Walther von der Vogelweide
Gedichte
Walther von der Vogelweide

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Treue

L. 96. Staet ist ein angest unde ein nôt

Die Treue schafft nur Angst und Not,
   Und mag es auch nicht ruhmlos sein,
      So kenn ich doch ihr Ungemach!
Seitdem die Herrin mir gebot,
   Beständger Treue mich zu weihn.
      Mußt ich nur seufzen Weh und Ach!
So laßt mich doch aus eurer Hand, Frau Treue;
Doch, ob ich bäte auch aufs neue,
   Sie bleibt sich treuer als ich ihr!
Schier bringt mich noch ins Grab die Treue –
   O Liebste, so hilf du denn mir!

Wie könnte der verlangen Dank,
   Dem Treue Liebesglück erwarb,
      Nimmt er der Treue freudig wahr?
Doch wems mit Treue nie gelang,
   Wenn der mit ihr es nie verdarb,
      Seht, dessen Treu ist wunderbar.
So hab auch ich in Treuen heiß gerungen,
Doch ist mir, ach! noch nichts gelungen;
   Das wende, süße Herrin mein,
Daß ich durch meine Treu, die unbezwungen,
   Ein Spott der Falschen müßte sein!

Hätt ich nicht meiner Freuden Teil
   Auf dich gesetzt, vielholdes Weib,
      So würde wohl noch alles gut!
Doch seit mein Glück und all mein Heil,
   And was ich bin an Seel und Leib,
      Auf dir nur wandellos beruht –
So schüf ich selber mir die größten Leiden,
Sollt ich von dir mich, Liebste, scheiden:
   Wohl übel wäre dies getan.
Doch sollst du daran denken, wie in Leiden
   Ich lang schon zieh die dunkle Bahn.

O Frau, ich weiß, wie dir zumut:
   Daß du der Treue innig pflegst,
      Das durft ich längst mit Augen schaun.
Es nahm dich stets in Treu und Hut
   Die reine Güte, die du hegst –
      Ein sichrer Schutz den edeln Fraun.
So freut mich deine Güte, deine Ehre,
Nicht wüßt ich, was mir lieber wäre,
   Sprich: Heißt dies unbescheiden sein?
Ich hoffe, daß es Vorteil mir beschere,
   Daß ich so treu begehre dein!


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