Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Viertes Kapitel

Das Pfingstfest war gekommen. Schon den Tag vorher hatte die Einleitung der frommen Feier begonnen: strengeres Fasten, häufigerer Gottesdienst, zahlreichere gemeinschaftliche Gebete und Gesänge. Geistliche und Mönche waren, oft aus weiter Ferne, herzugewandert, das hohe Fest in dem seiner Heiligkeit, seiner strengen Zucht wegen berühmten Kloster zu begehen. Es hieß »Hagion«, »Heiligtum«.

Julian traf in diesen Tagen die Reihenpflicht als Pförtner. Unermüdlich und ohne Klage saß er, wie die schlummerlose Nacht hindurch, so unter dem heißen Sonnenbrand des Mittags vor der Klosterpforte und waltete seines Amtes.

Da wankte auf der staubigen Straße vom Norden, vom Taurusgebirge her, in welchem die nackten Wände steil in die Luft ragten, an seinem Stab abermals ein Pilger in brauner Mönchskutte heran. Obzwar noch rüstig an Jahren, war er gebeugt in der Haltung: die Glut des Tages, die Mühe der Wanderung schienen schwer auf ihm zu lasten; gleichwohl ging er zu Fuß neben seinem Maultier her; er bückte sich oft, von dem Rand des Grabens die kargen Halme zu pflücken und sie dem Tiere darzureichen, das dann dankbar zu ihm aufblickte. Als er in Sehnähe kam, hielt der junge Pförtner die Hand vor die Augen, die blendenden Sonnenstrahlen auszuschließen. Nun erkannte er offenbar den Wanderer. Hurtig lief er ihm entgegen. Sobald er ihn erreicht hatte, wollte er sich ihm zu Füßen werfen, aber der Ankömmling hielt ihn ab und zog ihn an die Brust.

»O Johannes, mein Vater, mein frommer Lehrer!« rief der Jüngling innig und bedeckte die hageren sonnengebräunten Hände des Pilgers mit Küssen. »Wie wohl tut es mir in der Seele, dich wiederzusehen! Allzulang bist du mir fern gewesen.«

Der Pilger ließ die sanften blauen Augen lang auf den bleichen erregten Zügen des Mönches ruhen: »Ja, mein Julianus, ich glaube, es ist gut, daß wir wieder einmal Blicke und Worte tauschen. Ich hatte starke Sehnsucht nach dir. Und schwere Träume ängstigten mich um dich. Ich sah dich Arglosen umringelt von einer giftigen Schlange, die ihre Kreise näher und näher um dich zog. Die Sorge um deine Seele trieb mich her. Ich finde dich verändert, sehr. Gar wenig jugendlich siehst du aus! Eingefallen die Wangen, bleich, nur in der Mitte ein roter brennender Fleck, schwarze Schatten um die Augen: allzuhell glänzen die aus tiefen Höhlen heraus. Und warum – ich sah es wohl! – saßest du mitten im Sonnenbrand statt in dem Schatten des vorspringenden Eckturms?«

Der Pförtner schlug die Augen nieder. Gluten schossen plötzlich in die wachsfahlen Wangen. Der schmächtige Körper, der das Mittelmaß nicht erreichte, zitterte. Er wankte. Der andere hielt ihn aufrecht an den Schultern.

»Ich ahne! Du wolltest dich wieder einmal über das Gebot der Klosterzucht hinaus kasteien! Maßlose Abtötung, nein: Peinigung des Fleisches! Selbstauferlegte Buße!« Julian barg das Angesicht an seinem Halse und weinte, weinte bitterlich. »Mein armer Sohn! Mein Liebling! Fasse dich! Was quält dich so?« – »O laß mich weinen! Weinen an deiner treuen Brust. Ah, das tut wohl wie Gewitterregen nach verzehrendem Sonnenbrand. Oh, laß mich dir beichten.« – »Nicht mir, mein Julian! Wer ist dein vom Abte verordneter Beichtiger?« – »Lysias.«

Da erschrak der Alte und fuhr zusammen.

»Aber er erläßt mir alle Sünden, die ich beichte, ohne jede Buße. Er lächelt über das, was ich Sünde nenne. Auch über . . .« Er verstummte.

