Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Neunzehntes Kapitel

Der weite Garten des Palatiums zu Mailand, an dem rechten Ufer des Flüßleins Olona anmutig hingelehnt, wäre schöner gewesen, hätte nicht die schon in der ersten Zeit der Imperatoren zur Herrschaft gelangte Überfeinerung und übertriebene Künstelei von der Natur allzuwenig übriggelassen.

Bäume und Gebüsche waren mit der Schere in allerlei unmögliche Formen verunstaltet; neben die geometrischen und astrologischen Figuren dieser mißhandelten Gewächse waren in den letzten Jahrzehnten allerlei christliche Zeichen getreten: das Kreuz, die Dornenkrone, das Lamm, die Taube, der Fisch. Die Wege waren mit einem Sande bestreut, der alle Farben, nur nicht die des Sandes zeigte.

Trotz der spätherbstlichen Jahreszeit – es war zu Anfang des Novembers – erhielten die vorherrschenden immergrünen Gewächse noch einen Schein des Sommers.

In dem dem Palatium gegenüberliegenden Hintergrunde des Gartens wölbte sich eine Grotte über eine Quelle.

Die Quelle war künstlich – durch Wasserleitung aus dem Flüßchen herbeigeführt –, und die Grotte war künstlich, aus allerlei buntem Gestein, das nirgends in der Welt zusammen vorkam, zu grellster Farbenwirkung zusammengesetzt. Den Weg zu der Grotte umhegten auf beiden Seiten Buchshecken, die von der Schere der Kunst am leichtesten und am schonungslosesten mißhandelt wurden.

Den Gang wandelten auf und nieder zwei jugendliche Frauengestalten, ein Weib und ein Mädchen; beide schön, aber beide nicht den Eindruck blühender Gesundheit ausstrahlend. An der Imperatrix Arm hing ein Mädchen, wenig jünger und noch zarter als die schmächtige Frau. Tränen füllten die Augen der Jungfrau, wie sie zu der etwas Höhergewachsenen emporsah.

»Wie gütig du bist, o Eusebia. Wie dankt dir meine wogende Seele! Ach, nach so vielen Wechselfällen, hin- und hergeworfen von dem Wellenspiel, dem unheimlichen, dieses Hofes, fand ich in dir das einzige Herz, das die arme Schwester des Imperators liebt, dem sie vertrauen darf.« – »Ein hartes Wort, du Empörerin, gegen deinen Bruder, meinen Gemahl!« Die Frau lächelte dazu, aber es war kein glückliches Lächeln. Das Mädchen blieb stehen: »O Teure, Constantius . . . kann nur sich selbst lieben; könnte er andre lieben, er müßte doch vor allem dich lieben. Aber . . .«

»Er liebt mich nicht«, sprach die Augusta, ruhig weiterschreitend. »Vielleicht hätte er unser Kind geliebt, falls uns der Himmel eins geschenkt hätte. Aber wer weiß!« fuhr sie fort, traurig, wie mit sich selbst redend. »Ein Mädchen hätte er gehaßt, weil es kein Erbe, den Sohn, weil er ein Erbe, ein Nachfolger, vielleicht ein Liebling des Volkes gewesen wäre. Sieh, du Kleine, gerade weil ich selbst nie das Glück der Liebe, der Ehe genossen, deshalb erfreut es mich so tief, dir, geliebte Schwester, zum Glück der Liebe zu verhelfen.« – »Wie gut du bist!« Sie bogen nun in die Grotte ein und ließen sich auf die halbrunde Bank im Hintergrund des Steingewölbes nieder.

