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Mit Ungeduld, mit fieberhafter Spannung zuletzt hatte der Feldherr zu Ende des Winters die Nachricht seiner vorausgesandten Boten erwartet, über den Zustand der Wege. Endlich trafen die Meldungen ein, daß Eis und Schnee geschmolzen und daß auch der Schmutz der Schneeschmelze von der Sonne so weit aufgetrocknet sei, daß Mann und Roß und Wagen und die schweren Belagerungswerkzeuge – ein Lieblingsmittel von Julians Kriegsführung – ohne allzuviel Gefahr der Stockung sich auf den Straßen nach Osten bewegen konnten. Mit Jubel begrüßte Julian diese Nachrichten; reich beschenkte er die Überbringer. So früh wie irgend möglich, am vierten März des Jahres dreihundertdreiundsechzig, brach er von Antiochia mit seinen Leibwächtern und andern hier in großer Zahl versammelten Scharen auf, nachdem schon vorher leichtere Truppen des Heeres an verschiedenen Stellen – mittels Brücken und Schiffen – den Euphrat überschritten hatten. Die Anerbietungen zahlreicher Nachbarvölker in allen drei Erdteilen, Hilfstruppen zu stellen, hatte Julian mit den Worten zurückgewiesen: »Rom hilft seinen Freunden, bedarf nicht der Hilfe seiner Freunde.«
Als Serapio diesen Satz gelesen hatte, auf den der Verfasser sich sehr viel zugute tat, legte er den Papyrus säuberlich auf den Citrustisch und fragte: »Weißt du, gelehrter Imperator, wie man diesen Satz nennt?« – »Was?« fragte Julian bestürzt, »fehlt vielleicht irgend etwas an dem Geschmack des Ausdrucks?« – »Nichts am Ausdruck. Aber an der Wahrheit. Das ist ein . . .« – »Nun, was?« – »Ein Anachronismus von dreihundert Jahren.«
Nur Tiranes, der Arsakide, der König von Armenien, im halben Untertanverhältnis zu Rom – »Vasall« würde man ihn im Mittelalter genannt haben – ward aufgefordert, ein starkes Hilfsheer zu stellen und über dessen Verwendung weitere Befehle zu erwarten. Die Mitwirkung dieses Reiches war bei seiner Lage im Rücken und an der linken Flanke des in Persien eindringenden Heeres, wie allbekannt, ganz unentbehrlich, und am sichersten glaubte der Feldherr sich vor etwaigen feindlichen Bewegungen des armenischen Heeres zu schützen, führte er es in seinem eigenen Lager mit sich fort. Die unterwürfigsten Erklärungen kamen als Antwort aus Kärana, der armenischen Hauptstadt.
Als Serapion einige Zeit später durch das Lager wandelte, die neuen Ankömmlinge, die Jovian herangeführt, musternd, traf er auf eine Schar offenbar germanischer Söldner – das bezeugten Wuchs, Auge, Haar, Haut und Bewaffnung –, deren Mundart er nicht verstand. Erst durch einen Dolmetsch erfuhr er ihren Stamm und Namen. »Ei«, sprach er zu Julian, »es scheint doch, Rom kann nicht allein auf eigenen Füßen stehen. Du hast ja außer den älteren Söldnern auch noch andere Germanen angeworben: Goten!« – »Nun ja«, meinte Julian hochmütig. »Ich habe ja auch Elefanten gemietet, die ich brauche, und die mir Italien nicht gewährt.« Serapio schwieg eine Weile. Dann sprach er scharf: »Mir ist, diese gotischen Elefanten werden euch noch einmal die Zähne weisen.« – »Vergib, Freund!« rief Julian warm. »Ich wollte dich nicht kränken. Du kennst meine üble Neigung zum Witz. Ich . . . ich habe mir's schon stark abgewöhnt, euch Germanen zu unterschätzen.« – »Bitte!« lachte Serapio versöhnt und gutmütig, »fahret nur alle in der Unterschätzung fort. Desto sicherer werden wir euch überwinden!«
Der Imperator brachte unmittelbar vor dem Auszug gegen die Perser Ares und Bellona ein Opfer dar. Als bei seinem Abschied von dem von ihm erneuerten Arestempel der älteste Priester ihm die Schale des Scheidetrunkes darreichte mit den Worten: »Auf Wiedersehen in deinem vierten Jahreskonsulat« – Julian war zum dritten Male Konsul –, da stürzte der Greis plötzlich, vom Schlage getroffen, tot nieder, und der rote Wein besprengte wie Blut des Feldherrn Brust. Das unglückliche Vorzeichen erschütterte Julian am meisten von allen, die es mit ansahen.
