Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Achtzehntes Kapitel

Der alemannische Leibwächter meldete: »Der Präpositus sacri cubiculi bittet . . . Du habest befohlen, sobald er eingetroffen . . .« – »Jawohl, jawohl! Herein mit ihm! – Zur rechten Stunde.« Wie nun Constantius sich dem Eintretenden entgegenwandte, suchten sich und fanden sich die Augen der Imperatrix und des Arztes. Eusebia seufzte tief, Philippus legte blitzschnell den linken Zeigefinger an den Mund.

»Da bist du endlich, Eusebius. Laß nur die Proskynese! Beginne deinen Bericht. Du weißt, man darf keine Geheimnisse haben vor Gattin und Arzt«, lächelte er verschmitzt. Der oberste der Eunuchen – die aufgedunsene, fettliche Gestalt schlotterte in den weiten, lose hängenden Gewändern, verneigte sich tief vor der schönen Frau und warf dann einen giftigen Blick auf Philippus. »Deine Befehle, o Herr, sind genau und erfolgreich erfüllt. Wie immer, wenn du deinen Sklaven Eusebius mit solchen betraust. Du befahlst auch, ich solle mich sofort nach meiner Rückkehr melden, deshalb allein wag ich es, hier zu stehen. Eben stieg ich aus der Sänfte.« (»Gerade recht komme ich freilich noch, scheint mir«, dachte er bei sich. »Hoffentlich noch ›gerade recht‹.«)

»Berichte mir nun genau. Die beiden – auch ich – wissen bisher nur durch deine schriftliche Meldung . . . das Gelingen; aber nichts Näheres. Rede!« – »Leider«, begann der Präpositus, »kann ich nicht reden, ohne anzuklagen.« – »Das ist stets so bei dir«, lächelte Constantius. »Ohne Ratgeber anzuklagen, denen du, o Herr, immer wieder mehr folgtest als deinem treuesten Sklaven, obwohl ihr Rat sich wiederholt als verderblich erwiesen hat. Darf ich dich erinnern, wie du – vor Jahren – plötzlich Befehl gabst, deinen Vetter Julian künftig nicht, wie du ehedem beschlossen hattest, in jenem Kloster zum Mönch zu erziehen, sondern ihn durch Unterricht in weltlichem Wissen für den Staatsdienst vorzubereiten?« – »Gewiß. Hatt ich es zu bereuen?« Eusebius zuckte die Achseln: »Warte das Ende ab. Wer war es doch, der dir damals jenen Rat erteilte? Dieser Philippus da!« – »Nicht ich; durch mich die Sterne«, warf dieser ein. »Wahrlich«, fuhr Eusebius fort, »beneidenswert ein Mann, der zugleich den Sternen am Himmel und zugleich den Eingeweiden des Imperators ihre Geheimnisse ablauscht.« – »Höre«, schalt Constantius, »diesen Spott solltest du sparen. Das Höckermännlein da hat mich wiederholt von toddrohender Krankheit geheilt, hat durch seine Gegengifte aus meinen Eingeweiden das Gift entfernt, das . . .« – »Nie darin war! Oder durch die Fürbitten der Priester des Herrn und all deiner Untertanen bei Gott schon unschädlich gemacht war.« Da sprach Philippus – und das überlegene Lächeln des feingeschnittenen Mundes stand ihm schön: »Oh, Eusebius, schlägst du meine Arzneien so gering und die Fürbitten so hoch an?« – »Gewiß.« – »Wohlan! So mache ich dir einen Vorschlag. Du und deine molossische Dogge, ihr nehmt beide vierzig Unzen Schierling; deinem Hunde gebe ich sofort Gegengift, für dich leistet sofort der Imperator, der ja zuhöchst in Gottes Gnade steht, und leisten alle Bischöfe des Reiches Fürbitte und versprechen dein Gewicht in Gold der heiligen Kirche, dann wollen wir sehen, welcher Patient den andern überlebt.«

