Felix Dahn
Julian der Abtrünnige
Felix Dahn

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Dreißigstes Kapitel

Erst nach vielen Wochen komme ich wieder zu diesen Blättern. Ich faßte zu Paris von den beiden möglichen Entschlüssen den kühneren; abermals »non sine Dîs animosus infans«. Denn abermals erschien mir – (wie nun schon wiederholt!) – nach endlich gewonnenem Schlaf im Traum der Genius Roms und mahnte zu sofortigem Angriff. Mit Zweifeln war ich eingeschlafen, entschlossen wachte ich auf und befahl den Aufbruch, ohne das Eintreffen der Vorräte abzuwarten.

Ich wandte mich zunächst gegen Gaue salischer Franken, die es gewagt hatten, auf altrömischem Boden, in Toxandria, sich niederzulassen, südlich der Waal, östlich der Schelde gegen die Maas hin. In Tongern trafen mich ihre Gesandten, die Frieden beantragten und versprachen, unter der einzigen Bedingung, daß wir sie in ihrer neuen Heimat beließen.

Das ist eben das nicht zu Ertragende, das Abzuwehrende! Diese Barbaren beanspruchen, daß wir sie in dem von ihnen besetzten Land als heimatberechtigt anerkennen! Ich behielt diesmal ihre Gesandten nicht gefangen – (gar zu oft darf man den großen Cäsar nicht wiederholen!) –, aber ich hielt sie lange hin, versetzte sie in den Glauben, ich werde nicht weiter von Tongern aus vorrücken, und entließ sie reich beschenkt.

Jedoch gleichzeitig, ihren langsamen Schritt überholend, griff ich – zu Schiff und mit der Reiterei – ihre Gaue an, lange bevor die Gesandten zu diesen gelangen konnten, und schlug sie wie ein Donnerkeil im Wettersturm zu Boden. Ich zwang einen Teil der Eingedrungenen, die Chamaven, zur Rückkehr über den Strom.

Jedoch nun erlebte ich ein hoch Wunderbares mit den übrigen in unser Land gedrungenen Franken salischen Namens. Als ich auch von ihnen Räumung unseres Gebietes verlangte, erklärten ihre Gesandten, sie könnten das nicht! Denn nicht freiwillig, gezwungen hätten sie ihre alten Sitze verlassen und sich auf unserem Boden eine neue Heimat gesucht. Sie könnten nicht zurück, sie müßten leben oder sterben, wo sie ständen, sie seien aus ihrem alten Lande verdrängt von anderen Germanen, den dem Sachsenstamm angehörigen Chauken. Die Männer sprachen in so offenbarem Ernst, und ihre Worte erinnerten so lebhaft an manchen Gedanken, den Serapio früher kurz angedeutet hatte, daß ich nicht einfach zur Gewalt greifen wollte – (verzweifelt entschlossen sahen diese Leute aus) –, sondern sie auf meine spätere Entscheidung verwies. Ich wollte Serapio, der, unbewaffnet, mich begleitet, befragen.

Am Abend beschied ich ihn und Jovian in mein Zelt zu einer Unterredung. Die ward eine der inhaltsschwersten meines Lebens.

Ich begann, nachdem die Sklaven den nie üppigen Schmaus des Cäsars hinausgetragen, ziemlich gereizt gegen Freund Serapio: »Ihr wißt euch soviel, ihr Germanen, mit eurer Treue! Und doch muß ich sagen: Ich kenne in der ganzen Geschichte Roms kein Volk, das uns so unzählige Male die Verträge gebrochen hat wie ihr Germanen.«

Da wurde der Ausdruck von Serapios Antlitz noch schärfer, noch ernster als gewöhnlich. Er richtete sich hoch auf und sah mir durchdringend in die Augen.

»Ist es doch so!« fuhr ich fort. »Seit Drusus und Germanicus, seit länger als dreihundert Jahren: Immer und immer wieder brecht ihr die so oft errichteten Friedensverträge. Offenbar ist es echt barbarische Abenteuer- und Beutelust, vor allem aber – (denn ich will dich nicht verletzen) – jene Lust am Kampf als solchem, also das ›Heldenhafte‹, wie du's nennst, was euch, nach unzähligen blutigen Erfahrungen, immer und immer wieder über unsere Grenzen und in die Schwerter unserer Legionen treibt. Soll das denn niemals enden? Wenn ich dich heute freiließe, würdest du abermals versuchen, dein Volk zum Kampfe gegen uns fortzureißen?«