Er führte gleich darauf das Heer aus der Stadt in der Richtung gegen den Euphrat. Da fand er an dem »Tor des Morgenlandes« den von ihm neuernannten Senat von Antiochia aufgestellt, der um die Ehre bat, ihm bis an die Grenze des Stadtgebiets das Geleit geben zu dürfen. Julian nickte und ritt schweigend in der Mitte der festlich gekleideten Decurionen.
Er hatte ihnen vor dem Aufbruch einen als sehr scharf gefürchteten Präfekten, Alexander, eingesetzt und lächelnd gemeint: »Der Mann hat nicht gerade besonders diese Präfektur, aber die Antiochener haben gerade besonders diesen Präfekten verdient.« Die Heerstraße führte an Daphne vorbei. Als die rauchgeschwärzten Trümmer, die eingestürzten Dächer, die in der Mitte geborstenen Säulen auf dem Hügel von fern sichtbar wurden, zog Julian die Zügel und sprach, mit der Hand auf die Zerstörung deutend: »Halt, ihr Kurialen von Antiochia! Hier wollen wir Abschied nehmen. Ihr versichert mich eurer Treue, eures Eifers; wohlan, wenn ihr meiner gedenkt, so erinnert euch, bei welchem Anblick wir auseinandergingen. Dort bewährt euren Eifer.« Und als daraufhin die Kurialen – in wenig aufrichtiger Wärme – ihn baten, er möge doch nach seiner Rückkehr von dem Feldzug wieder in ihrer Stadt dauernden Aufenthalt nehmen, erwiderte er: »Nein! Aus Persien zurückgekehrt, werd ich in Tarsus ruhen.« – Es sollte sich erfüllen, aber anders als er es gemeint hatte.
Das Heer, mit welchem der Kühne auszog, »Asien« zu erobern, war nicht stark, es zählte nur fünfundsechzigtausend Helme. Aber es waren ausgewählt gute, kampferprobte Mannschaften. Die Kernscharen bildeten – neben Italiern und Illyrern – Germanen und Gallier, zum Teil neu angeworben, zum großen Teil aber die nämlichen Söldner und Ausgedienten, die sich lieber empört hatten, als daß sie für Constantius nach Asien gezogen wären. Dem geliebten Feldherrn, den sie sich zum Herrscher erzwungen hatten, folgten sie gern aus der Heimat; sie hatten ihn nach Byzanz geführt, sie wollten ihn freudig begleiten bis ans Ende der Welt.
Die Wege waren noch immer sehr schlecht, aber die zur Prüfung Ausgesandten wußten, daß die Ungeduld des Feldherrn günstige Berichte wünschte, und so hatten sie denn günstig berichtet. Gleich die drei ersten Tagesmärsche von Antiochia über Litarbe im Gebiet von Chalkis nach Beröa, bald über steile Höhen, bald durch Sumpfland, waren höchst beschwerlich. Die losen Steine der gepflasterten Legionenstraßen waren nur durch Sand zusammengehalten; laut schalt Julian über die von seinem Vorgänger verschuldete Vernachlässigung des wichtigsten Heerweges an den Euphrat. In Beröa beschränkte sich der eifrig christliche Senat auf das Unerläßlichste an Ehrenerweisungen. Mit eisigem Schweigen nahmen die Decurionen die Ansprache des Imperators auf. Lysias drängte, sie zu bestrafen. Aber Julian lachte: »Nein, statt der Antwort, die mir die Stadt schuldig blieb, soll sie jedem meiner Legionäre einen Sextarius Weines verabreichen. Das ist weniger trockene Leistung.« Umgekehrt verdroß den guten Geschmack des »Hellenisten« das Übermaß von Huldigung und der zur Schau getragene Eifer des Götterdienstes in der kleinen Stadt Batnä, etwa vier Stunden nördlich von Hierapolis. Nach übertriebenen Opfern für Zeus und Apollo hielten gemietete Rhetoren, die man aus den größeren Nachbarstädten hatte kommen lassen, lange und maßlose Schmeichelreden auf den »göttlichen Julian«. Ungeduldig unterbrach der den dritten Redner: »Ich bin besorgt, daß ich sterbe, bevor du all meine Tugenden erschöpft hast. Ihr Kurialen von Batnä, zur Strafe dafür, daß mich euer kleines Nest so lange aufgehalten hat, verabreicht ihr jedem meiner Legionäre einen Sextarius Wein.