»Sieh, Helena«, fuhr die Herrscherin fort, zärtlich das dunkelbraune Haar von der Jungfrau Schläfe hinter das feine Ohr streichend, »Herzensschwester, sind wir doch beinahe – aber zum Glück nur beinahe – Schwestern geworden in . . . in . . . der Neigung zu einem Manne.« – »Wie? Oh, Eusebia!« rief das Mädchen und sprang auf. Aber mit trübem Lächeln zog die junge Frau sie wieder zu sich hernieder und schlang beschwichtigend den Arm um ihre Schultern. »Beruhige dich! Es hat keine Gefahr.« – »O doch! Wenn er ahnt, daß du ihn liebst, du Vielschöne!« – »Aber ich liebe ihn ja gar nicht. Und er? Er weiß wohl nicht, daß ich lebe, am wenigsten, daß ich seine Base und seine Beherrscherin bin. Vor mehr als einem Jahre war's. Lange bevor dein Bruder oder vielmehr seine Günstlinge, oder sagen wir seine Staatskunst, ihn bewogen hatten, mich Arme auf seinen Thron zu befehlen, als Nachfolgerin seiner ersten Gattin, der Schwester Julians, die schon vor dem Tod des großen Constantin gestorben war. Damals erwachte in mir – ich lebte harmlos in meinem Vaterhause zu Korinth – allmählich der Drang, mehr von der Hellenen Dichtung und Weltweisheit zu erfahren, als unter der strengen Aufsicht des Bischofs, meines Großohms, in unserem Hause von den Mädchenlehrern gelehrt werden durfte; die wußten vielleicht auch nicht mehr, als sie lehrten. Mein geliebter Vater . . ., er tat alles, was er mir an den Augen absehen konnte . . .«

»Diesen schönen Augen!«

»Er, seine Zärtlichkeit, bemühte sich, mir die früh verlorene Mutter zu ersetzen. Gern erfüllte er mir auch diesen Wunsch und brachte mich nach Athen, wo wir viele Monate in dem Haus eines Verwandten, eines Lehrers an der Hochschule, lebten. Ich sog eifrig und beglückt ein, was mir an Schönheit und an Wissen geboten ward. Der Vater sah das mit Freuden, und eines Tages nahm er mich mit in die Stoa Hadrians, wo die berühmtesten Philosophen Vorträge halten, zuweilen auch für Frauen und Mädchen. Aber hier sprachen nicht nur die Lehrer. Sie gaben oft auch ihren hervorragendsten Schülern Streitfragen zur Besprechung auf. Die jungen Leute mußten dann in Rede und Gegenrede ihre Meinungen vertreten. Laß mich nur gestehen: Ich verstand im Anfang nicht allzuviel! Zumal nicht aus der Alten Munde. Vielleicht, weil ich auf die nicht genug achtgab! Aber einer ihrer jungen Schüler«, sie stockte und errötete leicht, »er war nicht eigentlich schön; andere neben ihm sahen viel stattlicher aus; aber der eine hatte so tiefe Augen! Und seine Stimme war so seelenvoll! Auch was er vertrat, gefiel mir gut, soweit ich es verstand. Kurz, ich gewann ihn lieb; um seiner Augen, seiner Stimme, seiner edlen, feinen Weise, um seiner Begeisterung willen. Ich fehlte nie, wann er sprach. Oft senkte ich die Wimpern, nur seiner Stimme zu lauschen. Und oft versenkte ich den Blick in seine dunkeln Augen, ohne dann – leider! – auf seine gelehrten Worte zu achten. Viele Monde währte das. Da starb mein geliebter Vater, und plötzlich ward mir geboten, Gemahlin des Imperators zu werden! Denn unser Geschlecht ist das vornehmste, reichste, angesehenste im Peloponnes, wo die Constantier noch nicht gar tiefe Wurzeln geschlagen haben. Ich mußte gehorchen. Ich verließ Athen. Den Jüngling sah ich niemals wieder. Er hieß . . . Julian.«

»Ah!«

»Beruhige dich, wiederhole ich! Es war nichts als ein Wohlgefallen, ein Wohlgefallen nur der Seele, nie ein Wunsch; und auch Constantius ahnt nicht . . .«

»O Gott, es wäre Julians Tod!«

»Und als du unschuldvolles, ahnungsloses Kind – du kennst nicht die Welt und nicht die Hölle, das heißt diesen Hof –, als du mir nun in rührendem Vertrauen erzähltest, wie dich das Bild jenes Unbekannten aus dem Haine von Macellum nie mehr verlassen will, da erkundete ich und brachte es, durch Hilfe des treuen Philippus und noch eines Freundes, bald heraus; dein Unbekannter sei mein . . . Bekannter, sei des Imperators Vetter, Julian. Da gelobte ich mir – auch er, meintest du, ja recht gewiß behauptest du's, habe auf dich geblickt mit Augen der Liebe –, diese beiden jungen, hilflosen, von der furchtbaren Macht dieses Hofes abhängigen Menschen sollen glücklich werden. Glücklich machen, o Helena, ist auch eine Art glücklich sein.«

»Für Engel und für Heilige«, flüsterte die Jungfrau und küßte der Freundin schmale, unruhig zuckende Hand.

