt das Streben nach höchster Gerechtigkeit zu höchster Ungerechtigkeit aus! Serapio, nun berichte du über jenen Athanasius.«

 


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