Walther von der Vogelweide
Gedichte
Walther von der Vogelweide

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Verzaubert

L. 115. Mich nimt iemer wunder waz ein wîp

    Wunder nimmt mich immer, was dies Weib
Denn an mir ersehn?
Daß sie mir verzaubert Kerz und Leib,
Was ist ihr geschehn?
   Hat sie keine Augen,
Warum täuscht sich ihr Gesicht?
Aller Männer schönster bin ich nicht –
Leugnen will nicht taugen.

    Ob ihr jemand etwas von mir log?
Ei! So schau sie doch
Meine Schönheit an, die sie betrog!
Und sie will mich noch?
   Nur den Kopf betrachtet –
Ist der wohlgetan?
Wirklich, sie betrügt ein eitler Wahn,
Wenn sies recht beachtet.

   Tausend Männer gibt es, wo sie weilt,
Schöner von Gesicht –
Etwas Kunst hat Gott mir zuerteilt.
Aber Schönheit nicht.
   Meiner Kunst erfreuten
Sich schon viel, ist sie auch klein,
Pfleg ich sie doch als Geschenk zu weihn
Allen lieben Leuten.

    Will sie Kunst statt Schönheit an mir preisen,
Tut sie daran gut,
Will sie das, muß dem ich Lob erweisen,
Was sie an mir tut.
   So will ich mich neigen
Und ihr gern zu Willen sein –
Was bedarf sie denn der Zauberein?
Ich bin doch ihr eigen.

    Nun vernehmt auch von der Zauberkraft,
Die zu eigen ihr:
Schönheit, Ehre ziert sie – und sie schafft
Lust und Schmerzen mir.
   Daß sie Kunst ersonnen
Wider mich – das kann nicht sein:
Ihres Wesens Lieblichkeit allein
Bringt mir Weh und Wonnen!


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