Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Zweiundzwanzigstes Kapitel

Wohl war der Herrscher mächtig erstaunt gewesen über den plötzlichen Umschlag in dem Entschlusse seines Vetters; nicht ohne Mißtrauen erfuhr er, daß die beiden füreinander Bestimmten sich bereits kannten; sein Argwohn erwachte aufs neue. Jedoch seine Gemahlin erinnerte ihn, daß ja in keines andern als in seinem Kopf – nicht in ihrem oder in des Sterndeuters Ratschlägen – zuerst der Gedanke an diese Verbindung aufgetaucht sei. So beruhigte er sich denn wieder und gestattete auch, daß noch an diesem Abend Julian die Mutter und die Schwester zugeführt werden durften. Dem neuen Cäsar wurde ein ganzer Flügel des Palastes zur Wohnung angewiesen; Constantius selbst geleitete ihn dorthin mit Gemahlin und Schwester.

Als sie den viereckigen Zwischenhof durchschritten, bemerkte Julian ein halbes Dutzend Leibwächter, aus deren Mitte riesengroß ein Gefangener ragte; das Licht der Pechfackeln fiel auf sein blondrotes zottiges Haupt. »Behrung!« rief Julian, stehenbleibend, »Freund Behrung! Wohin gehst du?« – »Wohin ich dich einmal führen sollte: zum Tod. Lebwohl.« – »Dein Freund?« forschte höchst argwöhnisch der Augustus. »Der germanische Bär?« – »Er war sehr gutherzig gegen mich auf dem Wege aus Macellum. Was hat er verbrochen?« – »Er hat seinen Soldvertrag gekündigt und dann, beim Wein, im Rausche gesagt – Späher hinterbrachten es dem Wächter über meine Sicherheit –: er lebe lieber unter den Bären des Neckarwaldes als unter den Füchsen dieses Palastes.« Julian lächelte: »Und deshalb sterben? Im Wein ist Wahrheit.«

Eusebia erschrak: »Gott! Welche Keckheit des Wortes. Man sieht, der junge Philosoph hat nie am Hofe gelebt.« Constantius maß den Kühnen mit hocherstauntem Blick: »Es ist Majestätsbeleidigung, o Cäsar!« sprach er auf griechisch. »Aber, Wahrheit? Wir wollen sehen, ob der Germane wirklich Wahrhaftigkeit hat. Gib acht, wie er sogleich ums liebe Leben lügen wird. – Sprich«, sagte er nun wieder auf lateinisch, »vielleicht kannst du den Hals retten: Du hast unter den Füchsen des Palastes gewiß nur meine Diener gemeint, nicht mich?« – »Dich vor allem, Herr.« Constantius starrte vor Staunen; er kämpfte sichtlich mit sich selbst.

»Das ist Mannesart! O Imperator«, rief da Julian, »gewähre deinem Cäsar seine erste Bitte: Schenke mir dies verwirkte Leben.«

»Es sei!« erwiderte Constantius weiterschreitend, »nimm ihn mit zu seinen Bären. Hoffentlich fressen sie ihn.« Er winkte, die Leibwächter nahmen dem Gebundenen die Ketten ab. »Siehst du«, sprach Julian leise zu ihm, der sich an ihn herandrängte und treuherzig ihm die Rechte bot, »siehst du, auch dich hat gerettet mein Gott! Weißt du noch, wie er heißt . . .?« – »Der waltende Wotan.« – »Unverbesserlicher!« lachte Julian und folgte den voranschreitenden Frauen.

 

Constantius vermied es, der ersten Begegnung Julians mit den Seinen beizuwohnen; er gestattete, daß der treue Jovian, der ängstlich vor dem Außentore des Palastes auf die Entscheidung harrte, daß, auf den Wunsch der Imperatrix, auch Philippus und der Mönch Johannes herbeigerufen würden, und kehrte in sein Gemach zurück, Eusebius eine Abschiedsunterredung zu bewilligen; denn dieser hatte Urlaub auf unbestimmte Zeit verlangt: »Zur Herstellung seiner durch die Aufregungen der letzten Zeit erschütterten Gesundheit«, wie es in der Gesuchschrift hieß.

Die beiden Frauen und die beiden Freunde erklärten nun dem immer noch staunenden Julian die Vorgeschichte, die Zusammenhänge dieser plötzlichen Wandlungen.

Daß nur die Weissagung von Julians frühem Tod in dem wieder eroberten Gallien den schwankenden Imperator entschieden habe, verschwiegen Eusebia und der Sternweise selbstverständlich dem in Glück und Liebe schwebenden und schwelgenden Brautpaar ebenso wie Jovian. Nach einer Unterbrechung des Gesprächs ergriff Johannes, der bis dahin nur selten ein Wort zur Erklärung eingeworfen, sich demütig zurückgehalten hatte, die Hand Julians und sprach, den tief eindringenden Blick auf ihn gerichtet: »Es ist edel von dir, geliebter Sohn, daß du dich soweit überwindest, dem Mann zu dienen, dessen Hand das Blut der Deinen vergossen hat. Siehst du, so erfüllest du das Gebot des Herrn: ›Vergeltet Böses mit Gutem!‹ Du bist ein Christ der Tat! Dafür wird dir mancher Zweifel am Glauben vergeben werden. Denn ach, ich glaube, du – der Schüler eines Lysias, eines Maximus –, du zweifelst ein wenig? Du hast Bedenken, du bist noch schwankend in deinen Entschlüssen?«

