Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Elftes Kapitel

Wenige Tage nach des Lysias plötzlicher Abreise nahte sich dem Nordtore von Macellum ein stattlicher Zug; glänzend gerüstete Reiter sprengten voraus. Die purpurfarbnen Helmbüsche bezeugten, daß sie der kaiserlichen Leibwache, den Domestici, angehörten. Darauf folgte eine festgeschlossene Sänfte von eigenartiger Gestalt und dunkler Färbung, umwogt von zahlreichen buntgekleideten Sklaven, die sich in dem Tragen der Last ablösten, während den Schluß des Aufzuges abermals berittene kaiserliche Leibwächter in größerer Zahl bildeten.

Die Ankömmlinge hielten in dem Säulenhof des Palatiums. Ein junger Mann steckte neugierig den Kopf aus der Sänfte. Er versuchte auszusteigen, jedoch der Befehlshaber der Wachen schob ihm die Hand von dem Griff der Türe zurück. »Geduld! Ich weiß noch nicht, ob ich dich hier herauslassen darf. Der Eunuch des Imperators trug dessen versiegeltes Schreiben zu dem Präses von Kappadokien! Schon kommt er aus dem Palatium zurück. Nun, was soll hier geschehen?«

Der glänzend gekleidete Palasteunuch erwiderte: »Du darfst ihn hier aussteigen und sich in dem geschlossenen Hof ergehen lassen . . . mit . . . mit dem andern, den der Präses selbst herbeiholt. Aber – bei Todesstrafe für uns alle! – keinen Schritt aus dem Tore dieses Hauses. Siehe, sie kommen.«

Aus dem Inneren des Hauses traten in das Atrium zwei Männer. Wachsam blieb der ältere stehen. »Wohlan, Julianus, du magst an jene Sänfte gehn.« Staunend, mißtrauisch unterbrach Julian: »Ist es eine Sänfte? Ich dachte . . . ein Sarkophag! Ganz schwarz – und über der Türe, grell gemalt, ein weißes Kreuz! Tote bringt man so.«

»Oder Gefangene«, lächelte der Präses. »Aber diesmal ist der Insasse weder das eine noch das andre. Der Imperator in der unergründlichen Güte seines Herzens . . .« – »Ja, sie ist unergründlich! Sogar unerfindlich!« spottete Julian leise für sich. – »Hat verstattet, daß du den Reisenden . . .« – »Er reist wohl in den Hades?« – »Sprechen darfst, während die Reichspost dem Zuge frische Pferde zuführt. Ich lasse euch allein. Denn ich will nicht hören, was ihr sprecht. Am Ende müßte ich es verantworten!« Er trat zurück in das Haus.

Als Julian vor der Sänfte stand, öffnete der Eunuch deren Tür. Da sprang mit hastiger Bewegung ein Jüngling heraus, wenige Jahre älter denn Julian, und warf sich diesem in die Arme. »Julianus! Mein Bruder!« rief er jetzt. »Denn du mußt es sein! Man sagte mir, du würdest hier gefangengehalten.«

»So bist du Gallus, mein Bruder? Du lebst!«

»Wie du siehst! Und du . . .« – »Unsere Mutter, ach die schöne Mutter, lebt sie?« – »Ich weiß es nicht.« – »Unsre Schwester . . . Juliana –?« – »Sie lebt. Wenigstens noch vor kurzem . . .« – »Wo lebt sie?« – »Ich weiß nicht. Aber vor wenigen Monaten erhielt ich einen Gruß von ihr.« – »Durch wen?« – »Ich weiß nicht, durch eine vornehme Jungfrau, die weder den eignen Namen noch irgend andres sonst sagen wollte . . . oder durfte! Sie redete mich an – sie war sehr hold – und sprach: ›Ich soll dich und deinen Bruder Julianus grüßen von eurer Schwester Juliana. Sie liebt euch zärtlich. Ich wohnte lange mit ihr in dem gleichen Hause – oder in dem gleichen Gefängnis‹, lächelte sie.« – »Im Gefängnis!« seufzte Julian. – »So rief auch ich, ergrimmend.« – »Sprich nicht von Grimm gegen Constantius!« mahnte Julian, sich erschrocken umblickend, »wenn du leben willst.«

Aber der Bruder fuhr trotzig fort. »Oh, ich hoffe noch ganz anders zu sprechen! Und länger zu leben als . . .! Nun, die schöne Fremde sah meinen Schmerz und beschwichtigte lächelnd: ›Das Gefängnis war nur ein Kloster.‹« – »Schlimmer als ein Kerker!« knirschte Julian. Nun traf die Reihe des Staunens den andern Bruder. »Was? Wie sprichst du über Klöster?« – »Still! Schweig! Erzähle von Juliana – von dir – wie lebtet ihr all diese Jahre?« – »Von der Schwester weiß ich im übrigen so wenig wie du! Die Fremde sagte nur noch, sie sei eine Zeitlang, zur Strafe, in das gleiche Kloster verwiesen gewesen, in welchem Juliana schon lange gelebt habe. Wahrscheinlich all diese Jahre seit unserer Trennung.« – »Ich bin schon dankbar, daß sie noch lebt.«

»Ich nicht! Wem dankbar? Etwa dem blutigen Tyrannen . . .?« – »Schweig, bei Phöbos Apollo! Oder sprich leiser.«

