Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Drittes Kapitel

»Julianus der Cäsar wider Willen an seinen geliebten Lehrer Lysias.

Mein letzter Brief, o Lysias, berichtete dir in das ferne Land am Nil die wunderbaren Wandelungen, die der Gott, der allein alles schaut, das Künftige wie das Vergangene, und die von ihm durchsonnte (durchsonnt, von Helios gesagt, ist gut, nicht?) Gegenwart in meinen Geschicken bewirkt hat bis zu jenem Abend, da ich, statt des Todes, die Cäsarwürde, eine geliebte Braut, die Mutter, die Schwester und den Auftrag erhielt, das Unmögliche zu tun, das heißt, fast ohne Mittel Gallien den Barbaren zu entreißen.

Noch in derselben Nacht drängte mich die Dankbarkeit, dir zu schreiben. Denn wahrlich, nie werd ich's vergessen. Ohne dich wäre ich wohl in jenem Kloster verrückt geworden oder ein Christenmönch geblieben (was dasselbe ist). Am folgenden Tage ward ich aus dem Palast abgeholt von einer glänzenden Reiterschar. Einstweilen waren, durch Eilboten herbeigerufen, die Besatzungen der nächsten Festen und Städte nach Mailand zusammengeströmt. Dazu kamen die Leibwächter, die Palastwachen, die Prätorianer und die zahlreichen andern Kriegerscharen in dieser Stadt. Sie hatten ihren festlichen Waffenschmuck angelegt, und all diese vielen Tausende bildeten einen gewaltigen Halbkreis auf dem Blachfeld, das sich im Nordwesten der Stadt, von dem Kastell aus, gegen den Fluß Olonna hin erstreckt.

Wie schlug mir vor stolzer Freude, vor römischer kriegerischer Begeisterung, das Herz, als ich, zur Linken des Augustus, umringt und umrasselt von den Reitern seiner Leibwache – parthische Söldner, Kataphraktarii, ganz gepanzert, Mann und Roß in klirrenden Schuppenringen – im hellen Schein der Herbstsonne in die Mitte dieses kleinen Römerheeres sprengte! Ich ritt ein feuriges, spanisches, in Afrika gezüchtetes Weißroß (»Argos« heißt das schöne Tier). Die Imperatrix hat es mir geschenkt! Ich hatte Mühe, die kaum gelernte Reitkunst (Jovian hatte schon in Athen darauf bestanden) nicht zu vergessen, sie richtig anzuwenden bei so glühender Erregung. Am liebsten wär ich gleich von da mit diesen Reitern in die Speere der Alemannen gestürmt! Aber es kam anders, ganz anders!

Es verdroß mich, daß ich, dem Beispiel des Imperators folgend, von meinem prächtigen Renner steigen und hinter Constantius eine Art Rednerbühne oder Richterbühne (oder vielleicht am richtigsten: ›Schaubühne‹ dachte ich boshaft!) auf vielen Stufen erklettern mußte, von deren purpurbehangner Brüstung herab mein Vetter alsbald eine Rede an die Heerscharen hielt, die mir wie fast alle Reden, die ich bisher (außer den meinen!) gehört, zuwenig gerundet, dagegen (zumal von Galiläerpriestern) zu länglich schien. Er sprach von den Gefahren, die das Reich bedrohen, von der Notwendigkeit, für das Abendland, zunächst für Gallien, einen ›Cäsar‹ zu bestellen (erste Klammer: ja freilich: einen Julius Cäsar brauchte Gallien, das Land abermals einem Ariovist und seinen Germanen zu entreißen, und Julian ist kein Julius Cäsar [zweite Klammer: es ist jetzt, nach neuester Sitte, sogar in Athen und Nikomedia gestattet, solche Doppelzwischensätze zu machen], ausgenommen mein Griechisch: diesen Cäsarbrief hätte der Sieger von Pharsalus nicht so ausgediftelt griechisch schreiben können. Hat er doch nie zu des Libanius Füßen gesessen) und er frage sie, ob sie nicht die knospenden Tugenden (das gefiel mir: ›knospende Tugenden‹ ist neu!) des Neffen des großen Constantin zu diesem Zweck mit dem Purpur belohnen und zugleich anspornen wollten (aber ich bitte dich, Lysias, kann man Knospen ›spornen‹)?

