Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Viertes Kapitel

Nachgerade bemerke ich, daß dieser Brief an dich, o teurer Lehrer meiner Torheit (das heißt, nicht meine Torheit, deine Weisheit hast du mich gelehrt), allmählich zu einer Art von Tagebuch sich auswächst. Wohlan, es schadet nicht. Ich werde fortfahren, meine Taten (ach, bisher mehr Leiden), Eindrücke und Urteile so zusammenzustellen und dir gelegentlich die Blätter zu senden. Es wird mir, meine ich, zur heilsamen Selbstklarmachung gereichen, zu einer Beichte. Wohl wird es dabei nicht ganz abgehen ohne die Sünde der Eitelkeit in der Art der Beichte selbst. Aber du, der du mich zuerst auf diese Sünde aufmerksam gemacht, du mußt billig die Befriedigung genießen, auch hierin recht gehabt zu haben. Abtun kann ich die süße Schwäche nicht.

 

Am Mittag jenes Tages vermählte mich der Imperator in Gegenwart des Bischofs von Mailand der geliebten Braut in der Basilika des heiligen Apollinaris. Alle diese galiläischen Dinge muß ich über mich ergehen lassen. Freilich schilt mich mein Gewissen einen argen Heuchler. Aber was tun? Sage ich offen der Kirche ab, ist nicht nur mein Leben wieder in Gefahr und mein Glück, das heißt meine Ehe – auch der Seelenfriede meiner heißgeliebten Mutter –, ich werde, wenn nicht getötet, wieder in ein Kloster gesteckt und bekehrt. Und unterdessen geht das Reich oder doch mindestens Gallien für immer verloren! Dringend schreit der Rhein, schreit das Abendreich nach einem Retter. Constantius rettet's nicht, das weiß ich, seit ich ihn gesehen. Ob ich es rette? Das weiß nur der Gott. Aber er, der Allsehende, hat nun einmal mich an diese Arbeit gerufen. Ich darf sie nicht wegwerfen, indem ich den Galiläer offen verleugne. Und unter der Hand kann ich doch recht viel tun für jene, die den alten Göttern – deinen Göttern – treu geblieben. Freilich, o teurer Lysias, sind deine Götter durchaus nicht die meinen mehr. Aber mir näher, lieber sind sie doch tausendmal als die Heiligen.

Also ein wenig Heuchelei? Ach ja! Es beißt mich oft in die Seele. Aber es geht nicht anders! »Erst Rom«, sagt mein tapfrer Freund Jovian, »dann alles Weitere.« Er ist nicht für Wissen und Forschen angelegt, mein Jovian, aber er trifft mit seinem gesunden Verstand und wackern Herzen stets das Richtige. Das heißt: oft das an sich Unrichtige, das aber für die dringende Not das einzig Zweckmäßige ist.

 

Wie soll ich dir das Glück schildern, das ich in meinem geliebten jungen Weibe fand, in Helena! Mein Freund Philippus (auch dein Lehrer, wie ich höre; er ist wohl der nie genannte Freund am Hof gewesen) sagt, er habe längst in den Sternen gelesen, eine Helena werde mein Weib und mein Glück sein. Auch du hast mir einmal (vielleicht durch ihn belehrt) höchstes Glück geweissagt durch ein Weib »Helena«! Sie ist so ungleich ihrem Bruder – Dank den Göttern! – und auch so heiter! In den düstern Sorgen, die gleich nach meiner Abreise von Mailand nach Gallien über mich hereinbrachen, war ihre unverzagte Fröhlichkeit mein einziger Stern. Die holde Törin glaubt, mir könne nichts mißlingen! Und denke nur, obwohl sie – selbstverständlich – in strengster Zucht der Kirchenlehre aufgezogen ward, gelang es mir doch bereits, sie – die Schwester des Constantius – von jenen Banden leicht und leis zu lösen. Freilich, glaube ich, hat das mehr ihre Liebe zu mir als meine Überredungskunst bewirkt.

 

Oh, es ist mir zu gönnen, daß diese Eine Seele mich nicht auch bedrängt, das Unglaubliche zu glauben, wie ach die nach ihr Geliebteste. Auch meine schöne Schwester folgt mehr der verehrten Mutter als mir. Doch geb ich Juliana noch nicht ganz verloren; sie schwankt.

Und Freund Jovian? In allen andern Dingen hab ich an ihm eine Stütze; aber hierin – in dem mir Heiligsten – nicht. Zwar er und sein ganzes Haus ist, wie ich dir schrieb, nicht getauft. Aber der liebe Mensch! Von allem darf ich ihm reden, nur nicht von den Offenbarungen der Mystik und den Fragen der Philosophie. »Es reizt mich nicht«, so lehnt er ab. »Es ist mir gleich! Ich habe weder Fähigkeit noch Bedürfnis, das Unwißbare zu wissen. Ich bin ein Römer und ein Kriegsmann. Was ich als solcher zu tun habe, sagen mir Herz und Verstand. Mehr begehr ich nicht zu wissen.« Mit diesem prächtigen Nichtswisser, ja »Nichtswissenwoller« erörtere du Maximus gegen Aidesius!