»O dürft ich es ihm in die Ohren schreien, wie ich ihn hasse! Sollen wir ihm danken, daß er nicht auch ein Mädchen gemordet hat? Er, der alle Männer des großen Constantinischen Hauses bis auf uns beide ausgerottet? Sie verschont er; bedroht sie doch nicht seinen Thron. Und was haben wir alle andres verbrochen, als daß wir seine nächsten Verwandten sind? Hat er Juliana doch auch so schwer getroffen, als er konnte, ohne sie zu töten. Er hat ihr das Leben nur geschenkt unter der Bedingung der Ehelosigkeit. Er zittert, wie vor uns, vor ihrem möglichen Gemahl.« – »Ehelosigkeit!« wiederholte sinnend Julian. »Bis vor kurzem hielt ich sie nicht für ein Unheil.« Er errötete und brach ab. »Und die Arme, Schutzlose. Sie versprach alles, was man, unter Drohungen gegen sie und uns beide, für den Fall der Weigerung, von ihr verlangte. Solch abgezwungen Gelübde ist freilich nichtig . . .« – »Ich weiß doch nicht«, meinte Julian. »Die Schwester wird sich daran gebunden glauben.« – »Das wollt ich ihr schon ausreden.« – »Aber du selbst, lieber Bruder, wo, wie hast du all die Jahre gelebt?« – »In Castra nigra, einem alten Burgnest fern am Halys, in strengster Überwachung, abgesperrt von aller Welt. Nur durch Zufall, oder vielmehr durch treue Freundschaft gegen unser Haus – erfuhr ich vor einigen Jahren, daß du lebest und ein gar frommer, schwärmerischer Christ seist.« – »Ich war es! Aber durch wen vernahmst du von mir?« – »Erinnerst du dich wohl an einen Mönch, einen Büßer, Johannes, der zuweilen auf seiner unablässigen Pilgerfahrt zwischen Rom und Jerusalem im Haus unserer Eltern zu Nikomedia gastete und rastete?«

»Gewiß! War er doch zugegen in jener blutigen Nacht. Er, zusammen mit einem kleinen buckeligen Arzt – dessen Namen hab ich vergessen! –, hat die Mutter, hat uns drei Kinder gerettet. War er doch in den Jahren, die ich in Jonien verlebte, bevor ich in das heilige Kloster – das verfluchte! – gebracht wurde, der Lehrer meiner Knabenzeit. Ach, mit Schmerz würde er erkennen, wie weit sich seither der Schüler von seinem Lehrer entfernt hat! Ich sah ihn zuletzt, vor Jahren, zu Pfingsten . . .« – Das sagte er mir, als er, der Treue, in unermüdlichem Forschen und Suchen entdeckt hatte, daß auch ich noch lebe und in welchem Versteck. Und er erzählte mir viel von dir und deinem edeln, frommen Geist. Wie strahlten dabei die sanften Augen vor Stolz auf dich! Du würdest noch einmal eine Säule der Kirche, meinte er. Und vielleicht lebe auch unsere schöne Mutter noch. So glaube ein geheimer Freund unseres Hauses am Hofe.« – »Der muß freilich sehr geheim sein«, lächelte Julianus bitter. »So geheim, daß man gar nichts von seiner Freundschaft spürt . . .« – »Du irrst! Johannes beteuert, daß damals der Mutter, der Schwester, unser beider Leben gerettet worden. Viel mehr als ihm selbst sei das jenem Ungenannten zu danken.« – »An dieser Selbstverleugnung erkenne ich Johannes.« – »Und dieser geheime Beschützer – nie dürfe er mir ihn nennen! – habe ihm unsern Aufenthalt verraten, auch anvertraut, daß aus den eingezogenen Gütern unserer Mutter in Ionien jährlich ein, freilich geringer, Betrag auf Befehl des Imperators abgeführt werde in eine ihm unbekannte Stadt Galatiens, zu Gunsten einer Witwe. Johannes hält es nicht für unwahrscheinlich, das sei unsere Mutter.« – »Was sollte den Imperator zu solcher Gnade bewogen haben?« Gallus zuckte die Achseln: »Johannes wußte nicht! Vielleicht doch eine Regung des Gewissens oder ein Aberglaube; der Tyrann soll ja so furchtsam sein.«

»Oh, unsere Mutter, die geliebte, die heiß geliebte! Noch seh ich sie vor mir stehen, die schönste der Frauen. Ach, ihre Augen! Diese wunderbaren Augen! Wie drang ihr sanfter Blick in die Seele! Ob sie noch leuchten in ihrem weichen Glanz? Und wie gelang es damals wohl Johannes und jenem andern – ich meine, es war ein Arzt, der Bucklige? – uns alle zu retten? Johannes schüttelte den Kopf, befragte ich ihn.« – »Auch mir schwieg er beharrlich hierüber.« – »Der andere tat alles!« erwiderte er ablehnend. »Aber sieh, die Pferde sind gewechselt. Da schreitet schon mein Kerkermeister heran. Wir müssen scheiden.«

»Ach, auf wie lange, geliebter Bruder?« – »Vielleicht auf immerdar!« – »Soll ich dich nur gefunden haben, dich wieder zu verlieren? Nein, ich lasse dich nicht!« Und zärtlich hielt Julian den Bruder umschlossen.

»Scheidet!« sprach der Centurio, näher tretend. »Ich habe strengste Befehle.« – »Aber sag uns wenigstens«, rief Julian tief bewegt, »wohin führst du meinen Bruder?« – »Ich darf es jetzt sagen; zum Imperator selbst.« – »Zum Tod also!« rief Gallus.

Der Centurio zuckte die Achseln, aber der ernste Ausdruck seiner Mienen verriet, daß er keinen Zweifel hege; er schob seinen Gefangenen in die vor ihm niedergesetzte Sänfte. »Leb wohl, Bruder!« rief Julianus ihm nach. Vor des Jammernden Augen ward die Türe der Sänfte zugeschlagen; fort ging in raschestem Lauf der hastende Zug.

 


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