Walther von der Vogelweide
Gedichte
Walther von der Vogelweide

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In Kaisers Diensten

»Herr Kaiser, seid uns hochwillkommen!«

Wahlstreit

1. Die drei Dinge

L. 8. Ich saz uf eime steine

Ich saß auf einem Steine
und deckte Bein mit Beine,
Den Ellenbogen stützt ich auf
Und schmiegte in die Hand darauf
Das Kinn und eine Wange.
So grübelte ich lange:
Wozu auf Erden dient dies Leben? ...
Und konnte mir nicht Antwort geben,
Wie man drei Ding erwürbe,
Daß keins davon verdürbe.
Die zwei sind Ehr und irdisch Gut,
Das oft einander Abbruch tut,
Das dritte Gottes Segen,
Der allem überlegen.
Die hätt ich gern in einem Schrein;
Doch leider kann dies niemals sein,
Daß weltlich Gut und Ehre
Mit Gottes Gnade kehre
In ganz dasselbe Menschenherz.
Sie finden Hemmnis allerwärts;
Untreu hält Hof und Leute,
Gewalt geht aus auf Beute,
Gerechtigkeit und Fried ist wund,
Die drei genießen kein Geleit,
Eh diese zwei nicht sind gesund.

2. Der Waise

L. 8. Ich hôrte ein wazzer diezen

Ein Wasser hört ich quellen,
Sah drin die Fische schnellen;
Ich schaute alles auf der Welt:
Laub, Gras und Röhricht, Wald und Feld,
Was kriecht und fliegt und geht
Und auf den Beinen steht.
Dies sah ich und verkünde das:
Nicht eins davon lebt ohne Haß.
Das Wild und das Gewürme,
Die streiten heftge Stürme;
So auch die Vöglein unter sich,
Doch tun sie dies einmütiglich,
Sonst würden sie zunichte,
Wenn keiner ist, der richte.
Sie küren Könige, ordnen Recht
Und setzen Herren ein und Knecht.
O weh dir deutschem Lande,
Wie fällst du doch in Schande –
Die Mücke wählt sich einen Herrn,
Und du bist aller Würde fern!
Bekehre dich! Und mehre
Nicht noch der Fürsten Ehre.
Die armen Könige drängen dich,
Den Waisen setz dem Philipp auf
Und andere laß beugen sich!

3. Der Klausner

L. 8. Ich sach mit mînen ougen

Ich prüfte mit den Augen,
Was Mann und Frau wohl taugen?
Ich sah und hörte nach und nach,
Was jeder tat, was jeder sprach.
Zu Rom hört ich mit Lügen
Zwei Könige betrügen.
Daraus entstand der größte Streit,
Der wohl gewesen aller Zeit:
Ich sah sich wild entzweien
Die Pfäfflein und die Laien.
Die Not war über alle Not,
Es wurden Leib und Seele tot –
Die Laien durften siegen,
Die Pfaffen unterliegen.
Da ließen sie die Schwerter ruhn
Und trugen Priesterkleider nun:
Sie bannten, wen sie wollten,
Nicht wen sie bannen sollten.
Bald lag im Schutt manch Haus des Herrn,
Da hört ich einen Klausner fern
In seiner Zelle klagen
Und unter Tränen sagen
Dem Himmlischen sein Herzeleid:
O weh, der Papst ist allzujung,
Hilf, Herrgott, deiner Christenheit!

Das Spruchgedicht 1 entstand 1198 und bezieht sich auf die Zerrüttungen in Deutschland nach Heinrichs VI. Tode. Dieser starb 28. Sept. 1197, und es wurde von den staufisch gesinnten Fürsten (da der Papst Heinrichs dreijährigen Sohn, nachmaligen Kaiser Friedrich II., nicht anerkannte) Heinrichs Bruder Philipp von Schwaben, der jüngste Sohn Barbarossas, zum König gewählt, der für den unmündigen Knaben die vormundschaftliche Regierung führte. Die welfische Partei erhob zum Gegenkönig den zweiten Sohn Heinrichs des Löwen, Otto von Braunschweig, den nachmaligen König Otto IV. In der im ersten Teil angedeuteten Stellung ist der Dichter in der Pariser und Weingartner Handschrift abgebildet: »Ein Barett auf dem lockigen Haupte, in reichem blauen Gewande mit rotem Unterkleide, blickt er nachdenklich zur Erde und holt in der Rechten eine Schriftrolle seiner Lieder, die aufgerollt emporschwebt zwischen dem symbolischen Wappenschild und Helme mit den Vogelgebilden.« – Hagen.

Der Spruch 2 fällt in die Zeit vom 6. März bis 8. September 1198 und bildet eine Aufforderung, der Herrscherlosigkeit des Reiches ein Ende zu machen. Die armen Könige sind die im Vergleich zu Philipp unbedeutenden Mitbewerber um den deutschen Thron. Der Waise ist der wertvollste Edelstein in der deutschen Kaiserkrone, den der Sage nach Herzog Ernst aus dem Hohlen Berge mitgebracht hatte, (Vgl. dazu aber: Lessings Briefe antiquar. Inhalts Nr. 49.)

Der Spruch 3 entstand nach Simrock 1198, »Der Vers 17 erwähnte Bann wird auf die von Innozenz exkommunizierten deutschen Heerführer in Italien oder auf Philipps ersten Bann gehen.« Die Betrogenen in Vers 6 sind Philipp und Friedrich von Sizilien. B. 10: Unter den Laien ist die Partei Philipps, unter den Pfaffen die Ottos zu verstehen. Innozenz war bei seiner am 8. Januar 1198 erfolgten Wahl erst 37 Jahre alt. Wer der Klausner ist, von dem auch auf Seite 130 und Seite 132 die Rede ist, kann nicht entschieden werden.


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