Um Julians feingeschnittene Lippen spielte ein leises Lächeln: »Ja, Vater Johannes, ich glaube auch, ich zweifle ein wenig; und ich verdiene dein Lob nicht. Keineswegs der Christ, der Römer in mir hat den Widerwillen überwunden, diesem – Augustus zu dienen. Und auch überwunden die Sehnsucht nach den Hainen und Hallen der Akademie, nach den Lehrern, die in Nikomedia und die am Ilissos wandeln, das Verlangen nach den Papyrusrollen in den Bibliotheken der Stoen: Denn wer am Becher der Weisheit zu nippen begann, wenn auch, wie ich, nur am Rande, den verzehrt der Durst nach reicherem Wissen. Ach, wieviel hätte ich noch zu lernen, zu forschen! Und nun reißt mich der Tubaschall hinaus aufs Schlachtfeld, in verbrannte Städte, in die Speere der Barbaren. Werd ich jemals wieder die Muße finden, einem Maximus, einem Libanius zu lauschen?«

»Nun«, meinte Jovian lächelnd, »diese Wahl blieb dir, glaub ich, erspart. Du konntest von dem Imperator hinweg nur nach Gallien gehen oder auf das Blutgerüst, nicht aber nach Athen zurück. Und es ist nun genug der Forschung, Cäsar Julian; nun gilt es Feldherrnschaft.« Und des jungen Mannes schönes Antlitz leuchtete bei diesen Worten.

Julian schlang den Arm um seine Schulter: »Dank, mein Jovian! Du bist mein guter Genius. Die Götter selbst – o schilt mich nicht, Johannes! – haben dich mir als solchen verkündet. Hört mich, ihr edlen Frauen! In der letzten Nacht warf ich mich hin und her in der engen Sänfte und konnte lange nicht Schlaf finden. Unablässig beschäftigte mich der Gedanke, was denn, falls ich am Leben bliebe, mein Beruf, was mein Geschick sein werde? Mächtig zog es mein Herz zu den geliebten Lehrern, zu den Büchern zurück. Erst kurz vor Sonnenaufgang schlief ich ein. Und nun kam mir ein Traum – gerade in der Zeit, da die Träume am wahrhaftigsten . . .« – »In Christus geliebter Sohn«, klagte Johannes, »das ist heidnischer Wahnglaube.« – »In allen Göttern – was mehr ist – geliebter Vater«, lächelte Julian, »und jener vielgepriesene Judenjunge, der Frau Potifar so sehr gefiel, hat der nicht einem Herrscher geweissagt aus seinen Kuh-Träumen? Oder ist Jehova ein anderer als Gott-Vater? Du verstummst! Nichts für ungut! Aber ein bißchen Spott ist oft mein einziger Trost, bei soviel aufgezwungener Heuchelei.«

Da seufzte die Imperatrix tief.

»Nun wohlan, der behelmte Genius Romas – ich konnte seine Gesichtszüge im Gewölk kaum erkennen – schwebte auf mich zu, mit der Linken hob er einen Legionsadler in die Höhe, mit der Rechten reichte er mir ein Schwert und sprach: ›Mir gehörst du, Julianus! Du bist ein Römer. Kämpf und siege.‹

Ich erwachte, ich fuhr empor; ich sah noch seinen Helmkamm schimmern im Morgengold. Es war der Helm Jovians, der sich vom Rosse zu mir niederbog, und seine Züge waren die des Genius. O ihr teuren Frauen, ihr treuen Freunde! Glücklicher als ich kann kein Sterblicher sein. Ich soll Mutter und Schwester neu geschenkt erhalten, ich habe eine geliebte Braut und treue Freunde.«

»Und eine Beschützerin«, sprach Philippus auf die Imperatrix deutend, die noch bleicher schien als sonst –, »ohne die du jetzt gar nichts hättest, o Cäsar Julian, als ein Grab.«

Eusebia winkte ihm, zu schweigen: »Sein Glück – euer Glück vielmehr – ist mein reichster Lohn, ist mein Glück. Freue dich, Cäsar: Wir alle, die wir's wohl meinen mit dir, sind ernst, allzu ernst für deine Jugend, für deine Neigung zum Witz. Dies junge Geschöpf da, deine Helena, ist unter einem fröhlichen Stern geboren; ihre Heiterkeit wird dir ein Labsal sein. Sieh nur, wie sie so strahlend lächeln kann, und silberhell ertönt ihr Lachen.«

Einstweilen trat Philippus zu Johannes und flüsterte: »O Freund, und wir? – Wir sollen die Geliebte wiedersehen! Nach so vielen Jahren! Mir pocht das Herz zum Springen. Ob sie noch schön ist?« – »Schweig, Philippus! Nicht solche Worte! Willst du auch in mir die alte Sünde wecken? An ihr Seelenheil denke! Wie mögen all die Jahre, die Einsamkeit, die ungerechte Strafe ohne Schuld, auf ihren Glauben gewirkt haben? Ob ihr Gemüt der Haß verbittert, vom Gottvertrauen abgelenkt hat?« – »Es wäre kein Wunder«, meinte der Arzt. »Aber still . . .! Draußen im Hofe wird eine Sänfte niedergesetzt! Sie kommen! – Irene soll ich wiedersehen.« Er zitterte heftig. Der Mönch senkte die Augen und betete: »Und führe uns nicht in Versuchung.«

 


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