Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Einundzwanzigstes Kapitel

Die Sonne neigte nun zum Untergang, rötliches Dämmerlicht flutete über die Ebene des fernen Po und ließ die Türme und Wallmauern von Mailand wie von Purpur übergossen erstrahlen. Da hielt ein kleiner Reiterzug, armenische Söldner waren es, vor dem südöstlichen Tor, der Porta Romana. Während der Anführer mit der Torwache verhandelte, spornte ein Unbewaffneter – nur trug er statt des Reisehutes einen Helm – sein Roß an die halboffne schwarze Sänfte, die in der Mitte des Zuges geführt wurde.

»Wir sind am Ziel, Julian«, rief der Reiter, ein stattlicher Jüngling, der ein paar Jahre älter schien als der Gefangene. »Da vorn begrüßen dich die Zinnen von Mailand.«

»Blutigrot ist ihr Gruß, moriturum salutant!« erwiderte Julian, den Kopf aus dem Fenster der Sänfte vorstreckend. »Zum letzten Male wohl sehe ich ihn scheiden, den schönsten der Götter. Und Abschied nehmen nun auch wir, o mein Jovian. Wie soll ich dir danken für all deine Freundschaft, deine todesmutige Treue! Fast mit Gewalt ertrotztest du's, den Verhafteten aus Athen, mitten aus deinen, aus unsern strategischen Studien herausgerissen, bis hierher begleiten zu dürfen. Weh um deine künftige Laufbahn! Du hast dich den Mächtigen verdächtig gemacht. Aber kehre jetzt wenigstens um; tritt nicht freiwillig in die Höhle des . . .«

»Löwen – willst du doch nicht sagen? Wo wäre da der Löwenmut und die Löwengroßmut? Nein, Freund Julian. Der Himmel hat mir nicht den kleinsten Teil deines Geistes gegeben, aber du sollst es erleben, es gibt noch ein treues Herz, es gibt altrömische Freundschaft. Das Tor geht auf. Rasch hinein.«

Damit spornte er sein Pferd und sprengte hinter dem Befehlshaber über die Fallbrücke. Die Sänfte folgte. »Wie heißt es doch in meinem Drama ›Euridike‹«, sprach Julian: »Das Tor des Hades schließt sich rasselnd hinter mir, doch hohe Götter walten in dem Hades auch.«

»Kein übler Vers und auch kein übler Trost.«

 

Zu derselben Zeit ging der Imperator mit hastigen, ungleichen Schritten in seinem Gemach auf und nieder.

»Jetzt – jetzt muß er herein sein. Jetzt hab ich ihn! Wer weiß, ob es nicht doch klüger wäre, den Rächer für immer unschädlich zu machen. Freilich: Gallien und die Barbaren und Philippus mit seinen Sternen! Jedenfalls entscheide ich mich erst, nachdem ich den Knaben von Angesicht gesehen. Und durch Geiseln will ich seine Treue binden, die seinem Herzen nahestehen. Sie sind doch schon angelangt?«

Er trat auf die Schwelle des Gemaches; hier wachte statt des riesigen Alemannen ein Neger aus der Libyschen Wüste; der hockte auf den Fersen und betete zu einem Götzen, der auf ein Straußenei gemalt war; fast nackt, trug er nur einen scharlachroten Schurz um die Lenden, in dessen Gurt ein langes, geschweiftes Messer stak. Des Constantius Züge verfinsterten sich bei dem Anblick: »Ah, ein schwarzer Hund heut statt eines weißen? Hm, ja! Den Germanen hat Eusebius dem Henker überantwortet.« Er winkte dem Neger; der sprang auf und kreuzte demütig die Arme über der nackten Brust. Der Augustus fragte: »Die beiden Frauen . . ., sind sie eingetroffen?« – »Schon heute früh, o großer Herr der Erde.« – »Und getrennt untergebracht?« – »Wie du befahlst, o herrlicher Leu. Die ältere, die aus Aquilea kam, in den Bädern Diokletians; die jüngere, die aus Syrakus, in dem Garten deiner Villa am Lambrus.«

»Gut. Befehle ich, den Mann zu verhaften, den ich jetzt erwarte, werden die beiden Frauen sofort zurückgeführt in ihre Verbannungen. Andernfalls bescheidest du sie hierher in den Palast, aber in die Gemächer meiner Gemahlin. Da ertönt der silberne Hammer im Vorsaal. Mein Vetter kommt. Du untersuchst seine Gewänder; er ist gefährlich – hörst du? Sehr! Nicht das kleinste Messer, nicht eine Nagelfeile duldest du bei ihm. Eile ihm entgegen . . .«

 

Alsbald standen sich der Imperator und sein Gefangener gegenüber.

