Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Dreiunddreißigstes Kapitel

Nachdem Serapio den Freund in den Händen des Arztes und der Diener sah, wandte er sich und schaute Athanasius nach, der, umwogt von den Christen, denen sich erschüttert gar viele Heiden anschlossen, von dem Bischof in dessen Haus geleitet wurde.

»Sein Zug ist ein Triumphzug, ohne Zweifel«, sprach der Germane zu sich selbst. »Hm«, grollte er, »soll dieser Vorkämpfer der Kirche denn mit so ganz unbestrittenem Siege, so ganz unverwundet aus dem Streitfelde ziehen? Nein, das soll er nicht.« Er eilte dem Bischof nach, schloß sich dem großen Haufen der Frommen an, die sich an des Greises Schritte hefteten, sein Gewand zu küssen trachteten, sich vor ihm auf die Knie warfen und um seinen Segen baten, den er abermals, ohne müde zu werden, unablässig spendete.

Der starke Franke drängte sich durch die Menge und schaffte ihm Raum, so daß er die Türe des Bischofshauses leichter erreichen konnte. »Ich danke dir, mein Sohn«, sprach die herzbezwingende Stimme. »Du bist von dem blonden Volk der Germanen, nicht? Ich sah viele von euch zu Trier. Wartet nur, auch in eure dunklen Wälder wird die Botschaft des Heils dringen, auch ihr werdet glauben. Denn es wird ein Hirt und eine Herde sein, so steht es in der Heiligen Schrift.«

»Ich habe starke Zweifel. – Darf ich eine Frage stellen?« – »Gern, mein Sohn.« – »Wie kommt es wohl, daß die letzten Worte eures Gottes am Kreuze lauteten: ›Mein Gott, mein Gott, warum hast du mich verlassen?‹ Oder gar, wie es in dem Evangelium des Petrus heißt: ›Warum hast du mich zu Schanden werden lassen?‹« Ohne Besinnen erwiderte der Bischof: »Bedenke, lieber Sohn, daß in diesem Augenblick der Herr die Sündenlast der ganzen Menschheit trug. Wie furchtbar mußte er die Sündenschuld empfinden!« – »Ohne je eine Sünde begangen zu haben?« – »Gewiß.« – »Genügt dir, großer Athanasius, diese Erklärung?« – »Vollauf, denn es gibt keine andere.« – »Vielleicht doch! Und ist er wiedergekehrt, wie er verhieß, vor einem Menschenalter nach seinem Tode? – Ich, o Athanasius, werde nicht mit geweidet werden in jener großen Herde.«

 

Schwer war der Schlag, vielmehr die Reihe von Schlägen, die den Erneuerer der Götter hier in Circesium getroffen. Sein heller Geist hatte sich einen Augenblick verdüstert unter dem Abfall, dem Fluch, dem grausen Geschick seiner Nächsten, unter der zemalmenden Verurteilung durch diesen in den tiefsten Seelengrund schauenden Priester. Der Glaube an seinen Stern, an die besondere Gunst der Götter war tief erschüttert. Aber die Jugendkraft des Zweiunddreißigjährigen überwand doch noch einmal die harte Anfechtung. Im Frieden der Muße zu Byzanz hätte vielleicht der Schmerz um das Verlorene, der Zweifel im Gewissen, das verzagende Grübeln gesiegt, aber das erste, was den Zusammengebrochenen aus seiner ohnmachtähnlichen Betäubung weckte, das war der Trompetenschall eines Reitergeschwaders, das an seinem Palast vorbeizog.

»Die Tuba!« rief er und sprang von dem Lager auf. »Die Tuba ruft mich, wie damals zu Paris. Das Heer verlangt nach seinem Feldherrn. Es soll ihn nicht vergebens rufen.«

Und so war es das Mächtigste und zugleich das Edelste, was in dieser Seele Gewalt hatte: die Begeisterung für das Vaterland, für den römischen Ruhm, die römische Heldenschaft war es, was den Schwergetroffenen noch einmal aufrichtete. Die Fülle kriegerischer Arbeit, der Ernst kriegerischer Pflichten ließ ihm gar nicht Zeit, seinem Schmerz, seinem Zorn, seinen Zweifeln, seiner Demütigung sich hinzugeben.

Athanasius ward nach Alexandria entlassen, die Untersuchung wegen der früher erhobenen Anklagen eingestellt, der Antrag des Lysias, wegen des Auftretens in Circesium gegen ihn die Klage wegen »laesa majestas« zu erheben, heftig abgewiesen.

Freilich hätte schon die Nichtanerkennung der Imperatorschaft ein Todesurteil gerechtfertigt. Aber statt dessen empfing der Metropolit von Ägypten auf seine Bitte die Erlaubnis, die Mutter Julians mit in seine Krankenstiftung nach Alexandria nehmen zu dürfen, da sie unter allen Menschen nur ihn erkannte und die Heilung durch seine Einwirkung noch am meisten Wahrscheinlichkeit versprach.

Juliana ward auf des zürnenden Herrschers Befehl in eine jener von ihm gegründeten oder erneuerten Pflanzschulen für Priesterinnen gebracht, in einen Tempel der Vestalinnen zu Kale, einer Vorstadt von Circesium, dessen Vestadienst unter Leitung einer ehrwürdigen Matrone, Kallixena, schon lange hohen Ruhm genoß.

Julian hatte sich für die Betörte ein Probejahr erbeten. Blieb sie nach Ablauf dieser Frist, unerachtet der günstigsten Einwirkungen des »Hellenismus«, standhaft bei dem neuen Glauben Jovians, so hatte die zärtliche Liebe des Bruders bereits beschlossen, das eigensinnige Paar gleichwohl zu vereinen; das Gelübde der Ehelosigkeit wollte er durch einen Machtspruch aufheben. Nur kurzer Frist hatte es bedurft, bis Julians Herzensgüte über seinen Zorn und Serapios Fürsprache über die Verherzungen des Lysias auch hierin den Sieg davongetragen hatten. Aber die Schwester noch einmal zu sehen, wie sie bat, das konnte sich der Tiefverwundete noch nicht abgewinnen.

Auch die Bitte des Johannes, die kranke Mutter nach Alexandria begleiten zu dürfen, ward kurzweg abgeschlagen. Der Augustus war heftig erbittert über das vielgeschäftige Mönchlein, dessen Hin- und Herwandern zwischen dem Gewaltigen von Alexandria, Mutter, Schwester und Jovian er einen großen Teil der Schuld an deren Abfall und an dem ganzen Unglück zuschrieb. So ward Johannes auf Julians Befehl in dem zu Circesium befindlichen Kloster eingebannt auf Lebenszeit. »Er soll mir nicht mehr hin und her huschen, dieser Apostel des Unheils«, grollte der Imperator.

 


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