Walther von der Vogelweide
Gedichte
Walther von der Vogelweide

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Einleitung

Nichts konnte mir willkommener sein als die Aufforderung des Herausgebers unserer Bücher der Weisheit und Schönheit, eine Übertragung der Gedichte Walthers von der Vogelweide zu versuchen. Nur über den hierbei einzuschlagenden Weg machten mir Zweifel zu schaffen. Schon vor Jahren hatte ich einige Perlen des alten Dichters neu zu fassen versucht, ließ aber die Arbeit bald liegen, da mich die Schwierigkeiten entmutigten. Jetzt aber, wo ich mir durch die Übertragung der mit zufriedenstellendem Beifall begrüßten Dantischen Dichtungen eine gewisse Sicherheit und größere Gelenkigkeit in einer so schwierigen Sache zutrauen durfte, jetzt hielt ich es für eine Ehrenpflicht, auch unsern Dichter populärer zu machen. Mutig und mit Begeisterung ging ich ans Werk. Als ich aber die erste Niederschrift beendet hatte, sah ich, daß ich einen falschen Weg gegangen war. Ich hatte nämlich versucht, das alte Gewand in bezug auf Reim und Metrum möglichst pietätvoll beizubehalten, und erkannte nun, daß auf diese Weise eine für das heutige Ohr fremd und unbequem anmutende Poesie entstanden war, die eigentlich diesen Namen nicht verdiente, sondern eher als eine am Buchstaben klebende, nach des trefflichen Bearbeiters Dr. Ad. Schröters Worten: »scholiastisch kostümierte« Überarbeitung bezeichnet werden mußte. Diese Sisyphusarbeit – wie sie Simrock, Koch u.a. geleistet haben – mag aber dem willkommen sein, der sich mit ihr den altdeutschen Text erschließen will – doch dem gebildeten Publikum, der Laienwelt, die mühelos in Geist und Wesen der Waltherschen Dichtkunst eindringen will, muß eine Nachdichtung geboten werden, bei deren Abfassung dem Übersetzer nie das Gefühl verloren gehen durfte, als schriebe er wie ein moderner deutscher Dichter. (Vgl. Tycho Mommsen im Nachwort zu seiner Macbeth-Bearbeitung bei Schlegel.) Nur dann würde auch das Publikum die Empfindung haben, ein volles und wahres Ebenbild der alten Dichtung vor sich zu haben. So bemühte ich mich denn, bei der zweiten Abfassung die Versmaße im allgemeinen einheitlich zu gestalten, insofern, als ich zur Erhöhung des Wohlklangs Auftakte da wegließ oder hinzufügte, wo ein Wechsel von Jamben und Trochäen störend wirkte. Ebenso habe ich die nach heutigem Geschmack allzu steif und hölzern klingenden Sechsfüßer meist in den Blankvers umgewandelt. Wo es nicht anging, habe ich die Zäsur (den Einschnitt in der Mitte der Verszeile) durch einen etwas größeren, das Lesen erleichternden Zwischenraum kenntlich gemacht. Daß ich mit möglichster Pietät, wo nur irgend angängig, die alten Reime benutzte, wie es auch für meine Vorgänger an solchen Stellen geboten war, oder daß ich von diesen selbst (z.B. Simrock, Schröter oder Pannier) ab und zu einige Verse wörtlich übernahm, werde ich nicht besonders betonen müssen. Denn wie schon Pannier (Reclam Nr. 819.820) sagt, ist kein Grund einzusehen, warum nicht ein Übersetzer das, was andere glücklich gefunden und errungen haben, benutzen solle, zumal wenn er sich bewußt ist, daß jede andere Wiedergabe schlechter sein müsse. Doch habe ich zu diesem Behelf nur einige wenige Male gegriffen.

So übergebe ich denn dem gebildeten Publikum unsern alten, lieben Dichter, den gedankenreichsten, vielseitigsten und männlichsten Lyriker des deutschen Mittelalters, in einer neuen Form, die hoffentlich geeignet ist, den verschollenen Quell seiner verschütteten Dichtung wieder lebendiger durch unsere Tage rinnen zu lassen.

