Walther von der Vogelweide
Gedichte
Walther von der Vogelweide

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Versagtes Lob

L. 78. Der anegenge nie gewan

Der einen Anfang nie gewann,
Doch allen Anfang machen kann,
Der Ewigkeit kann schaffen und beenden,
Dem alles ruht in Schöpferhänden –
Wer ist da wohl des höchsten Lobes wert?
Er steh voran in meiner Weise,
Er ists, den ich vor allem preise:
Ruhm wird das Lob, das er begehrt!

Dann loben wir die süße Magd,
Der keinen Wunsch ihr Sohn versagt,
Die Mutter des, der uns von Sünde löste
Und Trost gereicht, der uns vor allem tröste,
Daß man im Himmel ihren Willen tut.
Wohlan, ihr Alten und ihr Jungen,
Es sei ihr Lob und Preis gesungen –
Uns ehrts, denn sie ist rein und gut!

Euch Engel sollt ich grüßen auch,
Doch tat ichs, töricht war der Brauch.
Denn habt ihr schon der Heiden Werk zerstöret? –
Da niemand etwas von euch sieht noch höret,
So saget, wessen ihr euch rühmen könnt?
Könnt ich wie ihr den Heiland rächen,
Mit niemand wollt ich mich besprechen,
Euch wäre Ruh vor mir gegönnt!

Herr Michael, Herr Gabriel,
Ihr Teufelsfeind, Herr Raphael,
Ihr seid begabt mit Weisheit, Heilkraft, Stärke,
Drei Engelchöre helfen euch beim Werke,
Die müssen fügsam euch zu Willen sein!
Wollt ihr an meinem Lob euch weiden,
So schadet erst einmal den Heiden:
Tat ichs zuvor, sie lachten mein!

Mit köstlicher Naivität verweigert Walther selbst den Erzengeln den dichterischen Preis, wenn sie sich der Christenheit nicht annehmen wollen, da sie doch die Macht dazu haben.


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