Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Einunddreißigstes Kapitel

Am folgenden Morgen war die ganze Christengemeinde von Circesium, unter Führung ihres Bischofs, an den Hafen des Euphrat geströmt, wo der große Ägypter, den Strom herabsegelnd, erwartet wurde.

Aber auch viele Heiden hatten sich dem Zug angeschlossen, aus Neugier, jedoch auch häufig von dem Verlangen getrieben, den unbesiegten Vorkämpfer der Rechtgläubigen zu begrüßen, dessen Ruhm seit Jahrzehnten das ganze Morgenland erfüllte. In feierlichem Geleit wurden der Gelandete und sein kleines Gefolge in das Haus des Bischofs geführt, das all die folgenden Stunden umlagert blieb von dichten Haufen der Gläubigen, die immer und immer wieder verlangten, das ehrwürdige Antlitz des weisen Seelenhirten zu schauen, der nicht ermüdete, ihnen unablässig Segen zu spenden. Schon lange vor der bestimmten Stunde – vor Sonnenuntergang – wogte dann das Volk ebenso auf den großen freien Platz vor dem Palatium in dem Platanenhain. Kein Platz blieb frei, von dem aus irgendein Blick dringen konnte in den großen, nach außen offenen Thronsaal des Marmorgebäudes, der, ein gewaltiges Halbrund, viele Hunderte von Menschen bergen konnte auf den halbkreisförmigen Bänken, die gegenüber dem im Mittelgrund errichteten purpurbehangenen Thron aufgestellt waren. Diese Bänke waren bis auf den letzten Platz besetzt von den gestern durch den Imperator Geladenen, während die Massen des Volks von den Bäumen des Haines an bis zu der obersten Stufe der Freitreppe vor den offenen Bogen und Säulen des Palastes Kopf an Kopf sich drängten. Als die sinkende Sonne den Horizont erreicht hatte, öffneten sich die Flügeltüren in dem Hintergrund des Saales, und herein schritt, vom Geschmetter der Trompeten begrüßt, der Augustus in der ganzen Pracht der Gewandung des Pontifex Maximus. Ein goldener Strahlenkranz starrte von dem Diadem aus um sein Haupt; das bis auf die goldenen Sandalen wallende Gewand von weißer Seide, mit Purpur gesäumt, war, wie der handbreite Goldgürtel, mit Edelsteinen und Perlen übersät. Ein schwerer Purpurmantel floß über Schulter und Rücken, und in der Hand hielt er den langen goldenen Herrscherstab, gekrönt mit goldener Kugel, dem Sinnbild des beherrschten Erdkreises. Hinter ihm schritten die Vornehmsten seiner Feldherren und Beamten, die Angesehensten der Priester und Priesterinnen, die Senatoren der Stadt, und wurden von den Domestici an die ihnen vorbehaltenen Plätze geleitet.

Der Imperator schritt die sechs hohen Stufen hinan, die zu dem Throne führten und ließ sich nieder. Er wollte soeben die Verhandlungen eröffnen, als aus der Innentüre des Palastes hastig ein Domesticus eintrat und meldete: »Dringende Nachrichten, Herr, Eilboten. Sie sagen, du mußt es gleich . . .«

Der Imperator winkte. Da holte der Domesticus aus dem Innern des Palastes drei über und über von Reisestaub bedeckte Männer mit langen Bärten. Ängstlich, verstört sahen sie zu ihm auf, die Arme demütig über der Brust kreuzend. »Wer seid ihr? Juden, so will es scheinen! Woher kommt ihr?« – »Aus Jerusalem, Herr!« – »Also von meinem Tempelbau. Er muß schon stark fortgeschritten sein. Wie steht es mit dem Tempel?« – »Ach, Herr, und Wehe! Siebenfach Wehe! Der Tempel, dieser dein Bau . . .« – »Nun, was ist damit?« – »Eingestürzt ist er, der ganze Bau.« – »Das wolle Phöbos nicht!« rief Julian tief erschrocken. »O Herr! Ein Erdbeben . . .« – »Nun gut! Aber nach dem Erdbeben habt ihr doch wieder aufgebaut?« – »Nein, o Herr! Wir konnten nicht!« – »Was? Ihr Feiglinge!« – »Nein, Herr! Wir waren nicht feige, wir gaben so leicht nicht nach! Ein glaubenseifriger Mann und dein treuer Knecht war unser Baumeister, Simon Alypius, der Levit. Er führte immer wieder die verzagenden Sklaven auf die rauchende Baustätte; er legte selbst Hand an, die Trümmer wegzuschaffen. Schon vom Feuer versengt an Mantel und Bart, drang er zum viertenmal vor, er allein, nur Simon, der Kriegsknecht, den du ihm mitgegeben hast, folgte ihm pflichtgetreu. Da tat sich die Erde auf unter seinen Füßen – unterirdischer Donnerschall –, und der Abgrund hat ihn, den Wehe schreienden, samt Simon lebendig verschlungen. Da stoben alle seine Werkleute in Entsetzen davon. Um keinen Preis legt dir noch jemand Hand an diesen Bau! Es ist der Fluch des Galiläers! Er hat sich erfüllt. Viele Hunderte unserer Glaubensgenossen haben sich, überzeugt durch diese Wunder, taufen lassen. Alle aber, auch wir, die wir den Glauben unserer Väter behielten, alle die Tausenden von uns, die du dort versammelt hattest, uns um den Tempel wieder anzusiedeln, mit Grauen, mit Furcht vor dem Galiläer sind wir auseinandergestoben und haben uns wieder zerstreut über alle Länder der Erde. Und so verstreut – kein Volk mehr – werden wir nun bleiben, ach, fürcht ich, immerdar! Wir mußten dir's eilig melden, dich warnen! Erneuere nicht den Versuch! Viele hundert Leichen liegen unter den Trümmern.«

Tief erschütterte die Botschaft den ohnehin Hocherregten. Die zahlreichen Christen in der Versammlung nickten einander bedeutsam zu. Ein dumpfes Gemurmel des Grauens lief durch die Reihen. Julian, der auf seinem Thron in sich zusammengesunken war und leichenblaß vor sich hinstarrte, beugte sich zu Serapio: »Das Omen . . . der Fluch des Galiläers ist erfüllt!« Da flüsterte Serapio beschwichtigend: »Und was ist nun weiter? Hat denn nicht gleichzeitig die Erde auch anderwärts gebebt? Laß die Erde beben! Du darfst nicht beben. Jetzt am wenigsten! Athanasius wartet.« Allein Julian war von diesem Eindruck aus dem Gleichgewicht geworfen, er hatte völlig die ruhige Sammlung verloren, die er sich – nach einer schlaflosen, bösen Nacht – mit Mühe errungen; er war zerrüttet in seinem Denken, fieberhaft erregt. Seine Hand zitterte, wie er nun mit dem Herrscherstab ein Zeichen gab.

 


 << zurück weiter >>