Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Einundzwanzigstes Kapitel

Aber bald verstummte der Gesang der angreifenden Alemannen. Der Zorn, der Grimm erstickte ihnen die Lust dazu; denn abermals fielen sie in dichten Haufen! Hatten sie den weit überlegnen Waffen doch wieder nur die nackte Brust, den Speer, oft ohne Metallspitze nur im Glimmfeuer hart gebrannt, und freilich auch ihr todesfreudiges, blind anstürmendes Heldentum entgegenzuwerfen. Der ungleiche, verlustreiche Kampf reizte ihren Zorn zu furchtbarer, wild aufflammender Wut. Sie übertraf jetzt, was man sonst an Germanen gewohnt war. Ihr langes Haar, nach suebischer Sitte gegen den Wirbel emporgekämmt und in einen Büschel zusammengebunden, schien sich zu sträuben.

Immer und immer wieder führten Chnodomar und die Könige, zu Fuß kämpfend an der Spitze des Keils, neue Haufen gegen den Lanzenrechen, der ihnen aus der Schildmauer entgegenstarrte. Unablässig sprengte Merowech mit den Reitern immer wieder von der Westseite her an; wie viele der Rosse auch, getroffen von den mörderischen Pila, welche die zweite und die dritte Reihe der Feinde über ihr erstes Glied hinwegschleuderten, die Böschung der Hochstraße hinab in den Graben und auf das Getreidefeld stürzten.

Julian hielt neben Jovian in der Mitte des Vierecks. »So was«, flüsterte er dem Freund ins Ohr, »so was von Wildheit, von Todesmut hatte ich nicht für möglich gehalten. Ich meine, unsere Braccati da vorn erschlaffen. Sie halten es nicht mehr lange aus. Dann . . .«

»Dann ist's zu Ende. Denn, reite ich auch sofort ab, ich habe nicht mehr Zeit, unsere letzten Treffen heranzuholen.« – »Die Bataver meinst du? Da hinten!« – »Jawohl! Wir würden sie jetzt brauchen. Du hast sie – zum Schutz des Gepäcks – zu weit hinten aufgestellt.« – »Sie sollten – mit der Legion der Primani – der allerletzte Rückhalt sein; für den äußersten Fall, für die letzte Not . . .« – »Ich glaube, die kommt eben jetzt. Sie übersehen ja unsere Lage von ihrer erhöhten Stellung aus: O wenn sie doch auf den Einfall kämen, ungerufen herbeizueilen!« – »Ich hab es ihnen aber streng verboten. Sie dürfen nicht.« – »Gib acht, Julian! Sieh dort hin! Links! Da bricht's!« Wirklich, es brach! Die unablässig mit Schwert und Streitaxt geführten Hiebe hatten endlich bei den keltischen Braccati in die erste Reihe der Schilde eine Lücke gerissen. Zwar hatten sie Mannschaften aus dem zweiten Gliede sofort gefüllt, aber auch diese waren alsbald teils verwundet, teils gefallen. Aus dem dritten – letzten – Glied traten nun vier Mann vor.

Ein riesenlanger Alemanne, reicher als die meisten gewaffnet, sah's, daß hinter diesen kein viertes Glied mehr stand. Unermüdlich hatte er mit einem Steinhammer Schild auf Schild, Helmkamm auf Helmkamm vor sich niedergehämmert. Jetzt, bei einem neuen furchtbaren Hieb, brach ihm der Schaft in der Faust. Mit einem Fluch warf er das wertlose Holz zur Seite und reckte sich hoch auf: »Ei, Donar und Tius, ist's noch nicht genug? Gleich kann ich nicht mehr! Ich blute schon lang aus beißenden Wunden, weiß nicht, wie vielen! Ich mach ein Ende; ich schwur's – ich halt's! – Gebt Raum, Genossen! Und dann brecht ein, wo ich euch ein Loch mache.«

Ruhig, gemessenen Schrittes ging er nun etwas zurück, guten Anlauf zu nehmen. Dann rannte er, völlig waffenlos, mit lautem: »Jetzt habt acht!« auf die Reihe der Braccati los, setzte mit gewaltigem Sprung über die beiden Vordersten im ersten Gliede hinweg, so daß er hinter ihnen zu Boden kam, wandte sich blitzschnell, packte je einen mit dem Arm um die Mitte und warf sich mit ihnen, mit dem Antlitz nach vorn, auf die Erde. Im Augenblick war der Liegende von den Speeren der Nebenmänner durchbohrt. Aber im selben Augenblick waren auch schon mit dem Ruf: »Heil König Agenarich!« zwei, vier, sechs Alemannen in die klaffende Lücke gesprungen und stießen nun seitwärts mit den Kurzschwertern die nächsten nieder.

Die Reihe der Braccati war gesprengt.

Und zu gleicher Zeit hatte Merowech beim fünften Anreiten von Westen her endlich sein blutendes Roß in die vorderste Reihe der Cornuti getrieben, sie auseinanderzwängend. Wohl fiel sofort das edle Tier, von beiden Seiten von Speeren getroffen; aber wie er aufsprang, rief ihm eine junge Stimme von hinten her zu: »All heil, lieber Herr, hier ein frisch Rößlein.« Und Friedibert schob ihm von seinem Gaul herab eines der vielen reiterlosen Pferde zu. Sofort saß der Königssohn wieder und hieb auf die nun ebenfalls durchbrochne Reihe der Cornuti ein. Noch einmal schlossen die kampfverwetterten Söldner sich zusammen. Hoch hielt Voconius, der Fahnenträger, sein zerfetztes Zeichen; im rechten Arm verwundet, nahm er es in die linke Hand, schwang es in der Luft und rief: »Und doch siegt der Cäsar!« Einer ihrer Befehlshaber, bisher im dritten Gliede stehend, erkannte die hohe Gefahr des Augenblicks. Er raffte Schild und Speer eines vor ihm Sinkenden auf und sprang über ihn hinweg in die vorderste Reihe: »Steht, Cornuti«, rief er, »man stirbt nur einmal.«

Da riß ihm ein Wurfspeer den hochgeschweiften Römerhelm mit den Wangendecken vom Kopf. Eine Flut rotblonden Haars floß auf seine Schulter.

»Bainobaud! Kinderschlächter! Hab ich dich!« rief Merowech, spornte den Hengst gegen ihn und spaltete ihm mit einem zornigen Streich Haupt, Antlitz, Kinn und Hals. Der fiel; seine Nächstkämpfer wandten sich zur Flucht.

 


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