Ich fühlte, daß ich über und über errötete von wegen meiner sprossenden Tugenden, und doch (Helena [die Frauen waren uns in Sänften – und in ›Sänfte‹, das heißt in Sanftmut, ist das nicht hübsch? – gefolgt] meinte später, so schön sei ich noch nie gewesen, was freilich nicht eben viel besagen will) – (um diese eingeschachtelten Zwischensätze dürfte mich Libanius selbst beneiden!) – sagte ich mir: die (mehr als) zehntausend Menschen, deren (mehr als) zwanzigtausend Augen auf mich gerichtet sind, Menschen von Atropatene bis zum Piktenwall und die plötzlich in ein ohrenzerreißendes Geschrei: ›Sieg und Heil dem Cäsar Julian!‹ ausbrachen, diese armen Toren würden auf Vorschlag des Augustus den Eunuchen Eusebius mit seinen (nun sagen wir: nicht mehr sprossenden, sondern ausgetilgten) Tugenden mit gleichem Gebrülle begrüßt haben.

Und am Schlusse der imperatorischen Rede schlugen die Tausende von Kriegern ihre ehernen Schilde gegen die Knie. Sehr unrömisch, wirst du sagen, allein du vergissest, die meisten unserer ›römischen‹ Krieger sind seit lange schon Barbaren. Und Philippus, dein Lehrer, erklärte mir später, das sei ein Zeichen ihres Beifalls. Hätten sie mit den Spitzen ihrer Speere auf die Schilde geschlagen, so wäre das der Ausdruck ihres Zorns gewesen. Und dann, meinte er, hätten die Speerspitzen auch vielleicht, wie er sich stark medizinisch ausdrückte, unsere Bäuche auf deren Inhalt untersuchen mögen. Nun, bei mir hätten sie nicht viel gefunden; am ganzen Galiläertum gefällt mir am besten das Fasten.

Wenn aber ein Imperator, der nicht sprechen kann (und Constantius kann es nicht; während Julian, sein Cäsar, es wirklich kann) einmal angefangen hat, zu sprechen, dann hört er so bald nicht wieder auf (und er hat den Vorteil, daß ihm kein Hörer widersprechen, ja nicht einmal davonlaufen kann).

Kaum hatten die Krieger ausgeschrien, da wandte sich der Augustus gegen mich Armen und hielt eine Rede – gegen mich oder an mich. Er ermahnte mich, durch Heldentaten den Namen Cäsar zu verdienen. (Ziemlich überflüssig. Ermahne du den jungen Enterich, durch eifrige Bemühung ein junger Adler zu werden; [mein Fleisch ist schwach, aber mein Geist ist noch schwächer – ein hübsches Wort der Bescheidenheit. Aber ich glaube nicht daran!]). Daran hing er einen langen Redeschweif, besetzt mit klingenden Schellen, sein Vertrauen in mich werde nie enden in Äonen (es handelt sich für ihn doch höchstens noch um vierzig Jahre!) »und durch die weitesten Entfernungen von Thule bis zum Atlas nicht abgeschwächt werden« (das hat er abgeschrieben aus einem paphlagonischen Philosophen Eugenius, den ich auch gelesen habe. Aber der Imperator hat die Redensart falsch angewendet, er hat sie von der »Sehnsucht« auf das »Vertrauen« übertragen!).

