Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Drittes Buch / Der Imperator

Erstes Kapitel

An Lysias, den geliebten Lehrer seiner Jugend, Flavius Claudius Julianus Imperator Augustus.

In meinem letzten Schreiben, o mein Teurer, habe ich dir die wunderbaren Geschicke berichtet, die, sichtbarlich von den Göttern gewirkt, deinen dankbaren Schüler aus dem Abgrund dunkelster Gefahr auf die Sonnenhöhe der Herrschaft erhoben.

Seit jenen beiden Anfällen, deren Zeuge du im Kloster und in Rom warst, ergreifen mich bei hoher Erregung leicht solche Betäubungen oder Krämpfe. Als ich aus jener tiefen Ohnmacht erwachte, als ich an dem lebensgefährlichen Purpurmantel, den die Treuen über meine fiebernden Glieder gespreitet, erkannte, daß ich diese Dinge nicht geträumt, wirklich erlebt hatte, da sprang ich auf, warf Fieberanfall und jede Anwandlung von Schwäche von mir und sprach zu Helios empor: »Ich muß beginnen; nun will ich's vollenden.« Ich schlug den Purpur um die Schultern und schloß: »Ich mußte ihn annehmen, nun will ich ihn verteidigen und verdienen. Mein Rechtsbruch ist ein gemeiner Frevel, scheitere ich, eine weltgeschichtliche Großtat, wenn ich siege.«

Aber doch auch andere Stimmungen, Anwandlungen von Gewissensvorwürfen, von Zweifel, von Reue, blieben nicht aus!

Die nächsten zwei, drei Tage hielt ich mich unsichtbar für die Krieger, in dem Inneren des Palastes. Meine Zeit nahmen stark in Anspruch Opfer und Befragungen der Götter, die heimlich geschehen mußten, die Priester und die Gemeinden der Galiläer nicht auf die Seite des Constantius zu treiben. Dann aber waren auch Schreiben zu entwerfen an Constantius, nach Marseille, an dich, an andere Freunde und Vertraute.

Und endlich empfand ich doch zuweilen noch eine gewisse zarte Scheu – wie soll ich sagen? – des Gewissens oder des Anstands, mich in den Abzeichen der Herrscherschaft öffentlich zu zeigen. Denn zuweilen fühlte ich meine Handlung als ein leises Unrecht, weil vielleicht doch nicht so ganz nur um der Sache willen begangen, wie ich mir selbst vorgetäuscht hatte. Sollte nicht doch auch ein wenig Eitelkeit, Selbstsucht meinen Entschluß mit bestimmt haben?

Verscheuchte ich mit Gewalt diese Selbstanklagen – umsonst; sie kehrten immer wieder. Und so war es mir unmöglich, die Ehrenzeichen der angemaßten Würde jetzt schon vor meinen – mitschuldigen – Erhebern anzulegen! Die Bürden der ergriffnen Macht wollte ich gern tragen; nicht aber, mit ihren Würden mich prahlend schmücken.

Allein diese Unsichtbarkeit ihres Imperators fiel allmählich den Kriegern auf; zuerst Verstimmung, Unzufriedenheit, Murren, zuletzt Argwohn.

Befürchtungen für mein Leben bemächtigten sich der unbeschäftigten Massen in dem lärmenden Lager, und als ein erfindungseifriger Gallier, vom Wein erhitzt, in der Zeltschänke seiner leichtblütigen Stammesgenossen, der »Celtä Petulantes«, schrie: »Ei was, ihr Dummköpfe, die ihr seid! Warum haben wir ihn seit drei Tagen nicht gesehen, unsern Imperator? Armer Junge! Ermordet von den Spähern des Constantius liegt er im Palast«, da war kein Halten mehr.

Vergebens suchten Römer und Germanen die aufflackernde Hitze der Gallier zu dämpfen. Mit wüstem Geschrei von Mord und Verrat lärmten sie abermals, die Waffen schwingend, unter dem Ruf: »Zum Palast! Zum Palast!« aus dem Lager in die Stadt, erzwangen sich (nicht ohne Blutvergießen!) den Weg zu mir und beruhigten sich erst, als ich in dem Vorgarten ihnen lebendig (und sie auch recht lebendig scheltend!) entgegentrat.

So schwer ich in jenen Augenblicken furchtbarster Entscheidung die Freunde – Serapion und Jovian – vermißt hatte, nun war mir's lieb, daß sie damals fehlten. Nur die Notwendigkeit meiner innersten Eigenart konnte mich leiten, nicht fremder Rat.

Sobald das Gerücht des Ungeheueren sie erreicht hatte (und rasch fliegt Fama in dem Lande der redebedürftigen Kelten!), eilten beide zu mir.