« Hierapolis, auf dem Westufer des Euphrat, war als Sammelort bestimmt für alle Teile des großen Heeres. Zu seinem bitteren Verdruß mußte der Feldherr, der am fünften Mai schon anlangte, hier geraume Zeit auf das Eintreffen aller andern Führer warten; keinem hatte es so geeilt wie ihm. »Nicht eure Straßen waren schlechter, eure Schritte waren langsamer als die meinen«, erwiderte er auf ihre Entschuldigungen. »Nur, daß ich hier einen Philosophen fand, einen Schüler des Maximus, meinen alten Studiengenossen Priscus, nur das rettet euch vor Strafe. Er hat mir all diese Tage über die Tugend der Geduld vorgetragen. Priscus, du begleitest mich ins Feld; ich ahne, ich werde deiner Vorträge noch oft bedürfen.«
Schon lange vor dem Eintreffen Julians war die Schiffsbrücke fertiggestellt, mit der er sechs Stunden (vier »Parasangen«) östlich von der Stadt den mächtigen Strom hatte überdecken lassen. Ohne Unfall ward der Übergang vollzogen. Doch galt es Julian als übles Zeichen, daß zweimal rasch erbaute Baracken einstürzten und jedesmal etwa fünfzig seiner Krieger töteten oder verwundeten. »Nicht schlechte Zeichen, schlechte Baumeister begleiten dich«, meinte Serapio. »Schaff dir bessere Omina durch bessere Zimmerleute.«
Ungesäumt führte Julian das Heer weiter nach Carrhä, östlich des Flusses Scirtus, zweiunddreißig Stunden von Hierapolis. »Carrhä!« riefen die Oberpriester Julians erschrocken. »Von hier aus willst du angreifen? Man denkt bei dem Namen nur an die furchtbarste Niederlage der Römer – unter Crassus! – durch die Parther!« – »Eben deshalb!« lächelte Julian. »Man soll fortab bei diesem Namen an etwas anderes denken!«
Während Julian in dem uralten Tempel der in diesen Landschaften hochverehrten Mondgöttin Selene ein feierliches Opfer brachte, das mehrere Tage in Anspruch nahm – er opferte hintereinander auch Jupiter, Fortuna, Demeter, dem syrischen Zeus Philius und dem Zeus Cassius –, verbarg er unter solchem Schaugepränge, unbemerkt, wichtige Entscheidungen. Denn, wie in seinen Feldzügen gegen die Germanen, wandte er auch diesmal mit Vorliebe die Überraschung an. Sorgfältig hielt er wieder vor den nächsten Freunden seine Pläne so lange geheim, bis die notwendig gewordene Entscheidung – der Beginn der Ausführung – die Aufdeckung unvermeidbar machte. So hatte er auch diesmal bis zur Stunde die Richtung seines Angriffsstoßes völlig ungewiß gelassen; niemand im ganzen Heere wußte, ob die persischen Landschaften nördlich, am Tigris, oder die südlichen, am Unterlauf des Euphrat, sein Ziel bildeten. »Darauf beruht zum großen Teil der Perser Glück im Kriege«, sprach Julian, »daß ihre Feldherren dem Gott des Schweigens sich weihen müssen und nur der König seinen Kriegsplan kennt. Auch er – schweigt.« Hier, in Carrhä, erwarteten aber die Heerführer bestimmt, seine Absicht durchschauen zu können, denn gerade hier gabelten sich die beiden großen Straßen: nach Norden durch die Provinz Adiabene gegen den Tigris, und nach Süden, nach Assyrien, gegen den Euphrat.
Groß war daher ihr Erstaunen, als der Undurchdringbare statt dessen eine Heeresabteilung von dreißigtausend Mann weder nach Norden noch nach Süden, sondern geradeaus nach Osten entsandte. Nisibis bezeichnete er dem Anführer Sebastianus, früher Dux von Ägypten, als Ziel. Hier sollte er die Grenzen sichern und zumal verschleiern. Die gefürchteten parthischen Reiter sollten diesen Gürtel nicht durchbrechen und die Bewegungen Julians erkunden können. In Nisibis sollte er weitere Befehle abwarten. War diese Schar als Vorhut zu betrachten, so ergab sich die Tigrislinie, also der Norden, als die gewählte Richtung des Angriffs. So legten Freund und Feind allgemein den Sinn jenes Befehls aus: auch der Feind.