Betroffen schwieg Eusebius; der Imperator aber konnte ein höhnisches Lächeln nicht ganz unterdrücken, als er verweisend sprach: »Ei, ei, Philippe! Man sagt, die Jünger Galens sind schlechte Jünger Christi.«

»Mag sein! Aber ich habe meinen Meister nie verraten, wie der oberste der Jünger den seinen; ich muß nicht erröten, kräht der Hahn.«

Jedoch Eusebius fuhr fort: »Und erinnere dich weiter. Endlich war es mir gelungen, dich zu überzeugen, daß jene Befreiung Julians aus dem Kloster ein Fehler gewesen; meine Späher hatten uns hinterbracht, daß Julian heimlich Rom besucht hat, daß jener Priester Lysias nicht ganz unverdächtig scheint.«

»Lysias!« rief Philippus. »Niemand liebt heißer das Römerreich.«

»Daß Julians Bruder Gallus drohende Reden von Rache gegen dich ausgestoßen hat. Du hattest Befehl gegeben, beide Brüder zu verhaften, beide vor dich zu führen, das heißt . . .« – »Das heißt: schon auf der Reise zu ermorden«, ergänzte Philippus.

»Was aber geschah? Plötzlich – ein Mönch Johannes tauchte wieder einmal im Palatium auf – sehr verdächtig, weil ein Freund jenes Hauses . . .« – »Dann ist der Imperator der verdächtigste Mann im Reiche«, warf der Arzt ein, »denn er ist beider Brüder Vetter und hatte in erster Ehe beider Brüder Schwester sich vermählt.« – »Ein vertrauter Jugendfreund dieses Philippus da! Was geschieht? Sie flüstern zusammen; Philippus befragt die Sterne . . .« – »Auf mein Geheiß!« nickte der Augustus. »Und das Ergebnis seiner Sternenweisheit ist: Du begnadigst die Schuldigen, du entläßt den jüngeren, reich beschenkt . . .« – »Aus einem winzigen Teile des eingezogenen Vermögens seiner Eltern!« schaltete Philippus ein. ». . . in volle Freiheit . . .« – »Das heißt, stets von deinen Spähern überwacht«, ergänzte der Alte.

»Nach Athen. – Dort zieht der Jüngling alsbald die Augen des Volkes auf sich . . .« – »Durch seinen Fleiß, seine Bescheidenheit, sein leutseliges Wesen.« – »Jawohl«, wollte die Augusta eifrig rufen, aber ein warnender Blick des Arztes hielt sie noch rechtzeitig zurück. »Er besucht Byzanz, er verkehrt in Nikomedia mit Feinden der heiligen Kirche, mit argen Spöttern, mit kecken Sophisten. Einstweilen aber . . . der andere Bruder, sieben Jahre älter, offen, ungestüm; ihn machst du vollends zum Cäsar und räumst ihm die Verwaltung des Morgenlandes ein.« – »Konnte ich etwa zugleich«, fuhr ihn der Imperator heftig an, »diesen verfluchten Magnentius in Aquilea bekämpfen und zugleich in Antiochia die Perser im Auge behalten? He, konnt ich das?« – »Und wählst zu deinem Vertreter von allen Sterblichen den Gefährlichsten. Wahrlich, glänzend hat sich die Weisheit des Sternguckers bewährt, der diesen Rat erteilt hat, während deine Ungnade mich auf Monate von deinem Hof verbannte.«

»Auf deine wunderschöne Villa in den Sabinerbergen«, meinte Constantius. »Kein hartes Exil! Sie ist prachtvoller eingerichtet als dieser mein Palast. Tauschen wir, Präposite?«