Zuerst traf Jovianus aus Marseille ein. Er legte sein immer ernsthaftes Gesicht in noch ernstere Falten als gewöhnlich (er scheint mir überhaupt verändert nach monatelangem Verweilen bei Mutter und Schwester) und sprach: »Freuen kann ich mich nicht. Der Cäsar Julian stand mir höher. Du hast aber wohl nicht anders handeln können. Ich diene dem Reich der Römer, indem ich dir diene.« – »Und die Mutter, die Schwester? Was sagten sie?« – »Die Mutter weinte viel.« – »Das soll sie ja nicht!« Er zuckte die Achseln. »Sie mußte. Du mußtest den Eid brechen. Sie mußte – und muß – weinen.« – »Und die Schwester? Warum hast du nicht beide mitgebracht?« Er schien die zweite Frage zu überhören. »Juliana betet viel – für dich.« – »Zu wem betet sie? Doch nicht wieder zu dem Galiläer? Ich hatte sie (so hoffte ich!) für Helios gewonnen.« – »Sie opfert heimlich dem Helios und betet zu dem Gott der Christen öffentlich in der Basilika.« – »Bald befrei ich sie von diesem Zwang«, drohte ich. »Zwang? Ich fand sie am Abend – allein – im Gebet – das Kreuz in der Hand.« – »Meine Juliana! Ich muß nur erst einiges Dringendere tun. Dann reiß ich diese Seele zu mir empor.«

Am Tage darauf traf Serapion ein. Mit dem schärfsten Blick seiner grauen Augen sah er mich an, als er sprach: »Deine Tat ist gut für das Reich, schlimm für dich!« – »Warum?« – »Du brachst die Treue.«

»Das Wort des sterbenden Berung!« fuhr ich ihn an. »Ist denn die Treue das Höchste?« – »Ja.« – »Und euer Arminius? War das Germanentreue?« – »Nein, Römertreue war das, Imperator. Nachdem ihr uns, wie alle Völker, die ihr erreichen konntet, überwältigt und überlistet, kam in meinem großen Ahn – ich sagt es schon – ein größerer Überlister über euch. Vergeltung hat Arminius geübt. Der Geist, den, wie sie glauben, Wodan den Germanen gab, während doch sie ihren Geist diesem Gebilde gegeben haben. Aus Notwehr für sein Volk brach er Recht und Treue. Das ist groß. Nun merk auf mich, du junger Imperator. Hast du Constantius die Treue gebrochen nur um des Reiches willen . . .?« – »Nicht, um mein Leben zu retten! Die Gefahr war vorüber.« – »Ich weiß. Aber hat nicht doch die stärkste Macht in dir . . .? Jedoch . . . lassen wir das jetzt! Vielleicht führt eine andre Stunde uns darauf zurück. Ich halte mein Wort dir gegenüber noch über unsern Vertrag hinaus. Nur dem Cäsar hatte ich's gegeben. Ich diene auch dem Imperator Julian; nur nicht gegen mein Volk!« – »Dem Reich der Römer hältst du Frieden?« Also suchte ich ihn zu verstricken. Unwillig schüttelte er das Haupt: »Julian, auch als Imperator, werde ich nicht bekämpfen. So unser Treuevertrag. Dem Reich der Römer schuld ich nichts. Spiele nicht weiter mit der Treue, Imperator! Dieser Jovian ist Zeuge – und Bürge – unsres Vertrages.«

 

Die ersten Früchte meiner neuen Herrschaft sind nicht süß! Die Mutter weint – warum weint sie? Ist sie doch in Sicherheit! Nie hätte ich sie der Rache des Constantius ausgesetzt! Nun aber erkenne ich den Hauch meiner Götter auch in dem Sturme, der die Meinen aus seiner Gewalt in meinen Schutz geführt hat . . . Die Schwester betet zu verhaßtem Gotte . . . Die Freunde haben mehr verhaltnen Vorwurf als Lob für mich. O Helena, wie fehlst du jetzt! Ich floh an ihren Sarg am ersten Tage meiner Herrschaft und weinte, weinte bitterlich.

Du aber, o Lysias (des bin ich sicher!), du hast auf die Kunde hin den Göttern frohlockend den Hausaltar bekränzt! Die Hoffnungen, ach nein, nur die Träume, die kühnsten, die ich in Macellum, in Athen hegte und liebte, ich mache sie glorreich wahr. Warte nur noch kurze Zeit, bis ich die dringendste Kriegsarbeit getan, bis ich aus diesen um mich her brandenden Wogen ans Land geschwommen. Dann rufe ich dich zu mir, mein Lysias! Dann sollst du es sein (keinem als dir gebührt dieser höchste Ehrenlohn), mit dessen Rat ich die Götter herstelle und die Galiläer zwar wahrlich nicht unterdrücken, nicht verfolgen will (der oberste Gott sieht in mein Herz!), aber bändigen. Sie sollen unter meinem Zepter Übles nicht leiden, aber auch, beim Helios, nicht mehr tun.

