Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Ich kam einige Tage, ja Wochen nicht zum Schreiben, das heißt an dich, denn an die geliebte Frau (ach, daß ich auch jetzt nicht in ihre Arme fliegen darf!), an den Imperator, an Ammian hatte ich zu schreiben vollauf. Aber nun habe ich dir etwas höchst Wunderbares zu berichten!

Denke nur: Auf dem Schlachtfeld habe ich gefunden und gewonnen ein staunenswertes Kleinod: einen Freund! Nicht einen Römer – einen Barbaren! Aber was sage ich? Einen Barbaren, der an Begabung des Geistes nicht nur, der an philosophischer, an religionswissenschaftlicher Bildung die meisten Römer, ja sogar Griechen, übertrifft!

Ein philosophierender Germane! Vor kurzem lachte ich noch über die ungeheuerliche Vorstellung. Aber ich lache nicht mehr: Ich staune! Ja, es wird mir seltsam zu Sinn. Ich erfahre so vieles durch meinen lieben Gefangenen über seine Stammgenossen, ihre Wandlungen in den letzten Menschenaltern, über die Gründe ihrer Handlungsweise, über ihre Pläne für die Zukunft, daß ich gar manches von meinen Ansichten über sie, von meinen Würdigungen ihrer Art und ihrer Bedeutung für uns umgestalten muß. Ich habe sie doch – vielleicht! – unterschätzt, diese Barbaren!

Du frägst zweifelnd, wer dieser Wundermann sei? Wie er heiße? Ja, schon mit dem Namen beginnt das Wunder.

»Merowech« oder »Serapio« heißt er. Mit fünfzehn Jahren gab der Vater, ein Gaukönig der Bataver (entstammt von jenem Claudius Civilis), den Knaben als Geisel Constantin: Der gewann ihn lieb, ließ ihn mit römischen Senatorensöhnen erziehen in aller Philosophie und Mystik und aller Wissenschaft der Galiläer, der Griechen, der Ägypter. Der Jüngling, voll Eifer für diese Dinge, ward (lange vor mir) zu Nikomedia Hörer, vertrauter Schüler des großen Aedesius, des Maximus. Eingeweiht in die heiligen Mysterien am Nil, die ihn lange fesselten, nahm er, zwanzig Jahre alt – Serapis zu Ehren –, den Namen »Serapion« an.

Allein dieser merkwürdige Geist (mir ist dergleichen noch nicht vorgekommen, das muß echt germanisch sein!) fühlte sich zuletzt wie nicht durch die Lehre des Galiläers und die kindlichen (vergib!) alten Götter, so auch nicht durch alle Philosophen Griechenlands und nicht durch die Mystik befriedigt: Auch die ägyptischen Geheimlehren warf er zur Seite. Und die letzten Jahre hat er unter unsern Fahnen gefochten, bald gegen Perser und Parther am Tigris, bald gegen Sarmaten und Jazygen am Ister: nur gegen seine Stammgenossen – die Franken – nicht fechten zu müssen, hatte er sich ausbedungen.

So lernte er auch römische Kriegführung und Feldherrnschaft: zu unserem schweren Schaden! Denn heimgekehrt zu dem alten Vater riß er seinen Gau (den einzigen von den batavischen) zum Kampfe gegen uns fort und ward neben, ja vor dem kraftvollen, aber plumpen Chnodomar die Seele, der leitende Geist der Kriegführung gegen mich. Schon bei Köln, dann bei Sens, machte er mir gewaltig zu schaffen. Und hätten neulich bei Straßburg die Germanen gesiegt (zweimal sah es ganz danach aus), so wäre das ausschließend sein Verdienst gewesen.

Nach der Schlacht konnte ich dem Verwundeten das Leben retten: Mörder wollten ihn töten und berauben. Daß er in der Sprache Homers fiebernde Worte an »Helios« richtete, das hat ihn gerettet. Er ist nun mein Heliodor, mir von Helios geschenkt.

Oribasius gelang es, ihn herzustellen. Aber ich selbst pflegte ihn mit liebender Hand – der schöne, kluge Jüngling (er ist aber sieben Jahre älter – und um noch viel mehr Jahre weiser denn ich) zog mich lebhaft an. Und so geschah's, daß in den vielen, vielen Stunden, die ich diese Monate an seinem Lager verbrachte, der Cäsar und der germanische Königssohn eine Freundschaft schlossen – so innig, so schön, so edel durchgeistet, wie sie den Cäsar noch mit Griechen und Römern nie verband.

Du bist ja mein Lehrer und so viel älter: So scheidest du, wie ein höheres Wesen, aus der Reihe der Vergleichbaren. Jovian, der Wackere, Gutherzige, erträgt meine neue Freundschaft ohne Eifersucht: Er fühlt, er begreift. Mich verbindet mit diesem germanischen Zweifler der Hang zu Forschung (zu »Grübeleien«, wie Jovian schilt), die er weder teilt noch beneidet. »Was ich dir bin«, meinte er neulich treuherzig, mir die Hand reichend, »kann dir kein andrer sein. Und was dir Serapion ist – nicht Jovian.« So vertragen wir uns alle drei ganz prächtig.

Serapion empfindet – nur allzu überschwänglich! – mir gegenüber die Schuld des geretteten Lebens. Oft kommt er darauf zurück! Er verlangt immer und immer wieder, mir zu danken. Neulich nun nahm ich ihn beim Wort. Ich müßte ihn . . . (streng genommen: denn er ist, wenn nicht mein vornehmster, mein wichtigster Gefangener), ich müßte ihn wie jenen Chnodomar dem Imperator einsenden. Selbstverständlich tu ich es nicht. Denn entdeckt man dort am Hofe dieses Mannes hervorragende Bedeutung, so hilft ihm meine Fürsprache recht wenig: Sie schadet ihm nur – er verschwindet!