Der Pilger strich ihm über die Stirne: »Auch wohl über den Zweifel«, ergänzte er, »der dir immer wieder auftaucht? Mein armes Kind! Du mußt nicht zweifeln, darfst nicht grübeln. Glauben mußt du, oder elend sein.« – »Woher weißt du . . .?« – »Ich liebe dich, darum kenn ich dich. Auch ich war einmal jung, war voll Fleischeslust, aber auch voll Lernbegier, war voll Hoffart weltlichen Wissens gegenüber den Lehren des Herrn, die freilich wider die Vernunft gehen, weil über die Vernunft. Darum eben müssen wir glauben. Verzage nicht, verzweifle nicht, weil du noch zweifelst, mein Sohn. Du wirst überwinden. Glaube mir, nicht durch die Bücher, nicht durch die Lehre, durch das Leben allein wirst du unlösbar mit Christus verknüpft. Man kann seinen Erlöser nicht ergrübeln, erleben muß man ihn und seine Wahrheit! Vor jenem aber, dessen Namen du vorher genannt hast, vor jenem laß dich warnen. Er ist –«

Da traf von hinten her ein heftiger Faustschlag den Kopf des Pilgers, daß dessen Reisehut zur Erde flog. Lysias stand zornglühend zwischen den beiden. Sowie Julian ihn erkannte, senkte er den Arm, den er rasch zum vergeltenden Streich erhoben hatte. »Er ist dein geistlicher Oberer, du schweifender Mönch, wie dieses Knaben, des pflichtvergessenen Pförtners, der, dem kindischen Herzen folgend, dir entgegenlief, seinen Posten verlassend. Dort stehen, von den andern Straßen her angelangt, viele Waller vor der heiligen Stätte – und der Pförtner . . .?«

Schon war Julian zurückgeeilt und bat die dort Harrenden um Verzeihung.

Einstweilen hob Lysias drohend den Zeigefinger gegen den Ankömmling, und grimmig, bösartig, blitzte sein Auge wider ihn, als er rief: »Wag es, mit mir um diese Seele zu ringen! Wag es, nur noch einmal mit ihm allein zu flüstern, und er soll dich kennenlernen, du Mörder.«

 

»Wo ist Johannes?« fragte Julian, sobald er die angelangten Gäste über den Hof an die innere Türe geleitet und nun die Außenpforte wieder erreicht hatte.«

»Umgekehrt.« – »Ach! Warum?« klagte der Jüngling. – »Weil ich es befahl. Er ist Subdiakon. Ich bin Presbyter.« – »Und warum schlugst du ihn? Und wann werd ich ihn wiedersehn?« – »Niemals. So hoff ich.« – »Aber warum?« – »Du wagst zu fragen? Weil ich's nicht will. Das genüge dir, Knabe. Aber da ich so töricht bin, dich zu lieben, dich unaussprechlich zu lieben, – will ich deine kecke Frage beantworten: weil er Gift ist für deine Seele. Und weil er dich befleckt mit Blick und Wort. Die Schuld Kains belastet seine Seele. Und er – Er! – will dich vor mir warnen. Der Einfältige! Hat Er Antwort auf die brennenden Fragen, Erfüllung für den Wissensdrang deines Geistes? Was riet er dir?« – »Glauben.« – »Dumpfes Hinnehmen! Der Narr! Der Schwärmer, dem das nagende Gewissen die Klarheit des Gedankens zerrüttet hat. Du zweifelst? Ich sage dir: Er ist ein Mörder. Ihm könntest du folgen? Zurück in die Nacht des blöden blinden Glaubens, in die Knechtung des Verstandes, statt mir, in die Freiheit des Gedankens und in das Licht? Nein, du kannst nicht anders! Mir mußt du folgen. Warte nur noch bis dies Fest zu Ende. Die Ausgießung des Geistes, des heiligen! Jawohl! Auch auf dich soll er ausgegossen werden, der Geist meines Gottes – des Lichtgottes! – und erkennen wirst du bald an seinen Wirkungen den Geist jenes Gottes, dem Johannes dient.«

 


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