Serapio schwieg geraume Weile. Dann entgegnete er langsam, fast feierlich: »Cäsar Julian, es ist wohl besser, wir verschieben dies Gespräch.« – »Warum?« – »Weil du vielleicht noch nicht reif bist, die Wahrheit hierüber zu erfassen. Und noch nicht fähig, sie zu ertragen.« – »Germane!« – »Siehst du? Schon wirst du heftig, noch ehe du die Wahrheit gehört hast.« – »Vergib! Meine Ruhe soll dir beweisen, daß ich für deine Wahrheiten reif bin. Sprich!« – »Du willst es, so sei's. Merke dir den Tag, Cäsar. Es sind die Iden des Junimonds.« – »Das trifft sich gut. Ein Freund – Philippus – hat in den Sternen gelesen, die Iden werden für mich wiederholt ein wichtiger Tag sein.« – »Mir ist lieb, daß dieser Jovianus da zuhört. Er ist gerechter, weil er ruhiger als du. Er soll Richter sein zwischen uns. Obwohl ein Römer, ist er nicht ungerecht.« – »Ich danke«, mußte ich lächeln. »Wir sind das größte Rechtsvolk der Welt.« – »Recht und Gerechtigkeit sind oft zweierlei. – Nun, Freund und Cäsar, höre. Ihr Römer seid das großartigste und das scheußlichste Volk der Weltgeschichte.« Ich fuhr auf. Jovian drückte mich leise nieder. »Das großartigste: durch folgestrengstes Streben nach Macht. Das scheußlichste: durch maßlose Selbstsucht hierbei. ›Verteidigung durch den Angriff‹, das ist euer fürchterlicher Grundsatz, der euch über euer Italien hinaus nach Spanien, nach Afrika und Asien, nach Gallien, nach Germanien, nach Britannien geführt hat, als eure müden Adler noch fliegen konnten. Was hat euch zum Kampf mit uns gebracht? – Nicht wir haben euch aufgesucht oder angegriffen! Ihr habt, um Gallien zu erobern, Ariovist aus dem von ihm nach Kriegsrecht gewonnenen Lande vertrieben. Ihr habt, um den Rhein zu verteidigen, unser Land bis zur Elbe unterwerfen wollen. Und ihr hättet's erreicht, kam nicht ein großer Überlister über euch: Armin. Hat doch eurer Größten und Besten einer, Cornelius Tacitus, gesagt: ›Die Götter haben nun einmal den Erdkreis dem Römervolk gegeben, und das Römervolk hat zu entscheiden, wieviel davon andern zu belassen ist.‹ Mit einem solchen Volk gibt es keinen Frieden. Ihr müßt alle Völker unterwerfen, oder es muß den andern gelingen, euch zu zerschlagen.« Er sagte das alles ganz ruhig vor sich hin, als führe er einen mathematischen Beweis, während ich vor Erregung bebte. Nur das Blitzen seiner meergrauen Augen verriet, daß die höchste – (vielleicht die einzige!) – Leidenschaft seines Wesens in ihm loderte, daß er als Vertreter seines Volkes mit dem Vertreter des Erbfeindes stritt. Jovian gelang es, mich in Ruhe zu halten. »Lange nun ist es euch gelungen mit uns, wie mit all eueren Nachbarn in den drei Erdteilen vorher; durch eure Bildung, eure Waffen- und Geldübermacht, vor allem durch eueren Staatsgedanken und dessen großartiger Durchführung. Bald mit edelster Heldenschaft und Aufopferung und bald mit jedem scheußlichsten Mittel der Arglist – ›artes‹ nannte solche Ränke euer Tiberius – habt ihr uns unterworfen oder zum Dienste verlockt. Endlich aber drangen doch Alemannen und Franken bis an, bis über den Rhein, andere Germanen über die Donau. Nun sagst du: ›Unter unaufhörlichen Treubrüchen gegenüber den Verträgen.‹ Ja, es ist wahr. Aber ebensogut könntest du der Meerflut den Vertrag aufzwingen, nicht mehr gegen die Küste zu branden, als den Germanen, in den von euch abgesteckten Grenzen zu bleiben.«

»Warum? Seid ihr denn wilde Tiere«, brach ich los, »die auf Raub ausgehen müssen oder verhungern? Das ist es ja eben! Dir barbarische Raubgier, Kampfgier, die euch treibt.«

»Nein, Cäsar Julian. Merk es dir, was ich dir heute sage: Die Geschicke unserer beiden Völker hängen davon ab; nicht Abenteuerlust, nicht Raubgier, nicht Kampffreude.« Hier erhob er sich und wandte mir das Antlitz zu mit einem Ausdruck, der ihn dämonisch verschönte: »Uns treibt die mächtigste der Göttinnen: die Not!«

So gewaltig war der Eindruck seiner Worte. Wir beiden Römer verstummten und sahen mit einem leisen Grauen zu diesem grimmentschlossenen Mann empor.

 


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