Nun ward mir von den Vestiarien der Purpurmantel umgeworfen. Da fiel mir das Wort meines göttlichen Homeros ein: »Jetzt ergriff ihn der purpurne Tod und die mächtige Moira«. Denn nun hatte mich wirklich das Schicksal des Purpurs ergriffen; der Weltgeschichte fühlt ich mich verfallen. Dabei vergehen mir Witze und Zwischensätze! Furchtbarer Ernst steigt auf in mir. Vorher war mein Name gleichgültig. Nun muß er für kommende Jahrhunderte Abscheu oder Lob – vielleicht beides? – bedeuten.

Jenes Vertrauen von Thule bis zum Atlas sollte mir gleich nach der Rückkehr in den Palast bewiesen werden.

Leider durfte ich nicht zurückreiten. Um unsere Eintracht vor Heer und Volk zur Schau zu stellen, mußte ich mit dem Imperator in einem achtspännigen Siegeswagen (fehlte nur der Sieg!) zurückfahren. Er küßte mich auf Stirn und beide Wangen (ich schauderte, des Vaters denkend und des Bruders!) und zärtlich, namentlich aber recht augenfällig, hielt er, auf der ganzen langen Fahrt, den linken Arm um meine Schultern geschlungen. Ich dachte Roms und Helenas und – trugs.

Im Palast angelangt, hoffte ich, nun werde die Vermählungsfeier beginnen. Ich irrte. Ich ward von Jovian, der herbeieilte, mir die Hand zu drücken, auf Befehl des Herrschers getrennt und von einer Ehrenwache von maurischen Söldnern, die mir recht unheimlich vorkam, und sechs Priestern, die mir die Sache nicht erfreulicher machten, viele, viele Stufen abwärts in ein gruftähnliches Gewölbe geleitet. Dunkel, abschüssig war der Weg; als führe er in den Styx. Ich mußte, um gewisse Besorgnisse zu verscheuchen, mir vorsagen, daß, falls man mich »gallisieren« wollte, das heißt behandeln wie meinen armen Bruder (hübsch, nicht? Aber doch fast herzlos? Ich will's nie wiederholen, aber einmal mußt ich's sagen), man mich nicht kurz vorher – wie das Allerheiligste in der Kirche – allen Leuten zur Anbetung gezeigt haben würde.

Ich schritt also die feuchten Stufen hinab, so fröhlich als tunlich, und befand mich alsbald in einem katakombengleichen Heiligtum, in welchem die Galiläer vor Constantin ihre verbotenen Andachten verrichtet hatten (man erwäge: welche Frechheit! Im Palast des Augustus selbst, wo oben die Todesstrafen für solche Versammlungen geschrieben wurden. Angenehme Untertanen, dachte ich).

Alsbald begannen die zahlreich hier versammelten Priester, vereint mit meinen Begleitern, einen ihrer Gesänge, die stets wie Grabeslieder tönen. Sowie sie verstummten, sprang eine schmale Mauerpforte auf, und vor mir stand der Imperator, gefolgt von den Bischöfen von Mailand und von Ravenna und allen Großen seines Hofes.

Ich mach es kurz, kürzer als die beiden Bischöfe, die mich aufforderten, Constantius den Eid unverbrüchlicher Treue zu schwören, solang er oder ich lebe. Bräche ich ihm im mindesten die Treue, so solle mich im Leben das Leiden des Naëmans des Syrers schlagen (das heißt der Aussatz), und der Fluch Datams und Abiras. Und für das Jenseits ward mir eine Reihe wenig erwünschter Badebehandlungen durch die großen Teufel und viele kleinen Teufelchen in einem Schwefelpfuhl in sichere Aussicht gestellt.