Andrerseits kann ich ihn nicht frei zu den Seinen entlassen, wie er wohl wünschte. Denn er selbst räumt ein, dann werde er wieder fortgerissen werden zu dem Kampf gegen uns, den er für notwendig hält, nicht für Übermut seiner Stammgenossen. Wir sannen lange hin und her, wir stritten, wir suchten gemeinsam nach einem Ausweg. Denn diesen Mann von seinem Volke losreißen für immer, ihn ganz zum römischen Waffendienst verpflichten wie viele tausend andrer Germanen – das ist unmöglich: Ich seh es ein.

Endlich kam er eines Tages – an dem ersten, da er das Lager verlassen konnte – zu mir und sprach: »Laß uns einen Vertrag schließen. Und dieser Jovian hier« – er brachte ihn mit – »soll dein Bürge sein: Du oder dein Imperator, ihr könntet mich ja töten. Ich bin als kriegsgefangen euer Sklave. Ich schulde dir also etwas für das geschenkte Leben. Wohlan: Ich verspreche, solang du Gallien verteidigst, o Julian, nicht gegen euch zu kämpfen. Ja ich will dir überallhin folgen, dir dienen mit Rat und Schwert – aber nicht gegen Germanen.«

»Oho!« sagte ich lächelnd, »du gehst noch weiter als Berung.« – »Versteh mich recht. Es mag die Zeit kommen, da wir Franken wieder mit Alemannen oder Sachsen ringen müssen.« – »Um was?« – »Um Gallien.« – »Nicht übel! Um mein Gallien.« – »Ebendeshalb. – Vor allem muß es euch abgenommen sein; dann mag das Schwert über eure Erbschaft entscheiden! Aber das hat, fürcht ich, noch gute Wege. Und – ich schmeichle keinem, auch dir nicht, eitler, lobdurstiger Freund –, aber solange du Gallien verteidigst – ich hab es gelernt! –, ist für die Meinen keine Hoffnung. Ruft jedoch dich – gegen den ich nicht fechten kann, darf, will, der Imperator ab . . .« – »Oder der Tod«, fiel ich ein . . . – »Dann will ich, muß ich meinem Volke wieder Führer sein auf seinem notwendigen Wege: dem nach Gallien. Schließ ab, o Freund Julian, unter dieser Bedingung. Denn wisse wohl: Unter keiner andern kannst du mich halten. Du hast erklärt, du kannst es nicht verantworten, mich freizugeben: Wohlan, ich gab dir mein Wort, nicht zu entfliehen zu den Meinigen. Aber wenn ich nicht weiß, ich darf dereinst wieder für mein Volk kämpfen, dann kann ich – du weißt, Julian, ich brauche nie leere Worte! – aber dann werd ich das Leben – als dein Gefangener! –, nicht ertragen. Nicht nur die Franken sind frei: auch die Toten.«

Und so furchtbar ernst meinte er es (ich sah's den abgrundtiefen hellgrauen Augen an; sonderbare Augen haben sie zuweilen, diese Germanen!) – und so krampfhaft zuckte seine Hand nach dem Griff des Dolches, daß ich im tiefsten Herzen erschrak und, eifrig einschlagend, den Vertrag schloß, wie er ihn verlangte. Jovian war Zeuge und Bürge. »Überschwenglichkeiten«, brummte er. »Ich hätt's nicht getan als Cäsar. Nicht aus Eifersucht red ich so. Aus Vorsicht. Denn das ist der gefährlichste Barbar, den ich je gesehen.« – »Das geb ich zu. Aber was tun? Ihn dem Augustus ausliefern, das verbietet die Freundschaft. Ihn freigeben, das verbietet die Pflicht gegen das Reich. Und auch die Selbstsucht redet mit: Ich kann die teuere Gewohnheit dieses Umgangs nicht aufgeben, dieses von mir und von allen Hellenen und Römern so grundverschiedenen Geistes nicht mehr entraten. Dieser Salier, an Bildung und Wissen und Denkfertigkeit mir gleich, an Lebensreife und Lebenserfahrung mir weit überlegen, an Geist und Begabung mir ebenbürtig (vielleicht in Wahrheit sogar überlegen; aber das einzugestehen sträubt sich die liebe Selbstgefälligkeit doch noch lebhaft!), er zwingt mich durch seine ganz eigenartige Denkweise, durch seinen kühnen Zweifel, der vor den Philosophemen – auch vor denen des unvergleichlichen Plotinus und Maximus! – so wenig die Waffe senkt wie vor Moses oder dem Galiläer oder deinen holden Fabelgöttern –, er nötigt mich, Sätze neu zu prüfen und gegen seinen Widerspruch zu verteidigen, zu beweisen, die mir als längst bewiesen galten, die er aber mit seiner grundstürzenden Bezweiflung erbarmungslos lächelnd über den Haufen wirft.

Nein, schon um diesen außerordentlichen Geist dem Dienste meines Gottes zu gewinnen, darf ich ihn nicht aus meiner Nähe lassen. Jovian freilich meint kopfschüttelnd: »An dem verliert ihr beide, dein Gott und du, das Spiel. Ich verstehe dich bloß nicht. Habe auch kein Bedürfnis danach, ich möchte viel lieber etwas glauben können! Der aber versteht und – widerlegt dich.«

So seltsame Gespräche führen im Feldlager am barbarisch gewordnen Rhein, den ich erst wieder römisch mache, ein Cäsar, ein gefangener Barbar und ein römischer Kriegstribun.

 


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