Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Zweites Kapitel

Große Stille folgte diesen Worten.

Der alte König reckte die zitternde Hand über den Tisch und drückte schweigend die Rechte seines Sohnes. Auch der zungengewandte Ubier war verstummt. Erst nach einer Weile fand er wieder Worte. »Nun gut, ich will das nicht schelten, lieb ich doch auch meiner Mutter auf mich vererbte Römerart. Allein – vergib, o Königssohn –, ich sehe nicht die Gefahr, aus der du dein Volk erretten willst, wie du sagst. Kein Mensch bedroht euch, haltet ihr den oft beschworenen Bund mit Rom. Des Imperators Schild beschirmet seine Treuen.« – »Er braucht die Schilde dringend, mein ich, für sich selbst«, lachte Chnodomar und trank. »Du allein im Volk der Bataver«, fuhr der Kölner fort, »siehst Gefahren. Aber nur du beschwörst sie herauf. Denn nur du drängst zum Kriege. Sieben Gaue sind's der Bataver. Wo sind die Könige der andern sechs? Gewiß doch lud auch sie wie uns Nebisgast in seine Halle. Warum kamen sie nicht? Ich sehe nicht Labeo und nicht Briganticus, nicht Chramn und nicht Guntchramn, nicht Truchtbrecht noch Grimmbrand? Wo sind sie?«

Mehr traurig als zornig furchte der alte König die Stirn: »Du höhnst, ›Agrippinenser‹, so nennt ihr euch ja gern. Du höhnst mit Recht. Labeo und Briganticus, Halbrömer wie du, hassen meine nahe verwandte Sippe mit dem gleichen Hasse wie vor dreihundert Wintern ihre Ahnen Claudius Civilis, meinen Ahn, gehaßt. Aber auch die andern vier . . .« – »Unvermischt Germanenblut«, meinte Spurius spöttisch. »Jawohl«, fiel Merowech ein, »und echt germanische Torheit bewahren sie. Weil meines Vaters Gau der volkreichste, hassen und beneiden sie uns.« Aber Spurius schüttelte den Kopf: »'s ist nicht nur das! Sie wissen recht gut, kommt es zum Krieg, Merowech wird auch von ihren Gauleuten zum Herzog gekoren, Merowech müssen auch sie dann folgen.« – »Jawohl«, rief Mälo schmerzlich, »das ist's!« – »Ja«, schloß Merowech: »Lieber dem Fremden, dem Römer dienen als dem Stammgenossen sich fügen auch nur ein weniges. Siehst du, Spurius, hörst du, Adgandester: Das ist die eine Gefahr, die furchtbare, die unser Volk bedroht; der uralte Neid, die Eifersucht, die trotzige Selbstgenügsamkeit, die Unbotmäßigkeit. Nicht in bald vier Jahrhunderten haben sie's gemerkt, daß diese Sinnesart sie alle miteinander zugrunde gerichtet. Nur die Not, die Not gemeinsamen Krieges, kann sie heilen von dem Erblaster der zwieträchtigen Eifersucht.« – »Und der Führer in diesem Kriege«, sprach Adgandester kalt, »heißt – das versteht sich – Merowech. Denn das ist der Weg zur Macht.« – »O Chattenfürst«, erwiderte dieser mit Schmerz, »glaubst du wirklich, dieser Weg ist ein lockender? Die Spuren wahrlich schrecken ab! Hast du vergessen den Lohn, der dem großen Cherusker geworden? Noch singen und sagen von ihm die Harfner in den Hallen. Wie Gott Paltar – früh traf ihn der Mordstrahl der eignen Gesippen – des eignen Ohms – beim Mahle. Und mein eigner hoher Ahn, Claudius Civilis, was war sein Ende? Verlassen, verraten, geächtet von dem eignen Volk, das er befreien wollte, das er schon befreit hatte, als Zwietracht und Neid sein Werk wieder zerstörten, verbannt, flüchtig im fernen Cheruskerland, am Grab Armins, hat er die große Seele ausgehaucht. Glaubst du, solche Beispiele sind verführend?« – »Nun also!« entgegnete der Kölner. »So halte Ruhe! In solche Gefahren kann einen Sehenden nur eines reißen: die Ruhmsucht.«

»Meinst du, Beklagenswerter? Da sprachst du's aus: Du hast kein Volk mehr, hast kein Vaterland. Nicht Ruhmsucht, wahrlich – die hätt ich im Dienste Roms viel großartiger befriedigen können –, die heiße Liebe zu diesem, meinem armen Volk reißt mich dahin. Ja, hört es beide, ihr Zweifler: Ich lebe gern, ich freue mich meiner Kraft, ich hoffe, noch Schönes, Großes zu gewinnen in Krieg und Frieden; ich weiß, wie tief mein Tod den greisen Vater beugen würde – vielleicht bis in den Hügel« –, er streifte den Alten mit warmem Blick: »Aber ohne Besinnen, von diesem Trinkhorn weg, spring ich in den Tod, nützt mein Sterben irgend diesem Volk der Franken.«

»Heilo, Heil dir, Held Merowech! Ein wacker Wort!« So riefen da Chnodomar, Ur und Mälo. Aber der Vater schwieg; nur sein Auge leuchtete hell auf.

