Walther von der Vogelweide
Gedichte
Walther von der Vogelweide

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Klage um Reinmars Tod

1.

L. 82. Owê daz wîsheit unde tugent

   O weh, daß Weisheit doch und Tugend,
Daß Mannesschönheit, Mannesjugend
Sich nicht vererben, wenn der Leib erstirbt.
    Mit Recht beklagts der weise Mann,
Ders fühlen und ermessen kann,
Reinmar, daß solche Kunst an dir verdirbt!
   Drum soll verdientes Lob dir sprießen,
Weil du dich ließest nie verdrießen
Der Frauen Preis und Lobgesang;
Sie sollen dirs gedenken dankdurchdrungen.
Denn hättest du nichts als das Lied gesungen:
»O wohl dem Weib von reinen Namens Klang«,
Es müßte jede Frau des Himmels Gunst
Auf dich erstehn für deine edle Kunst.

2.

L. 82. Dêswâr, Reinmâr, dû riuwes mich

    Reinmar, fürwahr!   Du dauerst mich
Um vieles mehr wohl als ich dich,
Wenn du noch lebtest und ich wär gestorben.
   Aufrichtig will ich sein und sagen:
Um dich nur würd ich wenig klagen,
Mehr, daß solch edle Kunst mit dir verdorben!
   Du konntest aller Welt die Freuden mehren,
Wenn du dein Lied zum Guten wolltest kehren;
Mich schmerzt, daß schon zu meiner Zeit verklang
Aus deinem Mund der wohllautreiche Sang,
Und daß er nunmehr mit dir selbst verschied!
Gesellschaft hätt ich gerne dir gegeben –
Mein Sang wird sich nicht lange mehr erheben.
Fahr wohl! und laß dir danken für dein Lied!

Reinmar von Hagenau lebte am Wiener Hofe; starb um 1206.


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