Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Erstes Buch / Die Jugend

»Wenn es, wie die Gelehrten sagen, vier Tugenden gibt: Mäßigkeit, Weisheit, Gerechtigkeit und Tapferkeit, so hat Julianus sie alle geübt.«

Ammianus Marcellinus (Augenzeuge), XXV. 4.

Erstes Kapitel

In den Vorgemächern des Kaiserpalastes zu Nikomedia in der Provinz Pontus in Kleinasien drängte sich in später Stunde einer Frühlingsnacht – es war der zweiundzwanzigste Mai des Jahres dreihundertsiebenunddreißig nach Christi Geburt – bei dem trüben Licht duftender Öllampen eine gespannte, teils bange, teils hoffnungsgierige Schar: Bischöfe, Feldherren, Staatsmänner, Höflinge.

Manchmal traten Ärzte, Freigelassene, Sklaven aus dem durch mehrfache Vorhänge abgetrennten Innenraum, hastigen Fragen selten Beachtung, seltener Antwort gebend, aus dem Palast eilend mit allerlei Aufträgen, unerhörte Arzneimittel zu holen, zu bereiten.

»Es geht rasch zu Ende«, flüsterte, nach der Ausgangstüre laufend, einer der Heilkünstler. »Nahm er die Taufe?« forschte ein Bischof. Aber jener war schon vor der Türe.

Gleich darauf aus dem Krankenzimmer schrilles Geschrei: aber nicht der Trauer, nicht Totenklage. »Tot ist der Imperator, der große Constantinus. Heil, Heil und Sieg dem neuen Imperator, Constantius, dem Herrn der Erde.« Bei dem Rufe warfen sich alle in dem Vorzimmer Versammelten nieder auf das Antlitz.

Alsbald erschien der Vorsteher des heiligen Schlafgemaches, der Präpositus sacri Cubiculi, und winkte mit erhobener Hand: »Hinweg!« Sie verschwanden in Eile.

Nach einiger Zeit trat aus dem Sterbegemach ein junger Mann in Purpurgewändern, aschfahl von Antlitz, von rastlos unstetem Blick der tiefliegenden schwarzen Augen; er zitterte vor Aufregung; sein Schritt wankte, er stützte sich schwer auf einen langen goldenen Stab: es war der Stab der Weltbeherrschung; er hatte ihn eben aufgenommen. Das Haupt hing auf die Brust, die schmalen vorgebeugten Schultern schienen die Wucht der neuen Würde nicht tragen zu können; er sah starr vor sich nieder auf den Marmorestrich.

Ein Kriegstribun, in vollen Waffen gerüstet, war der erste, der ihm aus dem Innengemach folgte: er hielt eine Papyrusrolle in der Hand. Gleich hinter ihm wandelte der Bischof der Stadt bedachtsamen Schrittes in das Vorzimmer. »Bleibt es dabei, o Imperator?« fragte mit leisem Grauen der Gepanzerte.

Constantius sah nicht auf. »Hab ich's zurückgenommen?« fragte er entgegen; scheinbar ruhig, aber seine Lippe zuckte. Er sah zweifelnd zu dem Präpositus hinüber, aber dieser hob warnend, fast drohend den Finger.

»Herr, die Liste ist lang!« sprach der Kriegsmann. »Deine drei Oheime? Also alle Brüder deines eben verewigten Vaters, darunter auch der Patricius Julius, dein eigner Schwiegervater, der Vater deiner verstorbenen Gemahlin? Und deine Vettern, alle sieben? Sind zehn! Alle deine Verwandten? Sonder Ausnahme? Sie sind . . .« – »Feinde des Imperators«, unterbrach dieser. »Und der heiligen Kirche«, fiel der Bischof vortretend ein. »Heimlich heidnisch oder, was noch schlimmer, ketzerisch gesonnen im Herzen. Hilf doch, Eusebius!« Da schritt der Präpositus in seinem goldstrotzenden Gewande dicht an den Tribun heran und herrschte ihm mit heiserer Stimme zu: »Kann ein Krieger nicht mehr gehorchen?« – »Auch die Frauen, die Mädchen?« – »Alle, die noch heiraten können«, nickte der Imperator. »Sie sind so gefährlich wie die Männer.« – »Oft rachsüchtiger und schlauer!« ergänzte Eusebius. Er war der oberste Eunuch des Palastes.