Nach einer Weile begann der Ubier: »Meinst du's so gut mit diesem, deinem Volk, so treib es nicht in den Krieg mit Rom, bloß um es an Gehorsam gegen dich oder auch – ich will sagen – an Eintracht zu gewöhnen. Zu blutig ist der Kaufpreis.«

»Er wäre es nicht, denn er ist das einzige Mittel. Aber wenn du das denn wirklich gar nicht fassen kannst, so höre: Nicht nur der Wunsch, die Sehnsucht nach jenem Ziel: der Einung, wenigstens unserer paar Gaue – an mehr ist ja nicht zu denken –; bitter, mit Händen greifbar, aufdringsam wie die Überschwemmung und unvermeidbar, drängt, zwingt, stürzt uns in den Krieg gegen Rom eine ganz andere Not.«

»Ich bin begierig, dies Schreckgespenst kennenzulernen.«

»Du nennst es bei Namen: Es ist ein Schreckgespenst, es ist der Hunger. Jawohl, des Hungers fürchterliche Not! Du lächelst, denn du denkst – wie immer – nur an dich. Du sitzest in deinem schönen, säulengetragenen Marmorhaus am flutenden Rhein, hinter den sichern, hohen Mauern der Colonia Agrippina und schlürfst behaglich aus korinthischem Becher den sizilischen Wein. Deine Sklaven und Sklavinnen arbeiten für dich, verkaufen für dich und schütten den Kaufpreis vor dich hin, während du, auf weichen Polstern gebettet, der syrischen Flötenspielerin lauschest oder der Tänzerin zuschaust aus Amathus.«

»Warte nur, du Hälbling«, warf der grimmige Ur dazwischen, »wir wollen dich unsanft aufstören zwischen deinen Singerinnen und Hüpferinnen.«

»Ihr götterverhaßten Römlinge!« grollte Chnodomar. »Noch sind wir euch den Lohn dafür schuldig, daß ihr weiland Civilis Treue geschworen und damit eure falsche Stadt, die schon zur Niederreißung verurteilt war, erhalten habt. Bald darauf habt ihr eine halbe Tausendschaft der tapfersten Überrheiner des Civilis durch ein üppiges Gelage in eurer Arena in Rausch und Schlaf hinein betäubt, dann die Türen gesperrt, Feuer hineingeworfen und eure Gäste im Rauch erstickt, in den Flammen verbrannt. Aber ihr seid immer die frommen Agrippinenser, die eifrigsten Götterverehrer. Nun wartet! Wir wollen ja sehen, wer stärker, Jupiter und Mars oder Wodan und Tius.«

»Jedoch da draußen«, fuhr Merowech fort, »da drüben, rechts vom Rhein, wenige Meilen nordöstlich, im Urwald und Ursumpf, da wächst, unablässig quellend, jedes Jahr eine Menge germanischen Volks heran, das schon lange, schon seit zwei Jahrhunderten fast, nicht mehr Land genug hat, Brot daraus zu ziehen, nicht mehr Weide genug findet, sein Vieh zu erhalten! Zu schmal, viel zu schmal, schon seit vielen Menschenaltern, ist für unseres Volkes gewaltig wachsenden Leib geworden das schmale Land, wie es – vor mehr als einem halben Jahrtausend – für die damaligen Siedler genügend gefunden war. Aber dich kümmert's nicht, du hast genug und übergenug im üppigen Köln. Mögen die überm Rhein drüben verhungern.«

»Das sollen sie aber nicht, solange ich lebe!« schrie Chnodomar, »und solange sie nur auf dem Schild über den Rhein zu schwimmen haben, um im reichen, schönen Gallien alles zu finden; Wein und dunkeläugige Weiber und römischen Goldschmuck und Ruhm und Siegeslust dazu und –« »Um all das nicht, o Alemannenheld«, unterbrach Merowech, »würde ich es verantworten, das Frankenvolk über den Rhein zu führen und in den Krieg mit Rom – denn blutig wird er –, nur weil wir müssen, weil wir keine Wahl haben, nur deshalb folg ich dir, Chnodomar, falls der Vater es gestattet und das Gauthing zustimmt.«

»Heilo, wackrer Junge«, rief der riesige König. »Wenn du nur kommst und dreinschlägst, warum du's tust, das gilt mir gleich. Hier meine Hand und nieder mit den Römern!«

 


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