»Alles, was ich habe, ist ohnehin dein, o Herr. – Aber bald verrät sich der unbändige Trotz, der rachedurstige Haß des neuen Cäsars: Er verfolgt deine treuesten Beamten, er läßt die dir ergebensten Heerführer hinrichten, und als du endlich auf die Anklagen deiner Treuen hin von deiner Seite vertraute Männer entsendest, den Frevler zur Rechenschaft zu ziehen, da ruft der Tyrann seine Leibwachen unter die Waffen, ruft den Pöbel von Antiochia zum offenen Widerstand auf, deine beiden Sendboten werden ergriffen, unter hundert Wunden durch die Straßen der Stadt geschleift und endlich in die Fluten des Orontes geworfen. Nun droht dir der Abfall des ganzen Morgenlandes. Gallus, ein neuer, ein gefährlicherer Magnentius, rüstet den Bürgerkrieg. Da – endlich – erinnerst du dich deines getreusten Sklaven und entsendest mich nach Antiochia, mich allein, ohne Geld, ohne Waffen, ohne Heer; denn du hattest keines . . .«

»Ich möchte dich wohl ein Reitergeschwader befehligen sehen, o Eusebius«, warf der Bucklige ein. »Deine Beine, die sich von selbst unter dem Bauche des Gaules zusammenschließen, würden deinen Sitz festigen.«

»Allein also reise ich in die Höhle des Untiers, das heißt nach Antiochia. Und wirklich gelingt es mir, den Anmaßer ohne Kampf zu überwinden. Ich bewege ihn, unter Zusicherung deiner Verzeihung und Huld . . .« – »Wieviel Meineide hat dich das – unter Brüdern – gekostet?« fragte Philippus. »Hast du ihm wirklich geschworen?« forschte Constantius mit scheuem Blick. »Der Bischof von Antiochia lieh mir selbst zu diesem Eid einen Nagel vom Kreuze Christi und entband mich im voraus von der Sünde!«

Da atmete der Herrscher tief beruhigt auf.

»So beredete ich den Toren, seine schon aufgebotenen Scharen zu entlassen und mit mir zu reisen. Anfangs zwar führte er noch eine so starke Bedeckung durch seine Anhänger mit, daß ich mehr sein Gefangener war als er der meine. In Byzanz hielt er noch als Cäsar des Morgenlandes die Zirkusspiele ab. Aber allmählich gelang es mir, ihn immer sicherer zu machen . . . immer mehrere seiner Gewaffneten ließ er unterwegs zurück . . .

Hätten ihn nicht alle Götter verlassen – (wollte sagen: alle Heiligen!) –, er hätte merken müssen, wie er, gleich einem großen Fisch in einer Spitzreuse, immer mehr in die Enge geriet, immer mehr die Möglichkeit des Rückzugs, der freien Entschließung verlor. Kam er doch bei jedem Schritt immer weiter fort von den Grundlagen seiner Macht und immer tiefer in das Gebiet deiner Herrschaft. In Adrianopel teilte ich ihm deinen eben eingelaufenen Befehl mit . . .« – »Ich habe gar keinen dorthin geschickt.« – »Vergib, ich erriet deinen Willen! – daß er hier sein ganzes Gefolge zurückzulassen habe.« – »Und der Tor gehorchte?« fragte Philippus. »Ich übergab ihm des Imperators eignen Siegelring als Pfand der Sicherheit. In nur wenigen Wagen der Reichspost, ohne alle Krieger des Gallus, fuhren wir von Adrianopel weiter. Ich setzte mich nun zu ihm in das zweisitzige Gespann – sein Entkommen zu verhüten – gegen seinen Einspruch. Nun merkte er nachgerade, daß ich nicht sein Ehrengeleiter, daß ich sein Bewacher war. Er ward nun bald wütend, bald niedergeschlagen. Oftmals rief er: ›Oh, Julianus, räche mich!‹ Endlich, zu Petovio in Pannonien, fand ich es sicher genug, auch den Schein des Ehrengeleits abzuwerfen; hier stand ja Barbatio . . .« – »Der Schurke«, murmelte Philippus.

»Dein treuer Diener mit starker Schar sarmatischer Söldner. Ihm übergab ich noch am Abend unserer Ankunft den Gefangenen; die Abzeichen der Cäsarenwürde rissen ihm die wilden Sarmaten vom Leibe, wir brachten ihn dann noch nach Pola in Istrien, wo ich als Ankläger und Richter auftrat . . .«

»Nicht auch gleich als Henker?« fragte Philippus.