»Und wirklich gelang es mir, ein wenig Schutzengel zu spielen für Julian und für dich. Dir vereitelte ich eine dichte Reihe von Verheiratungen«, lächelte sie, »die dir drohten.« – »Dank! Dank! Freilich«, lachte das Mädchen, »trug mir meine Weigerung ein paarmal den Zorn des Bruders ein. Wiederholt glaubte er meinen Willen zwingen zu können, indem er mich zur Strafe von dem Hofe, den du damals noch nicht schmücktest, verbannte in ferne Burgen, in Klöster. Und auch Ihn hast du beschützt!« – »Nicht ich allein hätte das vermocht. Aber er hat zwei Freunde, die ihn schon früher, auch jetzt, vor mir – und ohne mich – wiederholt beschirmt haben und die mir ihn vor kurzem retten halfen, als nach der Empörung des Gallus das Schwert des Verderbens an einem Haar über seinem Nacken hing. Constantius hatte befohlen, ihn von Athen hinweg in einer jener geschlossenen schwarzen Sänften abzuholen; du weißt, man pflegt sie nur mit dem Sarkophag zu vertauschen. Zum Glück Julians konnte dein Bruder diesmal nicht Eusebius aussenden mit diesem Auftrag. Der hatte noch mit Gallus zu tun. Einstweilen war am Hof die Nachricht eingetroffen, daß eine Provinz – Gallien – schwer von den Barbaren bedrängt sei. Der Imperator schwankte hin und her. Er wußte nicht, wen dorthin schicken. Da faßten ich und ein andrer – einer der beiden Freunde Julians – den kühnen Gedanken . . . Ich darf noch nicht mehr verraten, aber der Jüngling wird hier in dem Palast etwas ganz andres finden als den ihm zugedachten Tod; zum Beispiel: dich, du holdes Kind.«

»Dank, Dank! Aber sage mir – wenn du darfst – Du hast ihn doch nur so kurze Zeit gesehen, gesprochen . . .« – »Gesprochen? Nie!« – »Woher hast du so Eindringendes über ihn erfahren?«

»Ich sagte dir ja: er hat zwei Freunde.« – »Hier am Hof?« – »Ja, einen. Und noch einen in der Ferne.« – »Am Hof. Ich ahne: den Edelsten, Weisesten . . .! Und noch einen in der Ferne. Einen der Mächtigen in den Provinzen?« – »O nein! Es ist der Unscheinbarsten einer im Reiche. Ein Büßermönch. Der hat mir viel von Julian erzählt, er kennt ihn von Jugend auf. Und er liebt ihn wie ein Vater. Und mein trefflicher mutiger Vater hat den ihm befreundeten Mönch beschützt, als der Mönch – und noch einer – in jener blutigen Nacht zu Nikomedia«, sie schauderte leise, »die wenigen Überlebenden aus Julians Hause gerettet hatte . . . Der Mönch ist ein Jugendfreund des Arztes, des Sternweisen. Was aber ihn von Anfang an mit solcher Liebe an Julian wie an Gallus knüpfte, ich weiß es nicht zu erklären. Hier liegen dunkle Geheimnisse. Einmal, als ich ihn geradezu darum befragte, geriet der arme Johannes in gewaltigste Erregung, Tränen brachen ihm aus den müden Augen, und er beschwor mich, niemals darauf zurückzukommen. Aber du – fast möcht ich dich beneiden – du weißt ja viel, viel mehr von Julian als ich; durch seine Schwester, mit welcher du im Kloster in Kleinasien, in dem sie verbannt, abgeschlossen, vergessen von der Welt lebte, mondelang eine Art von leichter Ungehorsams-Haft teiltest.«