Nämlich ein paar Kundschafter des Großkönigs, die als Kaufleute verkleidet das vor der Stadt lagernde Heer aufgesucht und, wie sie wähnten, unentdeckt wieder verlassen hatten. Aber ein Zufall – die Gunst der Götter, sagte Julian – hatte den blonden Serapio, dem niemand die Kenntnis des Ägyptischen zutraute, ein in dieser Sprache geführtes Geflüster der beiden Späher belauschen lassen. Er meldete das Vernommene dem Feldherrn und riet, die beiden zu verhaften. Aber mit feinem Lächeln erwiderte der: »Also sie haben es herausgebracht? Sie wissen es, daß ich den Tigris bedrohe? Laß sie nur laufen und König Sapor warnen.« – »So geht es an den Euphrat«, dachte der Germane, aber er sagte es nicht. Er war denn auch der einzige, den es nicht überraschte, als Julian bei dem Aufbruch von Carrhä statt nach Osten oder Norden nach Süden abschwenkte.
Zwei Tage zog das Heer durch die öde, baumlose Ebene zwischen Carrhä und Davana. Am dritten Tage erreichte es Kallinikum am östlichen Euphratufer. Ohne Rast trieb der Feldherr seine Scharen vorwärts, entlang dem vielfach gewundenen Strom, bis er nach mehreren Tagesmärschen, im ganzen von vierzig Stunden, Anfang April in Circesium anlangte, der äußersten Feste der Römer an dieser Grenze. Es war erst der dreißigste Tag seit dem Aufbruche von Antiochia.
Hier in Circesium musterte der Imperator auch die mächtige Flotte, die einstweilen den Euphrat herabgesegelt war. Er zählte fünfzig wohlgerüstete Kriegsschiffe, fünfzig Flachboote, die zu Schiffsbrücken, aber auch zum Angriff, zum Landen der Bemannung der tiefgehenden Trieren verwendet werden konnten, und nicht weniger als eintausend Lastschiffe, die dem Heere unermeßliche Vorräte von Lebensmitteln, von Waffen und Kriegsgerät jeder Art und von schweren Belagerungsgeschützen nachführten. Fürsorglich hatte Julian gewaltige Massen von Zwieback herstellen und, um den Durst in den heißen Ebenen Asiens zu löschen, tausende von Schläuchen mit Weinessig füllen lassen. Er trank von jetzt ab nur Wasser mit solchem Essig gemischt. Wein mitzuführen verbot er. »Wollt ihr Wein«, so sprach er zu dem durstigen sächsischen Theologen, »so nehmt ihn dem Großkönig und seinen Persern ab. Mein Heerlager ist kein Weinkeller.« Und so ließ er eine gewaltige Karawane von Händlern, welche Wein und andere Genußmittel dem Heere nachführen wollten, mit Gewalt zurücktreiben. Die volkreiche und starke Feste Circesium, mit zahlreichen Göttertempeln und -hainen geschmückt, auch Sitz eines Bischofs, bot den gegen Persien ziehenden Römern die letzten Eindrücke römischen Lebens, römischer Bildung. Julian sah hier in den ersten Tagen Serapion in eifrigem Gespräch mit ihm unbekannten Männern, die Haar und Auge und Waffentracht als Germanen bezeugten. »Wer sind die Leute?« fragte er. »Boten aus der fernen Heimat. Sie bringen wichtige Kunde. Freund Mälo ist gestorben; seine goldlockige Tochter, sein einziges Kind, die holde Rigunthis, bedarf des Schutzes . . .« – »Das heißt wohl, des Gemahls?« lächelte Julian. »Ihre Sugambern haben nun meinen Vater zum König gekoren, ebenso drei unserer Gaue. Mein lieber Vater ruft, ich soll den Königsstab aus seinen müden Händen nehmen.« – »Und die schöne Rigunthis wohl dazu? – Erst ausdienen, dann freien. Ich gebe dir noch nicht Urlaub. Du wirst den Feldherrn, den Freund nicht an dem Tage gerade verlassen, da die Gefahren des Feldzuges beginnen!« Da reichte ihm der Franke die Hand und sprach: »Ich will noch bleiben. Aber nicht mehr lange.« Hieher hatte Julian die Ausführung eines lange gehegten Lieblingsgedankens verlegt, den er früher nicht hatte verwirklichen können, aber jetzt hier gekrönt sehen wollte, bevor er in das Ungewisse, in die Gefahren feindlichen Landes drang.