Julian blieb hart an der Schwelle stehen, Constantius hatte sich auf einen erhöhten Sitz niedergelassen; das Gemach war durch mehrere Flammen duftenden Öles auf Schalen hoher Kandelaber wir durch Tageslicht erhellt. ›Das also ist der Träger der römischen Herrlichkeit‹, war Julians Gedanke, ›er ist ihr nicht gewachsen.‹

Constantius aber dachte: ›Dieser bleiche Knabe – mit den schwärmerischen Augen –, er ist nicht gefährlich.‹ Nach längerem Schweigen begann der Imperator: »Vetter Julian, was erwartest du hier zu finden?« – »Den Tod.« – »Hast du ihn verdient?« – »So wenig wie mein Vater.« – »Und dein Bruder? Hat der nicht den Tod verdient?« – »Leider, ja.« – »Das gefällt mir, dieses Ja. Wäre ich nur für mich vorsichtig, hättest du Ursache, zu fürchten. Aber ich bin Gott« – er schlug das Zeichen des Kreuzes – »verantwortlich für dies Reich der Römer. Ich bedarf dein; nicht ich, vielmehr das Reich der Römer: Willst du ihm dienen?« – »Ja, treu bis in den Tod.« – »Willst du auch mir treu dienen?« – »Dem Reich und dir.« – »Das gefällt mir, Vetter.« ›Er ist von kindlicher Einfalt‹, dachte er beruhigt. »Höre: Ich brauche einen Vertreter in Rat und Schlacht. Unverwandte Vertreter sind gefährlich, wir haben's erlebt! Ich wählte darum deinen Bruder; wir haben's erlebt, was davon kam. Wenn ich nun dir vertraue, wirst du – wie er – mein Vertrauen mißbrauchen?« – »Nein.« – »Wohlan. Ich will es mit dir wagen. Gallien ist . . . ist . . . stark bedroht, vier . . . fünf Städte sind in der Hand der Germanen.« – »O Schmach und Schande!« – »Hm, auch dieser edle Zorn gefällt mir.« ›Brächte doch auch ich solch töricht Aufflammen zuwege‹, dachte er. »Willst du ausziehen, Gallien dem Römerreich zu erhalten?« Begeistert schritt der Jüngling drei Schritte vor. »Ich . . .?« – »Bleib! Bleib, wo du stehst! Nicht näher! Nun, willst du?«

Gluten stiegen in Julians bleiches Antlitz, als er zögernd wiederholte: »Ich? – Ich bin kein Feldherr!« – »Ah«, meinte Constantius mit Behagen, »ich seh's, du fürchtest die Germanen.« – »Beim Helios – nein.« – »Bei . . . bei . . . wem . . . schwörst du, Unseliger?« schrie Constantius aufspringend. »Vergib . . ., beim Genius Roms!« – »Auch noch sehr heidnisch. – Also du willst . . .?« – »Ich . . . ich weiß nicht, was ich können werde. Aber ich habe den besten Willen; nichts steht mir höher als dies Reich der Römer und sein Wohl, das darfst du glauben.« Bei diesen Worten verschönte sich das jugendliche Antlitz, die dunklen Augen leuchteten.

»Schwöre mir, Gallien nicht zu verlassen, solang ein einziger Barbar unbesiegt in Gallien lebt.«

»Ich schwöre.« – »Gut, ich glaube dir, Julian. ›Der Knabe ist ein Schwärmer durch und durch!‹ Aber nicht deinem Wort allein; ich werde dich zu binden wissen. Was weißt du von . . . von deiner Mutter . . ., deiner Schwester?« Da fuhr Julian flammend auf: »Unmenschlich ist's von dir, diese Frage zu tun.« Wohlgefällig nickte der Imperator: »Hm, du liebst sie also heiß! Sie, oder ihr Andenken. Nun wisse: Deine Schwester lebt.« – »Ich hörte davon.« – »So? So? Ei sieh! Nun: Auch deine Mutter lebt.« – »O Constantius, Dank! Welche Gnade! Welche Güte.« Und überwältigt von Rührung sank er auf die Knie, Tränen brachen aus seinen Augen.

›Er weint; er ist ganz ungefährlich‹ »Mehr noch, ich habe beide kommen lassen aus ihren bisherigen Ver . . ., Verweilungen. Sie sind hier.« – »Hier? Ich darf sie sehen! O Constantius! Laß mich . . .«

»Gemach! Das Wiedersehen und die Freiheit von euch dreien ist der Preis für Verpflichtungen, die du übernehmen wirst. Du gehst nach Gallien, sobald ich es befehle.« – »Mit Freude!« – »Du übernimmst es, die Provinz den Barbaren zu entreißen mit den Mitteln, die du dort antreffen wirst.« – »Herr, welche sind das? Wie viele Legionen, welche Gelder, welche Vorräte? Welche Städte sind verloren, welche noch unser?« – »Hm, diese Fragen mißfallen mir sehr! Wie? Du willst schon markten, feilschen? Reut dich dein Ja?« – »Nein doch. Aber Köln vor allem, Köln ist doch noch nicht gefallen? Wenn das wäre . . ., könnte ich's nicht übernehmen. Soviel habe sogar ich schon von Feldherrnschaft für Gallien gelernt. Wie steht's mit Köln?«

Constantius schien die Frage zu überhören; er hastete unmutig in dem Gemach auf und nieder.

