Walther von der Vogelweide
Gedichte
Walther von der Vogelweide

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Tanzlied

L. 74. Nemt, frouwe, disen kranz

    »Nehmt, Herrin, diesen Kranz«,
Sprach ich zu einer wunderfeinen Magd,
   »So zieret ihr den Tanz
Mit diesem Blumenschmuck, wenn ihr ihn tragt!
   Hätt ich viel köstliche Gesteine,
   Sie wären all die euern;
   Laßt, Herrin, michs beteuern,
   Daß ich es treulich mit euch meine!

    Ihr seid so wohlgetan.
Daß ich euch gern ein Kränzlein geben will.
   So gut ichs winden kann.
Ich weiß viel Blumen stehn in Hüll und Füll,
   Wohl weiß und rot, fern in der Heide,
   Wo lieblich sie entspringen
   Bei muntrer Vöglein Singen:
   Da sollten wir sie brechen Beide!«

    Sie nahm, was ich ihr bot.
Gleich einem Kind, das ein Geschenk beglückt!
   Ihr ward die Wange rot,
Als ob die Lilie Rosenfarbe schmückt.
   Den Blick sah ich sie schamhaft neigen.
   Da ward mir von der Süßen
   Zum Lohn ein holdes Grüßen –
   Und bald noch mehr: des laßt mich schweigen!

    Ich glaubte niemals mehr
An größre Wonne, als ich da besaß.
   Es fielen auf uns her
Viel Blüten von den Bäumen in das Gras.
   Ach wie ich da vor Freuden lachte,
   Weil mich mit süßen Wonnen
   Das Traumbild hielt umsponnen –
   Da kam der Tag und ich erwachte!

    Mir ist von ihr geschehn,
Daß ich den Mägdlein all zur Sommerszeit
   Nun muß ins Auge sehn.
Ob ich sie wiederfänd? o Seligkeit!
   Wie? wenn sie war in diesem Tanze?
   Ihr Frauen, habt die Güte,
   Rückt aus der Stirn die Hüte:
   Ach – fänd ich sie doch unterm Kranze!


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