»Hier stehen aber auch drei Kinder! Auch die? Deine beiden jungen Neffen? Deine kleine Nichte?« – »Was fragst du?« knirschte der Augustus, mit dem Fuß aufstampfend. »Alle, die mir jetzt oder künftig schaden können. Soll ich die Rächer heranwachsen lassen?«

 

Gleich darauf krachten die Haustüren gar mancher Paläste zu Nikomedia von außen nach innen: Waffenklirren – roter Schein von Pechfackeln – Lärm – Widerspruch, hier und da Widerstand der Haussklaven – gleich darauf Wehgeschrei von Sterbenden.

In das Haus des Patricius Julius, des einen Bruders des eben Verstorbenen, drang ein Centurio mit einer Schar von blonden barbarischen Söldnern. Der Hausherr selbst trat ihnen im Atrium rasch mit teilnahmsvoller Sorge entgegen.

»Wie steht's mit unserem Herrscher, meinem Bruder?« – »Das frag ihn selbst im Hades! Oder vielleicht im Himmel der Christen!« schrie der Centurio. »Mich sendet der neue Herr: dein Neffe Constantius, der schickt dir – durch mich – dies!« Er stieß ihn nieder; das kurze Römerschwert durchdrang die linken Rippen und fuhr im Rücken heraus. »Wo ist die Frau?« schrie der Wilde. »Wo das Mädchen?«

»Hier, Mörder!« rief eine ausnehmend schöne Frau von etwa vierzig Jahren, die ein kleines Mädchen an der Hand führte. »Laß uns mit ihm sterben!«

Der Legionär zückte das breite Schwert gegen sie; dabei sah er ihr in das Antlitz: so wunderbar schön waren diese Augen – er senkte erschüttert für eine kurze Weile die Waffe, die vom Blute des Mannes troff.

Der wand sich sterbend und stöhnte noch einmal. Da vergingen der Gattin die Sinne; bewußtlos sank sie auf ihr Antlitz über der Leiche zusammen. Laut weinte und schrie das geängstigte Kind.

Mit dem Fuß schob der Centurio die Ohnmächtige zur Seite und holte noch einmal aus, sie vom Rücken zu durchbohren.

Da stürzten aus einem der Schlafräume zur Rechten zwei seiner Söldner hastig zurück: »Mach, daß du fortkommst«, schrie der erste verstört, faßte ihn am Arm und drängte ihn gegen die Ausgangstür. »Seid ihr fertig?« fragte er. »Was ist euch? Wo sind die Köpfe? Zwei Knaben: Gallus heißt der eine, der andere . . .« – »Gallus liegt im Sterben«, antwortete der Söldner. »So sagte uns der Arzt, ein kleiner buckeliger . . .« – »An den schwarzen Blattern, bestätigte uns ein Mönch, der dabeistand«, ergänzte der zweite. »Den Blattern?« rief der Centurio. »Weh! Beim Styx! Die stecken an! Also der ältere – gefährlichere – stirbt. Und was ist's mit dem jüngeren, he, Bero, Alemannenbär?« – »Der jüngere? Das ist ein Kind von kaum sechs Jahren. Ich morde keine Kinder«, zürnte der Riese und schüttelte die roten wirr-zottigen Locken. »Willst du, so tu's selbst. Ich nicht! Geh hinein! Er liegt schluchzend über den sterbenden Bruder hingestreckt. Geh, schlachte du ihn ab!« – »Ich danke! Ich scheue jene schwarzen Beulen. Fort aus dem verpesteten Hause!« – »Alles, was schaden kann, sagte der Ober-Eunuch.« – »Kinder können doch nicht schaden. Auch nicht diese Kleine da! Weiter! Die Liste ist gar lang und kurz die Maiennacht. Und die Sonne darf keinen mehr am Leben finden, so hieß es. Fort! Hinaus!«

 


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