»All das ist bei Hochverrat dasselbe, naseweiser Arzt! Die Hände auf den Rücken gebunden ward er von mir angeklagt, gerichtet, verurteilt und vor meinen Augen von den Sarmaten erdrosselt in weniger als einer Viertelstunde.«

Eusebia erschauerte. »Mörder!« hauchte sie vor sich hin. »Ich fürchte mich vor ihm.« – »Ich bin zufrieden mit dir, Präpositus. Von dieser Stunde an bist du Patricius.« – »Und gegen dieses Gift weiß ich kein Gegengift«, seufzte der Arzt halblaut. Aber Eusebius hatte es verstanden. »Warte, Giftmischer«, flüsterte er ihm rasch zu. »O Herr, welche Gnade«, rief er laut, sich auf das Antlitz niederwerfend. Schwer ward es dem Dickgedunsenen, sich wieder zu erheben. »Aber mein Werk ist erst halb getan. Laß mich den Lohn voll verdienen. Noch lebt der jüngere Bruder . . .« – »Wie?« rief die Frau, einen warnenden Blick des Sterndeuters nicht beachtend vor heftiger Erregung – »willst du den Schuldlosen morden wie den Schuldigen?« Mißtrauisch sah Constantius auf seine Gattin: »Schuldlos? Woher weißt du das?«

Sie erschrak, sie fuhr zusammen, heißes Rot schoß in die bleichen Wangen.

Aber Philippus kam ihr zu Hilfe. »Frage, o Herr, lieber den jüngsten Patricius deines Reiches, woher er die Schuld des Jünglings kennt? Worin sie besteht, außer darin, daß er der Lieblingsbruder deiner verstorbenen Gemahlin war? Und erkennst du denn immer noch nicht, daß dieser Höfling planmäßig darauf ausgeht – seit der ersten Nacht deiner Herrschaft, jener Nacht in Nikomedia, in welcher blutiger Maientau fiel, wie das geängstigte Volk flüstert –, alle deine von der Natur, vom Blut oder sagen wir von Gott dir gegebenen Stützen – die Glieder deines Hauses – zu vernichten, auf daß du, deiner von der Natur gegebenen Helfer beraubt, solch Widernatürlicher bedarfst wie der oberste der Eunuchen ist? Ja, blicke nur Tod und Verderben, Patricius. Zum Basilisken, der durch den Blick tötet, kann dich doch sogar der Imperator nicht machen.« – »Hui«, lächelte der, »du bist sehr kühn, Mann der Sterne. Ich für meinen Teil möchte es nicht wagen, meinen Günstling so zu reizen.« – »Was soll der fürchten, Herr, der den Tod nicht fürchtet? Glaubst du, es ist ein besonderes Vergnügen, als dein Untertan und obendrein noch als dein Arzt und als dein Sterndeuter zu leben? Nicht den Sternen, deinem Unstern folgst du – diesem da.« Constantius lachte. Aber Eusebius meinte grimmig: »So mach doch dem ein Ende! Du kennst ja der Gifte so viele. Stirb! Oder höre wenigstens auf, Arzt und Sterndeuter des Herrn zu sein.« – »Nein, o Patricissimus. Ich habe dem großen Constantinus versprochen – zwar ohne Eid auf alte Nägel –, über diesen seinen Sohn, bald nach dessen Geburt, zu wachen, mit allen Kräften meines Geistes für seine Gesundheit und sein Heil zu sorgen. Und ich halte das. Weil ich's versprochen. Und weil ich es liebe, dieses arme, rasch sinkende Reich der Römer. Nicht aus Liebe zu Constantius, denn er ist nicht liebenswürdig, außer«, fügte er bei, »für Eusebia.«

Diese errötete wieder und schlug die Augen nieder.