Aber Julian beharrte: »Köln ist doch noch unser?« – »Ja, ja doch!« fuhr ihn der Augustus heftig an. »Ich würde ja selbst gehen, die Aufgabe zu lösen, ist sie doch gar leicht. Allein, mich und alle Kräfte des Reichs rufen die Sarmaten an den Ister, die Perser an den Euphrat. Nicht einen Mann mehr, als in Gallien stehen, darfst du von mir verlangen. Willst du Gallien damit retten oder den Barbaren überlassen für immer?« – »Niemals! Was ist es auch, das ich wage? Mein Leben? Es gehört dem Reich. Mein Name, mein Ruhm als Feldherr? Ach, ich habe keinen zu verlieren. Meine Eitelkeit? – Die zu verlieren wäre ein Gewinn. Es sei!« – »Gut. Aber nicht nur als Feldherr, als Herrscher brauche ich dich in Gallien. Ist die verwüstete Provinz den Barbaren entrissen, muß sie wieder bewohnbar gemacht werden. Cäsar mußt du werden.«

›Wie Gallus‹ dachte Julian.

»Wie Gallus, denkst du jetzt. Ja, laß dich seinen blutigen Schatten warnen. Bleibe treu! Bedenke . . .«, hier schritt er plötzlich dicht an ihn heran und sah ihm mit drohendem, grausamem Blick ins Auge: »Bedenk es wohl: Deine Mutter und deine Schwester sind in meiner Hand; wertvolle Geiseln!« Er trat nun zwischen die Vorhänge und winkte dem Neger: »Rufe die Frauen.«

Julian fuhr auf: »Du . . . du bist furchtbar, Imperator!«

»Vergiß das nie! Die Furcht vor dem Imperator«, höhnte er, »ist der Weisheit Anfang; wenigstens für seine Untertanen. Und höre noch eins: Als Cäsar sollen die Provinzialien nur einen Mann verehren, der dem Herrscher möglichst nahe verbunden ist. Nun bist du zwar mein Vetter; aber das genügt nicht. Du warst auch mein Schwager; jedoch dies Band zerriß schon längst der Tod. Es soll neu geknüpft werden. Meine Schwester soll deine Gemahlin werden.« Julian fuhr auf. »Nein, o nein! Nie. Nie!« Grimmig zischte Constantius ihn an: »Nein? Du wagst es? Bist du rasend? Die höchste Ehre der Welt? Und ein Wink von dieser Hand und dein Kopf schmückt die Zinnen dieser Feste. Und du wagst es . . .?« Julian hörte die Drohung gar nicht. Er hatte die Augen geschlossen und beschwor, nach innen blickend in seine Seele, ein Mädchenbild herauf, das hier ruhte wie unter silberner Flut: ›Helena!‹ sprach er zu sich selbst. ›Helena! Darf ich? Dich lieb ich! Keine andre je! Darf ich, diese Liebe im Herzen, einer andern Gatte werden? Ich müßte ihr sagen, daß nur das Reich, der Staat . . . Aber nein! Nein! Keine Spaltung zwischen Ehe und Liebe. Hilf mir, Helios, mein Gott! Keine Unwahrheit! Lieber den Tod als des Herzens Lüge.‹ – »Nein«, sprach er laut, aus seinem Brüten auffahrend.

»Nein wagst du zu sagen . . .? Unseliger, so sei denn . . ., Schweig! Da – da sind sie.« Julian rührte sich nicht. Das Haupt auf die Brust gesenkt, blieb er regungslos stehen, die Augen zu Boden geschlagen. »So seid ihr einig, Dank dem Himmel?« fragte eine sanfte Stimme. Die Imperatrix schwebte freudig bewegt über die Schwelle. »Aber nein, so scheint es! Der Augustus zürnt; wie finster er blickt! Hilf mir, o hilf, Helena, ihn versöhnen.« Bei dem Namen Helena fuhr Julian aus seinem Brüten; er wandte sich; er sah die beiden Frauen.

Da schrak er zusammen, das Blut schoß ihm in die Wangen. Er taumelte; er stützte sich auf die nächste Halbsäule, welche eine Büste Constantins trug.

»Bei . . . bei allen Göttern! Imperator«, fragte er, »wer . . .? wer . . .? welche von beiden ist deine Schwester?« Bevor Constantius antworten konnte, faßte die Imperatrix die Jungfrau an der Hand und führte sie raschen Schrittes dem Jüngling zu: »Diese da«, lächelte sie traurig, aber mit herzgewinnender Anmut. »Habe nur keine Angst vor der andern! Diese da, Julianus, ist deine Braut. Willst du nun des Imperators Schwager werden?« – »Und . . . und . . .«, lächelte die Jungfrau verschämt, »und mein Gatte?« Da senkte Julianus das Knie vor den beiden Frauen: »O Helena!« rief er. »Ja, der Gott, der große Gott tut noch Wunder.«

 


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