»Ja, es war eine gute Zeit; herzlich lieb gewann ich die schöne sinnige Juliana. Nur ist sie so viel frommeren Sinnes denn ich. Bewundernd sah ich auf zu ihrem glühenden Glauben. Und ich ahnte damals wahrlich nicht, daß ich den von ihr so warm geliebten Bruder – und doch waren sie beide Kinder, da sie auseinandergerissen wurden – ja daß ich bald ihre beiden Brüder – durch Zufall – sehen würde. Zuerst traf ich auf Gallus. Ich konnte ihn erfreuen durch die Nachricht, daß die Schwester lebe. Dann sah ich Julian selbst in Macellum, wo ich einige Wochen rastete auf der Rückreise an den Hof, nachdem der Bruder mir den jüngsten Ungehorsam gegen ihn und das neueste ›Nein‹, für einen persischen Prinzen, verziehen hatte. Die Sänfteträger, meine Sklaven, kannten ihn und nannten mir meinen halbgefangenen Vetter. Ach, Eusebia, er ist nicht schön – du sagst es – aber dies Auge! Und diese Stirn! Und der Adel, die Reinheit der Seele in diesem Antlitz! Wer ihn einmal gesehen; nie kann er diese Züge vergessen.« – »Du hast recht«, hauchte die blasse Frau, leis, aber tief erseufzend. – »Wie wird sich Juliana freuen, darf ich sie hier begrüßen! Denn du sagtest, sie komme hierher. O wie schön wird uns zu dritt dann das Zusammenleben erblühn! Welche Jahre der Freuden liegen vor uns!« – »Wer weiß«, sprach die junge Frau. »Ich glaube nicht . . .« – »Wie meinst du das?«

»Ich meine, wir sollen . . . oder doch ich soll nicht auf lange Zukunft hinausblicken. Nicht allen Menschen ist ein langes Leben zu wünschen. Aber«, hob sie nun an, sich zur Heiterkeit anstrengend, »auch sonst . . . wer weiß! Vielleicht freuen wir uns zu früh. Denn wir machen ja die Rechnung ohne den Wirt.« – »Du fürchtest . . . mein Bruder? Er könnte schwanken. Seine Gnade könnte . . .?« – »Auch das vielleicht. Allein es ist noch ein anderes . . . Er . . .« Sie hielt inne und sann ernstlich nach. – »Was ist, o teure Freundin? Was hehlst du mir?« – »Ich darf dir . . . zur Stunde . . . noch nicht alles sagen. Der Imperator behielt mich heute Nacht zu geheimer Zwiesprach zurück, nachdem er die beiden Männer entlassen. Er vertraute mir noch andere Pläne an . . .« Sie verstummte. Sie prüfte das Antlitz des jungen Mädchens. »Wie ahnungslos!« dachte sie. »Darf ich sie mit einer Hoffnung zu den Sternen heben, die dann, versagend, sie plötzlich stürzen läßt?«

»Was sinnest du so Ernstes, Eusebia?«

»Mein Kind«, sprach diese, ihr über das dunkle Haar streichend, »glaubst du . . . du sprachst von Blicken der Liebe Julians . . . aber glaubst du . . .? Mehr als ein Jahr verstrich, seitdem . . . er trat dann in die Welt hinein; er hat seither wohl gar manche andere gesehen . . .« – »O Eusebia!« rief das Mädchen tief erschrocken. »Oder wenn nun der Imperator« – hier achtete sie scharf auf die Wirkung ihrer Worte – »als Bedingung der Begnadigung ihm auferlegt, die Tochter irgendeines vornehmen Hauses heimzuführen? Glaubst du, daß . . .? Was soll er dann tun?« – »Sie zur Gattin nehmen und mich vergessen! Mich ewigem Sehnen überlassen!« rief Helena und warf sich, laut aufschluchzend, an der Freundin Brust.

Beschwichtigend streichelte die junge Frau ihr die Wange. »Stille! Fasse dich, törichtes Kind. Ich zweifle ja nicht an seiner Beständigkeit . . .« – »So innig liebt sie ihn?« sprach sie zu sich selbst. »Nun, desto glücklicher wird sie ihn machen. Schäme dich, Eusebia.«

 


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