Ohne Bedenken leistete ich den Eid auf eine große Truhe; denn Helios, der mein Herz durchleuchtet, weiß: nichts liegt mir ferner als Empörung und Verrat. Nachdem ich geschworen, fragte mich der Bischof von Mailand: »Weißt du auch, wer in dieser Truhe Zeuge deines Eides war, o Cäsar?« Ich erklärte, ich könne, obwohl nun Cäsar, nicht durch Kirchentruhendeckel sehen; aber es ahne mir etwas Heiliges. »Sankt Apollinaris, dessen Zahn, und Sankt Jakobus, dessen kleiner Finger hier verwahrt werden.« Ich wußte wirklich nicht, was darauf sagen, weil mir beide Altertümer gleichgültig waren, und zwar, wenn echt, ebenso wie in dem wahrscheinlicheren Fall. So begnügte ich mich mit einer Verneigung vor Zahn und Zeh und Bischof und sagte nur: »Schön.« Darauf verschwanden die Priester mit Zahn und Zeh, und ich hoffte, nun ginge es wieder aufwärts aus der dumpfen Gruft, in der mich der Weihrauch zu ersticken drohte. Mich verlangte es sehr nach Luft, nach Helios und – Helena. Aber weit gefehlt!

Als alle Priester bis auf einen sich entfernt hatten, trat Constantius auf mich zu mit einem so unheimlich drohenden, so Grausames verkündenden Blick, daß ich erschrak. Ich leugne es nicht. Und langsam und leise begann er: »Cäsar Julian, manche deiner unbedachten Ausrufe – Schwurformeln – gestern haben mir den Verdacht geweckt (der ist ein Leiseschläfer, dacht ich), du hängst nicht so fest an dem heiligen Glauben als für dein Seelenheil notwendig. Hüte dich! Dein Seelenheil zwar ist deine Sache. Aber wehe dir, tritt je dein Zweifel an dem Alleinseligmachenden hervor für andere wahrnehmbar. Mein Cäsar glaubt oder – stirbt. Aber ich muß sichergehn. Dein Eid auf jene Heiligtümer schützt mich nicht, falls du nicht an sie glaubst. Wenig erschüttert warst du – ich sah's –, als du erfuhrst, worauf du geschworen. Deshalb sollst du mir, vor diesen Zeugen, noch schwören auf das, was allen Menschen, was dir vor andern heilig ist. Höre.«

Hier trat er nah an mich heran und grinste: »Deine Schwester, deine Mutter sind, du weißt es, meine Geiseln für dich. Nie laß ich sie aus meiner Hand. Ich weiß, du liebst deine Mutter, denn ich hab's gesehen heute, wie dein Blick auf ihren Augen ruhte. Wohlan, schwöre mir Treue bei den Augen deiner Mutter. Schwöre, sie mögen erblinden, brichst du mir dein Wort.« Ich fuhr zurück und schüttelte seine Hand ab, die auf meiner Schulter lag. »Nie! Niemals!« »So?« schrie er. »So? Also du sinnst doch auf Verrat? Denn sonst könntest du ja schwören! Du bist entlarvt zu rechter Zeit. Aber du sollst nicht vollenden, was du planst. Geht, ruft Eusebius zurück! Der Cäsar ist verhaftet.« Ich überlegte: die Pflicht gegen Rom – Gallien! – die Barbaren! – Helena! Und ich wußte ja und weiß: nie, nie, nimmermehr werde ich die Hand des Empörers ausstrecken nach dem Diadem. Helios ist mein Zeuge. Also gefährde ich die Wunderaugen nicht . . . »Halt«, rief ich, »Imperator. Ich schwöre. Ich schwöre dir Treue bei den Augen meiner Mutter! Nie streck ich die Hand aus nach dem Purpur. Ich schwör's.«

»Gut«, sprach Constantius, »er hat's geschworen. Sie soll erblinden, schwur er, bricht er die Treue. Ihr alle habt's gehört. Du aber wisse«, und nun zischelte er in mein Ohr, »ich verlasse mich nicht nur auf die unsichre Rache Gottes, mehr noch auf meine eigne. Die ist sicher! Deine Mutter bleibt in meiner Faust. Brichst du die Treue und blendet sie nicht Gott – ich schwör's bei Gott Vater, Gott Sohn und Gott Heiligem Geist –, so blend ich sie, ich, Constantius.«

Ich hasse ihn von tiefstem Grund der Seele.

 


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