Allein vorher noch, ehe ich den Galiläer angreife, muß ich mich des Constantius erwehren. Der Kampf zwischen uns beiden wird zugleich ein Götterurteil sein: Constantius oder Julian, Golgatha oder der Olymp – wer ist stärker? In Constantius fordere ich den Galiläer zum Kampfe heraus.

Jedoch noch darf ich nicht offen hervortreten. Die elende Heuchelei, die der Glaubenszwang auferlegt – noch muß ich sie fortführen. Ich kann in meiner Schwäche (siebzehntausend Helme gegen die ganze römische Welt) nicht auch noch die Bischöfe gegen mich unter die Waffen bringen.

O Lysias, es tut weh! Wohin schwand die kristallhelle Unschuld, die ungebrochene Wahrhaftigkeit meiner Jugend! Verstellung, Lüge, Heuchelei – seit du in jenem Klostergarten mich vom Baume der Erkenntnis kosten ließest –, sie endeten nicht mehr.

Und jetzt – »Treuebruch«, wie diese derben Germanen schelten. Das Schicksal reißt mich fort von Schuld zu Schuld. Das Fatum? Oder meine Eigenart? Oder die Götter?

Und doch ist's unschuldige Schuld. Ich mußte, ich muß – fürs Reich. Denn wehe dem Tag und Fluch der Stunde, da ich mir sagen müßte, daß ich's nicht bloß ums Reich, für Rom getan und die Götter.

Nein, nein! Das wäre die innerste Vernichtung.

Und um der Welt, um mir vor allem zu beweisen (denn manchmal erbebt mir das Herz in quälendem Zweifel!), daß ich nur aus Pflicht gegen den Staat gehandelt, hab ich nun meine nächsten Entschlüsse gefaßt.

Nachdem die Entscheidung gefallen war über die Zukunft des Reiches und über mein Haupt, rief ich meine Feldherren zusammen zu einem Kriegsrat. Da empfahlen sie alle, einstimmig, ich solle hier alles liegen lassen, wie es liegt, so rasch als möglich Constantius angreifen und unschädlich machen. Er sei nicht gerüstet; fast ohne Truppen stehe er in Italien. Ich solle ihm nicht Zeit lassen, nach dem östlichen Morgenland zu entfliehen, wo die ganze Stärke seiner Heere versammelt stehe, die er dann (statt gegen die Perser) gegen mich mit erdrückender Übermacht heranführen werde.

Ich ließ sie ausreden, alle. Dann erwiderte ich: »Ohne Zweifel ist das der beste Rat für Julian, aber nicht für das Reich. Die Wohlfahrt des Reiches erheischt, daß ich vorerst hier alles nach Kräften ordne, bevor ich Gallien – auf unabsehbare Zeit – verlasse. Die Weltgeschichte soll nicht sagen: ›Julian hat den kaum wiedergewonnenen Rhein den Barbaren preisgegeben, um sein Haupt zu retten, seinen persönlichen Feind leichter zu besiegen.‹ Erst das Imperium, dann der Imperator.«

Auch gebe ich die Hoffnung noch nicht völlig auf (obzwar sie schwach ist), durch äußerstes Entgegenkommen, durch demütige Nachgiebigkeit Constantius so weit zu versöhnen (oder doch einzuschüchtern durch meine Heeresstärke), daß der Bürgerkrieg vermieden wird, daß er den Schwager, den Vetter, der das Blut der Flavier, der Constantier, mit ihm teilt, als Imperator, wenigstens in dem Gebiet – Gallien – anerkennt, das ich bisher, nachdem ich es den Barbaren entrissen, als Cäsar beherrscht habe. Ähnlich, wie er früher mit seinen Brüdern das Gesamtreich, nach Provinzen gegliedert, geteilt hatte.

Freilich: Jovian schüttelt dazu bedenklich den Kopf, den nüchternen, hellen, und nennt jene Hoffnung eine Torheit meines Gemüts. »Wo ist dein Bruder Gallus?« fragt er. »Seine Schuld war nicht größer als die deine. Ich bin überzeugt, Constantius hat dir auf die erste Nachricht sofort das gleiche Schicksal zugeschworen. Jeden Tag, den du zögerst, benützt er, seine Heere, seine Rüstungen zu verstärken. Und sollte er auch, den Waffenkampf zu meiden, zum Schein auf deine Vorschläge eingehen: Wage dich nie in seine Nähe anders als in Mitte eines überlegnen Heeres.« Er mag wohl recht haben, der Treue.

 


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