Der Imperator aber lachte abermals: »Hört, ihr beiden, ihr solltet euch gegenseitig aushelfen: Eusebius hat zuviel der Lobes-Süßigkeit, Philippus zuviel der Grobheit-Bitterkeit für mich! Aber genug nun von beiden. Eusebius, Gallien ist in Barbarenhand.«

»Ich erfuhr es unterwegs.«

»Schau, schau, er ist durch seine Kundschafter trefflich bedient, wo immer er weilt. Besser als ich! Wen soll ich senden, es wieder zu erobern?« – »Barbatio, den Magister Militum für Illyricum.« – »Den Schlächter von Petrovia«, rief die Imperatrix. »Und deinen Neffen, o Patricius«, fügte Philippus bei. Constantius hatte die Stirne gerunzelt: »Nein, das schlage dir aus dem Sinn, Unersättlicher. Du machtest deine Verwandten gern zu Halbgöttern, wenn du könntest. Wen soll ich senden, gütige Augusta?«

Da erhob sich diese von dem Sitz, und dem Gemahl voll ins Auge sehend, sprach sie, diesmal ohne zu erröten: »Julianus, deinen letzten Vetter.«

»Ha«, fuhr Eusebius auf, wie von einem Pfeil getroffen. »Den Bruder des Gallus, den Rächer?«

»Wird dir bange, Mörder?« fragte der Herrscher, plötzlich ganz verwandelt. »Er ist hochbegabt«, fuhr Eusebia lebhaft fort, »tugendhaft, unbefleckt von jedem Laster, ja frei auch von den bloßen Torheiten der Jugend . . .« – »Kennst du ihn?« forschte Constantius. »Er gilt dafür«, fiel Philippus ein. »Ihn kennen! Wie konnte man ihn kennenlernen, da du ihn immer eingesperrt hieltst, erst im Kloster, dann in jener alten Burg? Als dein einziger noch lebender Verwandter hat er ein Recht auf deine Beachtung. Und du hast einiges gutzumachen, sollt ich meinen, an seinem Geschlecht.«

Unwillig erwiderte Constantius: »Mein Arzt, mein Sterndeuter bist du, nicht mein Beichtiger.« – »Ich staune«, rief Eusebius, »wie man so verblendet sein kann! Wer . . . wer empfiehlt diesen unheimlich tugendhaften Jüngling? Wer?« – »Die Sterne«, antwortete Philippus feierlich. »Längst schon, in der Stunde, ja im Augenblick seiner Geburt habe ich ihm das Horoskop gestellt.« – »Woher konntest du diesen Augenblick wissen?« fragte Eusebia erstaunt.

»Ich war ein Freund seiner Mutter, der spurlos Verschwundenen«, seufzte er mit einem Blick des Vorwurfs und der Forschung auf den Augustus; aber der wandte rasch die Augen ab.

»Ich weilte an ihrem Lager, als sie den Knaben gebar, wie später in jener Mordnacht, da sie ihn – für immer, wie es scheint – verlor; ihn, den andern Knaben, die Tochter, den Gemahl! Sowie das Kind das Licht der Welt erblickt hatte, eilte ich auf meinen Sternenturm. Schon damals sah ich große Geschicke für ihn voraus. Seither hab ich oft und oft über ihn die Sterne befragt. Sie versicherten mir, daß er noch lebe in all den Jahren, da der Imperator mir verboten hatte, ihn nach Julian und den Seinen zu befragen! Und heute, jetzt in dieser Stunde, da der Jüngling sein vierundzwanzigstes Lebensjahr vollendet, der wichtigsten Verbindung seiner Sterne, heute, jetzt befrag ich sie in Gegenwart des Herrschers. Dazu hat er mich herbeibeschieden.«

»Immer noch solch Vertrauen, nach der Erfahrung mit Gallus!« grollte Eusebius.