 

Allein bald nach dem Aufbruch von Mailand blieb mir kaum mehr Zeit für die Liebe und Helena, geschweige für Forschen und Grübeln!

Auf die Vermählungsfeier in der Basilika folgte ein Gastmahl im Palatium, das den Fehler hatte, viel zu lang zu währen! Wie meine Mutter weinte vor Rührung auch die gütige Eusebia, der ich so viel – beinahe alles – verdanke. Endlich, endlich war ich allein mit der Geliebten, mit meiner jungen Gattin! O Lysias! Ich hatte ja nie ein Weib berührt! Fremd war mir geblieben der Gott, der unter allen am süßesten beseligt. Nun kenn ich ihn. Eros ist sein Name!

Übrigens sollte ich noch in derselben Nacht erfahren, daß ich nun zwar des Imperators Cäsar geworden, aber sein Gefangener geblieben war. Es drängte mich gegen Morgen, nachdem das holde Weib an meiner Seite sanft entschlummert war, mein von heißem Dank gegen den Gott erfülltes Herz auszuströmen unter den leuchtenden Sternen, meinen Beschirmern. Leise öffnete ich die Türe des Thalamos und wollte hinausschreiten aus der Vorhalle in den offnen Hof des Palastes. Siehe, da stieß ich auf zwei maurische Speerträger, die dicht vor der Hoftüre Wache hielten; eine »Ehrenwache« erklärten sie zu sein, die mir die Gnade des Herrschers gewährt habe. Und so ist es geblieben bis auf diesen Augenblick, da ich dir hier in Vienne schreibe. Auf Schritt und Tritt umlauern mich die Späher, die »Agentes in rebus« des Augustus; kaum daß sie mich allein in das Bad steigen lassen, und mein Tod wäre dieser Brief – denn ich bin überzeugt, alle Sendungen von mir und an mich werden geöffnet und gelesen –, könnte ich mich nicht unserer lieben Geheimschrift bedienen. Auch auf Jovian erstreckt sich jene Ehre unausgesetzter Beobachtung, und Philippus konnte nie ohne Zeugen mit mir sprechen; eher noch in seiner Ungefährlichkeit der Mönch Johannes, den du mit höchst ungerechtem Hasse verfolgst; er hängt so treu an der Mutter und mir. Ich zweifle nicht, er würde willig für uns sterben.

Man wollte mir einen ganzen Hofstaat aufnötigen. Ich dankte für eine solche Legion von Belauschern und nahm nur drei Diener, darunter einen prächtigen Germanen, der mir nachläuft wie ein zahmer Bär, und mich, glaub ich, auch wie ein solcher verteidigen würde mit seinen bärenstarken Pranken; dann einen Arzt, Oribasius, den mir Philippus aus der Zahl seiner Schüler wählte (also wird er mich nur berufsgemäß, nicht absichtlich vergiften); endlich einen Buchsklaven, den mir die Augusta schenkte, zusammen mit einer ganzen kostbaren Bücherei. Welch feine Seele hat Helios in die Hülle dieses allzuzarten Leibes gesenkt! Denke dir nur mein Erstaunen, als ich in der von ihr übersandten Sammlung alle meine Lieblingsbücher, alle diejenigen Schriftsteller fand, die ich in meinen Vorträgen zu Athen angeführt hatte. Ich erinnerte mich, sobald ich Eusebia erblickte, daß diese seelenvollen Augen in jenen Vorträgen so eindringlich, so ausdruckreich zu mir emporgeblickt hatten. Sie ist so gütig, so liebevoll besorgt um mich wie eine Schwester. Warum wohl die Götter jene duftige, anmutvolle Blüte an einen Constantius ausgeliefert haben? Nun, in ihrer Umwandlung nach dem Tode wird sie auf einem besseren Gestirn ein gerechteres Los finden!

Der Imperator geleitete mich selbst bis Pavia mit einem kleinen Heer, wohl um sich zu vergewissern, daß ich auch wirklich nach Gallien gehe! Er schrieb mir sogar die Tagesordnung vor, nach der ich zu leben habe – die Stunden des Kirchenbesuches sind nicht vergessen – Ja, selbst den Speisezettel für meine Tafel hat er verfaßt. Aber er kann nicht verhindern, daß ich in den Basiliken zu Phöbos Apollo bete und daß ich die meisten Gerichte unberührt lasse. Schon hab ich alle Köche fortgejagt und teile die einfache Speise meiner Kriegsleute.

Ebenso genau wie Fisch und Braten schrieb mir der Augustus mein Tun und Lassen in Gallien vor, wem von den Beamten ich vertrauen dürfe – es sind recht wenige und gerade die, vor denen der kluge treue Philippus mich warnt –, und die vielen, welche ich »beobachten« lassen solle, um über sie geheime »Berichte«, das heißt, Anklagen an den Hof zu senden. Mich wundert nur, daß er mir nicht in Mailand in seiner Schreibtafel vorzeichnete, wo und wann ich die Alemannen, wann und wo und wie ich die Franken anzugreifen und zu schlagen habe.

 


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