Über Walthers Leben und Dichten sind so viel treffliche Bücher geschrieben worden, daß ich mich hier auf die notwendigsten Daten beschränken kann. Er wurde um 1168 auf dem Laiener Ried im Eisaktal bei Bozen geboren, war von ritterlicher Abkunft, aber arm und führte größtenteils ein Wanderleben als fahrender Sänger. Am liebsten und häufigsten weilte er am österreichischen und thüringischen Hofe. Nach Kaiser Heinrichs IV. Tode (1197) nahm er lebhaften Anteil an den öffentlichen Angelegenheiten und hielt zu Philipp dem Hohenstaufen bis zu dessen Tode durch Otto von Wittelsbach, worauf er sich zu Otto IV., dem nun allein rechtmäßigen Kaiser, wandte. Als auch dieser das Reich verlor, ergriff der Dichter mit Entschiedenheit die Partei Friedrichs II., des großen Hohenstaufen. Während dieser Zeit weilte er zweimal länger am Hofe des Landgrafen Hermann zu Eisenach und nahm auch 1207 am Sängerkrieg auf der Wartburg teil. Nach Hermanns Tode (1215) ist er wiederum in Wien beim Herzog Leopold VII. Mit Friedrich II. stand er in dauerndem Verkehr. Eine kleine Tabelle gibt eine bessere Übersicht über das ewige Auf und Ab seines Lebens, doch stehen die Daten nicht alle historisch fest.

1168 geboren bei Bozen.
1198 in Wien, oder in Eisenach und Umgegend
1198 (8. Sept.) W. bei der Krönung Philipps in Mainz.
1200 Abschied von Wien.
1204–7 Eisenach (Sängerkrieg).
1208–9 abermals in Wien.
1209 in Kärnten. Sohne.
1212 in Meißen.
1210 in Thüringen.
1213 bei Otto, am Hof des Kaisers.
1215–17 abwechselnd auf seinem Reichslehen bei Würzburg
1218–20 in Wien.
1220 Erzieher von Kaiser Friedrichs
1228 nimmt er am Kreuzzug teil.
1230 stirbt Walther.

Näheres aus seinen Lebensumständen findet der Leser zuweilen als erklärende Anmerkung unter den einzelnen Gedichten dieser Sammlung. Goedeke sagt von Walther von der Vogelweide als Dichter, »daß er einer der größten Lyriker in der gesamten Literatur aller Zeiten ist, der mit vollem Herzschlage für des Vaterlands Größe und hohe Machtstellung zu entflammen, wie für den Ring seines Mädchens zu fesseln weiß und im leichten Getändel sowie in ernster Mahnung immer derselbe frische, ganze Mann bleibt: unter den zahlreichen begabten Dichtern seiner Zeit der reichste an Gedanken, der leichteste in der Form; von allen, die ihn nennen, gerühmt, bescheiden vor sich selbst, den Gewaltigen gegenüber unerschrocken, offen, in ihrem Preise voll Selbstachtung, ein Held des Gesanges unter den Helden der Geschichte.« Darum soll Hugo von Trimbergs Wort Geltung behalten: »Hêr Walther von der Vogelweide Swer des vergaez', der taet' mir leide.« Walther ist würdig wie kein Dichter des deutschen Mittelalters, auf die Nachwelt zu wirken und in ihr fortzuleben. Schönbach sagt in seiner Waltherbiographie: »Solange uns Walthers Verse nicht von den Lippen fließen wie dem Italiener Dantes Terzinen, so lange ist unsre Kultur halb.« – Seine Gedichte sollen in jedes deutschen Mannes Hand zu finden sein. Möge diese neue Ausgabe seiner sämtlichen Gedichte dazu ihr bescheidenes Teilchen beitragen!

Berlin, Ostern 1907.

Richard Zoozmann.


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