»Schweig!« herrschte ihn Constantius an. »Die Menschen – auch die Patrizier – lügen und betrügen; meine Gemahlin, Philippus und seine Sterne haben mich noch nie getäuscht. Alles ist noch eingetroffen, was er vorhergesagt hat.« – »Ja, er ist ein ungewöhnlich kluger Kopf«, meinte der Eunuch. »Philippus war es, dessen Aussprüche mich wiederholt bestimmten, die Verfolgung des Knaben einzustellen.« – »Aber in Gallus hat er sich doch geirrt.« – »Nein, ich irrte mich. Philippus riet nur, einen meiner beiden Vettern zum Cäsar zu erheben, er nannte nicht Gallus; der Erfolg hat gelehrt: Ich griff fehl. Philippus hat in den Sternen gelesen: Julians Geschick, sein Glück und Glanz sind auf das engste mit meinem, mit des Römerreiches Glück und Glanz verknüpft, er ist dazu bestimmt, mir noch näher verbunden zu werden, als Geburt und meine erste Ehe ihn mit mir verbunden haben. Hohe, tapfere Feldherrnschaft und kluge Staatskunst schlummern in dem träumerischen Grübler und Schwärmer, so sagen die Sterne.«

»Ja«, fiel Philippus mit Feuer ein, »noch mehr: Die Sterne sagen, dieser Jüngling wird dem Römerreich verlorene Provinzen wiedergewinnen, er wird jenseits eines breiten Stroms in Barbarenlanden halb unbekannte Völker unterwerfen, er wird die größte Tat vollbringen. Er wird . . .«

Die Imperatrix suchte seinen Eifer mit einem mahnenden Blick zu dämpfen, denn sie bemerkte, wie ihres Gatten Züge sich verfinsterten, wie er drohend den Lobredner beobachtete, wie er die Unterlippe biß; aber der Seher achtete es nicht. Er war an die schwarze Tafel getreten und verfolgte mit dem Zeigefinger eifrig die vielfach geschlungene gelbe Linie. »Er wird«, fuhr er fort, »nach dem Imperator, neben dem Imperator – nach einer großen, schweren Gefahr – der mächtigste Mann werden. Wenn er als Cäsar ausgesandt wird, dann . . .«

Da trat der Herrscher hastig zu Eusebius und raunte diesem zu: »Der törichte Sternseher! Er ahnt nicht, daß er mich mit jedem dieser Worte abmahnt. Julian ist unterwegs hierher.« – »Nein, das wolle Gott nicht!« rief Eusebius entsetzt. – »Sorge, daß er nicht lebend das Palatium verläßt. Seine Mutter ist heimlich aus Aquilea, seine Schwester heimlich aus Syrakus hierhergebracht, sie weilen in dem Palast der Gärten vor der Stadt; ich wollte volle Versöhnung. Aber nun . . ., nach dieser Weissagung! Sowie sein Haupt gefallen, werden beide wieder, getrennt, in ihre Verbannungen zurückgesandt.«

Ein Siegeslächeln ging über die Züge des Patricius, wie er sich tief verbeugte. »Nur in die Sterne selbst muß ich noch einmal sehen«, fuhr Philippus fort und stieg hastig die Staffeln hinan zu dem Gerüst, das dicht an die Öffnung in der Saaldecke reichte.

Gespannt achteten auf ihn sechs Augen; er blickte scharf, schweigend nach oben.

Plötzlich schrie er laut auf: »O weh, wehe mir! Was hab ich getan? Nein, mein Imperator, tue nicht, tue ja nicht, was ich riet. Ich Unseliger!« Und er sank, in Schmerzen stöhnend, auf das Knie.

»Rede! Ich befehl es!« gebot Constantius, rasch die Stufen hinaneilend und ihn an der Schulter rüttelnd. »Gestehe, was hast du gesehen?« – »Ach! Wenn er nach Gallien geht . . ., ein früher Tod . . .! Er wird Gallien zurückgewinnen . . . aber der Cäsar Julian kehrt nie . . . nie aus Gallien zurück. Du wirst ihn nie mehr wiedersehen.« – »Wirklich? Wirklich und wahrhaftig?« fragte der Herrscher, gierig ihm ins Antlitz starrend. »So gewiß da oben die Sterne stehen!« – »Wirklich?« frohlockte der Augustus. »Der Cäsar kehrt aus Gallien nie zurück? Wohlan! Vernehmt es, aber schweigt noch davon: Es ist mein Wille – unabänderlich: Julian ist zum Cäsar ernannt. Julian wird nach Gallien entsendet.«

 


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